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Pädagogik & Soziales

Manfred J. Foerster

Charakter totalitärer Herrschaftsformen. Psychogramme des Bösen

ISBN: 978-3-95935-552-0

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 02.2021
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In den in diesem Buch entwickelten Psychogrammen von Hitler, Speer, Himmler und Höß spiegelt sich die gesamte Bandbreite der nationalsozialistischen Herrschafts- und Vernichtungsideologie sowie ihres Rassenwahns und dessen bürokratische und technologische Umsetzung in den Todesfabriken (Hannah Arendt) der Vernichtungslager Auschwitz, Birkenau, Treblinka u.a. wider. E.T.A. Hoffmann hat in seiner Erzählung Der Magnetiseur in der Figur des Alban jene dämonische Macht in der Ödnis einer sinn- und moralentleerten Welt literarisch vorweggenommen, in der es keinerlei ethische und soziale Hemmungen mehr gibt. Die phantastischen Bilder der Morbidität und des Unterganges, die E.T.A. Hoffmann entwarf und die noch in literarischer Ästhetik verblieben, wurden durch Hitler indes in alleräußerster Konsequenz verwirklicht und bildeten somit die Grundlagen seiner Politik. Hitlers Rassenwahn hat die Schwelle zu einer Biopolitik überschritten, deren Schatten ihre Vergangenheit überdauern und sich gegenwärtig in politischen Prospekten Gehör verschaffen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel: Moralische Verwerfungen der Moderne. Psychoanalyse, Monotheismus und Kulturprozeß – Freuds Visionen vom Triumph der Zivilisation: Zivilisation ist der Versuch, die Gewalt zur ultimo ratio zu machen, wer die Gewalt als prima ratio und als unica ratio erwählt, der schafft die Norm, die jede Norm aufhebt. Er setzt somit die Magna Charta der Barbarei fest. (nach Ortega y Gasset) 1930 beschrieb Sigmund Freud in seiner Schrift Das Unbehagen in der Kultur die Entwicklung des historischen Kulturprozesses, der letztlich zum humanen Charakter sozialer Gemeinschaften beitrug im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte der großen monotheistischen Religionen wie Judentum und Christentum. Aus diesen entwickelte sich im Verlaufe der Kulturgeschichte jenes Wertesystem und ethische Gesellschaftsverständnis, welches wir im weitesten Sinn als ein wesentliches Merkmal abendländischer Kultur verstehen. In diesem, in soziokulturellen Hinsicht, evolutionären Prozeß sah Freud die Herausbildung menschenverbindender Ideale, den Verzicht auf Mord, Terror und Gewalt zugunsten gewisser ethischer Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens, dessen psychologische Grundlage die Sublimierung ursächlich archaischer Triebregungen bildet. Ontologisch betrachtet, sollte sich die Vorherrschaft des Ich gegenüber dem Es durch den Prozeß von Erziehung und Sozialisation konstituieren und dauerhaft in der Persönlichkeit verankert werden oder genauer gesagt, durch Triebbeherrschung und die sogenannten Ich-Funktionen den Charakter eines Menschen ausbilden, worunter in unserem Kulturkreis die sozialpsychologische Voraussetzung zu einer sozial vernünftigen Identität verstanden wird. Ebenso sah Freud in der Vorherrschaft der Vernunft über mythische Denkformen den Zeitpunkt gekommen, magische und mystische Praktiken aufzugeben, welche bis dahin die soziokulturellen Umgangsformen bestimmten und als Paradigmen zwischenmenschlicher Beziehungen, die Bewältigung sozialer Konflikte in Form von archaischen Praktiken regelten. Indem diese Praktiken an Bedeutung verloren, war der kulturanthropologisch entscheidende Schritt getan, aus der Befangenheit unergründlicher Zwänge eines archaischen Naturglaubens herauszutreten und statt dessen das normative Wertesystem an eine höhere Autorität im Sinne einer