Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

Gesellschaft / Kultur

Jeanette Jakubowski

Geschichte des jüdischen Friedhofs in Bremen

Überarbeitete Neuausgabe mit zahlreichen Abbildungen

ISBN: 978-3-95935-365-6

Die Lieferung erfolgt nach 5 bis 8 Werktagen.

EUR 34,99Kostenloser Versand innerhalb Deutschlands


» Bild vergrößern
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 05.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 268
Abb.: 67
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Bremen ist eine kulturgeschichtliche und historische Arbeit über 200 Jahre an einem besonderen Ort. Der Friedhof im heutigen Bremer Stadtteil Hastedt ist Denkmal jüdischer Kultur und der Lokalgeschichte der jüdischen Minderheit in Bremen. Seit seiner Gründung Ende des 18. Jahrhunderts hatte er vielfältige Funktionen: Ort der Pflege jüdischer und nichtjüdischer Traditionen, Ort des ungesicherten Bleiberechts, der Erinnerung und des Gedenkens, Schauplatz demonstrativer jüdischer Assimilation, nationaler Treue und religiöser Zugehörigkeit, demokratischer und antidemokratischer Bekenntnisse. Bekannte und unbekannte Familien und Personen sind hier bestattet. Ihre Biographien und Grabsteininschriften machen den Friedhof zu einem Ort, an dem nationale und lokale Geschichte in konkreten Schicksalen anschaulich werden.

