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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 11.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 174
Abb.: 36
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Thema dieses Buches sind Formen der Verwandlung der Filmästhetik in die Kunstästhetik in den Installationen von Shirin Neshat. Die Untersuchung fängt bei ihren ersten Fotografien der Serie WOMEN OF ALLAH an und reicht bis zu ihrer letzten Installationsreihe WOMEN WITHOUT MEN. Das Kunststück, zuerst fürs Museum geschaffen, war die Grundlage für ihren ersten Kinofilm unter dem gleichen Titel. Shirin Neshat orientiert sich in ihren Arbeiten an der Frauenliteratur aus dem persischen Raum wie Forough Farrokhzad und Shahrnush Parispur, Autorinnen, die aufgrund ihrer feministischen Werke verbannt wurden und ihr Land verlassen mussten. Neshat schöpft aus dem Reichtum der persischen Kultur und Geschichte und schafft somit eine neue Form des Kinos in der westlichen Welt, die Hamid Dabashi mit accendet cinema bezeichnet. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die Frage, unter welchen Bedingungen Künstler schaffen, die ihren Kulturkreis verlassen und sich in einer anderen Kultur einfinden. Bei Shirin Neshat war das der kulturelle Schock, den sie in ihrem eigenen Land nach einer 17-jährigen Abwesenheit erlebt hatte. Die Veränderungen nach der Revolution 1979 hinterließen eindeutige Spuren: Verbote und Gebote, mit denen das persische Königreich in die Islamische Republik Iran umgewandelt wurde. Neshat entschied sich aufgrund dessen, für ihre künstlerische Laufbahn doch nach Amerika zurückzukehren, wo sie als Folge ihre Fotoserie WOMEN OF ALLAH schuf und schnell an Popularität gewann. Die Studie beschäftigt sich mit der künstlerischen und filmischen Ästhetik, die sich durch die einzelnen Schaffensperioden der Künstlerin konstant durchzieht.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Geschlechterrollen in den Installationen TURBULENT, RAPTURE und FERVOR: Shirin Neshat erklärt ihren Übergang vom fotografischen zum bewegten Bild wie folgt: ‘Als ich ab 1997 einen neuen Weg suchte, wurden mir die Schranken der Fotografie immer klarer, und ich begriff, daß (sic!) die Fotografie der neuen Richtung meiner Ideen einfach nicht entsprach, und begann mit Film zu experimentieren. Ich wollte auch meine Ideen nicht mehr länger durch ein einzelnes konstruiertes Bild vermitteln, sondern durch eine Ansammlung von Bildern zum Ausdruck bringen. Wenn meine Arbeit auch thematisch soziologisch orientiert blieb, wurde mein Ansatz damals viel philosophischer und lyrischer – im Unterschied zu direkt politisch.’ Der Künstlerin war auch wichtig, dass sie durch die ‘neue’ Form mehr Flexibilität und Mehrdeutigkeit ihrer Kunst verleiht. Vor der Trilogie entstanden zwei wichtige Installationen, in denen Neshat die Grundideen für ihre nächsten Werke, zumindest für die erste Trilogie festlegte. Sie versuchte schon damals Kontrolle und Kodierung vom weiblichen Körper im Raum zu definieren. ‘Das Projekt SHADOW UNDER THE WEB, das 1997 in Istanbul entstand, beschäftigt sich mit genau diesen Themen. Die Arbeit zeigt die ideologische Teilung des Raumes, die dazu dient, die Geschlechter zu trennen und deren gesellschaftliche Kontrolle festzulegen. Öffentlicher Raum wird als männlicher Raum, privater Raum als weiblicher Raum betrachtet.’ Bei SOLILOQUY, 1999 geht es, anhand der Selbstdarstellung und der Konfrontation mit der unterschiedlichen Architektur, um die Themen zweier unterschiedlicher Kulturen: Orient und Okzident, Tradition und Moderne, Gemeinschaft und Individuum. Obwohl Neshat nie die Absicht hatte, mit diesen drei Installationen eine Art Trilogie zu schaffen, und obwohl jede Installation unabhängig von der anderen existieren kann, gehören die drei Teile eindeutig zusammen. Zwischen ihnen bestehen besondere Parallelen und Ergänzungen, die in einem gemeinsamen Kontext zu lesen sind. ‘I never intended for the three pieces to function as a trilogy, but since ‘Turbulent”, each piece has progressively led to the formation of another, raising new sets of questions in relation to the wealth of male and female contrasts in Islam. There are interesting parallels and differences between the three projects.’ Diese Art der Serienwerke setzt Neshat, trotz ihrer ständigen Suche nach neuen Ausdrucksmitteln und Medienformen, bis heute fort. ‘Bei jedem anderen Künstler würde die mehr oder weniger permanente Veränderung des Mediums von Fotografie über Video zu Film höchstwahrscheinlich für einigen Diskussionsstoff sorgen, aber die gefühlsbetonte, assoziative Kraft von verschleierten Frauen hat gewissermaßen dazu geführt, dass so eine Veränderung in Shirin Neshats Arbeit gegenüber dem mutmaßlichen ‘Inhalt’ der jeweiligen Werke in den Hintergrund getreten ist und noch angemessen untersucht werden muss.’ 3.1, Ausschluss aus dem öffentlichen Raum: TURBULENT (Bi-Gharar), 1998: Aus dem Persischen übersetzt bedeutet ‘Bi-Gharar’ zu Deutsch wortwörtlich ‘ungeduldig’. Im poetischen Sinne und in Bezug auf die gesungenen Gedichte in der Installation, in der es auch um Liebe und Verliebtheit geht, bedeutet es ‘verliebt sein’ oder ‘sehnsüchtig nach der Geliebten sein’. In TURBULENT thematisiert Neshat vor allem die Ausgrenzung der Frau vom Singen in der Öffentlichkeit. ‘TURBULENT erzählt vom Verhältnis der Geschlechter zur Musik, wie Frauen grundsätzlich von der Erfahrung öffentlicher Aufführungen ausgeschlossen sind, anders als Männer. Diese Arbeit will es nicht unbedingt kritisieren, sondern herausfinden welche Musik jemand macht, dem es verboten ist, aufzutreten, im Gegensatz zu jemand, der das will. Welche Form wählen sie (die Frauen), woher kommt die Musik und wie drücken sie sich aus. Wir heben das hervor, indem wir mit einer Doppelprojektion arbeiten. Hier der Mann, der für Publikum ein traditionelles Lied singt und von der Gemeinschaft Beifall erhält, dort die Frau, die alle Regeln bricht, indem sie in einem Konzertsaal steht, der aber leer ist. Sie macht eine Musik, die genau das Gegenteil traditioneller Musik ist, ziemlich abstrakt und irrational, gegen alle Regeln.’ Es handelt sich also um eine Art Experiment. Neshat setzt ein völlig neues und abstraktes Musikstück ein, um der Frau eine Stimme zu verleihen. Die Installation wird in einem dunklen Raum auf zwei quadratische Bildschirme projiziert, die sich auf gegenüber liegenden Wänden befinden, so dass man entweder den Bildschirm mit dem Mann oder den mit der Frau betrachten kann. Im Vorspann sieht man eine Einblendung links und rechts von einer Aula. Auf der einen Seite ist der Saal mit einem männlichen Publikum gefüllt, das vor einer leeren Bühne wartet. Das Mikrofon im Vordergrund ist mit seinem Kopf zum Publikum gedreht. Auf der anderen Seite ist der Saal mit leeren Stühlen ausgestattet. Das Mikrofon steht vorne auf der Bühne und ist nach außen zum Zuschauer gerichtet. Nach der schwarzen Blende ertönt eine leichte Musik, in deren Rhythmus beide Bildschirme anfangen, sich zu verschieben. Auf dem linken Bildschirm fährt die Kamera von links nach rechts entlang des Publikums, das diagonal im Raum erscheint. Rechts dagegen fährt die Kamera von rechts nach links entlang des leeren Raums bis aus der linken unteren Ecke des rechten Bildes eine Frau erscheint. Auf dem linken Bildschirm taucht ein Mann auf. Er kommt aus der rechten