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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 01.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit dem Weihnachtsfrieden von 1914 sieht sich die Forschung zum Ersten Weltkrieg einem sehr paradoxen und zugleich faszinierenden Themenkomplex konfrontiert. Während der Kampfhandlungen kommt es an vielen Stellen der belgischen, britischen und französischen Front zu spontanen Verbrüderungen an Heiligabend. Dabei scheint sich ein bestimmtes Handlungsmuster abzuzeichnen, wonach die meisten Fraternisationen charakterisiert werden können. Das Singen von Weihnachtsliedern zusammen mit dem Feind, der Abschluss eines Waffenstillstandes zu Heiligabend, das Treffen im Niemandsland zum Austausch von kleinen Geschenken sowie die gemeinsame Bestattung der Toten und Fußballspiele zwischen fraternisierenden Soldaten sind wesentliche Aspekte dieses historischen Ereignisses. Die Auseinandersetzung mit dem Weihnachtsfrieden und jenem kennzeichnenden Handlungsmuster blieb zumeist Aufgabe der historischen Forschung, eine literarische oder filmische Umsetzung der Ereignisse als Bestandteil des Ersten Weltkrieges war hingegen selten. Erst mit der Jahrtausendwende und der nötigen zeitlichen Distanz zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges fand die Thematik des Weihnachtsfriedens Einzug in die filmische Repräsentation und Interpretation. 2005 erschien mit »Merry Christmas« (original: »Joyeux Noël«) von Regisseur Christian Carion die bislang längste Verfilmung zur Thematik der Fraternisationen. Unter französischer, deutscher, britischer, belgischer und rumänischer Beteiligung entstand eine retrospektive Sichtweise zu den Ereignissen des Weihnachtsfriedens. Die vorliegende Untersuchung versucht nun anhand ausgewählter Untersuchungsschwerpunkte herausfinden, ob in »Merry Christmas« eine quellen- und forschungsnahe Darstellung des historischen Ereignisses gewährleistet ist. Dazu werden wesentliche Zusammenhänge zwischen dem Film und dem historischen Kontext herausgestellt, um beurteilen zu können, inwiefern Regisseur Christian Carion ein authentisches Bild des Weihnachtsfriedens von 1914 nachzeichnet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2.2 Darstellung von realhistorischen Personen: Neben den Protagonisten, welche anhand von historischen Vorbildern geschaffen wurden, ist Kronprinz Wilhelm die einzige realhistorische Persönlichkeit in Merry Christmas . Zweimal tritt der Kronprinz im Film auf, wobei die Handlung im Hauptquartier sich maßgeblich an den historischen Quellen orientiert. Zum Weihnachtsfest organisiert der Befehlsstab des Kronprinzen im Hauptquartier eine große Feier, zu welcher die dänische Sopranistin Anna Sörensen mit Nikolaus Sprink zusammen einen Liederabend veranstalten soll. Der Zuschauer erfährt nicht, wo das Hauptquartier genau lokalisiert ist, doch liefert eine kurze Szene den entscheidenden Hinweis: Auf der Suche nach Sprink entdeckt Anna, dass in der Befehlszentrale des Kronprinzen ein altes französisches Ehepaar wohnt, das von den deutschen Besatzern die Erlaubnis bekam, weiter in ihrem Anwesen leben zu dürfen. Kronprinz Wilhelm bezog von September 1914 bis Februar 1918 das Château des Tilleuls im französischen Stenay nahe Sedan und richtete dort sein Hauptquartier ein. Ursprünglich als Kommandeur für die 1. Garde-Infanterie-Division vorgesehen übernahm der Kronprinz den Oberbefehl über die 5. Deutsche Armee wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls des zuständigen Generalobersts von Eichhorn. Das französische Schloss in Stenay gehörte zum Zeitpunkt der Besatzung der Familie Vernier, wobei Madame du Vernier die damalige Besitzerin des Anwesens war. Die rechtmäßige Schlossherrin durfte auch über den Zeitraum der deutschen Inbesitznahme im Château des Tilleuls wohnen, sodass Anna Sörensen durchaus mit der Familie Vernier als historisches Vorbild für die Szene in Kontakt kommt. Dementsprechend richtet sich die filmische Darstellung des Hauptquartiers sehr nah an die Quellen- und Forschungsliteratur zur Befehlszentrale des Kronprinzen. Allerdings lässt sich die weitere Inszenierung Wilhelms nur schwerlich mit den gegebenen historischen Überlieferungen vergleichen. Es fand kein Liederabend für ihn statt, ob Walter Kirchhoff wirklich für seine Majestät gesungen hat, ist nur indirekt aus den Erinnerungen des Kronprinzen abzulesen. Tenor und Prinz haben sich nach dessen Angaben nur am ersten Weihnachtstag getroffen, wo Kirchhoff ihm über Heiligabend und dem gesanglichen Auftritt in den Schützengräben erzählt. Wilhelm selbst befand sich nach eigenen Angaben am Weihnachtsabend nicht primär im Hauptquartier, sondern 45 km südwestlich von Stenay entfernt, nämlich in den Argonnen: Mir wird das erste Weihnachtsfest im Kriege stets unvergeßlich sein. […] So zog es mich