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Gesellschaft / Kultur

Andreas Roterring

Fehlerkultur in der professionellen Pflege: Implikationen für die Ausbildung

ISBN: 978-3-95425-998-4

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 02.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 132
Abb.: 18
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Fehler zu machen liegt in der Natur des Menschen. Zahlreiche Sprichwörter und auch die eigenen Erfahrungen verdeutlichen dies. Wenn es aber um das Leben und die Gesundheit von Menschen geht, wird die Aussage Irren ist menschlich schnell vergessen und eine Erwartungshaltung eingenommen, die Fehler nicht akzeptiert. Dieses Buch stellt die Problematik der Fehlerkultur in der professionellen Pflege dar und erläutert Hintergründe, warum und unter welchen Umständen wir Menschen fehleranfällig sind. Darauf aufbauend werden die Folgen von Fehlern aus Sicht des Betroffenen, seiner Angehörigen, des Verursachers sowie der Institution dargestellt. Außerdem wird vor dem Hintergrund eines Fehlerkulturmodells geklärt, was sich hinter dem Begriff Fehlerkultur verbirgt und festgestellt, dass für die professionelle Pflege noch ein großer Handlungsbedarf besteht. Abschließend fokussiert das Buch die Ausbildung und liefert Hinweise und Vorschläge für den praktischen und theoretischen Teil der Ausbildung. Dies beinhaltet sowohl inhaltliche als auch methodische Anregungen, die dabei helfen, Pflegenden bereits in der Ausbildung eine konstruktive Fehlerkultur zu vermitteln.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Folgen von Pflegefehlern differenziert nach Betroffenengruppen: 3.2.1, Patient und Angehörige: Das Grundgesetz schützt im zweiten Artikel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art 2 (2) GG) und verdeutlicht den großen Stellenwert des Lebens und der Gesundheit bzw. körperlichen Unversehrtheit. Bergmann (2007, S. 85) bezeichnet es auch als das höchste Rechtsgut des Menschen. Da Behandlungsfehler, unabhängig davon wer sie letztlich verursacht, eben dieses Rechtsgut gefährden, kommt dieser Dimension eine besondere Bedeutung zu. Durch die Ausführungen des vorangegangenen Kapitels wurde dargestellt, welche Aufgaben die Pflege im Gesundheitswesen übernimmt. Die offensichtlichsten Auswirkungen betreffen die Gesundheit, da dies die primäre Zielgröße im Gesundheitswesen ist. Abhängig von der betroffenen Handlung und Art des Fehlers können UEs zwar teilweise folgenlos bleiben, aber auch unterschiedlich schwere Folgen für den Patienten nach sich ziehen. Das Spektrum reicht dabei von leichten temporären körperlichen Folgen, über permanente physische Einschränkungen bis hin zum Tod des Betroffenen. Eine weitere wesentliche Dimension neben den physischen Folgen stellen die psychosozialen Auswirkungen von Behandlungsfehlern dar. Körperliche Schäden und Folgen sind für den Außenstehenden leichter zu erkennen und stehen daher auch häufiger im Fokus. In einigen Fällen sind aber die psychosozialen Schäden weitaus bedeutender und bedürfen, gerade weil sie häufiger übersehen und unterschätzt werden, besonderer Aufmerksamkeit und z. T. auch Behandlung. Wird etwa das Inkontinenzmaterial bei einem Patienten nicht erneuert, ist einerseits das Dekubitusrisiko erhöht, aber vor allem betrifft es die Würde dieser Person, die durch den ersten Artikel des Grundgesetzes geschützt wird. Mit dem folgenden konstruierten Beispiel möchte ich einige mögliche psychosoziale Folgen plastischer