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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 52
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Edlef Köppens Antikriegsroman ‘Heeresbericht’ ist ein vergessenes Werk der Weimarer Republik. Trotz herausragender Kritik war es ein kommerzieller Fehlschlag und geriet schnell in Vergessenheit - heute ist der ‘Heeresbericht’ höchstens Literaturwissenschaftlern ein Begriff. Anlässlich der hundertsten Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkriegs soll die Gelegenheit genutzt werden, um einen vergessenen und außergewöhnlichen Autor wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Köppens Werk zeichnet sich im Vergleich zu den übrigen Vertretern des Genres durch eine Besonderheit aus, die Ernst Toller wie folgt beschreibt: ‘Köppens Buch Heeresbericht unterscheidet sich formal von allen anderen Kriegsbüchern durch seinen Stil: Ineinander persönlichen Erlebens und allgemeiner Dokumente der grossen Zeit. Dieses Ineinander, das man im Film und in der Photographie Montage nennt, ist Köppen ausserordentlich gelungen.’ Die vorliegende Arbeit untersucht das innovative Schreibverfahren eines Autors, der seiner Zeit damit voraus war.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel IV, Reisigers Weg zum Pazifismus: 1, Die Ursachen des Krieges: Die Erzählung beginnt mit der offiziellen Kriegserklärung Kaiser Wilhelms sowie der dazugehörigen Mobilmachung. Auffällig ist, dass in beiden Dokumenten mit keinem Wort von einem Kriegsgrund oder Feinden Deutschlands die Rede ist: ‘Das Reichsgebiet, ausschließlich der Königlich bayrischen Gebietsteile, wird hierdurch in den Kriegszustand erklärt’(S.9). Nahezu eigenmächtig und nur auf die Gesetzgebung gestützt, scheint der Kaiser in seiner Rolle als Monarch über das Volk zu bestimmen: ‘Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen usw. verordnen aufgrund des Artikels 68 […]’ (S.9) ‘Ich bestimme hiermit: [...]’(S.9). In der Mobilmachung erfährt der Leser genaueres über den Rekrutierungsprozess: ‘Als Kriegsfreiwillige können sich solche Leute bei einem Ersatztruppenteil melden, die keine gesetzliche Verpflichtung zum Dienen haben, ferner jugendliche Personen zwischen 17 und 20 Jahren [...]’(S.10). Daraufhin wird der Protagonist auf ungewöhnliche Weise durch ein Dokument vorgestellt: ‘Der Student Adolf Reisiger, geboren am 1.April 1893 zu Henthen, ist heute militärisch auf seine Militärdiensttauglichkeit untersucht worden.’(S.10). Durch den vorherigen Einbau der Mobilmachungserklärung wird der Leser auf den Schluss gelenkt, dass es sich bei Reisiger um einen Freiwilligen handeln muss. Im darauffolgenden Dokument wird der Blick vom Persönlichen auf das Ganze gelenkt. In der ‘Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches’ (S.10f.) stellt sich der vorher ungenannte Kriegsgrund als ein geistiger heraus: ‘Jetzt steht unser Heer im Kampfe für Deutschlands Freiheit und damit für alle Güter des Friedens und der Gesittung, nicht nur in Deutschland. Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche 'Militarismus' erkämpfen wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien deutschen Volkes.’(S.11). Feinde bleiben bis auf England vorerst erneut ungenannt. Scheinbar ohne Zusammenhang erscheint danach ein Brief von Reisigers Mutter, in dem die ersten Stunden nach der Abreise ihres Sohnes zusammengefasst werden: ‘Ein Transportzug nach dem anderen rollte nach dem Westen. Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, wo diese großen Massen von Soldaten, die Deutschland jetzt auf die Beine bringt, alle herkommen, und wie dieser ganze Betrieb funktioniert.’ (S.12). Der Brief schließt mit dem Gedanken, dass der Krieg wohl möglich schon vor Weihnachten zu Ende ist - eine Vorstellung wie sie tatsächlich bei Kriegsbeginn in Deutschland vorherrschte. Wie ein Dokumentarfilm läuft diese erste größere Zitatmontage vor dem inneren Auge des Lesers ab: ein dokumentarischer Erzähler übernimmt die erläuternde Rolle des Autors und beschreibt über Zitatbruchstücke und persönliche Dokumente die ersten Monate des Krieges. Durch die chronologische Anordnung der Dokumente entsteht der Eindruck eines eigenständigen Erzählstrangs: auf die Kriegserklärung folgt die Verkündung der Mobilmachung, auf die Mobilmachung die Musterung des Protagonisten, auf die Musterung der Abtransport an die Front. Damit entfällt bei Köppen auf clevere Art der übliche Beginn eines Kriegsromans. Die Dokumente geben sozusagen bereits den emotionalen Hintergrund des Protagonisten und seine Veranlassung sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Und wie ein Dokumentarfilm erzeugt diese Art des Erzählens den Eindruck von historischer Wirklichkeit. Dabei sind die Dokumente vom Autor natürlich nicht wahllos ausgewählt, sondern sind mit Intention arrangiert. So stellt die Einführung des fiktiven Protagonisten über ein scheinbar authentisches Dokument sicher, dass Kriegsfreiwillige außerliterarisch existieren. Aber auch innertextuell erfüllt das Dokument einen Sinn: die Figur wird dem Leser zunächst über ein ‘Datenblatt’ näher gebracht - nur die physischen Qualitäten Reisigers sind von Belang. Egal welche Eigenschaften das Individuum Reisiger vor dem Beginn des Krieges gehabt haben mag, für den Krieg ist lediglich die Absicherung seiner Existenz durch ein Dokument von Interesse. Der Soldat wird damit seiner Individualität entzogen, sein ‘Befund’ (S.2) gleicht dem einer Ware. Auf diesen Schluss kommt auch auf Seite 13 der traditionelle Erzähler. Der Brief der Mutter dient zur Darstellung der allgemeinen Kriegsbegeisterung in Deutschland und zeigt wie selbst der einfache Bürger den Krieg unterstützte: ‘[...] ich muss ja andererseits verstehen, dass es für Euch junge Menschen keine Ruhe gibt […] (S.12) und: ‘Vater […] lässt dir sagen, dass er sehr stolz darauf ist, seinen Jungen nun auch im Feld zu wissen (Ich hätte lieber, Du könntest weiter studieren.)’ (S.12). Das Dokument wurde wohl auch von Köppen gewählt um einen Vergleich einzuführen, der sich von hier an durch den gesamten Roman erstreckt: Der Krieg als Betrieb bzw. der Krieg als Maschine. Ein Rädchen dieser Maschine ist der fiktive Charakter Adolf Reisiger, ‘dessen Name an Karl Philipp Moritz' Anton Reiser, ‘der sein Leben als fremdbestimmtes Durcheinander erfährt’, erinnert.’ Fremdgesteuert wirkt auch Reisiger, der, dem wilhelminischen Erziehungsprogramm entsprechend, sein Studium unterbricht um sich als Kriegsfreiwilliger zu melden (S.10). Da Reisigers Kriegserlebnisse starke autobiographische Züge tragen, kann wohl davon ausgegangen werden, dass auch die hier einmontierten persönlichen Dokumente des ansonsten fiktiven Protagonisten authentisch sind. Köppen, der 1914 an der Ludwig-Maximilian Universität in München studierte, unterbrach sein Studium nach nur drei Semestern um sich als Kriegsfreiwilliger in Potsdam zu melden. In einem persönlichen Text schildert er seine Wahrnehmung der Mobilmachung: ‘Musik, Marschschritte. Das dumpfe Schüttern der Geschütze. Wir standen auf der Straße. Da kamen sie. Gleich uns standen die ganze Stadt hindurch bis weit hinaus zu