denn gerade an diesem Tag besonders stark zu meinen Feldgrauen, und ich lenkte mein Auto nach den Argonnen. Im Hüttenlager der Württemberger, bei den Regimentern 120 und 124, verbrachte ich den Nachmittag . Wie sich das Abendprogramm des Kronprinzen zum 24. Dezember 1914 gestaltete, darüber liefert die derzeitige Quellenlage leider keine näheren Informationen, was der filmischen Inszenierung in diesem Fall einen großen Interpretationsspielraum für die Gestaltung der Filmhandlung verschafft. Aber nicht nur einzelne Charaktere des Films können als realhistorische Akteure des Ersten Weltkriegs und des Weihnachtsfriedens inszeniert werden, sondern im Fall von Merry Christmas auch ganze Bataillone. Die drei verfeindeten Lager, bestehend aus deutschen, französischen und schottischen Soldaten, stehen als Kollektiv im Gegensatz zu den einzelnen individuellen Filmcharakteren repräsentativ für die Verbrüderung von 1914. Anhand von bestimmten Kennzeichen und visuellen Symbolen kann der Zuschauer sogar Soldaten und Bataillone identifizieren und mithilfe verschiedener Quellen und Forschungsliteratur in den historischen Kontext des Weihnachtsfriedens einordnen. Betrachtet man das Standbild aus Filmminute 0:11:46, so erkennt man den schottischen Soldaten Jonathan, der überprüft, ob sein angeschossener Bruder William noch lebt. Die Uniform von Jonathan offenbart viele Informationen über die schottische Einheit, welche in Merry Christmas an der Fraternisation teilnimmt. Einerseits sind an Jonathans rechtem Schulterriegel die goldglänzenden Buchstaben RSF zu erkennen. Diese Abkürzung steht für Royal Scots Fusiliers , die der britischen Militärführung unterstanden. Ein weiteres Indiz für die Zugehörigkeit zur RSF liefert Jonathans Glengarry, da sich an der Mütze das vergoldete Emblem der RSF befindet. Diese beiden Merkmale finden sich bei jedem schottischen Soldaten wieder, weshalb es sich im Film ausschließlich um die Royal Scots Fusiliers handeln muss. Im Dezember 1914 kämpfte tatsächlich eine Einheit unter dieser Bezeichnung an der Westfront, genauer gesagt am Mont Kemmel in Flandern nahe St Eloi, dem britischen Operationsgebiet in Flandern. Da zuvor ermittelt wurde, dass sich die Verbrüderung in Merry Christmas nahe Lens befinden muss, liegt dieses schottische Bataillon allerdings circa 45 km nördlich vom Schauplatz der Filmhandlung entfernt. Somit kann diese Einheit an der Beteiligung einer Fraternisation zu Weihnachten in Lens aufgrund der hohen Entfernung ausgeschlossen werden. Jedoch existierte ein weiteres Bataillon, nämlich das 8th Royal Scots, welches nach Malcolm Brown nachweislich an Weihnachten mit den Deutschen fraternisierte. Das Bataillon wurde am 11. November 1914 erstmals in Bois-Grenier in Nordfrankreich eingesetzt, an welchem Frontabschnitt die schottische Einheit Heiligabend verbrachte, darüber schweigt die Forschung. Brown verweist nur auf die Existenz, aber nicht auf den genauen Aufenthalt des Bataillons. Erneut liegt dem Film ein weites Feld für Interpretationen zugrunde, auf dessen sich die Handlung des Films entfalten kann. Fakt ist, dass ein schottisches Bataillon mit deutschen Soldaten zusammen Weihnachten feierte. Ob es nahe Lens stattfand, kann eventuell durch ein gründliches Quellenstudium der Bataillonstagebücher oder einzelner schriftlicher Dokumente angehöriger Soldaten des 8th Royal Scots in den britischen Militärarchiven herausgefunden werden. Ähnlich verhält es sich mit dem deutschen Bataillon, das im Film mit französischen und schottischen Soldaten fraternisiert. Das Standbild aus Filmminute 0:46:19 dient als anschauliches Beispiel: Palmer und Nikolaus Sprink leiten die Verbrüderung ein, indem der deutsche Tenor Stille Nacht, Heilige Nacht singt. Sprink steht in dieser Aufnahme vor seinen Kameraden, wobei die Kamera aus der Vogelperspektive die Besatzung des deutschen Schützengrabens zeigt. Auf den Pickelhauben kann eindeutig die Ziffer 93 abgelesen werden, ein Indiz für das Anhaltische Infanterie-Regiment Nr. 93. Das offizielle Regimentstagebuch des Regiments Nr. 93 dient als maßgebliche Quelle, welches die militärischen Operationsfelder an der Westfront im Dezember 1914 beschreibt. Ausschlaggebend in Bezug auf Merry Christmas sind die Informationen, dass das Regiment Nr. 93 von Oktober 1914 bis Mai 1915 hauptsächlich an Stellungskämpfen im Artois beteiligt gewesen war. Die letzte konkrete Beschreibung eines Einsatzortes bezieht sich in den Aufzeichnungen auf den 05. Dezember 1914. Dort wird die Ortschaft Ransart in der Nähe von Arras, circa 30 km südlich von Lens, genannt. Von da ab beinhaltet das Regimentstagebuch nur noch eine recht oberflächliche Beschreibung der Weihnachtstage und berichtet einzig über die Ankunft von Liebesgaben aus der Heimat und Weihnachtsbäumen an der Front.

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