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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Unser menschliches Verhältnis zu Tieren ist von Ambivalenz und Widersprüchlichkeit geprägt - der Gegensatz Nutztier - Haustier macht dies offenkundig. In der Studie Das Machtverhältnis zwischen Mensch und Tier im Kontext sprachlicher Distanzierungsmechanismen wird diesem Phänomen aus sprachlicher Perspektive begegnet. Die Kritische Diskursanalyse (KDA) ist ein interdisziplinärer Ansatz, der sich damit beschäftigt, wie gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse durch den Transport ideologischer Annahmen in der Sprache reproduziert und gefestigt werden. In der vorliegenden Studie wird die KDA auf das Machtverhältnis zwischen Menschen und Tieren angewandt. Die untersuchten ideologischen Annahmen beruhen auf den Konzepten Anthropozentrismus, Speziesismus und Karnismus, welche von einem öko-pathozentrischen Standpunkt aus kritisiert werden. Es wird vermutet, dass gewisse sprachliche Mittel (Vergegenständlichung, Instrumentalisierung, Anonymisierung, Euphemismen und Abwertung) eine kognitive und emotionale Distanz zu gewissen Tieren schaffen und so die genannten ideologischen Annahmen reproduziert werden. Die Ambivalenz der menschlichen Gefühle gegenüber anderen Tieren rührt unter anderem daher, dass Menschen den Tieren sozial konstruierte Kategorien zuweisen. Die jeweilige Kategorie ist oft entscheidend für das individuelle Schicksal eines Tieres. Dabei spielt insbesondere die Zuteilung zu den übergeordneten Kategorien essbar und nicht-essbar eine Rolle. In der vorliegenden Studie werden dazu unterschiedliche Beispieltexte herangezogen und auf anthropozentrische und speziesistische Merkmale hin geprüft.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel, 2.2.3.1: Kategorisierung ‘essbare’ und ‘nicht-essbare’ Tiere: Bevor wir näher auf die Kategorisierung von ‘essbaren’ und ‘nicht-essbaren’ Tieren eingehen, soll zunächst erläutert werden, was aus psycholinguistischer Sicht unter ‘sprachlichen Kategorien’ zu verstehen ist. Konzeptuelle und – wenn sie ‘in Sprache niedergelegt sind’ (Pörings/Schmitz 1999:15) – sprachliche Kategorien haben Teil an der Wissensorganisation, die es erlaubt, Informationen im Gedächtnis zu speichern und wieder abzurufen. Man spricht von sogenannten mentalen Repräsentationen. Eine umfassende Darstellung des komplexen Themas der mentalen Repräsentationen mit Berücksichtigung unterschiedlicher Auslegungen kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit soll es genügen, generelle Annahmen über mentale Repräsentationen in groben Zügen darzustellen. Mentale Repräsentationen bilden die Grundlage für die Strukturierung und Organisation von Wissen und die effiziente Verarbeitung von Informationen. (Vgl. Schmidthals 2005:37) Nach einer allgemeinen Definition sind mentale Repräsentationen innere Abbilder, die durch die Reize der Umwelt, die auf Personen wirken, geschaffen werden. Ein äußerer Reiz bzw. dessen äußere oder innere Merkmale wird bzw. werden also ‘im kognitiven System des Menschen in eine entsprechende Form übersetzt’ (Schmidthals 2005:37). Kurz gesagt: Mentale Repräsentationen bilden im Gedächtnis die äußere Welt ab (Vgl. Schmidthals 2005:37f.). Nach Anderson (1996) werden prinzipiell wahrnehmungsbezogene (imaginale) von bedeutungsbezogenen (konzeptuellen) Wissensrepräsentationen – zu denen die Kategorien gehören - unterschieden. (Anderson 1996:133ff.) Wahrnehmungsbezogene Repräsentationen entsprechen in etwa dem sinnlich Wahrgenommenen – d.h. sie ‘enthalten viel von der Struktur der ursprünglichen Wahrnehmungserfahrung’ (Schmidthals 2005:38). Bedeutungsbezogene, also konzeptuelle Repräsentationen hingegen sind ‘weiter von der Art der sinnlichen Erfahrung entfernt’ (ibid.) – d.h. die sinnliche Erfahrung tritt in den Hintergrund und wird z.B. durch sprachlich-semantische Repräsentationen ersetzt. Im Gedächtnis wird dabei eher die konzeptuelle Eigenschaft der wahrgenommenen Information gespeichert als die sinnliche Wahrnehmungserfahrung. Dies geht nach Anderson mit einer ‘bedeutsamen Abstraktion [einher], die von den (sensorischen) Erfahrungen […] wegführt’ (Anderson 1996:147). Dabei wird das ‘Bedeutsame eines Ereignisses herausgefiltert’ und vom ‘Unwesentlichen abstrahiert’ (Anderson 1996:133). Informationen können auf diese Weise effizient verarbeitet und geordnet sowie ökonomisch im Gedächtnis gespeichert werden (Vgl. Schmidthals 2005:38). Werden Informationen auf diese Weise zu Gedächtnisinhalten abstrahiert und im Wissensgedächtnis abgelagert, so spricht man von konzeptuellem oder kategorialem Wissen. (Vgl. Anderson 1996: 147/149). Pörings/Schmitz (1999) definieren ein Konzept als ‘Vorstellung davon, wie etwas in der Realität ist’ (15). Konzepte können sich auf einzelne gedankliche Elemente (z.B. eine bestimmte Person) beziehen oder auch auf ein ganzes Set von gedanklichen Elementen. Das Konzept ‘Tier’ bezieht sich beispielsweise auf eine Reihe gedanklicher Einheiten wie ‘Hund’, ‘Käfer’, ‘Fisch’ etc. Solche Konzepte, die mehrere gedankliche Einheiten zusammenfassen, nennt man auch konzeptuelle oder sprachliche Kategorien (Vgl. Pörings/Schmitz 1999: 14f.). Konzepte als Form mentaler Repräsentationen bilden somit die Grundlage für das Zuordnen von Wahrgenommenem zu Kategorien. (Vgl. Anderson 1996:147) Die Zuordnung zu Kategorien erfolgt über ‘das Erkennen des konzeptuell Gemeinsamen’ (Schmidthals 2005:62). Es wird von individuellen Objekten abstrahiert und gemeinsame Merkmale werden extrahiert. Diese Zuordnung zu einzelnen Kategorien ist unerlässlich, um die diffuse tagtäglich rezipierte Reizmenge zu bewältigen. Neue Informationen und Eindrücke werden interpretiert, indem Neues mit im Langzeitgedächtnis gespeicherten Konzepten abgeglichen und bei Erkennen von Identität oder Äquivalenz den jeweiligen Konzeptkategorien zugeordnet wird (Vgl. Fairclough, 1989:10f). Konzeptbildung und Kategorisierung stehen in enger Beziehung zueinander. Durch das Zuweisen zu Kategorien können mentale Vorstellungen, zu denen die Konzepte zählen, mental sortiert werden. Das Zuordnen von außersprachlichen Gegebenheiten zu sprachlichen Kategorien erfolgt meist automatisch: ‘Immer wenn wir etwas wahrnehmen, ordnen wir es unmittelbar in Kategorien ein.’ (Pörings/Schmitz 1999:15) Neue und alte Informationen werden auf diese Weise geordnet und bewertet. Diese Ordnung ist für das menschliche Denken unabdingbar, da ansonsten die alltäglich auf uns einprasselnden Eindrücke und Informationen gar nicht verarbeitet werden könnten. Dem Zuordnen zu Kategorien liegt nicht so etwas wie eine ‘objektive Realität’ zugrunde, sondern ‘unsere Wahrnehmung, unser Wissen und unsere Einstellung […] kurz unsere menschliche Erfahrung’ (15). Die Einteilung in sprachliche Kategorien ist demnach per se (im moralisch neutralen Sinne) anthropozentrisch, da sie aus menschlicher Sicht und nach menschlichen Kriterien erfolgt. Als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft übernehmen wir in der Regel die vorhandenen Kategorien unhinterfragt in unser eigenes Denken. Meist bestehen Kategorien aus unterschiedlichen Abstraktionsstufen und einem verzweigten Netz aus untergeordneten Subkategorien oder auch ‘Oberbegriff-Unterbegriff-Relationen’ (Anderson 1996:147). Wollen wir also vom Begriff ‘Golden Retriever’ bzw. vom allgemeineren Konzept ‘Hund’ sprechen, so könnte man von einer übergeordneten Kategorie ‘Lebewesen’ ausgehen, die mit verschiedenen untergeordneten Kategorien verzweigt wäre: Mensch, Tier, Pflanze, etc. Der Kategorie ‘Tier’ könnte auf einer untergeordneten Hierarchie- bzw. Abstraktionsebene mit der Kategorie ‘Heimtier’ oder auch – nach Melanie Joy (2010) – ‘nichtessbare Tiere’ vernetzt sein. Das Konzept ‘Nutztiere’ wird hingegen in einer eigenen Unterkategorie der Kategorie ‘Tier’ repräsentiert, die nach Melanie Joy prinzipiell mit dem Konzept ‘essbare Tiere’ gleichzusetzen sei. (Vgl. Joy 2010:14f.) Die Information, dass bestimmte Tiere essbar seien, ist vermutlich zugleich bei einem hierarchiehöheren Konzept, etwa bei ‘Nahrungsmittel’, gespeichert (Vgl. Anderson 1996:149). Die im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen über Tiere, die in die Kategorie ‘Nutztier’ fallen (wie Schweine, Kühe, Hühner etc.) unterscheiden sich nach Joy grundlegend von jenen, die über Tiere der Kategorien ‘Heimtiere’ gespeichert sind. Werde der Begriff ‘Golden Retriever’ in Verbindung mit ‘Fleischessen’ oder ‘Schlachten’ genannt, so passe dies nach Joy (2010) nicht zum Konzept ‘Heimtier’ und rufe daher bei vielen Menschen ein Gefühl der Ablehnung hervor. Denn das Konzept ‘Heimtier’ bzw. ‘nichtessbares Tier’ beinhalte nach Joy die Konnotation eines lebendigen und vielleicht als sympathisch empfundenen Hundes. Mit dem Fleisch von Tieren aus der Kategorie ‘essbar’ hingegen verbänden wir andere Konnotationen – wie dessen Geschmack und Geruch, die Art der Zubereitung oder den Nährwert – wir denken weniger an ein lebendiges Rind, Schwein, Lamm oder Huhn, von dem es stammen könnte. Joy spricht in diesem Zusammenhang von einer Dichotomie. Die beiden Kategorien ‘essbar’ und ‘nichtessbar’ würden als dualistische Gegensätze mit Werten beladen, die meist auf wenig und unangemessener Information beruhten (Vgl. Joy 2010:122). Joy vermutet, dass die Kategorisierung von Tieren in ‘essbar’ und ‘nichtessbar’ dazu führe, dass der gedankliche Vorgang, der eine Verbindung zwischen dem Produkt ‘Fleisch’ und dem lebendigen Tier, von dem es stammt, herstellen würde, übersprungen werde, insofern es sich um Nutztiere handle. Demnach führe diese Kategorisierung zu Vorurteilen und zu Diskriminierung von bestimmten Tierarten. Wie wir innerhalb eines Kulturkreises mit einer Tierart umgehen, hänge, so Joy, nur begrenzt mit dem Tier und dessen individuellen Eigenschaften selbst zusammen, sondern eher mit unserer Wahrnehmung und Kategorisierung. In jedem Kulturkreis herrsche eine stille Übereinkunft darüber, welche Tiere in die Kategorie ‘essbar’ gehörten und welche nicht. Aus allen Tierarten habe sich im Laufe