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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Abb.: 8
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Völkermord von Ruanda im Jahr 1994 beinhaltet umfangreiche Gewalttaten, die am 6. April begannen und bis Mitte Juli desselben Jahres andauerten. Nachbarn und Bekannte, die mit ihren Opfern jahrzehntelang in Frieden zusammengelebt hatten und sozial verbunden waren, begannen, diese auf brutalste Weise abzuschlachten. Kennzeichnend für den Genozid in Ruanda ist die soziale Nähe zwischen Opfern und Tätern ebenso wie die unmittelbare körperliche Nähe im Moment des Tötens. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, inwiefern die Medien einen Einfluss auf die Geschehnisse vor und während des Völkermordes hatten. Dass dieser Einfluss vorhanden war, wird kaum angezweifelt. Die Frage ist vielmehr, wie groß er war. Diese Forschungskontroverse produziert momentan ein weites Spektrum von Vorschlägen. In Filmen, in denen der Genozid thematisiert wird, kommt den Medien und vor allem dem Radio eine sehr große Bedeutung zu. Ebenso spielt das Radio in den politischen Diskussionen um die Frage, wie solche Vorkommnisse in Zukunft verhindert werden könnten, eine zentrale Rolle.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, RTLM: Das Radio als tödliche Waffe?: Sehr häufig wird das Radio in engen Bezug zu den Geschehnissen des Völkermordes gesetzt. Mitchell sagt, seit der Nazi-Propaganda habe es in Größe und Wirkung kein vergleichbares Propagandainstrument gegeben wie das Radio in Ruanda . Wie bereits erwähnt, wurden Untersuchungen über das Radio oft programmatische Titel vorangestellt, die das Radio an sich mit einer Waffe gleichsetzten, die aktiv am Zustandekommen des Mordens beteiligt war . Doch können tatsächlich Aussagen mit dieser Tragweite gemacht werden? Forderte die Rhetorik der Sendungen tatsächlich zum Töten auf? Und wenn ja, ließ sich die ruandische Bevölkerung davon beeinflussen? Diese Fragen sollen hier untersucht werden, da sie eminent wichtig für die Bewertung der Rolle von RTLM im Genozid sind. Der staatliche Sender Radio Rwanda soll hier nicht im Einzelnen betrachtet werden, da er erst relativ kurz vor dem Völkermord dieselbe Richtung einschlug wie RTLM. Zudem wurden häufig die Inhalte kopiert, weshalb es im folgenden Kapitel fast ausschließlich um den Sender RTLM gehen wird. Zunächst möchte ich einige Hintergrundinformationen erwähnen, die für eine vollständige Darstellung wichtig sind. 5.1, Die Sendezeit: Die Sendungen von RTLM begannen morgens gegen 08:30 Uhr in Kinyarwanda. Während dieser Sendezeit wurden Mitarbeiter des Senders losgeschickt, um Ruander zu interviewen, andere um aktuelle Informationen zu Geschehnissen des Tages einzuholen. Mittags stoppte die Arbeit von RTLM dann und die Sendungen wurden beendet. Erst um 17:00 Uhr nahm der Sender wieder seine Arbeit auf und die Sendungen in Kinyarwanda wurden fortgesetzt. Von 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr wurden die Sendungen dann in Französisch ausgestrahlt. Danach schloss RTLM seine Pforten und ein Sendetag war beendet. 5.2, Die Hörer: Ruanda ist eine Gesellschaft, in der bis zu Beginn der 60er-Jahre interpersonale Formen der oralen Kommunikation vorherrschten. Ereignisse wurden und werden auch noch heute in spezifischen Genres der Geschichtenerzählung, in Volksliedern und Sprichwörtern transportiert . Der Hörfunk besitzt daher seit seiner Einführung in den 70er-Jahren große Wirkungsmacht über die Menschen, da die orale Tradition des Landes den Einfluss des über dieses Medium gesendeten Wortes noch verstärkte. Die Zahlen der Radiogeräte, die im Land existierten, wurden bereits erwähnt, jedoch ist auch hier eine weit verbreitete Gewohnheit zu bedenken. Die Menschen in Ruanda hörten sehr häufig in Bars oder mit ihren Nachbarn gemeinsam Radio. Diese Ansammlungen mehrerer Menschen um ein Radiogerät erhöhte die Empfängerzahl der Botschaften um ein Vielfaches . Daher kann man davon ausgehen, dass wesentlich mehr Menschen die Sendungen verfolgten als es Radiogeräte in Ruanda gab. Genaue Zahlen können in diesem Fall natürlich nicht ausgemacht werden. 