Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

Psychologie


» Bild vergrößern
» Blick ins Buch
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 11.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Abb.: 15
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Studie untersucht die Auswirkung von Desorientierung auf gedächtnisbasierte Objektlokation im Umraum und thematisiert diesbezüglich die menschliche Raumwahrnehmung. Das Konzept Raum ist fast schon so lange Gegenstand von wissenschaftlicher Arbeit, wie die Wissenschaft an sich Teil der menschlichen Kultur ist. Vor allem in den naturwissenschaftlichen Disziplinen Mathematik und Physik ist das Konzept Raum essenzieller Bestandteil der Forschung, er wurde aber auch durch geisteswissenschaftliche Disziplinen wie die Philosophie immer wieder betrachtet und analysiert. Für die dagegen relativ junge Forschung im Bereich der Kognitionspsychologie ist vor allem die Frage interessant, wie der Raum von uns als Handlungsumgebung wahrgenommen wird. Es soll untersucht werden, wie systematische Desorientierung die gedächtnisbasierte Lokation von Objekten im Umraum beeinflusst und inwiefern sich die räumliche Desorientierung von Akteuren auf deren Fähigkeiten zur gedächtnisbasierten Objektlokation auswirkt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3, Objektlokalisierungen unter eingeschränkten Bedingungen im realen Umraum: In diesem Abschnitt soll der bisherige Forschungsstand zu Fragen der Objektlokalisierung unter solchen Bedingungen betrachtet werden, unter denen Sicht und Gehör dem Akteur nicht zur Verfügung stehen. Damit wird auf die verschiedenen Annahmen hingearbeitet, die erklären, warum sich tatsächliche Positionswechsel von imaginären in ihrer Leistung unterscheiden können, was sich der konkreten Fragestellung des später betrachteten Experimentes weiter annähert. Vor allem für Menschen ist die Fähigkeit bedeutend, die Perspektive auch imaginär verändern zu können, z. B. um sich in die Perspektive von anderen hineinzuversetzen, um ihnen Anweisungen zu geben oder im Sport die eigenen und die Bewegungen von Mitspielern aus fremder Perspektive nachzuvollziehen (May 2004). Experimentelle Untersuchungen zur Objektlokalisierung im Umraum ermöglichen genaue Aufschlüsse über das Zusammenwirken von sensorischen, motorischen und kognitiven Mechanismen der Verarbeitung und Repräsentation von Umrauminformationen. Sie sind daher für die Theorienbildung zur Umraumkognition von zentraler Bedeutung. Ein Problem in diesem Forschungsbereich ist jedoch das Fehlen von übergreifenden Theorien, was auf eine mangelnde Zielstrebigkeit der Forschung schließen lässt (May 2000). Untersuchung von imaginären und lokomotorischen Bedingungen sind speziell betrachtenswert, da sie Situationen der Arbeit unseres Vorstellungsvermögens darstellen, in denen strategische, also der Planung dienenden kognitive Prozesse von räumlicher Gedächtnisabfrage und Generierung von Abbildern mit nichtstrategischen, also reagierenden sensomotorischen, Prozessen welche sich aus der Eigenbewegung im Raum ergeben, interagieren (May 1996). Bei der Betrachtung von Objektlokalisierungen müssen zwei Ebenen der Raumverarbeitung berücksichtigt werden (May 2000): Erstens die sensomotorische Ebene, basierend auf den egozentrischen Referenzsystemen. Hier erfolgt eine afferente (also vom Zentralen Nervensystem wegführende) oder efferente (also zum Zentralen Nervensystem hinführende) Kodierung von Raumwerten beim Wahrnehmen und Handeln im Raum. Eine methodische Verbindung von sensorischen und motorischen Systemen