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  • Der sprachgeschichtliche Wandel der deutschen Schulterminologie als Resultat der Bildungsreformen im 19. Jahrhundert

Kunst & Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In der vorliegenden Studie sind diejenigen sprachgeschichtlichen Vorgänge berücksichtigt worden, die sich auf das schulische Leben auswirkten. Hierzu gehören beispielsweise Umstrukturierungen bestehender und Bildung neuer Termini, die sich auf Lehrer, Schüler, Unterrichts- und Schulorganisation bezogen. Das vorliegende Buch ist eine linguistische Abhandlung mit starken Bezügen zur Kulturgeschichte, vor allem zur Bildungsgeschichte. Gerechtfertigt dadurch, dass die Darstellung der Geschichte der Sprache vor dem Hintergrund der sozialgeschichtlichen Entwicklung erfolgen muss. Die Sprachgeschichte eines Volkes, richtig verstanden und betrieben, darf keinen bloß antiquarischen Charakter tragen – sie muss vielmehr wie in einem Brennspiegel seine geistige, soziale und politische Geschichte erkennen lassen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.3, Der Humboldtsche Reformversuch um 1810: Anfang des 19. Jahrhunderts, in der wohl entscheidendsten Prägephase des preußisch-deutschen Schulwesens, taucht eine durchaus wichtige Staatsdeutung und Staatsaufgabe auf, die wiederum spezifisch deutsch ist und sowohl das Schul- als auch das Staatsverständnis vor allem der akademisch gebildeten Deutschen fast bis in die Gegenwart hinein bestimmt: die Deutung des Staates als Kultur-, Bildung- und Erziehungsstaat. Nach dieser Ansicht braucht der Staat nicht nur Macht-, Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen wahrzunehmen, sondern er hat auch zugleich der Wahrheit, der Bildung und der Sittlichkeit zu dienen. Der Staat ist somit eine ‘universelle Kulturanstalt’. Diese Kulturstaatstheorie wird in unterschiedlichen Varianten und mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen vertreten. Wenn die bildungspolitischen Bestrebungen und Reformbemühungen bis Anfang des 19. Jahrhunderts noch von den Spuren der Aufklärung geprägt waren, so setzte sich dann – insbesondere in den ersten drei Jahrzehnten nach 1800 – die neuhumanistische Bildungsidee in Deutschland durch. Das Bürgertum begann sich im Hinblick auf seine Niederlagen verstärkend als Bildungsbürgertum zu charakterisieren, das sich zwar einerseits durch wirtschaftliche Erfolge, aber andererseits auch durch moderne Ausbildung legitimiert glaubte. Man suchte die Herrschaft nicht im Reich der Politik, sondern vorwiegend im Reich der neuhumanistischen Ideen, die ‘schön, gut, wahr und edel waren’. Angestrebt wurde also eine Wiederbelebung des Staates und der Gesellschaft auf der Grundlage von Humanität und einer allgemeinen Menschenbildung. In diesem Zusammenhang muss zweifelsohne Wilhelm von Humboldt (1767-1835) genannt werden. Eben in ihm fand der aufsteigende Neuhumanismus seinen bedeutendsten Vertreter, der imstande war, die neuhumanistischen Bildungskonzeptionen zur Grundlage konkreter Unterrichtsreformpläne zu machen. Mit seiner Ernennung zum Leiter der Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts im Jahre 1809 begann eine Zeit der direkten Einflussnahme der neuhumanistischen Ideen auf die Neugestaltung des Schulwesens in Preußen des 19. Jahrhunderts. Die von Humboldt eingeführte Reform des Bildungswesens zwischen 1808 und 1819 war eingeordnet in das Gesamtkonzept preußischer Reformen (Stein-Hardenbergisches Reformprogramm). Diese hatten eine grundlegende Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens durch eine Neuordnung des Staatswesens zum Ziel. In diesem Sinne entwarf der neuhumanistische Reformator zusammen mit seinen wichtigsten Mitarbeitern, den Staatsräten Johann Wilhelm Süvern und Georg Heinrich Nicolovius, das Programm eines neuen Unterrichtswesens. Wilhelm von Humboldt war aber kein Pädagoge im üblichen Sinne. Er hat sich bis 1809, dem Jahr seiner Amtsübernahme, um die pädagogische Fachliteratur der Zeit gar nicht oder nur ganz wenig gekümmert. Im Januar 1809 wurde Humboldt als Sektionschef ins Innenministerium berufen. Er trat an die Spitze der ‘Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts’. Humboldt war ein harmonisch gebildeter, für das alte Griechentum begeisterter Aristokrat, der auch die ästhetischen Grundsätze der deutschen Klassik ganz in sein Wesen aufgenommen hatte. Er hat wie ‘kaum ein anderer sein stark ästhetisch gefärbtes humanistisches Bildungsideal in sich selbst zu verwirklichen gesucht’. Das Musterbild der Bildung fand er in der antiken griechischen Kultur. In der Zeit seiner Aktivität im Innenministerium hat Humboldt seinen Einfluss auf die verschiedensten Gebiete der Bildungswesensorganisation geltend gemacht. Seine Ernennung schien anfangs fraglich, da er erstens kein direkter Bildungstheoretiker, zweitens kein Verwaltungsfachmann war und drittens auch keine besonderen Kenntnisse vom preußischen Bildungswesen besaß. Seine Qualifikationen lagen also auf einer völlig abstrakten Ebene. Durch sein Bildungsdenken aber, seine