darstellen: Herr P. ist nach einem Autounfall ins Krankenhaus eingeliefert worden und dort wurden eine leichte Gehirnerschütterung sowie mehrere gebrochene Finger diagnostiziert. Der zuständige Pfleger K. legt beim Patienten einen Gipsverband an und weist den Patienten darauf hin, dass er in fünf Wochen zur Entfernung des Gipsverbandes wiederkommen soll. Da Herr P. kaum Deutsch spricht, versucht er den Pfleger durch Schmerzmimik und weitere Gestik zu verdeutlichen, dass der Verband drückt und unangenehm ist. Pfleger K. missdeutet die Ursache für die Schmerzen des Patienten und gibt ihm nach Rücksprache mit dem Arzt eine Packung Schmerzmittel mit nach Hause und weist erneut auf den Termin in fünf Wochen hin. Als Herr P. zur geplanten Gipsentfernung in die Ambulanz kommt, wird festgestellt, dass der Gips nicht richtig angelegt wurde und dass Herr P einige Finger daher nicht mehr voll bewegen kann. Dies ist für ihn ein großer Schock, weil er Berufsmusiker ist und Musik sein Traumberuf war. Darüber hinaus hat er keine andere Ausbildung und durch seine eingeschränkten Sprachkenntnisse wird es für ihn sicher schwierig werden eine neue Arbeit zu finden. Dieses fiktive Beispiel zeigt im Ansatz einige mögliche psychische und soziale Folgen die ein Behandlungsfehler auslösen kann. Die Einschränkung der Fingerbeweglichkeit würde bei vielen anderen Personen nicht so stark ins Gewicht fallen, da der normale (Berufs-)Alltag dadurch kaum eingeschränkt wird. Für Herr P. ist dadurch aber die Existenzgrundlage für sich und seine Familie gefährdet und sein Lebenstraum wurde zerstört mit den potentiell psychischen Folgen. Im Extremfall könnte darüber hinaus außerdem die Aufenthaltserlaubnis an den Arbeitsplatz gebunden sein und möglicherweise zu einer Ausweisung führen. Die Auswirkungen beschränken sich also nicht auf den Patienten, sondern können sich auf das soziale Umfeld, insbesondere auf die Familie, ausweiten. Darüber hinaus zeigen Patienten ausgesprochen schwere und komplexe emotionale Reaktion, wenn es zu unerwünschten Ereignissen kommt. Furcht, Angst, Depression, Wut, Frustration, Vertrauensverlust und ein Gefühl der Isolation sind häufige Reaktionen (Patientensicherheit, 2009, S. 15) und bei lebensbedrohlich empfundenen Geschehen können quälende Erinnerungen, emotionale Abstumpfung oder auch Flashbacks auftreten. Ähnlich schwere emotionale und psychologische Auswirkungen zeigen sich auch bei den Angehörigen und können sich auch auf die Beziehungen innerhalb der Familie auswirken, bis hin zur Scheidung (Vincent & Page, 2009, S. 181-182). In Anlehnung an Stauss (2010) werden drei Grundbeziehungen durch die zwischenmenschliche Leiderfahrung verletzt (zitiert in Schäfer und Fröhlich-Güzelsoy, 2013, S. 267-268). Die Beziehung zu sich selbst ist durch Verzweiflung oder auch Zynismus gekennzeichnet. Ein wahrgenommener Kontrollverlust kann Ohnmachtsgefühle entstehen lassen und zu einem Vertrauensverlust und einer Angst um die eigene Sicherheit führen und somit die Beziehung zum Gegenüber betreffen. Dieser Vertrauensverlust wiederum kann dazu führen, dass Maßnahmen und Hilfestellungen abgelehnt werden und somit die Versorgungsqualität zusätzlich beeinträchtigt wird. Als dritte Ebene ist eine Veränderung der Weltanschauung und Werte möglich. Die betroffenen Dimensionen von Pflegefehlern können, wie exemplarisch dargestellt wurde, sehr unterschiedlich ausfallen und sind in großem Maße von der Bedeutungszuschreibung und den Rahmenbedingungen des Patienten abhängig. Darüber hinaus beschreiben Vincent und Page (2009, S. 181), dass der Patient und seine Angehörigen nicht nur unter dem Schadensereignis selbst leiden, sondern auch durch einen unsensiblen und unangebrachten Umgang mit dem Ereignis. 