unteren Ecke des linken Bildes, verbeugt sich vor dem ihm applaudierenden Publikum, wendet sich zum Mikrofon, mit dem Gesicht zum Zuschauer im Raum, und fängt an, zu singen. Währenddessen platziert sich die Frau vor einem leeren Saal in der Mitte des Bildes und bleibt dort wie eine Statue stehen. Der Mann fängt an, mit seinen Händen zu gestikulieren, während die Frau ihre Hand zum Gesicht hebt, so als ob sie etwas an ihrem schleierartigen Gewand verbessern wollte. In der Rolle des Sängers fungiert Shoja Azari, der ein sehr einfühlsames Lied, singt. Er bewegt seinen Oberkörper im Rhythmus der Musik. Während des Gesangs ist die Kamera statisch in die Bildmitte platziert und das Bild ist zentralperspektivisch aufgebaut. Der Sänger, in weißem Hemd und schwarzer Hose, wendet sich von dem Publikum im Saal und zum Zuschauer hin, während die Frau, im schwarzen Kleid und locker aufgelegter Kopfbedeckung, schenkt ihre ganze Aufmerksamkeit dem bestuhlten aber zuschauerlosen Saal. In dem Moment als der Mann aufhört zu singen und das anwesende männliche Publikum applaudiert, ertönt ein Summen auf dem gegenüberliegenden Bildschirm. Der Zuschauer, der sich zwischen den beiden Bildschirmen in einem dunklen Raum befindet, folgt der tiefen Stimme auf der gegenüberliegenden Leinwand, auf der Susan Deyhim, in der Rolle der Frau, anfängt, unbestimmte Töne auszustoßen. Der Sänger von dem gegenüberliegenden Bildschirm wird darauf aufmerksam, woraufhin er zum Mikrofon zurückkommt, sich davor in die Ausgangsposition stellt und mit einem offenem Mund den Gesang der Frau verfolgt. Die Sängerin hebt sich von dem leeren Hintergrund ab, wenn sie frontal in der Bildmitte steht. Die Kamera fängt an, sie langsam zu umkreisen, wird immer schneller und schneller und macht einen 360-Grad-Schwenk. In der Kamerabewegung, die sich nicht nur dreht, sondern auch von der Totale in die Ganzaufnahme übergeht, vermischt sich die schwarz gekleidete Figur mit der schwarzen Hintergrundfläche, so dass man nur ihr weißes Gesicht und ihre weißen Hände sieht, mit denen sie gestikuliert. Die Töne haben unterschiedliche Stärken und Höhen. Die Sängerin fängt mit einem etwas ruhigeren Ton an, dann erhebt sie ihre Stimme und singt immer schneller und höher, bis sie letztendlich in ein Stöhnen übergeht. Danach fängt sie wieder mit einem tiefen Ton an und endet mit einem ganz hohen. Dabei fühlt sie sich in die Rolle ein. Sie gestikuliert mit den Händen und singt mit geschlossenen Augen. Man hat das Gefühl, dass sie sich dem Rhythmus der sich um sie drehenden Kamera anpasst. Plötzlich hört man mehrere verschiedene Stimmen gleichzeitig, die zusätzlich ein Echo ergeben. Die Stimmen überschneiden sich, wenn eine neue Stimme aus der alten hervorgeht. Die neue Stimme wird von der Singenden ergriffen, während die alte langsam ausklingt. Die Frau verstummt letztendlich, ähnlich wie der Mann, und guckt aus dem Bildschirm in den Zuschauerraum hinein.

Über den Autor

Alicja Wawryniuk, Jahrgang 1972, ist Filmwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin sowie Diplom-Kommunikationswirtin. Sie ist Absolventin der Freien Universität und der Universität der Künste Berlin. Schon in ihrer Magisterarbeit beschäftigte sie sich mit Übergangsformen vom Dokumentarischen zum Fiktiven in Filmen von Krzysztof Kieslowski. In ihrer Laufbahn an der UdK schenkte sie ihre Aufmerksamkeit den Verflechtungen der Kulturen und den Bedingungen für ein neues künstlerisches Schaffen in den neu geschaffenen Kulturkreisen. Das Ergebnis ihrer Recherche ist die Monografie über die iranisch-amerikanische Videokünstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat.

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