konsensfähigen, gemeinschaftsverbindenden und rational nachvollziehbaren Instanz zu binden. Eine der wesentlichen Voraussetzungen hierzu geschah durch die Verbindlichkeit der Zehn Gebote. Zugleich wurde hierdurch das Naturrecht des Stärkeren aufgehoben, auf das sich erklärtermaßen die nationalsozialistische Weltanschauung berief. Erst durch den historischen Prozeß der Rationalisierung des Glaubens an eine höhere Macht, der zugleich die Komplexität von verwirrenden und mystischen Götterinstanzen in einem langen kulturellen Prozeß auf einen monotheistischen Gottesbegriff reduzierte, war es fortan möglich, verbindliche Über-Ich-Strukturen zu entwickeln, denen universelle Gültigkeit zugesprochen und die von einer anerkannten Autorität abgeleitet werden konnten. Hierdurch etablierte sich eine theologische Diskursebene, die in einem rationalen Kontext die Existenz Gottes und somit die hiervon abgeleiteten Normen und Gesetzmäßigkeiten begründete. Glaube und Vernunft bildeten unter diesen Voraussetzungen keinen Widerspruch. Bis zur Säkularisierung die einen Neuhumanismus einleitete, welcher einem Glauben an Selbstverwirklichung und Erziehung zugewandt war, schien die geoffenbarte Theologie frei von philologischen Rationalisierungen, die sich besonders in Deutschland erfolgreich entwickeln konnten und die religiöse Haltung unterminierte. Bevor es dazu kam, überformte das theologisch normative Moralverständnis alle übrigen gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen und galt über lange Epochen als umfassende, verbindliche Über-Ich-Instanz, welche das Leben der Menschen, ihr Seinsverständnis, ihre gesellschaftliche Rolle und ihren Weltdeutungen die prägende Richtung vorgab. Bis in die rechtlichen Instanzen hinein galt daher die Religion als, eine Abschwächung des Glaubens, Zweifel an der Verbindlichkeit religiöser Autoritäten und Institutionen und ein allmählicher Erosionsprozess des Verhaltens aus dem ursprünglichen Glauben heraus. Im Zentrum der christlichen Ordnung, die nach wie vor Gültigkeit besaß, stand nicht mehr der Glaube, sondern vielmehr die normative Kraft von Institutionen und über allem die ehrfurchtgebietende Aura des Staates, dem charismatische Eigenschaften zugesprochen wurden. Jene Ehrfurcht, die einst dem Religiösen, dem Dienst an Gott vorbehalten gewesen war, wurde auf weltliche Institutionen und deren Praktiken übertragen. Im 19. Jahrhundert erreichte der pseudoreligiöse Kult um Nation und Vaterland seinen Höhepunkt. Glauben und Religion wurde ein scheinbarer Begründungscharakter zugesprochen und in nationalistisch- chauvinistischer Weise vereinnahmt. So hieß es, dass Gott Deutschland 1871 den Sieg über den französischen Erzfeind schenkte, und insbesondere die protestantische Kirche und der Kaiser erbaten göttlichen Segen für einen christlich-germanischen Staat. Die Segnungen der Waffen und die flehentliche Gewissheit Gott mit uns begleiteten die militärischen Expansionen, bei denen es um die Existenz der ganzen Nation zu gehen schien. Dem Staat als übermächtige Autorität wurde sowohl vom aufkommenden deutschen Idealismus als auch vom liberalen Protestantismus ein quasi religiöser Nimbus zugesprochen, so dass zumindest bis 1914 der Protestantismus für die oberen Schichten zu einer Staatskirche aufstieg und das Bündnis zwischen Thron und Altar sakrosankt war. Die oberen Schichten hingen einem verwässerten Glauben an, der aus einer Mischung aus Luthers Ethos der Arbeit und des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit, christlicher Rhetorik und der Lehren des deutschen Idealismus bestand. Der Historiker Fritz Stern hat diesen schleichenden Verlust an substantieller Religiosität eine stille Säkularisierung genannt. Der Rückzug aus dem