3.2.2, Verursacher (second victim): In der Folge eines Behandlungsfehlers besteht die Möglichkeit, dass neben dem Patienten als unmittelbarem Opfer auch der Verursacher als zweites Opfer (second victim) betroffen ist. Aufgrund der vielfach kooperativ erbrachten Leistung können alle beteiligten Mitarbeiter zum second victim werden. Pflegende und Ärzte sind durch ihre direkt am Patienten durchgeführten Handlungen primär betroffen. Eine wesentliche Ursache für die negativen Auswirkungen auf den Verursacher besteht darin, dass die Fehler in der Regel durch Absichtslosigkeit gekennzeichnet sind und oft sogar entgegengesetzt zum Eigenen Wunsch Gutes zu tun erfolgen (Schäfer & Fröhlich-Güzelsoy, 2013, S. 267). Hier kommt die bereits in Kapitel 2.2 dargestellte Vorstellung zum Tragen, dass Fehler mit Versagen und weiteren negativen Assoziationen verbunden werden. Da die damit einhergehenden Probleme aber weniger offensichtlich sind, lag der Fokus von Forschungsvorhaben meist auf anderen Aspekten, mittlerweile liegen aber international Studien zu diesem Thema vor. Eine systematische Übersichtsarbeit von Sirriyeh, Lawton, Gardner, und Armitage (2010) untersuchte 24 qualitative und quantitative Studien, überwiegend aus den USA und Europa. Durch die sehr unterschiedliche Ausrichtung und stark differierende Erhebungsmethoden konnte zwar einerseits eine große Bandbreite an Ergebnissen erfasst werden, andererseits ist ein Vergleich dadurch deutlich erschwert. Trotz dieser Schwierigkeiten und einiger methodischer Grenzen der untersuchten Studien, konnten vielfältige Auswirkungen auf den Verursacher des UEs erfasst werden. Neben den überwiegend fokussierten negativen Auswirkungen, sowohl auf den Arbeits- als auch den Privatbereich, wie etwa Schuldgefühle, Angst oder auch Selbstzweifel, wurde auch ein Potenzial für positive Folgen z. B. in Form von erhöhtem Vertrauen und besseren Beziehungen zu Arbeitskollegen beschrieben. Weitere Einflussfaktoren auf die Reaktion des Verursachers nach dem UE liegen vermutlich in der Schwere des Patientenschadens, der Fehler-/Sicherheitskultur der Einrichtung oder auch der individuellen Persönlichkeit. Genauere Daten liegen laut dieser Studie allerdings bisher dazu nicht vor. Eine gute Übersicht über die unterschiedlichen Folgen bieten Schäfer und Fröhlich-Güzelsoy (2013, S. 270-271). Sie unterteilen die Symptome in insgesamt fünf Kategorien, die in der Abbildung 12 auch visuell dargestellt werden.

Über den Autor

Andreas Roterring wurde 1983 in Gronau (Nordrhein-Westfalen) geboren. Nach seiner Berufsausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger hat er mehrjährige Erfahrung auf einer Intensivstation gesammelt. Durch das 2014 abgeschlossene Masterstudium Bildung im Gesundheitswesen an der Fachhochschule Münster hat er sich auf den pädagogischen Bereich spezialisiert. Praktische Erfahrungen des Lehrberufes gewann er durch nebenberufliche Tätigkeiten als Honorardozent an verschiedenen Schulen in Münster sowie durch die Arbeit als Tutor für Studierende des Modellstudiengangs B.Sc. Pflege dual. Derzeit arbeitet er als Berufspädagoge an einer Schule des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen.

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