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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Gegenstand dieser Studie ist die Bürokratie der EWG/EG/EU. Dabei wird die historische Entwicklung der wesentlichen Elemente dieser Bürokratie – in organisatorischer Hinsicht heißt das: der Europäischen Kommission und ausgewählter anderer Einrichtungen – beleuchtet. Das vordergründige Ziel ist es, die institutionelle (organisatorischer Wandel) und personelle (prägende Persönlichkeiten) Entwicklung der Kommission nachzuzeichnen und zu analysieren, sowie die Motive für die Gründung von Komitologie-Ausschüssen einerseits und von Regulierungsagenturen andererseits zu erforschen. Auf Grundlage dieser Untersuchung werden die hier behandelten Verwaltungseinrichtungen im Sinne von Max Webers Idealtypen der Herrschaft klassifiziert. Schließlich werden aus den gewonnenen Erkenntnissen allgemeine Tendenzen in der Verwaltungsgeschichte der EWG/EG/EU abgeleitet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4 Das politische Wirken der einzelnen Kommissionen: […] Die gerade ein Jahr alte Kommission von Präsident Jean Rey hat im Juli 1968 angekündigt: All – or nearly all – still remains to be done. Damit waren Harmonisierungen weit über die bisherigen Betätigungsfelder der EWG hinaus im Bereich des Handels, der Staatsfinanzen, des Verkehrs, der Sozialversicherungen etc. angesprochen. Dass es Jahrzehnte bedurfte, bis diese Reformen umgesetzt wurden, steht auf einem anderen Blatt. Die Ansage zeugt jedenfalls von einem gewissen Selbstbewusstsein der Kommission. Doch hatte der temperamentvolle Liberale Rey, der sich um einen kollegialen Umgang mit seinen Kommissaren bemühte, die Zügel nicht annähernd so fest in der Hand wie etwa Hallstein. Rey hatte mit der Illoyalität einzelner Kommissare – etwa Raymond Barre, Ralf Dahrendorf, Sicco Mansholt – zu kämpfen. Ähnliches gilt übrigens auch für Jenkins und Thorn – und später Santer –, die große Schwierigkeiten hatten, ihre Mannschaft in dieser Hinsicht im Griff zu behalten. Aber selbst Delors schien dieses Problem zu kennen. Diese Herausforderung des Kommissionspräsidenten, nämlich sein Team zu befrieden und zu disziplinieren, ist im Vergleich zu Regierungschefs von Staaten tendenziell wohl noch schwieriger: dies zum einen, weil das Kommissionskollegium Politiker der unterschiedlichsten politischen Couleurs, die aus den unterschiedlichsten Gründen in die Kommission entsandt wurden, vereint zum Zweiten, weil dem Kommissionspräsidenten, anders als anderen Regierungschefs, die Befugnis abgeht, Regierungsmitglieder mehr oder weniger nach freiem Willen – oder besser: nach persönlichem politischen Kalkül – aufzunehmen bzw. zu entlassen und zum Dritten, weil die Kommissionsbürokratie kein Monolith, sondern ein zersplittertes, multinationales, multilinguales und multikulturelles Konstrukt ist – für einen allein zu groß und komplex, um sofort eine funktionierende Befehlskette herzustellen: Establishing a Commission line, as opposed to the policy preferences of individual directorates, is tortuous . War die Zeit bis zu den späten 60er Jahren noch von considerable optimism in Community circles getragen – McAllister bezeichnet die Zeitspanne von der Gründung der EWG 1958 bis 1970 als period of communitas felix –, werden die 70er Jahre gemeinhin als Krisenzeit (auch) für die Europäische Kommission – in diesem Zusammenhang ist das Wort Erosionsprozess gefallen – wahrgenommen: [I]n the 1970‘s, the Commission, self-critical and demoralized, was perceived as an overblown and overpaid secretariat of the Community”. Eine relative Währungsinstabilität und die Ölkrisen in den 70er Jahren, die Einrichtung des Europäischen Rats 1974 und – allerdings in geringerem Ausmaß – die Stärkung des Europäischen Parlaments mit der Abhaltung der ersten Direktwahl 1979, trugen das Ihrige zur geringen politischen Autorität der Kommission bei. Die Kurzzeitpräsidenten Malfatti – er ging zurück nach Italien, um sich an den vorgezogenen Parlamentswahlen zu beteiligen –, Mansholt – der bis zur Norderweiterung der Gemeinschaften und der damit verbundenen Neubestellung der Kommission nur ein knappes Jahr amtierte – und Ortoli, laut Spiegel ein begnadeter Karrierist und Vertrauter des damaligen französischen Präsidenten Georges Pompidou, den Cini außerdem als technocrat rather than politician” und rather unexciting” beschreibt, trugen wenig zur Steigerung des Prestiges der Kommission bei. Letzterem wird allerdings zugutegehalten, dass er mehr Anwesenheitsdisziplin bei den wöchentlichen Sitzungen des Kommissionskollegiums einforderte. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt urteilte über die Kommissionspräsidenten Mitte der 70er Jahre (jedenfalls prima vista) hart, wenn auch etwas kryptisch: Seit Gründung der EWG sei unter den Kommissionspräsidenten kaum jemals ein erstklassiger Politiker gewesen. Solcherart geschwächt, musste sich die Kommission auch politische Düpierungen gefallen lassen, etwa die wiederholte Nicht-Einladung eines Kommissionsrepräsentanten zum Treffen der Außenminister der Mitgliedstaaten Anfang der 70er Jahre. Ende der 70er Jahre wurde mit Roy Jenkins erstmals ein Brite zum Kommissionspräsidenten bestellt. Mit Jenkins sollte aber auch bewusst wieder ein politischer Mann das Heft in die Hand nehmen. Um noch einmal Schmidt – diesmal gnädiger – zu zitieren: Jenkins sei eine Persönlichkeit, die politisch im ersten Range steht . Eine ausgeprägte Kenntnis des internen Funktionierens der Kommission konnte ihm aber nicht attestiert werden. Er war der erste Präsident, der bereits nominiert war, bevor die Mitgliedstaaten ihre Kommissarskandidaten bestimmten und so konnte er auch auf die Zusammensetzung der Kommission einen gewissen Einfluss ausüben wobei er hier wenig politisches Fingerspitzengefühl zeigte und letztlich mit einem Team arbeiten musste, das er sich zum Großteil nicht gewünscht hatte. Ende der 70er Jahre empfahl der so genannte Spierenburg-Bericht der Kommission Reformen, unter anderem eine Reduktion der Zahl der Kommissare auf einen pro Mitgliedstaat und der Generaldirektionen auf zehn. Während kleinere Verbesserungsvorschläge aufgegriffen und umgesetzt wurden, blieb der zuständige Rat mit Blick auf die Verkleinerung der Kommission untätig. Erfolgreich war Jenkins insofern, als er durchsetzte, dass der Kommissionspräsident zum G7-Gipfel eingeladen wurde. Außerdem erwarb er sich große Verdienste insbesondere um ein Europäisches Währungssystem, das die in den 70er Jahren noch starken Schwankungen der Wechselkurse zwischen den Währungen der Mitgliedstaaten eindämmte, und ein Schritt auf dem Weg zur Währungsunion war. Seine Kommission preschte allerdings mit verschiedenen Themen in einer Weise vor, die die im Europäischen Rat versammelten Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten brüskierte. Dies und nicht zuletzt die langjährige Debatte um den sog. Britenrabatt , der von Margaret Thatcher, seit 1979 Premierministerin von Großbritannien, ausgelöst wurde, verhinderten eine zweite Amtszeit Jenkins‘. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten entschieden sich für einen neuen, voraussehbar schwachen Präsidenten, den Luxemburger Gaston Thorn, whose tenure marked a retreat in the direction of the lacklustre, post-Hallstein Commissions . 1985 übernahm der ehemalige französische Finanzminister Jacques Delors das Präsidentenamt. Delors war ein charismatischer Kommissionspräsident, der 1985, kurz nach seinem Amtsantritt, mit dem Weißbuch – eine Art roadmap der Kommission in einem bestimmten Politikbereich – Vollendung des Binnenmarktes die Verwirklichung des Binnenmarkts bis 1992 als Hauptanliegen seiner Kommission ausrief und sich damit mit einem positiv besetzten Ziel, that enjoyed a consensus of governments , die Themenführerschaft sicherte. Dabei war dieses Ziel keineswegs neu: Ein Binnenmarkt – über das Etappenziel des gemeinsamen Markts zu erreichen – war schon lang Ziel der Europäischen Gemeinschaften lediglich die Setzung eines bestimmten – zeitlich nahe liegenden – Datums in dieser Erweckungsschrift (dem Weißbuch) war neu. In der damaligen wirtschaftlichen Situation in Westeuropa – die Wirtschaft begann, sich zu erholen, doch der Einbruch (und teilweise sogar die Rezession) der frühen 80er Jahre war(en) noch präsent – war dies auch ein politisch unumstrittenes Anliegen. Nun sollten also bis Ende 1992 die meisten Barrieren für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut werden. In Delors‘ Amtszeit fällt auch die Erlassung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986, mit der der EWG-Vertrag geändert wurde, und die Finanzreform der Gemeinschaft 1988. Neben der Ausweitung der Politikfelder, in denen die EWG tätig werden konnte (um die Bereiche Forschungs- und Technologiepolitik, regionale Strukturpolitik und Umweltpolitik ), brachte die EEA auch eine Verdrängung der Einstimmigkeit im Rat zugunsten einer (bloß) qualifizierten Mehrheit. Das stärkte die Kommission, die damit einen größeren Spielraum im (von ihr initiierten) EWG-Gesetzgebungsprozess bekam. In dieser Phase – nämlich zwischen dem Inkrafttreten der EEA und dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht – konnte die Kommission ihre erweiterten Kompetenzen besonders machtvoll nützen, ohne noch mit dem nach Maastricht in der Gesetzgebung (Stichwort: Mitentscheidungsverfahren) erstarkten Parlament rechnen zu müssen.

Über den Autor

Paul Weismann hat in Wien, London und Salzburg Rechtswissenschaften studiert (Dr. iur.), in Wien und Salzburg zusätzlich Geschichte. Von Oktober 2014 bis Februar 2015 war er Verwaltungspraktikant der Europäischen Kommission in Brüssel. Derzeit ist er Assistent am Fachbereich Öffentliches, Völker- und Europarecht der Universität Salzburg bzw. am SCEUS.

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