Christentum und die Verlagerung religiöser Empfindungen auf den Staat, der weitgehend von der breiten Masse unbemerkt und stillschweigend verlief, haben zu einem erheblichen Teil zur allgemeinen Heuchelei und Bigotterie der wilhelminischen Gesellschaft beigetragen, was sich auch in der moralischen Doppelbödigkeit gesellschaftlicher Umgangsformen und sittlichen Standards bemerkbar machte. Ganz im Sinne dieses pseudoreligiösen Kultes forderte der Staat seinen Tribut an weihevollen Verehrungsbezeugungen in Gestalt von Nationalfeiertagen und Nationaldenkmälern, wie beispielsweise das Deutsche Eck in Koblenz oder die Germania bei Rüdesheim, und nicht zuletzt durch Hymnen, in denen die Macht und Größe der Nation besungen wurde. Das allgemeine Religionsverständnis war gewissermaßen nationalistisch entleert und diente nur noch zur Aufrechterhaltung und Legitimation staatlicher Repräsentanz und Macht und zur Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Vermutlich waren die Eliten in Staat und Gesellschaft im traditionellen Sinne kaum mehr Gläubige und religiöses Empfinden und Lebenshaltungen wurden für die unteren Schichten proklamiert, da man befürchtete, diese an den Zeitgeist der zunehmenden Gottlosigkeit zu verlieren, womit in erster Linie sozialistische Ideen gemeint waren, und von denen man staatszersetzende Tendenzen befürchtete.1 Hier bereits zeigten sich die Schatten eines wachsenden destruktiven Nationalismus, der die tradierten Inhalte und Wertmuster des religions- und kulturgeschichtlichen Ich-Ideals, von denen Freud einst sprach, in Frage stellen sollte. Wenngleich es im Verlaufe der Kirchengeschichte immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen über die theologischen Kernbestandteile der christlichen Religionen gekommen ist, so scheint es doch unbestreitbar zu sein, dass erst mit der historischen Entfaltung der monotheistischen Gottesvorstellung und deren sozialer Ausformung der universalistische Anspruch von Menschenrechten, der Achtung vor dem Leben und die Gebote des sittlichen Umganges der Menschen untereinander im Rahmen sozialer Normen an Bedeutung gewannen. Während langer Epochen der soziokulturellen Evolution von Normen und Werten fand die zuvor religionsanthropologisch relevante Erkenntnis, Eingang in die alltägliche Lebenspraxis von Menschen und sozialen Organisationen. Über die Prozesse von Erziehung und Sozialisation verankerten diese Werte sich in der Gewissensbildung, oder, um mit Freud zu sprechen, sie bestimmten im Wesentlichen das Über-Ich Ideal. Bei aller theologischen Unterschiedlichkeit berufen sich die christlichen und jüdischen Religionen auf die Universalität spezifischer Normen, wie sie in den Zehn Geboten verankert sind. Durch den Prozess der Erziehung und Sozialisation werden diese Regeln und Normensysteme als Über-Ich-Instanzen primär durch die elterlichen Bezugspersonen vermittelt, um somit als Ideal-Ich Eingang in das moralische Bewusstsein und Gewissen des Individuums integriert zu werden. Infolge laizistischer Staatsformen, die sich im Zuge der Aufklärung entwickelten und das mittelalterliche theologische Staatsverständnis ablösten, wurde das Ich-Ideal aus seinem ursprünglichen Begründungszusammenhang gelöst und in einen gesellschaftlichen und gleichermaßen politischen Diskurses gestellt, der sowohl für das einzelne Individuum, als auch für den Staat verbindlich zu sein hat. Mit anderen Worten, das Ich-Ideal transformierte sich aus seinem ursprünglichen religiösen Anspruch in soziale Bindungsmuster. Der Prozess der Säkularisierung hat nun letztlich dazu geführt, dass das theologisch-religiöse Seinsverständnis in die Privatsphären verschoben und vom öffentlichen Leben getrennt wurde, wie es bereits in