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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Stalingrad gilt als Mythos, als Legende, als das prägende Ereignis der Deutschen im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Wie entstand dieser Mythos? In der Schlacht von Stalingrad haben Teile der deutschen Bevölkerung zumindest einen Wendepunkt des Krieges gesehen. Aus diesem Grund wird Stalingrad als psychologischer Wendepunkt des Krieges, nicht aber zwingend als militärischer angesehen. Die Frage ist, wie die Schlacht von Stalingrad der Bevölkerung vermittelt wurde und wie die Wirkung entstehen konnte, dass es sich hierbei um den psychologischen Wendepunkt des Krieges handelte. Das vorliegende Buch fragt nicht nach dem Vorgehen der NS-Führung im Allgemeinen, sondern geht vielmehr der Frage nach, wie versucht wurde, die Destabilisierung des NS-Regimes zu verhindern. Dabei soll vor allem die Berichterstattung über Stalingrad in einer Heimatzeitung für eine ländlich geprägte Region im nationalsozialistischen Deutschland betrachtet werden. Aus diesem Grund wurde als Untersuchungsobjekt die Bremervörder Zeitung gewählt. Sie stellt eine vormals bürgerlich-konservative Heimatzeitung dar, die während der NS-Diktatur vereinnahmt wurde.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2, Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg: Um die Berichterstattung über Stalingrad in der ‘Bremervörder Zeitung’ genauer zu analysieren, ist es zunächst wichtig, die Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen näher zu betrachten. Im folgenden Abschnitt sollen deshalb die Entstehungsbedingungen und Abläufe während des Krieges vorgestellt werden. Dabei werden jene Forschungsergebnisse erläutert, die für das Verständnis der Entstehungsbedingungen einer Lokalzeitung notwendig sind. Forschungsberichte, die sich speziell mit der Kriegsberichterstattung während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzen, sind nicht so zahlreich wie zur Presse im Nationalsozialismus im Allgemeinen. Allerdings wird in den Überblickswerken auch auf die Zeit von 1939-1945 geblickt und sich damit kritisch auseinandergesetzt. Die im vorherigen Abschnitt beschriebene Presselenkung durch das Schriftleitergesetz, die vorproduzierten und vorzensierten Nachrichten des DNB sowie die Weisungen und Kontrollen des RMVP verschärfte sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs weiter. Nun hob vor allem Goebbels die Wichtigkeit die Propaganda in Kriegszeiten hervor. So unterzeichneten das Oberkommando der Wehrmacht (im Folgenden: OKW) und Goebbels für das RMVP das ‘Abkommen über die Durchführung der Propaganda im Krieg’, nachdem sie sich zuvor über die Richtlinien der Kriegsberichterstattung gestritten hatten. Das RMVP wollte zivile Berichterstatter, das OKW jedoch militärische, die der Wehrmacht direkt unterstellt waren (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 46). Im Abkommen vom 19. August 1938 wurde dann folgender Grundsatz festgehalten: ‘Der Propagandakrieg wird als wesentliches, dem Waffenkrieg gleichrangiges Kriegsmittel anerkannt. Der Waffenkrieg wird verantwortlich von der Wehrmacht, der Propagandakrieg vom RMVP geführt. Letzteres führt ihn im Heimatgebiet völlig selbständig, im Operationsgebiet in Abstimmung mit dem OKW’ (zit. nach ebd., S. 39). Außerdem wurden in diesem Abkommen auch Vereinbarungen über die Aufstellung, den Einsatz und die Arbeit so genannter ‘Propagandakompanien’ getroffen. Diese ‘Propagandakompanien’ (kurz: PK) spielten in der Berichterstattung während des Krieges eine wichtige Rolle, da die Nationalsozialisten so die Kriegsberichterstattung vergangener Kriege umwandelten. Es waren nicht länger wie in früheren Kriegen zivile Journalisten, die zur Front fuhren, um die Kämpfe zu beobachten und ihre gewonnenen Eindrücke den Lesern in der Heimat zu schildern. Die neue Form der Berichterstattung bestand vielmehr darin, dass die PKs ein Teil der Armee waren und dem OKW unterstanden. Die