5.3, Gesellschaftliche Strukturen: Auch die gesellschaftlichen Strukturen sollten in Bezug auf die Wirksamkeit des Radios eine Rolle spielen. Ruanda war und ist heute noch in elf Verwaltungspräfekturen aufgeteilt, deren leitende Beamte zum damaligen Zeitpunkt nur in Absprache mit dem Präsidenten bestimmt wurden. Die Position und die Sicherheit dieser Beamten stand und fiel mit dem unbedingten Gehorsam gegenüber der übergeordneten Autorität. Insbesondere den lokalen Autoritäten, die als direkte Vertreter des Staates am unmittelbarsten mit der Landbevölkerung in Berührung kamen, ist große Bedeutung beizumessen . Ähnliches kann auch für andere lokale Eliten wie Geistliche, Ärzte und Lehrer behauptet werden, welche die administrativen Posten unter sich aufteilten. Sie waren gleichsam Multiplikatoren des staatlichen Willens, welcher zunächst an sie häufig über das Radio übermittelt wurde. Sie waren dann dafür zuständig, diesen an die Landbevölkerung weiterzugeben. Sie besaßen in ihrer Eigenschaft als direkte Vertreter der staatlichen Autorität zudem Insider-Wissen aus staatlichen Quellen, was sie in den Augen der Landbevölkerung zu so genannten Experten machte . Folgt man diesem Modell, dann war die Landbevölkerung größtenteils in der Position von Laien, dessen Relevanzstruktur in erster Linie von seiner biografischen Situation und seiner subjektiven Reichweite geprägt ist. Sein Unterordnen angesichts der Wissens-Autorität eines Experten ist dem Laien selbstverständlich und wird nicht hinterfragt Wie groß der Einfluss dieser Autoritäten auf den Verlauf des Völkermordes im Zusammenhang mit dem Radio war, zeigt ein Beispiel aus der Region Butare. Der Präfekt Jean-Baptiste Habyarimana untersagte seinen Untergebenen strikt, die Mordaufrufe der Regierung in der Bevölkerung zu verbreiten. Er ermahnte die Bevölkerung seiner Präfektur auch ernstlich, die Radiosendungen sehr kritisch zu beurteilen. Dies zeigt seine Wirkung, denn zwölf Tage lang blieb es in der Präfektur ruhig und Tausende Tutsi, die über Mundpropaganda von dieser Situation erfahren hatten, flohen aus den benachbarten Regionen nach Butare. Erst als am 18. April ein neuer Präfekt von der Regierung eingesetzt wurde und in dem Dorf aufwieglerische Reden gehalten wurden, brach auch hier die Gewalt aus. 5.4, Die Rhetorik von Gewalt: An dieser Stelle soll nun die Rhetorik untersucht werden, die keinesfalls zufällig verwendet wurde. Wie schon im Zusammenhang mit Kangura deutlich wurde, verfolgten die Journalisten mit der Verwendung von bestimmten Begriffen das Ziel, bei den Zuhörern ganz bestimmte Bedeutungsassoziationen hervorzurufen. RTLM wurde schnell nach seiner Gründung zu einer Plattform für extremistische Politiker. So ging beispielsweise das Signal für das Massaker von Bugesera 1992, bei dem viele Tutsi ums Leben kamen, von einer aufputschenden Sendung in Radio Rwanda aus, die von Ferdinand Nahimana, dem späteren Leiter von RTLM, organisiert worden war. Berühmt ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Rede von Léon Mugesera, die dieser im November 1992 in Gisenyi hielt. Sie wurde später in RTLM ausgestrahlt. Er wetterte aufs Schärfste gegen die Beteilung der ruandischen Regierung und damit gegen jeglichen Demokratisierungsprozess. Schon hier, über 16 Monate vor dem Ausbruch des Genozids, ruft er zudem öffentlich zur Gewalt auf. Er beginnt damit, dass er betont, er erzähle nun das, was in seinem Herzen sei: You have heard of the Arusha Accords. The delegates in Arusha do not represent Rwanda. They do not represent Rwanda at all, to tell you the truth. Rwanda’s delegates, the so-called Rwanda delegates, are led by Inyenzi. They go and talk to Inyenzi. As they say in one song, saying that it is God from God, they too are cockroaches from cockroaches who speak for cockroaches…! Remember that our movement starts from cellules, our movements starts from sectors and communes. The president told you that a tree without leaves and without roots dies…. Our cellule leaders get together. Whoever enters your cellule, see him. If he is an ibyitso [Komplize], crush him and make sure he does not get out. Do not let him get out alive. I recently told somebody who was showing off, saying that he was from the PL, and said to him that the mistake we made in 1959, although I was a child, was that we let you get out. I asked him if he has never read of the history of the Falashas who went back to their land in Israel from Ethiopia and he told me he did not know it. I told him. ‘You don’t know how to listen and read. I’d like to tell you that your home is in Ethiopia and we will dump you in the Nyabarongo [Fluss] for you to arrive quickly’ [People whistle, applaud]. Diese Rede ist bedeutsam, da hier einige Charakteristika der Propaganda der Hutu erkennbar sind. Zunächst wendet sich Mugesera gegen die Demokratie. Diese Haltung war eine Faser an dem roten Faden der Propaganda, die bis zum Ausbruch des Genozids ein Bestandteil desselben bleiben sollte. Die Demokratie, beziehungsweise die unreine Demokratie, wurde als Werkzeug der Tutsi gesehen, um die Hutu dauerhaft zu unterdrücken. Sie war so verhasst, dass Mugesera die Vertreter der Regierung, die gezwungenermaßen an den Konferenzen in Arusha teilnehmen mussten, um ihrem Land weiterhin die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft zu sichern, als Kakerlaken oder Küchenschaben bezeichnete.

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