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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 316
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Während die etablierten Landeskirchen und zum Teil auch die Freikirchen über anhaltenden Mitgliederschwund klagen, zählen die russlanddeutschen Freikirchen in Deutschland zu den am schnellsten wachsenden Kirchengemeinden des Landes und tragen dadurch entscheidend zur Veränderung der kirchlichen Landschaft in Deutschland bei. Das schnelle Wachstum dieser Gemeinden ist auf ihre außer- und innerkirchlichen gemeindepädagogischen Aktivitäten zurückzuführen, die sie in der ehemaligen Sowjetunion und in Russland zu Zeiten der Verfolgung als Überlebensstrategie entwickelt haben und nun auch in Deutschland erfolgreich anwenden. Die vorliegende Publikation, die sich auf die Ergebnisse einer empirischen Studie in Form einer Umfrage bezieht, skizziert das religiöse Erscheinungsbild russlanddeutscher Freikirchen in Deutschland und zeigt die Kraftquellen dieser Bewegung auf, die in ihrer Gemeindepädagogik zu finden sind. Sowohl Landes- als auch Freikirchen in Deutschland können von russlanddeutschen Christen lernen, wie man auch in einer Gesellschaft, die sich immer mehr von ihren christlichen Wurzeln und Werten entfernt, als Kirchengemeinde erfolgreich wachsen kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1, Definition von Gemeindepädagogik: Gemeindepädagogik ist ein relativ junger Begriff, der am Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts in Erscheinung getreten ist und in kurzer Zeit eine große Akzeptanz seitens führender Religionspädagogen gefunden hat. Die Anfänge der Gemeindepädagogik können jedoch schon in der Zeit des Dritten Reiches gesehen werden. Aufgrund der veränderten politischen Lage der 30er Jahre und der damit verbundenen Veränderung in der Beziehung zwischen Kirche und Staat wurde es für die Kirche notwendig, die Verantwortung für die religiöse Erziehung mehr in die eigene Hand zu nehmen. Unter dem Stichwort ‘Gesamtkatechumenat’ wurde eine eigenständige kirchlich christliche Erziehung aufgebaut, die Kinder und Jugendliche in die volle Gemeinschaft der Kirche einführen sollte. Nach 1945 wurde diese Bemühung auch auf die Erwachsenen ausgeweitet. Das Gesamtkatechumenat wurde als Bezugsrahmen gesehen, innerhalb dessen sowohl das Hauskatechumenat als auch das Schulkatechumenat ihren Platz fanden. Die Verantwortung für diese Aufgabe wurde von Pfarrern, aber auch von Katecheten, Gemeindehelfern und christlichen Lehrern wahrgenommen. Im Jahre 1974 wurde der Begriff ‘Gemeindepädagogik’ von Enno Rosenboom und Eva Heßler durch öffentliche Vorträge ins Gespräch gebracht und in den darauf folgenden Jahren sehr schnell rezipiert. Die Hintergründe der überraschend schnellen Rezeption sind in der gesellschaftlichen Herausforderung und in der pädagogischen und kirchlichen Situation der 70er Jahre zu finden. Die rasanten Veränderungen innerhalb der Gesellschaft führten in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zum Werteverfall, zur Aufgabe traditioneller Verhaltensmuster, zu Orientierungslosigkeit und Sinnverlust, die eine Umgestaltung des Bildungs- und Erziehungswesens notwendig machten. Mit Hilfe einer Bildungsreform wurde versucht, auf diese Situation zu reagieren. Diese konnte jedoch nicht viel bewirken. Die fehlenden finanziellen Mittel, der Widerstand der konservativen Kräfte und die Aufgabe aller moralischen Normen und Werte ließen keine langfristigen Ergebnisse entstehen. In den meisten Fällen blieb es bei Reformversuchen, um kurzfristig Defizite zu beseitigen. Diese Entwicklung ging auch an der Kirche nicht spurlos vorbei. Sie forderte die Kirche heraus, ihr traditionelles pädagogisches Konzept in Frage zu stellen. Im Jahre 1971 wurde diese Frage auf der EKD-Synode ausführlich diskutiert mit dem Ergebnis, dass man sich für eine Reform des kirchlichen Bildungswesens aussprach. Doch im Jahre 1978 wurde die eigentlich darauf aufbauende ‘Bildungssynode’ der EKD mit der Resignation der Bildungspolitik in der Gesellschaft konfrontiert. Die Kirche musste sich nun noch intensiver den allgemeinen Bildungsproblemen stellen. Die Umwälzungen innerhalb der Gesellschaft der 70er Jahre trugen dazu bei, dass die Kirche von