Schriftleiter, die als Kriegsberichterstatter an die Front geschickt wurden, waren gleichzeitig Soldaten und kämpften mit ihren Kameraden. Goebbels fasste die Aufgabe eines Kriegsberichterstatters folgendermaßen zusammen: ‘Der PK-Mann ist kein Berichterstatter im herkömmlichen Sinne, sondern ein Soldat. Neben Pistole und Handgranate führt er noch andere Waffen mit sich: die Filmkamera, die Leica, den Zeichenstift oder den Schreibblock. Er ist in der Truppe ausgebildet worden, er lebt als Soldat unter Soldaten, kennt ihr Milieu, weil es das Seine ist, spricht die Sprache, denkt in ihrem Denken und fühlt in ihrem Fühlen’ (zit. nach Kohlmann-Viand 1991, S. 46). Auch ein Aufsatz in der journalistischen Verbandszeitschrift ‘Deutsche Presse’ lässt keinen Zweifel daran aufkommen, welche Aufgabe Schriftleiter an der Front im Zweiten Weltkrieg zu erfüllen hatten. Dort heißt es unter anderem, dass der Journalist nicht wie früher ein Literat sei, der für ein Publikum schreibe, sondern dass er nun vielmehr ein Soldat sei, der ‘einberufen wie jeder andere, [...] ausgebildet wie jeder andere [und] eingesetzt wie jeder andere’ werde. Er kämpfe ‘wie jeder andere für sein Volk’ (zit. nach ebd.). Zum Schluss des Aufsatzes heißt es: ‘Man steht nicht für eine Zeitung, dafür schreibt man man steht nicht für eine Bildfolge, dafür photographiert man man steht nicht für eine Wochenschau, dafür filmt man. Aber man steht für sein Volk als Soldat. Und der PK-Mann ist Soldat’ (Hervorhebungen im Original zit. nach ebd.). Die NS-Führung versprach sich von diesem Vorgehen in der Berichterstattung eine höhere Authentizität. In einer Betrachtung aus dem Jahr 1944 werden sie als ‘Feldpostbriefe für ein ganzes Volk’ bezeichnet. Außerdem waren die so genannten PK-Berichte für die Zensur leichter zu steuern. Die politische Zensur erfolgte dabei durch den Kompaniechef, die militärische Zensur durch einen Zensuroffizier des Oberkommandos der Armee (vgl. ebd., S. 47). Die PKs erledigten für die NS-Führung verschiedene Aufgaben. Für das RMVP lieferten sie das Material zur eigenen Propaganda über das aktuelle Kampfgeschehen und für die Bevölkerung in der Heimat sowie für die feindlichen Armeen schufen sie unmittelbare Aktivpropaganda, da ihre Berichte zum Teil direkt in der Zeitung abgedruckt wurden. Bei der Bevölkerung erfreuten sie sich größter Beliebtheit, da sie als authentisch und ungeschönt galten und damit ein genaueres und realistischeres Bild auf die tatsächliche Lage gaben. Dies galt auch während der Berichterstattung über Stalingrad. Ein weiterer wichtiger Teil der Kriegsberichterstattung, wenn nicht sogar der Wichtigste, war der so genannte OKW-Bericht (auch Wehrmachtbericht genannt). Dieser wurde täglich vom Oberkommando der Wehrmacht, präziser von der dort ansässigen Abteilung Wehrmachtpropaganda (kurz: WPr), veröffentlicht. Diese Abteilung wurde wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 01. April 1939 ins Leben gerufen. Zuvor existierte bezüglich der Direktiven der Propagandaarbeit noch eine ständige Konkurrenzsituation verschiedener Abteilungen aus unterschiedlichen Ministerien und Parteibehörden. Diese wurden spätestens mit der Gründung der Abteilung WPr zum großen Teil beseitigt, denn nun lag dort die Oberhoheit für alle Fragen der Propaganda, zumindest wenn der militärische Teil davon betroffen war (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 37ff). Damit hatte diese Abteilung eine sehr wichtige Funktion in der Kriegspropaganda. Sie filterte aus den eingehenden Berichten der Armeen an der Front jene Meldungen heraus, die für die Propaganda verwendet werden sollten und schrieb sie in einer bestimmten Form und Norm zusammen. Anschließend wurden sie vor der Veröffentlichung noch von verschiedenen Stellen gegengelesen und verändert. Die letzte Entscheidungsgewalt, den Wortlaut und den Umfang des Wehrmachtberichts betreffend, hatte immer Adolf Hitler selbst. Als letzter Schritt wurde der zu veröffentlichende OKW-Bericht vom Reichspressechef Dietrich an die Presse übermittelt. Das RMVP hingegen hatte die Aufgabe, den Wehrmachtbericht an den Rundfunk weiterzugeben. Dort wurde er in der Mittagszeit und jeweils vor den Nachrichten verlesen. In seinem Umfang variierte der OKW-Bericht während des Krieges zwischen mehreren Seiten und dem Satz ‘Keine besonderen Ereignisse’ (vgl. ebd., S. 40f). Der offizielle OKW-Bericht war in der Zeitung vor allem dadurch zu erkennen, dass er standardisiert mit den Worten ‘Aus dem Führerhauptquartier (Datum). Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt’ begann. Die Abteilung WPr des OKW gab aber nicht nur den täglichen OKW-Bericht heraus, sondern auch Sondermeldungen bei besonderen Kriegsereignissen und ergänzende Meldungen zu bestimmten Frontabschnitten (vgl. ebd., S. 43). Für die Veröffentlichung des Wehrmachtberichts in der Zeitung gab es strikte Vorgaben. So durfte am Wortlaut nichts verändert werden, zudem durfte er nicht mit anderen Meldungen zusammengefasst werden. Außerdem musste der OKW-Bericht deutlich von den restlichen Artikeln abgehoben sein. Während des Krieges wurde ‘aus aktuellem Anlass’ immer wieder darauf hingewiesen, dass der Wehrmachtbericht vollständig zu veröffentlichen sei (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 41f). Damit die Propagandarichtlinien des RMVP und des Reichspressechefs auch in den Redaktionen ankamen, gab es täglich drei verschiedene Konferenzen in Berlin. In ihnen wurden die Weisungen, die unter anderem die genauere Darstellung der Kriegsereignisse betrafen, erarbeitet und anschließend den Journalisten kundgetan. Neben der eigentlichen Hauptpressekonferenz, der so genannten ‘Mittagspressekonferenz’ für die wichtigsten Hauptstadtjournalisten in Berlin, gab es vorher zwei Konferenzen, in denen separat auf bestimmte Propagandarichtlinien hingewiesen werden sollte (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 69ff.). Die einzelnen Konferenzen und ihre Bedeutung sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Die erste Konferenz des Tages war die so genannte ‘Ministerkonferenz’ des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Josef Goebbels. Sie wurde kurz nach Kriegsbeginn eingeführt und fand bis zum 21. April 1945 fast täglich vormittags statt. Dort gab Goebbels seine Direktiven für die künftige Berichterstattung bekannt. Er nahm dabei Bezug auf den zumindest im Entwurf vorliegenden Wehrmachtbericht und gab Weisungen, wie mit einzelnen Meldungen umzugehen sei, welche herausgehoben werden sollten bzw. wo Zurückhaltung erfordert sei. Goebbels hatte damit, zumindest zu Beginn des Krieges, großen Einfluss auf die Meldungen in Presse und Rundfunk. Er rügte Journalisten oder ganze Zeitungen, falls die bisherige Berichterstattung nicht seinen Vorstellungen entsprach und gab Anweisungen für die kommende Zeit. An der gesamten Konferenz nahmen ungefähr zwanzig Personen aus dem Ministerium teil. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhöhte sich die Zahl auf bis zu fünfzig Teilnehmer. Nach einer halben bis dreiviertel Stunde endetet die ‘Ministerkonferenz’ bereits und die Ergebnisse wurden anschließend in der ‘Mittagspressekonferenz’ als Anweisungen an die Presse weitergegeben. Goebbels konnte hierdurch gezielten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen und seine persönlichen Propagandarichtlinien durchsetzen (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 69). Am 01. November 1940 änderten sich jedoch die Machtverhältnisse in Propagandafragen, da ab diesem Zeitpunkt eine weitere Konferenz hinzukam, die entscheidenden Einfluss auf die Berichterstattung in der Presse haben sollte. Von nun an wurde dem Reichspressechef Dietrich deutlich mehr Macht zugestanden. In dieser ebenfalls fast täglichen Konferenz wurde die neu geschaffene ‘Tagesparole des Reichspressechefs’ bekanntgegeben bzw. näher ausgearbeitet. An ihr nahmen Vertreter verschiedener Ministerien teil, die Anweisungen an die Presse geben wollten sowie die Leiter der verschiedenen Abteilungen