den Verladehöfen die Menschen, Männer, Frauen, Kinder. Da gingen die Ersten hinaus. Kann man beschreiben, wie sie hinausgingen? Kann man ausdrücken, wie uns zu mute war, die wir ihnen das Geleit gaben’? Geben die kaiserlichen Zitate zunächst keine Antwort auf die Frage nach einem Kriegsgrund oder Feinden, übernimmt das Volk selbst die Beantwortung. Es wird klar warum die Fragen nicht beantwortet werden mussten: Das Volk ist militarisiert es will den Krieg. Entgegen der ersten Feststellung handelt der Monarch nicht eigenmächtig - seine Handlungen sind nicht nur durch Gesetz, sondern durch das Volk autorisiert. Wenn der Text das erste mal in die traditionelle Erzählweise wechselt, werden diese Eindrucke auch exemplarisch durch Reisiger bestätigt. Seine Vorstellung vom Krieg scheint durch die vorangegangenen Dokumente informiert: ‘Wo ist denn nun der Krieg? […] Sind wir jetzt an der Front? […] Wo sind die Geschütze? Wo ist der Feind?’ (S.13). Wie die meisten seiner Altersgenossen ist auch er der patriotischen Gleichschaltung des wilhelminischen Deutschland verfallen und sieht den militärischen Dienst als moralische Pflicht. Gerade die kriegsenthusiastische Einstellung der Hochschullehrer legitimierte das Verhalten vieler Studenten. Die Professoren sahen sich als Pädagogen, die zu ‘selbstentsagender Pflichttreue […] (erziehen) und […] (der Jugend) das Selbstbewusstsein und das Ehrgefühl des wahrhaft freien Mannes (verleihen), der sich willig dem Ganzen unterordnet’ (S.11). Zu Köppens einflussreichsten akademischen Lehrern gehörte Arthur Kutscher, an den er sich ein Vierteljahrhundert nach seiner Studienzeit noch erinnerte: ‘Von all meinen Lehrern ist Artur Kutscher mir am greifbarsten in der Erinnerung geblieben. Es mag daran liegen, dass er mir als blutjungen Studenten zum erstenmal in seiner ursprünglichen, unakademischen und direkten Art nahe Beziehungen zur deutschen Dichtung vermittelte’. Kutscher war es auch, der während der Vorkriegsmonate und während der Julikrise 1914, den jungen Studenten Köppen patriotisches Engagement nahelegte. Nicht zufällig dürfte Köppen hier also auf die unrühmliche Allianz aus Hochschullehrern eingegangen sein. Durch Kutscher wurden dem literarisch ambitionierten Köppen zwar auch Kontakte zum Kreis zeitgenössischer Dichter ermöglicht - gleichzeitig konnte aber auch sein Mentor dem nationalen Enthusiasmus nicht entfliehen und machte sich somit an Köppens Kriegselend mitschuldig. In diesen Punkten unterscheidet sich Köppen stark von anderen Zeitgenossen, die die Untersuchung der Ursachen und Voraussetzungen des Krieges zu Gunsten der Darstellung von Einzelschicksalen vermieden. ‘Remarques Protagonist lehnt sogar ausdrücklich jede Auseinandersetzung mit den Ursachen und dem Sinn des Krieges ab’. Die verstärkte Ausprägung dieser Motive in Köppens Roman mag am gesellschaftlichen Umfeld liegen, in dem das Buch entstand. Bei seiner Veröffentlichung 1930 konnte der pazifistische Inhalt des Romans nämlich bereits als anachronistisch gelten: Die große Welle pazifistischer Literatur hatte bereits zwei Jahre zuvor mit Remarque ihren Höhepunkt erreicht. Derart überzeugend erschien diese Bewegung, dass sich eine neue nationale, dem Krieg positiv gegenübergestellte Bewegung als Reaktion auf den ‘Fall Remarque’ bildete. Der Krieg wurde von dieser Gruppe als gemeinschafts- und identitätsbildendes Ereignis verstanden. Autoren wie Remarque und Köppen galten als die, ‘die nicht das echte Fronterlebnis hatten, d.h. nicht derselben politischen Anschauung huldigten.’ Köppen stand nicht nur dieser Bewegung sondern der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung kritisch gegenüber, die ihn zu sehr an den Vorabend des Ersten Weltkrieges erinnerte: ‘Und wenn man es sich heute überlegt, dass vielleicht neunzig Hundertstel eines Landes, das durch den Krieg zugrunde gerichtet ist, immer noch an den Krieg wie an ein Mirakel glauben, und dass das Wort Pazifist ein schlimmes Schimpfwort für all die ist, als […] nun sagen wir mal, das Wort: General.’ Damit erkennt Köppen, dass die Voraussetzungen des Krieges nicht alleine in der Propaganda liegen - denn diese ist auch von den verwurzelten Einstellungen und Vorurteilen der Menschen abhängig. Die Voraussetzungen liegen viel mehr im wilhelminisch geprägten Bewusstsein der Bürger begründet. Es ist daher nicht verwunderlich, warum Köppen mit der Beschreibung dieses Bewusstseins beginnt. Speziell zum soldatischen Bewusstsein gehört ein Kanon aus ideologisch gefärbten Begriffen, die den Soldaten bestimmte Vorstellungen und Erwartungen einimpfen, die ihn wiederum erst im Krieg funktionieren lassen. Für Reisiger sind es drei Begriffe, die während seiner Dienstzeit langsam mit Erfahrungen gefüllt werden: ‘Feind’, ‘Front’ und ‘Kameradschaft’. 2, Die ‘Kameradschaft vor dem Feind’: Zuerst ist es die ‘Kameradschaft vor dem Feind’ (S.14) von der Reisiger eine genauere Vorstellung vermittelt bekommt. Von den vielen ‘Artikel[n] der Kriegsberichterstatter’ weiß er nämlich vom ‘unverwüstlichen Humor unserer braven Feldgrauen’ (S.29). In der Ausbildung hat er gelernt, ‘dass der Soldat vor dem Feind mindestens Rock und Stiefel anbehält und auch das Koppel nicht abschnallen darf.’ (S.17) Aus den Dienstvorschriften weiß er, ‘dass man am Feind nicht singen, nicht sprechen, nicht einmal rauchen darf.’ (S.25). Bereits bei der Verteilung der Soldaten auf die einzelnen Kolonnen stellt sich jedoch Enttäuschung ein: Als Freiwilliger hat Reisiger auf die Achtung und den Respekt seiner Kameraden gehofft: ‘Ich habe mich doch freiwillig hierher gemeldet.’ (S.13). Stattdessen fühlt er sich ‘ganz allein’, ‘viel zu jung und gänzlich hilflos’ (S.14). Wie als Antwort auf Reisigers Zweifel wird im folgenden ein patriotisches Dokument in den Text montiert. Aus der Berliner Tageszeitung wird Emil Ludwigs ‘Der moralische Gewinn’ zitiert: ‘... aber aus Zweifel und Missbehagen aufbrechend ein Gefühl männlicher Abwehr, schlicht, nobel, lautlos beinahe, kühn - im höchsten Grade moralisch scheint mir der Antrieb zu sein, der dies schwer bewegliche Volk in solch unerhörte Bewegung trieb […]’ (S.14f). Entsprechend wird das Zitat in der epischen Erzählung von Köppen in sein Gegenteil verkehrt: Der erste Kamerad auf den Reisiger trifft, sieht den Krieg nicht als kühnes Unternehmen, sondern ist lediglich froh von Frau und Kind wegzukommen (S.15). Kommt Reisiger dann schließlich in der Kaserne an, bemühen sich die Kameraden nicht einmal von ihrem Abendbrottisch aufzustehen und den Neuankömmling zu begrüßen (S.15). Vom im Zitat angesprochenen Missbehagen ist keine Spur: Zeitler versichert Reisiger, dass hier schon ein ‘ganz anständiges Leben’ (S.15) sei. Dann in der Kaserne, beim Teilen des Abendbrots: ‘So, nun hau feste rein, wir sind ja hier nicht bei armen Leuten [...]’ (S.16). Der ‘männliche[n] Abwehr’ (S.15) werden gestörte Ehen und misogyne Äußerungen gegenübergestellt: ‘Er habe eine Zanktippe zur Frau. Ein dolles Biest. Einmal täglich müsse sie Prügel haben [...]’ (S.17). Beinahe komisch wirkt hier das Gegenüberstellen von Dokument und Wirklichkeit: Das ‘noble, […] lautlos[e]’ (S.15) Volk wird nicht vom Krieg in Bewegung getrieben, sondern sobald ein ‘großes fettes Stück Schweinefleisch’ (S.16) auf den Tisch gelegt wird: ‘Da bekam die stumme Gesellschaft plötzlich Bewegung.’ (S.16). Mit Ratlosigkeit bleibt Reisiger nichts anderes übrig als festzustellen, dass sich hier niemand an die Vorschriften hält (S.18). Dabei ist es die Kameradschaft, die als einzig positiver Eindruck aus dem Krieg bestehen bleibt. Bereits beim Teilen des ersten Abendbrots ‘taute [Reisiger] auf vor dieser Freundlichkeit’ (S.16). Später im Brief an seine Eltern bestätigt er, dass der Begriff Kameradschaft genauso gelebt wird wie er propagiert wurde: ‘Nette Kameraden (ja, es gibt wirklich so etwas alles wie eine große Familie, auch hier an der Front)’ (S.30). Die Kameraden sind an der Front das, was die Familie in der Heimat ist. Bei ihnen fühlt sich Reisiger nicht mehr alleine und hilflos. An der Front ist Reisiger ‘so glücklich wie selten vorher in seinem Leben.’ (S.94). Sogar die ständige Gefahr des Krieges wird durch ein intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit vergessen: ‘Was kann mir geschehen? Es gibt keinerlei Sorgen. […] Wir gehören zusammen, wir sind ja Soldaten. (S.94).’ Im Krieg fühlt sich Reisiger sogar sicherer als im Frieden: ‘Man kann sich hinlegen und schlafen: Man weiß, man wird aufwachen wie im sichersten Zuhause, nicht bestohlen, nicht überfallen, wie es im Frieden auf den Landstraßen geschah. (S.94) Selbst als Reisiger sich schließlich zum Pazifismus bekennt, bleibt die Kameradschaft im Vordergrund: ‘Ich weiß, ich lasse meine Kameraden im Stich, und das ist vielleicht feige. Aber ja: Ich bin feige. Ich will feige sein.’ (S.395). Die Dokumente werden hier nicht durch die exemplarischen Ausschnitte aus Reisigers Militärlaufbahn kontrastiert. Dabei ist die Kameradschaft eines der Bindeglieder, mit denen der Krieg erst funktionieren kann. Das durchweg positive Kommentieren des Begriffes mag daher problematisch erscheinen. Warum sich dieser Begriff als einziger bei Reisiger bestätigt, wird von Köppen zur Schau gestellt: Mit ihm wird ein illusionäres, aber intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit erschaffen. Außerdem wird ‘dem durch den Druck der Disziplin und des Gehorsams in Permanenz überforderten Menschen […] damit ein Ventil gegeben, durch das er auch seine sentimentalen Regungen abreagieren kann […]. Frontgemeinschaft ist zugleich die ideologische wie materielle Voraussetzung für den totalen Einsatz.’ Im schlimmsten Fall kann das als Mystifizierung des Begriffs angesehen werden und erinnert an die Kriegsliteratur der 30er, die den Krieg als gemeinschaftsbildendes Ereignis ansah. Aber auch andere pazifistische Autoren wie Remarque stellten die Kameradschaft in den Vordergrund. Genau wie bei Köppen beschreibt der Protagonist in ‘Im Westen nichts Neues’ die Kameradschaft als ‘ein festes, praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl’, das sich als ‘angstverdrängend und trostgebend’ erweist.

Über den Autor

Robert Wolf wurde 1989 in Stendal geboren. Sein Studium der Germanistik und Europäischen Geschichte an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg schloss er im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts ab. Bereits während des Studiums zeigte der Autor großes Interesse an deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Die Vorbereitung einer Ausstellung zum Gedenken des Ersten Weltkrieges im Literaturhaus Magdeburg motivierte ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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