der Zeit in jeder Kultur eine gewisse Anzahl von Tieren herauskristallisiert, die als essbar gelten. Obwohl diese Auswahl von Kultur zu Kultur variiere, tendierten die Mitglieder einer jeden Kultur im Allgemeinen dazu, die eigene Wahl als moralisch erhabener und vernünftiger einzuschätzen und das Essen von gesellschaftlich nicht dazu deklarierten Tierarten hingegen als unappetitlich und unzivilisiert (Vgl. Joy:15ff). Die Zuteilung zur Kategorie ‘essbar’ bzw. ‘Nutztier’ gilt wie gesagt aus speziesismus-kritischer Sicht als problematisch, da mit dieser Zuordnung eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung einhergeht. Joy vermutet, dass es Menschen leichter falle, ein Tier (bzw. dessen Fleisch) zu essen, wenn das Tier von Geburt an dazu ‚bestimmt‘ sei, geschlachtet zu werden und allein zu diesem Zwecke gezüchtet werde (Vgl. Joy 2010:122) Die Autorin Karen Duve formuliert dieses Phänomen wie folgt: Es liegt am Etikett. Wenn nicht ‘bester Freund’, sondern ‘Nutztier’ draufsteht, hört sich das an, als wären Kühe dazu da, geschlachtet zu werden oder Milch zu geben. Aber Tiere sind nicht per se zur Ausbeutung für Menschen da. Genauso wenig, wie Frauen für Männer da sind oder schwarze Menschen für weiße. Die Leute nehmen hin, dass Tiere gequält werden, wenn man ihnen versichert, dass es die Bestimmung der Tiere sei. Sie nehmen alles hin (Hildebrandt 2013). Mentale Repräsentationen spielen bei der Kritischen Diskursanalyse eine wichtige Rolle. Nach Van Dijk sind sie Teil einer ‘sozialen Wahrnehmung’ (social cognition) (1997:27), denn Mitglieder einer Gesellschaft teilten durch die aktive und passive Teilnahme an Diskursen in etwa dieselben oder ähnliche mentale Repräsentationen. Durch die diskursive Verankerung und Verbreitung von Ideologien werden die individuellen mentalen Repräsentationen eines jeden Gesellschaftsmitglieds und damit wiederum dessen Handlungen beeinflusst. (Vgl. Stibbe 2001:148) Auch die Zuordnung von Tierarten zu bestimmten Kategorien und die dahinterstehenden Ideologien Speziesismus und Karnismus sind, wie sich zeigen wird, diskursiv verankert und werden durch Diskurs reproduziert und gefestigt. Faiclough (1989) bezeichnet die den Kategorien zugrunde liegenden mentalen Repräsentationen kollektiv als members resources (MR). Bei einem kommunikativen Verstehensprozess werde eine sprachliche Äußerung beim Empfänger abhängig von den vorhandenen (im Langzeitgedächtnis gespeicherten) MR interpretiert. Fairclough postuliert, dass die MR gesellschaftlich bestimmt und ideologisch geprägt seien, wobei die Annahme, es handle sich um Urteile des gesunden Menschenverstands und das Automatische und Unbewusste solcher Verstehensprozesse zu einer Verschleierung dieses Umstandes führten. Da MR zumeist unreflektiert und automatisch angewandt würden, seien sie ein kraftvolles Mittel, um die Machtverhältnisse, die ihnen zugrunde liegen, aufrechtzuerhalten (Vgl. Fairclough 1989:10f).

Über den Autor

Sandra Mahlke arbeitet als freiberufliche Übersetzerin für Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch in Köln. Sie schloss das Studium der Übersetzungswissenschaft an den Universitäten Heidelberg (B.A.) und Genf (M.A.) im Jahr 2013 ab. Zuvor studierte sie einige Semester Germanistik und Philosophie an der Universität Freiburg (i .Br.).

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