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  • Die soziale Frage in Gerhart Hauptmanns literarischen Werken: 'Bahnwärter Thiel' und 'Die Weber'

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 02.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Arbeit untersucht die Motive der Industrialisierung unter dem Aspekt der ‚sozialen Frage‘ in Gerhart Hauptmanns frühem literarischem Werk. Dabei gilt es zu untersuchen, in welchem Ausmaß der Autor selbst als sozialpolitisch interessiert und motiviert gesehen werden kann. In diesem Zusammenhang wird die Darstellung der Technisierung der Lebenswelt in seinen Werken analysiert. Die Untersuchung wird exemplarisch an der Novelle Bahnwärter Thiel und dem Drama Die Weber durchgeführt. Im Rahmen der Analyse werden die verschiedenen soziokulturellen Kontexte der Werke sowie die Parallelen, die die Rezeption beeinflusst haben, beschrieben. Da sich Armut und soziale Not nicht monokausal als Folge der Industrialisierung erklären, wird in der vorliegenden Arbeit der Schlüsselfunktion der Technik nachgegangen. Es wird betrachtet, wie Hauptmann die Technik behandelt und inwieweit er diese als Verursacher der ‚sozialen Frage‘ darstellt. Außerdem gibt das Werk einen Einblick in die historischen Hintergründe und die Verbindung von Naturalismus und Symbolismus, wobei das Technikmotiv im Vordergrund steht.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2.1. Korrelation Naturalismus und Symbolismus: Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass die Novelle nicht allein der literarischen Hauptströmung ihrer Entstehungszeit, dem frühen Naturalismus, zugeordnet werden sollte. Bereits Erwähnung gefunden hat die teilweise typisch naturalistische Darstellungsform des Sekundenstils. Gemeinsam haben Gerhart Hauptmann wie auch die naturalistische Bewegung die Objektivität, mit der das Geschehen erzählt wird. In seinem Erzählstil liegt durchaus nicht der Duktus einer Wertung, es ist an der Leserschaft, sich selbst ein Urteil zu bilden. Als Merkmal für eine naturalistische Kategorisierung kann an der novellistischen Studie darüber hinaus die Wirklichkeitstreue der weniger Milieu- als vielmehr Landschaftsdarstellung, die detailreiche Präzision der Darstellung von Natur und das klinisch exakte Beschreiben des psychischen Verfalls Thiels verstanden werden. Dazu, wie ebenfalls unter 3.1 erwähnt, wenn auch nur kurz angerissen, ist die Besetzung der Heldenfigur mit einem den unteren Volksschichten zugehörigen Bahnwärter ebenfalls repräsentativ, ‘dieser einfache Mensch wirkt typisch für die naturalistischen Menschen schlechthin’. Naturalistisch ist ‘das Schwere, Dumpfe, nur Halbbewußte, die Sprachlosigkeit dieses Mannes’, die Thematisierung sexueller Hörigkeit wie das Fehlen eines harmonischen Ausklangs – ein Bruch mit den inhaltlichen und formalen Konventionen des bürgerlichen Realismus. Jedoch hat der junge Gerhart Hauptmann in dieser Novelle eine ganze Reihe Verfahrensweisen angewandt, die nicht naturalistisch sind, so bemerkt Roy C. Cowen beispielsweise ‘wie die Handlung sich entfaltet und wie die Umweltschilderung die zunehmende geistige Verwirrung Thiels widerspiegelt überschreitet die Grenzen des doktrinären Naturalismus.’ Dass expressionistische Züge in Erzählstil und Aufbau des ersten Teils zu erkennen sind, ist bereits unter 3.1 skizziert worden. Der Autor beschreibt darüber hinaus mit dem Feingefühl eines Impressionisten Farben und Akustik und derlei Sinnhaftes mehr. Obgleich bis ins Detail naturalistisch-exakt beschrieben, erinnern einzelne Naturdarstellungen an die Naturmetaphorik der Romantik, wie auch die Traumwelt in gleicher Weise diese Verweise nahelegt. Einerseits durchaus nicht unrealistisch sind Thiels Anfälle aus psychologisch-pathologischer – und damit naturalistischer – Sicht, aber die Bedeutung und ‘wie sie in Erfüllung gehen, deutet zugleich auf eine Seite der Romantik hin.’ Mit der Formwahl der Novelle knüpft Hauptmann an den bürgerlichen Realismus an. Mit dem Zusatz der ‚Studie‘ ist das zuvor angedeutete Prinzip, auf moderne Weise Innovatives und Konventionelles zu synthetisieren, bereits im Titel offenkundig. Insoweit ist Martini beizupflichten wenn er feststellt: ‘Tradition und Zukunft fließen in ihr ineinander’. Aus dieser Perspektive kann auch die Korrelation von Symbolhaftem und naturalistischer Darstellungsweise verstanden werden. Hauptmann wählt an entscheidenden Stellen durchaus eine symbolträchtige Bildsprache, die nicht so recht in das Postulat der Wissenschaftlichkeit, der Objektivität der naturalistischen Position passen will. Da wären die naturhaften Darstellungen, die in ‘einer neuen und vitalisierten Naturmetaphorik’ deutlich werden. Exemplarisch sei hier das rote Licht der Abendsonne genannt, das ‘die Säulenarkaden der Kiefernstämme’ (BW 19) zum Glühen bringt, darauf zu ‘kaltem Verwesungslicht’ (BW 19) wird. Oder das ‘interpolierte Bild der Frühlingspracht’ der Obstbaumblüten auf dem Acker neben Thiels Wärterhäuschen. Über dies ist hier die dämonisch-personifizierte Darstellung der Technik vermittels des Ding-Symbols Eisenbahn mehr aus Thiels Perspektive als aus der eines distanzierten Erzählers, aufzuführen: ‘Zwei rote, runde Lichter durchdrangen wie die Glotzaugen eines riesigen Ungetüms die Dunkelheit. Ein blutiger Schein ging vor ihnen her, der die Regentropfen in seinem Bereich in Blutstropfen verwandelte. Es war als fiele ein Blutregen vom Himmel’ (BW 25). Nimmt man die zuvor beschriebene Abendröte hinzu, wird an dieser Textstelle offenbar, dass Benno von Wieses These der dreifachen Spiegelung hier zutrifft, indem Natur, Technik und Mensch untrennbar miteinander verwoben sind. Natur und Technik stehen symbolisch, teils personifiziert für Thiels Psyche. Natur und Technik verschmelzen. Augenfällig ist durch die Blutsymbolik auch eine Zusammenführung von Rück- und Vorausschau, von Realität und Traumwelt – durch die Farbe Rot und die Blutvokabeln wird ‘die Dämonie des Traums und die der Wirklichkeit […] auf unlösbare Weise miteinander verflochten’. Falk spricht ob des sich des Symbolischen bedienenden Stils von ‚Zeichen‘, die Hauptmann mithilfe naturalistischer Darstellung geschaffen hätte. Eine auf den ersten Blick erstaunliche Einschätzung, doch leuchtet die Begründung ein: Diese, so Falk weiter, ergäben durch ihr bezügliches Nebeneinander eine neue Qualität. Auch Wiese führt aus, dass eine Interpretation dieses künstlerischen Gefüges, ‘als ob es unverbunden nebeneinander stände’, nicht genügen würde. Martini sieht hier gar die Unabdingbarkeit des Symbols und damit die Verschränkung von Naturalismus und Symbolismus gegeben will Hauptmann doch, so Martini, nicht die Schuldfrage beantworten, sondern nur schildern, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen konnte. Im Bahnwärter Thiel verknüpfe Hauptmann seine positivistische Überzeugung von psychischen und sozialen Determinanten einerseits mit dem Imaginativen andererseits, der ‘dramatische[n] Struktur des Lebens […] die sich nur im Symbol erfahren lässt, weil sie jenseits der Erfahrung einen Mythos bedeutet.’ Demnach sind die vielen Bilder keineswegs als künstlerischer Selbstzweck zu verstehen, sondern haben wie ausgeführt abstrakt-darstellende Funktion und vorausdeutenden Charakter. In der obigen Textstelle scheint Hauptmann das Bild aus Thiels Traum der sich über die Gleise schleppenden Minna fortzuführen, diese hatte ‘etwas […] Blutiges’ in den Armen obwohl erwacht sieht er ‘noch immer das wandernde Weib auf den Schienen’ (BW 25). Es vermischen sich hier Traum und Gegenwart, was sogar durch den Erzähler, diesmal klar aus der Innenperspektive heraus, ausgesprochen wird, heißt es doch unmittelbar im Anschluss an die blutige Darstellung der Technik: ‘Thiel fühlte ein Grauen und, je näher der Zug kam, umso größere Angst Traum und Wirklichkeit verschmolzen ihm in eins.’ (BW 25). Darüber hinaus scheint Thiel hier bereits zu ahnen, dass dieser Traum bedeutungsvoll für das Kommende sein wird, er ist ob der Vermischung von Realität und Imaginärem zunehmend aufgewühlt, ja panisch kann es jedoch nicht fassen, nicht artikulieren. Minna immer noch auf den Gleisen glaubend, versucht er denn auch, den Zug zu stoppen, als würde mit der Durchfahrt des Zuges sein Schicksal eine Wendung zum Unguten nehmen. Diese Passage kann als repräsentativ für Hauptmanns Erzählstil in der Novelle gesehen werden, er ‘spricht durch Tatsachen und Bilder, unterhalb deren sich im Unterbewusstsein Thiels [sich] das Kommende anbahnt’. So wird das Symbolische doppelt funktionalisiert, es vereint Vorausdeutung des Geschehens und Universalität des Einzelschicksals in sich. Wollte er in Zeiten des Positivismus und wissenschaftlich-technischen Rationalismus den Urkonflikt des menschlichen Daseins glaubhaft darstellen, musste der Autor in einem Gefüge arbeiten, in dem Realismus und Symbolismus aufeinander angewiesen waren.

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