Luthers Zwei Reichen-Lehre konzipiert erscheint. Damit war in gesellschaftspolitischer Hinsicht sowie in der politischen Praxis von Staat und Kirche der Trennung von kirchlichen und staatlichen Ebenen der Weg bereitet. Somit konnten auch die außerreligiösen Deutungshorizonte ausgeweitet werden. Infolge der Säkularisierung emanzipierte sich das wissenschaftliche Denken von religiösen und mystischen Vorstellungen, was nicht zuletzt zum Erfolg der Naturwissenschaften beigetragen haben mag. Hierdurch wurde nicht nur dem Irrationalismus entgegengesteuert, sondern ebenso dem Anspruch entgegengewirkt, die Welt aus mystischen und archaisch naturrechtlichen Deutungen erfassen zu wollen, wie dies etwa in der Archetypenlehre des Schweizer Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung behauptet wird, indem dieser ein künstlich unlösbares Problem zu einer übervernünftigen Antwort macht, die sich einer empirischen Beweisführung entzieht.2 Der gleiche Irrationalismus liegt einem Denken zugrunde, die Welt und die Stellung des Menschen apodiktisch aus der Schöpfungslehre heraus zu erklären, wie dies beispielsweise in christlich-fundamentalistischen Kreisen in den Vereinigten Staaten mittlerweile wieder üblich geworden ist. Indes bildeten die Ideen der Aufklärung keinen ideellen Widerspruch zum monotheistischen Seinsverständnis, sondern überformten die bereits tief verwurzelte christlich-jüdische Ethik und gaben ihr gewissermaßen einen weltlichen Überbau, ohne sie jedoch in ihrem kulturellen Kern zu zerstören. Eine wirkliche Zerstörung des ethischen Kerns, dem gleichermaßen religiöse und säkularisierte humane Denkgewohnheiten innewohnen, blieb dem Totalitarismus des Dritten Reiches vorbehalten, indem dieser alle Werte und Normen auf den Kopf stellte. Die Ideen der Aufklärung versöhnten hingegen die christlich-humane Ethik mit den gesellschaftspolitischen Vorstellungen einer liberalen, toleranten und offenen Gesellschaft, in der sowohl die Gleichberechtigung der Frau, als auch die unveräußerliche Würde des Menschen, die als unantastbar gilt, einen Wert an sich darstellen. Säkularisierung bedeutete auch Religionsfreiheit und Freiheit von der Religion, insoweit der Staat seine normativen Begründungen nicht mehr religionstheoretisch ableitete. Sigmund Freud hatte darauf hingewiesen, dass das Über-Ich-Ideal vor allem soziale Wortvorstellungen enthält, die den Grundtenor demokratischer und liberaler Verfassungen bilden sowie Gebote und gesellschaftliche Normenmuster, die durch die generative Weitergabe von kulturellen und sozialen Inhalten im gesellschaftlichen Kontext verankert sind und die kognitiv-kulturellen Standards einer menschlichen Gemeinschaft auf fast allen Ebenen wesentlich beeinflussen sollten. Die universale Gültigkeit der Menschenrechte darf daher in dieser Hinsicht als eine außerordentliche Errungenschaft des abendländischen Kulturprozesses angesehen werden. Trotz aller Einwände gegen die Notwendigkeit sozial wünschenswerten Triebverzichtes, wie sie gelegentlich von verschiedenen Kulturkritikern vorgebracht wurden, sah Freud dennoch im Fortschritt der Geistigkeit und somit in einer Einschränkung des Lustprinzips zugunsten des Leistungsprinzips den einzigen Weg, das Überleben einer zivilisierten Gesellschaft auf Dauer zu sichern. Für ihn war daher die Kultur und die mit ihr verknüpfte Zivilisation jener verletzliche Firniss, unter dem die destruktiven Kräfte des Menschen einigermaßen berechenbar bleiben. Jeder Bruch dieses fragilen Systems von humaner Kultur würde alle zerstörerischen Kräfte freisetzen, die eine zivilisierte Gesellschaft an den Rand ihrer Existenz bringen. Freud war der Auffassung, dass durch die Nichtbefriedigung und Verlagerung archaischer