Unsicherheit und Unbeweglichkeit geprägt wurde. Immer mehr Menschen der neuen Lerngesellschaft investierten Zeit und Geld in die Bildung. Eine Folge war, dass ‘die Bindung an die Kirche [...] proportional zum formalen Bildungsstand’ immer mehr abnahm. Denn ‘je höher das Bildungsniveau, rein formal, von den Bildungsabschlüssen her betrachtet [war], desto wahrscheinlicher [...war die] Distanz und Kritik gegenüber der Kirche’. Diese Entwicklung innerhalb der Gesellschaft forderte die Kirche heraus, Reformversuche in Bereichen der kirchlichen Bildung einzuführen. Sie fanden ihren Niederschlag in der Entwicklung des Religionsunterrichts und in der Gestaltung traditioneller und neuer pädagogischer Handlungsfelder der Gemeinde. Dies trug dazu bei, dass man mit dem Begriff ‘Gemeindepädagogik’ hohe Erwartungen verband. Die inhaltliche Füllung des Begriffes war jedoch von der jeweiligen Begründung und Absicht, mit der er verwendet wurde, abhängig. Bei der Definition von Gemeindepädagogik weist Reimund Blühm auf mehrere wichtige Elemente hin: ‘Gemeindepädagogik ist die Theorie und Praxis der Bildungs-, Erziehungs- und Lernvorgänge, die sich aus dem Evangelium ergeben und für das Leben in der Gemeinde und ihren Dienst in der Welt von Bedeutung sind.’ Ziele der Gemeindepädagogik sind für ihn die Einführung in den christlichen Glauben und die Befähigung zum Bekenntnis und Dialog. Gemeindepädagogik befasst sich ‘mit den pädagogischen Aufgaben und Möglichkeiten, die der Erkenntnis des christlichen Glaubens wie seiner Deutung und Bewährung im Leben dienen’. In der Bemühung um eine Definition bibelorientierter Gemeindepädagogik unter der Berücksichtigung der Ekklesiologie, Anthropologie und Pädagogik kommt Markus Printz zu folgendem Ergebnis: Von Gott beauftragte Glieder der Gemeinde versuchen unter Beachtung der besonderen Charakteristika einer gemeindlichen Erziehung auf biblischer Grundlage zu helfen, daß andere Gemeindeglieder (oder Menschen, die es werden wollen) nach dem biblischen Zeugnis erwünschte Kenntnisse, Haltungen und Fähigkeiten erwerben, erworbene dauerhaft verbessern und erhalten und unerwünschte ablegen bzw. erst gar nicht annehmen. Das Verhältnis zwischen Religionspädagogik und Gemeindepädagogik wurde seit dem Aufkommen des neuen Begriffs unterschiedlich definiert. Die Vorschläge reichen von der Ablösung der Religionspädagogik durch die Gemeindepädagogik über die gegenseitige Über- und Unterordnung der Begriffe bis hin zu einer angemessenen Zuordnung beider Begriffe. Die Mehrheit der Religionspädagogen versteht die Religionspädagogik als Oberbegriff, dem die Gemeindepädagogik zugeordnet ist. Bei der Gemeindepädagogik geht es dabei um eine Pädagogik, die auf die Gemeinde bezogen ist. Manche sehen in der Gemeindepädagogik eine Weiterentwicklung der Katechese. Obwohl der Begriff ‘Katechese’ zum Teil im Westen durch die Religionspädagogik und im Osten durch die Gemeindepädagogik abgelöst wurde, hat man ihn an vielen Stellen erhalten, ‘um die Bedeutung einer eigenständigen Kinder- und Konfirmandenarbeit in der Gemeinde’ zu bezeichnen. In dieser Hinsicht kann er als untergeordneter Begriff der Gemeindepädagogik verstanden werden. Im Vergleich zu anderen Begriffen hebt sich der Begriff ‘Gemeindepädagogik’ von allen ab, weil er wie kein anderer es schafft, ‘alle päd[agogisch] relevanten Phänomene, Prozesse und Aufgabenstellungen’ zusammenzufassen, ‘die mit der Entstehung, dem Aufbau und dem Wachstum christl[icher] Gemeinde wechselseitig verknüpft sind’. Die Gemeinde rückt hier in den Mittelpunkt und wird als ‘Lernort gesehen, dessen Lernangebote und -formen in einem inneren Zusammenhang mit den Chancen stehen, als Gemeinde zu wachsen und sich zu entwickeln’. Die Gemeindepädagogik trägt zum Gemeindewachstum bei und identifiziert somit ihre Ziele mit den Zielen der Gemeinde. Auch das Lernverständnis bekommt in der Gemeindepädagogik neue Aspekte, denn christliche Erziehung und Unterweisung vollziehen sich primär nicht durch Belehrung, sondern ‘im Leben der Gemeinde, in der erziehenden Wirkung eines Lebensstils, eines erfahrenen Glaubens, einer erlebten christl[ichen] Gemeinschaft und Spiritualität’. Erziehung geschieht vorwiegend im Prozess des ‘Gespräches, das Erfahrungen deutet, Lebenszusammenhänge vom Glauben