auf dieser einen Ebene erscheint dahingehend sinnvoll, dass beide Systeme an der Rauminformationsaufnahme beteiligt sind. Zweitens ist die kognitive Ebene zu berücksichtigen, welche sowohl auf egozentrischen als auch auf allozentrischen Referenzsystemen basiert. Die Speicherung und Transformation von Raumwerten, die Handlungsplanung, und Sprachproduktion und Sprachverständnis bauen dabei auf den Leistungen der sensomotorischen Systeme auf, bevor sie durch die kognitiven Systeme verarbeitet werden. Die Raumwertkodierung aus visuellen, akustischen, vestibulären und kinästhetischen Informationen erfolgt ebenfalls auf der sensomotorischen Ebene (Gazzaniga, Ivry & Mangun 1998). Gewonnene Informationen werden in einem Raumwertgedächtnis zwischengespeichert, und stehen in dieser Form der kognitiven Ebene zur Verfügung. Ein Output erfolgt in einer Abfolge über die kognitiven und anschließend die motorische Systeme. Er äußert sich dann in räumlichem Verhalten, was eine Auswirkung auf die Umwelt zur Folge hat, die wiederum durch sensomotorische Systeme aufgenommen wird und damit zum Neubeginn des Prozesses führt. Das räumliche Arbeitsgedächtnis spielt als kognitives System eine bedeutende Rolle bei der Objektlokalisierung (May 2000). Das Arbeitsgedächtnis dient der ‘kurzzeitigen Bereithaltung und kognitiven Manipulation von Rauminhalten und Raumwerten’ (May 2000, S. 27). Es dient darüber hinaus, als kognitives System, auch der Aufmerksamkeitszuwendung, Bewegungsplanung und Bewegungssteuerung sowie der Sprachproduktion (Kluwe 1997b). In der Forschung bestehen mehrere Haupttheorien, wobei Fragen der Umrauminformation in Verbindung mit sensomotorischen Mechanismen bisher kaum betrachtet wurden. Zur thematischen Abgrenzung muss angemerkt werden, dass May (2004) davon ausgeht, dass die Bildung von kognitiven Karten nur im Langzeitgedächtnis erfolgt, daher sollten sie für die Betrachtungen des Arbeitsgedächtnisses keine Rolle spielen. Dies schließt meiner Ansicht nach jedoch nicht die Nutzung von allozentrischen Repräsentationen bei der Objektlokalisierung im unmittelbaren Umraum aus, da sich kognitive Karten als Orientierung für eine Repositionierungsaufgabe nicht ausschließen. Eigenschaften wie feste Referenzrichtungen und Betrachterunabhängigkeit könnten für einen Akteur von Nutzen sein. Positionswechsel im realen Umraum, wie sie im Rahmen dieses Abschnitts betrachtet werden, bezeichnet May (2000) als handlungsnahe Untersuchungen von Objektlokalisierungsleistungen unter Einbettung des Akteurs in einen realräumlichen Kontext. Der Einfluss von sensorischen und sprachlich-konzeptuellen Mechanismen auf die Objektlokalisierung soll dabei bestenfalls neutralisiert werden. Gedächtnisbasierte Perspektivwechsel, wie sie ohne Sicht und Gehör der Fall sind, bezeichnen eine komplexe kognitive Aufgabe, inklusive der Prozesse der Reizidentifikation, der Abfrage aus dem Raumgedächtnis, der Positions- und Objekttransformation sowie der Planung und Ausführung der Reaktion (May 2004). Unter imaginären Repositionierungen sind hier solche Situationen zu verstehen, in denen ein Proband in einer ihm vertrauten räumlichen Umgebung die Augen schließt (bzw. ihm die Sicht genommen wird). Anschließend stellt er sich die veränderten Positionen und Perspektiven in seiner Umgebung vor (May 1996 dort noch als kognitive Repositionierung bezeichnet). Als lokomotorische Repositionierungen bezeichnet man solche Situationen, in denen ein Proband ebenfalls in einer ihm vertrauten räumlichen Umgebung die Augen schließt (bzw. ihm die Sicht genommen wird). Anschließend stellt