Triebwünsche mittels ihrer Sublimierung erst die kulturellen Leistungen entstehen können. Das psychische Kapital lasse sich demzufolge in kulturelle Leistungen investieren, statt in unmittelbarer Lusterfüllung. Aus dem Blickwinkel der Psychoanalyse betrachtet, enthüllt sich das Geheimnis der Sublimierung als das Geheimnis des bürgerlichen Kapitalismus im 19. Jahrhundert. Jene Prosperität des Frühkapitalismus konnte sich letztlich dadurch entfalten, indem auf kurzfristigen Gewinn verzichtet und stattdessen längerfristige Perspektiven der Maximierung von Produktionsbedingungen entwickelt wurden also Investitionen in die Zukunft getätigt wurden, statt kurzfristigem Lustgewinn . Analog dem Reichtum, der das Ergebnis des Sparens ist, ist die Kultur und die Zivilisation das Produkt der Triebversagung und einer Einschränkung des Lustprinzips zugunsten des Leistungsprinzips. Wenngleich Freuds Theorie auf den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts beruhte, so scheint doch unbestritten zu sein, auch im Hinblick auf die Gegenwart, dass die Zivilisation und deren Normen und kognitiv-kulturellen Verhaltensmuster sich erst auf der Grundlage eines Verzichtes archaischer Bedürfnisse und Verhaltensformen entfalten konnten. Trotz aller ideellen Perspektiven, welche die Sublimierung von archaischen Trieben dem Menschen bietet, ist der Bestand zivilisatorischer Verhältnisse stets gefährdet. Historisch betrachtet bleibt festzustellen, dass die Beherrschung destruktiver Phänomene eher zu den Ausnahmeerscheinungen in der Entwicklung menschlicher Gemeinschaften gehört, wie uns die Geschichte zuweilen gelehrt hat, und die Regel der Sieg des Drachens über St. Georg ist und nicht, wie in der Legende, St. Georg den Drachen besiegt. Lediglich verheißt die Legende die Hoffnung auf eine Welt, in der das Gute über das Böse siegt, dem jedoch die historischen Erfahrungen entgegenstehen, ansonsten wäre es keine Legende, welche die Projektionen einer inneren Geschichte als unerreichbares Ideal-Ich in bildhafter Sprache schildert. Hierbei bedient sie sich Personen, die das positive alter ego unserer eigenen dunklen Seiten darstellen. Zwischen dem realen Ich und dem Ideal-Ich liegen scheinbar unüberbrückbare Gegensätze. Jedoch die Hoffnung auf eine bessere Welt liegt auch in einer Utopie des Vollkommenen. Und somit wurde Freuds Hoffnung die destruktiven Regungen mittels Sublimierung im Rahmen eines kognitiv-kulturellen Kanons von Regeln und ethischen Standards einigermaßen in Schranken halten zu können, durch die Erfahrungen des ersten Weltkrieges mit seinem bis dahin nie gekannten Zerstörungspotential in Frage gestellt. Freud sah angesichts der zerstörerischen Kräfte, die im Ersten Weltkrieg freigesetzt und im Anschluss auf vielen kulturellen und gesellschaftlichen Ebenen zum Ausdruck kamen und sich im gesellschaftlich-kulturellen Kontext des beginnenden 20ten Jahrhundert bemerkbar machten, wie etwa das Aufkommen des italienischen Futurismus mit seiner Todesverherrlichung, daher nicht nur mehr den Lebenstrieb als ein libidinöses Aggregat des Unbewussten. Offenbar schien der Drang zum Tode und zur unbelebten Materie, welcher dem Leben entgegensteht, ebenso kraftvoll in der Psyche des Menschen seine Wirkungsweisen zu erfüllen.3 Wie für viele andere auch, bedeutete für Freud der Erste Weltkrieg mit der Explosion unvorstellbarer destruktiver Kräfte das Ende der Illusion vom stetigen Fortschritt der Humanität. So warnte er davor, wenn die Sublimierung des archaischen Triebapparates der bösen Gelüste aufhört, dann zeige sich, dass die Menschen zu Taten von Rohheit, Tücke, Verrat und Grausamkeit fähig sind, deren Realisierung man mit ihrem kulturellen Niveau für unvereinbar gehalten