Leseprobe

Textprobe: Der Israelitische Krankenwohltätigkeits-Verein und der Israelitische Frauen-Verein : Mit der 1848er Revolution und dem Inkrafttreten des Gesetzes betreffend der Grundrechte der Juden wuchs der jüdische Bevölkerungsanteil in Bremen. Um 1860 lebten ca. 18 jüdische Familien mit etwa 100 Personen in Bremen. Ihren Gottesdienst hielten sie in Privathäusern ab: zunächst im zweiten Stock eines Privathauses in Hastedt, Seit 1856 in der Marienstraße 12, ab 1865 in der Hankenstraße. 1861 lehnte der Senat unter Bürgermeister Carl Friedrich Mohr den Antrag der Kaufleute und Vorsitzenden der Israelitischen Gemeinde Abraham Hammerschlag und Jacob Hesekiel Abraham zum Bau einer zentral gelegenen Synagoge, möglichst in der Nähe des Bahnhofs ab. Mohrs judenfeindliche Begründung spricht für sich. Ungeachtet der nominellen Gleichberechtigung, betrachtete er die jüdische Religion als minderwertig gegenüber der christlichen und erklärte zu der Bitte der Gemeindevertreter: Ich meine, daß sie abgeschlagen werden muss. Alles, was die Verfassung gewährt, geniessen sie. Eine anerkannte Religions-Gesellschaft sind sie nicht und stehen auch den christlichen 3 Konfessionen nicht gleich, können sich darauf nicht einmal de sequo berufen. Die reine Gutmütigkeit passt auch nicht hier, wo man principaliter von den Juden nichts wissen will. Man sollte sie daher ohne Phrasen, lediglich mit den Worten: Der Senat beschließt, 1. Dass dem Gesuch nicht zu willfahren sei, abweisen. 1871 gab es 321 jüdische Einwohner. 1880 gehörten 570 Personen zur Gemeinde, darunter einige kapitalkräftige Kaufleute. 1863 verlieh der Hohe Senat der jüdischen Gemeinde die Rechte einer juristischen Person und erkannte damit auch offiziell die jüdische Gemeinde an. Ihr offizieller Name ist nun israelitische Gemeinde , erst seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nennt sie sich Jüdische Gemeinde im Lande Bremen. Erst 15 Jahre nach ihrem abgelehnten Antrag erwirbt die Gemeinde ein Etagenhaus an einem bescheidenen Platz, in der Gartenstraße 6 im Schnoor, und lässt es durch den Architekten Johann Dietrich Dunkel zur Synagoge umbauen. Auch nach dem Umbau ist sie eher in dem Etagenhaus versteckt . Zur Einweihung der Synagoge kommen auch einige Senatoren, der Präsident der Bremischen Bürgerschaft und mehrere freisinnige Prediger . Im gleichen Jahr erscheint zum ersten Mal der Gottesdienst der jüdischen Gemeinde unter dem Stichwort öffentliche Gottesverehrung Damit ist der Prozess öffentlicher Anerkennung durch den Bremer Staat zunächst abgeschlossen. Der Prozess öffentlicher Anerkennung durch den Bremer Staat ist jedoch erst mit der Einweihung der Synagoge 1876 an einem bescheidenen Platz im Schnoor und der Aufnahme des jüdischen Gottesdienstes im Bremer Staatskalender im gleichen Jahr unter dem Stichwort öffentliche Gottesverehrung abgeschlossen. Es entwickelte sich parallel dazu ein Gemeindeleben, und gemeindeeigene Institutionen bildeten sich aus, zuerst vor allem Wohlfahrtseinrichtungen, seit der Jahrhundertwende zunehmend auch auf Geselligkeit und Kultur angelegte Vereine. In der Stadt herrschten große Vermögens- und Einkommensunterschiede aufgrund der weltweiten marktwirtschaftlichen Verflechtungen und Expansionen der Handelsunternehmen . Eliten und normale Bürger sonderten sich voneinander ab. Und es gab auch eine städtische Unterschicht, die im 19. Jahrhundert etwa 43% der Bevölkerung betrug und damit größer war als die soziale Mittelschicht und die Oberschicht. Die Mehrheit dieser Armen war allerdings in einem bürgerlichen Haushalt untergebracht, zum Beispiel als Hausangestellte, Gesellen und Lehrlinge oder Anverwandte und damit entsprechend versorgt . Die politischen und sozialen Konflikte des Vormärz bis in die 1860er Jahre, die Probleme des einfachen Volkes , dessen Alltag von Notfällen wie Deichbrüchen und Überschwemmungen, der Cholera oder Hunger begleitet war, führten etwa ab der Jahrhundertmitte zu einer Reihe von Vorsichtsmaßnahmen der Bremer Oberschicht und des Bürgertums. Es begann eine Serie von Vereinsgründungen, in denen sich private, bürgerliche Wohltätigkeit organisierte. Die städtische Elite, das städtische Armenwesen und bürgerliche soziale