her erschließt und kritische Auseinandersetzungen ermöglicht’. Das paulinische Verständnis der Gemeinde als Leib Christi, das in der Gemeindepädagogik vorausgesetzt wird, hat unter anderem dazu beigetragen, dass die reformatorische Erkenntnis vom allgemeinen Priestertum wieder betont wird. Die Folge davon ist, dass gemeindepädagogische Aufgaben nicht nur von Pfarrern bzw. Pastoren, sondern auch von einzelnen Christen, Gruppen und Initiativen wahrgenommen werden, indem man die Gaben und Fähigkeiten des Einzelnen fördert und zur Geltung bringt. Die Gemeinde wird somit zur ‘Gemeinde der Beteiligten’ bzw. ‘Gemeinde der Befreiten’, ‘die berufen und befähigt sind zum Dienst aneinander und in Beruf, Gesellschaft und Welt’. Diese Entwicklung führte dazu, dass man neben der theologischen Ausbildung von Pfarrern auch die Zurüstung von anderen kirchlichen Mitarbeitern förderte. So wurden zu Beginn der 70er Jahre die Evangelischen Fachhochschulen eingerichtet, die Religions- und Gemeindepädagogen ausbilden sollten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich nach Klaus Goßmann mindestens vier Ansätze der Gemeindepädagogik gezeigt: (1) Der integrative Ansatz versteht Gemeindepädagogik ‘als eine die verschiedenen pädagogischen Arbeitsfelder übergreifende, profilierende und integrierende Reflexions- und Handlungsdimension unter der Integrationsformel ‘Kommunikation des Evangeliums’’. (2) Der strukturelle Ansatz ‘fragt nach den Konsequenzen, die die G[emeindepädagogik] für das jeweilige Ziel der Gemeindearbeit, für die Zusammenarbeit verschiedener kirchl. Mitarbeiter ..., für berufsübergreifendes Lernen, für das Zusammenspiel von ‘Verheißung und Verwaltung’ hat’. (3) Der gemeindlich-gemeinwesensorientierte Ansatz ist bemüht, ‘sozialwissenschaftl[ich]-gesellschaftsdiakon[ische] Aspekte so zu entfalten, dass eine katechetisch-gemeindliche Engführung vermieden, das Recht des Einzelnen, Subjekt seiner Bildung und Entwicklung zu sein, gewahrt und Gemeinde in ihrem gesellschaftsbezogenen Auftrag gestaltet wird’. (4) Beim gemeindlich-reformorientierten Ansatz wird ‘im Blick auf die großen ökumen. Aufgaben wie Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung [gefragt] nach dem Beitrag der Kirchen für eine zukunftsfähige Gesellschaft und nach den Konsequenzen, die sich hierbei für den Lernort Gemeinde selbst ergeben’. Alle vier Ansätze sprechen wichtige Aspekte an, die von der Gemeindepädagogik ganzheitlich berücksichtigt werden müssen. Die Studie des Begriffes hat ergeben, dass Gemeindepädagogik als Theorie und Praxis aller Bildungs-, Erziehungs- und Lernvorgänge, die sich aus der Heiligen Schrift für das Leben und den Dienst der Gemeinde ergeben, verstanden werden kann. Gemeindepädagogik eignet sich daher im deutschen Sprachraum am ehesten als Begriff, um alle pädagogischen Bemühungen der Gemeinde zu bezeichnen. In diesem Sinne ist die Gemeindepädagogik das deutsche Äquivalent für das englische Christian Education. 2.2, Gemeindepädagogisches Konzept: Dieses Konzept soll als Kriterium für die Analyse des religiösen Erscheinungsbildes russlanddeutscher Freikirchen in Deutschland dienen. Anhand dieses Konzeptes sollen sodann Vorschläge für die Zukunft erarbeitet werden. Ausgangspunkt für die Darstellung eines eigenen Konzeptes sind drei bewährte Konzepte, die aufgrund von Untersuchungen und langjährigen Erfahrungen in den Bereichen des Gemeindewachstums (Paul Beasley-Murray), der Jüngerschaft (LeRoy Eims) und des zielorientierten Gemeindeaufbaus (Rick Warren) entwickelt worden sind. Einige Aspekte dieser Konzepte werden in die Darstellung des eigenen gemeindepädagogischen Konzeptes einfließen.

Über den Autor

Dr. Heinrich Löwen, geboren 1960 in Asien, ist im Baltikum aufgewachsen und hat in Deutschland, den USA, Kanada und Belgien studiert sowie als Theologe gewirkt. Sein Studium der Evangelischen Theologie schloss er mit einem Diplom in Deutschland, einem Master in den USA und einem Doktor der Theologie (Ph.D.) in Belgien ab. Zuletzt lehrte er als Theologieprofessor in Kanada und Belgien. Der Schwerpunkt seiner Forschung und publizistischen Tätigkeit liegt auf der Geschichte, Religion und Kultur russlanddeutscher Christen sowie der Gemeindepädagogik.

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