überdurchschnittlich reiche Ideenwelt und seine Menschenliebe hielt man ihn für diese Aufgabe geeignet und auch deshalb, weil er die erforderliche Distanz und Selbständigkeit hatte, um die anstehenden Aufgaben durch objektive Argumentation zu lösen und dann die nötigen Neuordnungen wirkungsvoll einzuleiten. Am eindeutigsten hat Humboldt seine Absichten über die Neuordnung des öffentlichen Bildungswesens im ‘Königsberger’ und im ‘Litauischen Schulplan’ zum Ausdruck gebracht. In den beiden Schulentwürfen, die er im Jahre 1809 niederschrieb, verteidigte Humboldt die Einrichtung eines einheitlichen und allgemeinbildenden Bildungswesens, das die universale Menschenbildung zum Ziel haben sollte. Diese allgemeine Menschenbildung muss laut Humboldt strikt von der Berufsbildung getrennt werden. Die Allgemeinbildung ist vorrangig vor der Berufsbildung, denn nur sie kann eine gesamte Qualifizierung des Menschen garantieren. Im ‘Litauischen Schulplan’ schrieb Humboldt: ‘Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. – Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muss abgesondert und nach vollendetem allgemeinem Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen, noch vollständige Bürger einzelner Klassen’. Humboldt propagierte die Erziehung zum richtigen Bürger und wandte sich somit gegen die herrschende Untertanenmentalität. Um diesem Ziel Vorschub zu tun und eine Überbrückung der Unterschiede zwischen ärmeren und reichen Bevölkerungsschichten zu erzielen, musste er das im Wesentlichen ständisch geprägte Schulsystem völlig abschaffen und versuchen, eine neue Schulgliederung einzuführen. Demzufolge sollte es nur noch ein einheitliches, dreistufiges, der Kontinuität verpflichtetes und aufeinander aufbauendes Bildungswesen geben, das sich im Elementar-, Schul- und Universitätsunterricht konkretisierte. Alle drei genannten Teile sollen eine Ganzheit bilden. Humboldts Idealbild vom gelehrten Individuum zufolge hatte nur derjenige, der sich mit hoher Begeisterung am wissenschaftlichen Arbeiten in Freiheit und Einsamkeit ‘völlig dem Studium widmete, die nötige Distanz zum Alltagsleben, aus der heraus er vorurteilsfrei Gedanken und Meinungen entwickeln könnte’. Der Humboldtsche Bildungsreformplan erstreckte sich – wie angedeutet – auf niederes und höheres Schulwesen sowie auf Universität, die aber in der vorliegenden Studie nicht thematisiert wird. Auf diesen drei Stufen sollen die genannten Reformgrundsätze verwirklicht werden. Aber das, was Humboldt beanspruchte, und das, was daraus wurde, sind jedoch zwei – sehr unterschiedliche – Dinge. Er bestand auf dem Vorrang der allgemeinen Menschenbildung vor der Berufsbildung. Mit den gewaltigen Veränderungen seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts – dem gewaltigen Bevölkerungsanstieg, der zunehmenden Industrialisierung, der dynamischen Entwicklung der Technik, dem hervorragenden Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen neuen Lebensverhältnissen – ging auch ein Wandel des Lebensgefühls einher. War man während der klassisch-idealistischen Zeit mehr dem Ideellen zugetan, so wandte man sich nun vorwiegend der ‘realen’ Welt zu und neigte auf diese Weise zur Versachlichung vieler Lebensgebiete. Alles Spekulative und Irrationale musste jetzt in Frage gestellt werden. Von diesem sich seit etwa 1830 entwickelnden und in den nachfolgenden Jahrzehnten dominierenden realistischen Zeitgeist war auch das damalige schulische Denken und Handeln bestimmt, wo utilitaristische Standpunkte wieder in den Vordergrund traten. Somit wurde Bildung – ähnlich wie im Zeitalter der Aufklärung – als ‘Schulung des Intellekts und als Nutzbarmachung des Menschen für das ökonomisch-soziale Dasein’ verstanden. Dem fortschreitenden technischen Denken entsprechend, gewannen vor allem mathematische, naturwissenschaftliche und technische Inhalte an Bedeutung, die Realien wurden in die Lehrpläne verstärkt aufgenommen und der beruflichen Bildung wurde viel mehr Beachtung geschenkt. Es kam auf diese Art und Weise zu einer starken Verzweigung des Bildungswesens, verbunden auch mit harten Status-Kämpfen zwischen den einzelnen Schultypen und der raschen Entwicklung des Schulwortschatzes. Dennoch beeinflusste Humboldt mit seinem Reformwerk – trotz seiner nur kurzen Amtszeit als Sektionschef für Unterricht und Kultus, in der er nur einiges zum Abschluss bringen bzw. manches in die Wege leiten konnte – das allgemeinbildende Schulwesen in ganz Deutschland – auch noch lange nach der preußischen Reformphase.

Über den Autor

Dr. Radoslaw Lis wurde 1980 in Radom (Polen) geboren. Sein Studium der Germanistik an der Universität Warschau schloss der Autor im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Doktors erfolgreich ab. Fasziniert von der deutschen Kultur und Sprache, verbrachte der Autor längere Zeit in Deutschland, um die Besonderheiten des Deutschen kennenzulernen. Seine Tätigkeiten bei verschiedenen Bildungsanstalten motivierten ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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