der NSDAP für Presse und Rundfunk. Dietrich selbst war nur selten anwesend, da er sich meist im Führerhauptquartier in unmittelbarer Nähe zu Hitler aufhielt. Er wurde aber während der Konferenz mehrmals telefonisch unterrichtet und Anweisungen wurden mit ihm abgesprochen (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 69f.). Dadurch, dass es zwei verschiedene Konferenzen gab, zum einen des Reichspressechefs der NSDAP und zum anderen vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, divergierten zum Teil auch die Anweisungen. Dietrich hatte allerdings den Vorteil, dass ‘seine’ Konferenz nach der ‘Ministerkonferenz’ stattfand und er somit Anweisungen Goebbels’ ändern oder abschwächen konnte (vgl. Brendel 1985, S. 41). Dies ist einer der Gründe, warum dem Reichspressechef in der Literatur mehr Kontrolle über die Zeitungen zugesprochen wird als Goebbels. So schreibt Brendel, dass es Dietrich gelungen sei, den Einfluss Goebbels auf die Presse weitgehend einzuschränken. Nur in der Wochenzeitung ‘Das Reich’ konnte der Propagandaminister Einfluss nehmen, da er dort die Leitartikel verfasste (vgl. ebd.). Ansonsten hatte das RMVP mit Goebbels an der Spitze weiterhin die Oberhoheit über den zentral gesteuerten Rundfunk. Die dritte Konferenz des Tages war schließlich die bereits erwähnte ‘Mittagspressekonferenz’, in der den anwesenden Korrespondenten der großen Zeitungen und des Rundfunks die Anweisungen erläutert wurden. Zudem bestand die Möglichkeit für Nachfragen. Nach der ‘Mittagspressekonferenz’ übermittelten die Berliner Vertreter der großen Blätter die Anweisungen per Brief oder Fernschreiber an die Redaktionen. Kohlmann-Viand stellt fest, dass ab dem Kriegsbeginn die Pressekonferenz für die Journalisten eigentlich keine wirkliche Konferenz mehr war, da nur noch die Anweisungen und Informationen aus den Ministerien und dem OKW vorgetragen wurden und sie somit ‘eher langweilig’ gewesen sei (vgl. S. 73ff.). Nicht jede Redaktion hatte jedoch einen Korrespondenten in Berlin. Damit die Anweisungen Goebbels und Dietrichs sowie der anderen Ministerien auch die kleinen Provinz- und Heimatzeitungen erreichen konnten, wurde ein amtliches Protokoll erstellt, welches anschließend in der Presseabteilung gesammelt wurde. Hier lag es zur Einsicht bereit und diente als Grundlage für die Informationen, die dann an die kleinen Zeitungen übermittelt wurden. Dies geschah über die Reichspropagandaämter, die bereits im vorherigen Abschnitt erläutert wurden. Dort wurden noch lokale Informationen und Weisungen hinzugefügt und anschließend an die Hauptschriftleiter der Redaktionen übermittelt. Diese so genannten ‘Vertraulichen Informationen’ unterlagen eigentlich strengster Geheimhaltung und sollten nur von der Hauptschriftleitung und von Schriftleitern gelesen werden, die persönlich davon betroffen waren. Allerdings wurde diese Regelung in den Redaktionen nicht immer sehr streng gehandhabt. Aus diesem Grund wurden 1940 die Hauptschriftleiter dazu verpflichtet, ein Tagebuch über den Zugang und den Verbleib der ‘Vertraulichen Informationen’ zu führen (vgl. Kohlmann-Viand 1991, S. 95). Mit den ‘Vertraulichen Informationen’ hatte die NS-Führung in Partei und Staat die Möglichkeit, die Berichterstattung vor allem während des Krieges gezielt zu steuern. Da es aber, wie hier ausführlich dargestellt wurde, große Kompetenzstreitigkeiten verschiedener Personen und Ämter gab, kann von einer einheitlichen Steuerung von Presse und Rundfunk nicht gesprochen werden, wie sich auch bei der Berichterstattung über Stalingrad zeigen wird.

Über den Autor

Jonas Bothe wurde 1986 in Leer (Ostfriesland) geboren. Sein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg schloss der Autor im Jahr 2011 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen im Journalismus. Sein Interesse für Geschichte und Medien brachten den ausgebildeten Journalisten dazu, sich mit der Berichterstattung über Stalingrad zu befassen.

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