Vereinsgründungen kümmerten sich recht effektiv um die heimischen, städtischen Unterschichten, die privaten Vereine insbesondere um die sogenannten verschämten Armen , die städtische Armenhilfe insbesondere um arme Alte, Witwen und Waisen bzw. Kinder und Jugendliche. Allerdings endete bei Erwerbsunlust , Faulheit, Alkoholismus und Müßigkeit die bürgerliche Solidarität. Armut galt in Europa als individuelles Fehlverhalten und nicht als Folge gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts fühlten sich die Bürger zunehmend auch für andere Arme der Stadt, wie verarmte unzünftige Handwerker, entlassene Gefangene, Alkoholiker, Prostituierte, Kriegsopfer und Soldatenwitwen zuständig. Anspruch auf gesellschaftliche Führungspositionen und Herrschaft erwarb man sich in der nichtjüdischen wie auch in der jüdischen Gesellschaft durch wirtschaftliche Potenz, Bildung und den Nachweis von Gemeinsinn und Mildtätigkeit. Neben obrigkeitliche Spendenaufrufe aus Anlass von Notsituationen, wie Hochwasser und Feuersbrünste, und die mit der Diakonie verbundene städtische, vormals kirchliche Armenpflege als nebenberufliche Aufgabe von Senatoren und Bürgern der Bremer Oberschicht traten seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Bremen wohltätige Vereine. Das Prinzip der Selbstorganisation zur Durchsetzung eigener Interessen war für das ganze 19. Jahrhundert bedeutungsvoll. Es hatte sich als durchschlagkräftig und identitätsstiftend erwiesen. Die entscheidenden Anstöße für die kulturellen Gemeinschaftsaktionen des Bürgertums kamen nach Andreas Schulz historischer Expertise zum Bürgertum in Bremen vom Ende des 18. bis zur Wende zum 20. Jahrhundert dabei nicht von der Stadt, aus dem Senat oder der Bürgerschaft, sondern aus den Vereinen. Die Aktivitäten der bürgerlichen Vereine und wohltätigen Stiftungen bewegten sich dabei innerhalb eines staatlich vorgegebenen Rahmens und sprengten diesen nicht. Soziale Zielsetzungen standen dabei nicht unbedingt immer im Fokus bürgerlicher Initiativen. Kulturelle und politische Zielsetzungen oder bildungspolitische Vereinsinitiativen zogen zeittypisch viele Mitglieder an und banden Kapital. Soziale Vereinsaktivitäten richteten sich auf die Armutsfolgen eines improvidenten Lebens, das den betroffenen Menschen häufig nur ermöglichte mit ihrer Arbeit die Erfordernisse des nächsten Tages zu bestreiten. Jeder 7. Einwohner Bremens war um die Jahrhundertmitte z. B. in der Tabakindustrie beschäftigt, deren Betriebe nach der Gründung des Norddeutschen Bundes kurzer Hand ausgelagert wurden, wodurch viele Zigarrenarbeiter arbeitslos wurden. Empfänger privater Vereinswohltätigkeit waren jedoch zumeist nicht unspezifische Arme und Randständige der Gesellschaft wie Alkoholiker, Prostituierte, sondern sogenannte verschämte Arme , die sich nicht an die städtische Armenpflege wenden konnten oder wollten und zudem der Zuwendung würdig waren. Die Wohltätigkeit der Vereine richtete sich dabei nicht selten auf Angehörige der eigene sozialen Schicht, die in Notlagen geraten waren. Verarmungen auch im Besitzbürgertum durch Konkurs, Leichtsinn, oder Misswirtschaft waren häufiger. So werden vom Verein zum Wohlthun u.a. auch verarmte Hausbesitzer mitbetreut. Und der Frauenverein für verschämte Arme von 1816 hat die anvisierte Zielgruppe direkt in seinem Namen. Seit den 1870er Jahren differenzierte sich das Vereinswesen in Bremen nach spezifischen Interessen und Zwecken aus, im Gleichschritt mit der arbeitsteiligen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft . Den nächsten Anstoß für Vereinsgründungen mit sozialer Zielsetzung gab dann der deutsch-französische Krieg und die allgemeine Depression ab 1875, die sich über die Jahrhundertwende fortsetzte. Diese Vereinsgründungen waren einerseits Appeasementpolitik , die die Machtverhältnisse bewahren sollte. Sie brachten den Gebern durch soziale Kontakte und Anerkennung andererseits aber auch signifikant gesellschaftlichen Nutzen . Insbesondere die privaten Vereine ermöglichten vor der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 mit seinen staatlichen Wohlfahrtseinrichtungen und zeitgleich mit ihnen bis etwa zu Beginn des 1. Weltkrieges eine flexible bedarfsorientierte Wohlfahrt . Vereine waren mit ihren regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen als Finanzgrundlage eine sehr effektive Arbeits- und Wirkungsform nicht nur im sozialen Bereich, sondern in vielen anderen. Seit etwa der Jahrhundertmitte wählten auch die religiösen Gemeinschaften, so der 1849 entstandene evangelische Verein für innere Mission und seine Abzweigungen, und nur wenige Jahre später die katholische und die jüdische Minderheit, die Form des Vereins für ihre sozialen Zwecke. Neben der städtischen Armenfürsorge, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der kirchlichen Diakonie noch ehrenamtlich von Senatoren und der städtischen Elite geleistet wurde, und Stiftungen und Vereinen mit einem hierarchisch-patriarchalischem Verhältnis zu den zu Unterstützenden gab es auch genossenschaftliche Sozialhilfemaßnahmen, die auf das Prinzip der gegenseitigen Hilfe setzten. Ihre Wurzeln hatten diese genossenschaftlichen sozialen Institutionen in den Einrichtungen der Zünfte seit dem 17. Jahrhundert. Hospitäler, Herbergen und insbesondere die Kranken- Witwen- und Sterbekassen waren ein wichtiges Modell für die bürgerliche Selbsthilfe und Armenfürsorge, die späteren Einrichtungen der Arbeiterbewegung sowie die spätere staatliche Sozialgesetzgebung. Das genossenschaftliche Modell war in Bremen aufgrund des im Vergleich zu anderen Städten recht großen Wohlstandes recht erfolgreich und langlebig. Sowohl der Versicherungsgedanke als auch das genossenschaftliche Organisationsprinzip spielten in der frühbürgerlichen Selbstverwaltung eine zentrale Rolle . Berufsständische und kooperative Zusammenschlüsse prägten noch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts das soziale Leben der Stadt. Mit Genossenschaften glaubten Hermann Schulze-Delitzsch und seine Bremer Propagandisten, der Volkswirtschafter und Journalist sowie ab 1860 Syndicus der Bremer Handelskammer Victor Böhmert und der Publizist August Lammers, ein Parteigänger der liberalen Marktökomnomie, eine Lösung für die wirtschaftlich schwachen und unterlegenen Kleinproduzenten gefunden zu haben. Genossenschaften waren um 1860 im wohlhabenden Bremen eine wichtige Organisationsform vor allem der selbständigen Handwerker. In den bedrängten Sparten des Handwerks, bei Schuhmachern, Schneidern und Tischlern trugen die Genossenschaften dazu bei den Anpassungszwang an die liberale Marktökonomie zu mildern. Nach 1873 wurden in Bremen in schneller Folge Handwerkervereine gebildet, die den Charakter von Notgemeinschaften hatten. Zu ihren Zielen gehörten Abwehrmaßnahmen gegen Streiks, die Einführung von Arbeitsnachweisen sowie auch die Gründung von Krankenkassen . In ihnen organisierten sich offenbar insbesondere selbständige Handwerker, dazu Kaufleute, Krämer und Fabrikanten, Freiberufler und Rentiers. Unselbständige Gesellen und Lohnarbeiter – die von Schulze-Delitzsch und Böhmert anvisierte Zielgruppe – bildeten dagegen eine verschwindend kleine Gruppe. Aber auch der im Dezember 1849 als Zweigverein gegründete Zigarrenmacher-Assoziations-Hauptverein und der 1851 gebildete Zigarrenmacherverein hatten als Ziel vor allem gegenseitige Unterstützung gegen die Wechselfälle des menschlichen Lebens, das heißt Krankheit, Invalidität, Tod und Arbeitslosigkeit. Ihre Klientel, Arbeiter oder Selbständige, gehörte wie die unterbürgerliche Schicht der Arbeitsleute, die im Hafen oder in der Spedition arbeiteten, zu den von Armut bedrohten oder schlicht armen Schichten der Bevölkerung.

Über den Autor

Jeanette Jakubowski, geb. 1961, Studium der Geschichte und Germanistik an der Freien Universität Berlin. Wissenschaftliche Hilfskraft an der Stiftung Neue Synagoge-Centrum Judaicum in Berlin. Magistra Artium 1993, Fortbildung zur Mediendokumentarin in Bremen. 1997-98 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Erinnern für die Zukunft e.V./Staatsarchiv Bremen. Ab 1998 Arbeit als Stadtführerin in Bremen, Nachhilfe im Studienkreis, Zweitstudium DAZ/DAF (Lehramt, Primarstufe u. Sek. I) an der Universität Bremen, Abschluss 2005. Integrationskursleiterin. Publikationen zu den Themen Antisemitismus und jüdische Geschichte.

weitere Bücher zum Thema

Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.