hätte.4 Übermächtig erschienen ihm die Destruktionskräfte der menschlichen Natur und sein Glauben an das gute und dem Grunde nach vernünftige Gelingen der menschlichen Geschichte verlor seinen Optimismus. Trotz aller gegenteiligen Erfahrungen war er dennoch versucht anzunehmen, dass jenseits aller religiösen Ideale die Sublimierungskraft des Menschen so- weit gediehen sei, dass sie das Böse und Abgründige in Schranken halten könne. Übersehen hat Freud, dass das Böse kein Begriff ist, sondern eine Bezeichnung für das Bedrohliche, welches dem freien Bewusstsein begegnet und von ihm getan werden kann, in freier Entscheidung und mit wachem Verstand. Und dieser kann die Zerstörung und die Grausamkeit wählen um ihrer selbst willen5 und jenseits aller Möglichkeiten der Sublimierung. Denn auf die oftmals gestellte Frage, wo denn Gott in Auschwitz gewesen sei, könnte möglicherweise die Antwort lauten, dass Gott deswegen in Auschwitz nicht sein konnte, da man ihn vorher aus freiem Entschluss aus dem öffentlichen Leben verbannte und sich für sein Gegenteil, das absolut Böse entschieden hatte. In den unzähligen Opfern und demjenigen, was zu den Verbrechen führte, ist sein Einfluss zerstört worden und die Orientierung an göttlichen Geboten aufgegeben worden.

Über den Autor

Dr. Manfred J. Domgraf Foerster studierte Psychologie, Erziehungswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Aachen und Mainz und promovierte in Heidelberg über die Analytische Psychologie Carl Gustav Jungs. Der Autor leitete über 20 Jahre die Beratungs- und Fortbildungsstelle für ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter/innen im hessischen Strafvollzug. Für diese Tätigkeit ist er mit dem Förderpreis der Fritz-Bauer Stiftung und mit dem Wilhelm Fay Gedächtnispreis der Stadt Frankfurt/Main ausgezeichnet worden. Er ist als Lehrbeauftragter im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz tätig, mit den Schwerpunkten: Frühkindliche Bindungserfahrungen und Sozialisation, Ursachen und Auswirkungen von Persönlichkeitsstörungen sowie Persönlichkeitsprofile von Gewalt- und Sexualdeliktern. Darüberhinaus ist er seit über 10 Jahren als Supervisor im Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe- Landesverband Rheinland Pfalz e.V. tätig. Die in diesem Buch behandelten Themen sind im Rahmen einer Vorlesungsreihe des Autors an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz gehalten worden. Wichtigste Veröffentlichungen: Individuation und Objektbeziehung Eine Auseinandersetzung mit der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs (Aachen 2000) Bindungstheorie und Persönlichkeitsstörungen bei Klienten der Straffälligenhilfe, in: DVJJ 2002/ Heft 3 Lasten der Vergangenheit Traditionslinien zum Nationalsozialismus (London 2006) Zur Psychopathologie des Rassismus und Antisemitismus (Aachen 2009) Übertragung-Persönlichkeitsstörungen und das Dilemma des Helfers, in: Bewährungshilfe Soziales- Strafrecht- Kriminalpolitik 2003/ Heft 1) Zum Umgang mit Sexual- und Gewaltdelinquenten in der Straffälligenhilfe aus Sicht der Objektbeziehungs- und Bindungstheorie, in: Bewährungshilfe Soziales- Strafrecht- Kriminalpolitik/ 2003/ Heft 3 Frühe Traumatisierungen und Delinquenz- der Täter als Opfer seiner Biographie. Zur Wirklichkeit früher Traumatisierungen im Kontext der Straffälligenhilfe (Ursachen- Auswirkungen- Perspektiven) in: Neue Praxis, 2005/Heft 4 Die antisoziale Persönlichkeit im Strafvollzug dargestellt an der Person des Hannibal Lecter aus dem Film Das Schweigen der Lämmer, in: Forum Strafvollzug, 2013/ Heft 3 Bildungsbürger Nationaler Mythos und Untertan Betrachtungen zur Kultur des Bürgertums (Aachen 2009).

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