sich der Proband ebenfalls veränderte Positionen und Perspektiven in dieser Umgebung vor und nimmt diese, im Gegenteil zu imaginären Repositionierungen, auch körperlich tatsächlich ein, jedoch weiterhin ohne Sicht und Gehör (May 1996 dort noch als verkörperlichte Repositionierung bezeichnet). Durch eine Kombination dieser Möglichkeiten sind noch andere Repositionierungsmodi denkbar (May 2000). Die grundlegende Methode bei der experimentellen Anwendung der Positionswechsel besteht darin, einen Probanden eine bestimmte Menge von Objekten und deren Standorte im Raum lernen zu lassen und diese später unter Gedächtnisbedingungen mit der Betrachtung von Anzeigegenauigkeit und/oder Reaktionsgeschwindigkeit abzufragen. Wesentliche experimentelle Variationen sind dafür die Bedingungen des Erwerbes der Objektstandorte, die Bedingungen des Abrufes von Objektstandorten, der Repositionierungsmodus (lokomotorisch oder imaginär) und die Repositionierungsmethode und deren Ausmaß (also Rotation und Translation in unterschiedlichen Winkeln und Entfernungen). Die Ergebnisse solcher Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Akteure zeigen schwächere Leistungen, wenn sie sich (auch ohne sensorische Informationen) nur imaginär in eine neue Position bewegen, um eine darauf folgende Aufgabe zu lösen, anstatt wenn sie dies lokomotorisch tun. 2. Akteure zeigen schwächere Leistungen bei Rotationen im Vergleich zu Translationen (Rieser 1989, Easton & Sholl 1995, May & Fricke 1997). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte erstmals Angyal (1930), dessen Experimente zeigten, dass Akteure sich bei geschlossenen Augen eine veränderte räumliche Position besser vorstellen konnten, wenn sie diese körperlich tatsächlich einnahmen, anstatt sie sich nur vorzustellen. Die Probanden sollten sich dazu in einer ihnen sehr gut bekannten Umgebung imaginär um 180° drehen, was diesen erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Im Gegensatz bereitete es ihnen kaum Schwierigkeiten bei real vollzogenen Drehungen, wobei beide Bedingungen mit geschlossenen Augen erfolgten. Angyal folgerte, dass während der Rotationen die optisch vorgestellte räumliche Umgebung in jedem Fall entsprechend der tatsächlich eingenommenen Lage verblieb. Viel weitere Untersuchungen haben in der Folge ebenfalls gezeigt, dass räumliche Vorstellungen effektiver unter Bedingungen von lokomotorischen als von imaginären Repositionierungen funktionieren (siehe auch Klatzky, R.L. Loomis, J.M., Beall, A.C. Chance, S.S. & Golledge, R.G. 1998). Es scheint relativ einfacher zu sein, eine neue Perspektive zu adaptieren und auf nicht sichtbare Objektlokationen zu zeigen, wenn der Akteur sich physisch von einem ersten zu einem zweiten Beobachtungspunkt und der damit verbundenen Perspektive bewegt. Es ist dagegen relativ schwieriger, sich Perspektiven von einem Beobachtungspunkt vorzustellen (bzw. sich in diesen hineinzuversetzen), der nicht dem tatsächlich physisch eingenommenen Beobachtungspunkt entsprechen (May, Rieser & Young 2006). Es ist weiter davon auszugehen, dass mit dem Anstieg der Schwierigkeit der imaginären Repositionierung, beispielsweise durch Erhöhung des Rotationswinkels, der kognitive Aufwand für den Akteur steigt, was sich in steigenden Reaktionszeiten und Fehlerquoten äußert (May 1996 Waller, Montello, Richardson & Hegarty 2002 May 1996). Es zeigte sich auch wiederholt, dass körperliche Positionswechsel leistungsmäßig mit Bedingungen ohne Positionswechsel vergleichbar sind.

weitere Bücher zum Thema

Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.