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Gesellschaft / Kultur

Martin Hochheim

Deutschland - ein Land ohne Ärzte? Über den Ärztemangel und dessen Auswirkungen

ISBN: 978-3-95935-144-7

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In absehbarer Zeit werden sich ‚weiße Flecken’ in der hausärztlichen Versorgung auftun. Ganze Landstriche werden ohne einen Hausarzt dastehen , schrieb Kopetsch 2011. Immer häufiger werden Berichte wie dieser veröffentlicht, in denen ein Ärztemangel beschrieben oder prophezeit wird. Diese Studie zeigt auf, inwieweit ein solcher tatsächlich besteht und welche messbaren Auswirkungen er auf die Inanspruchnahme ambulant-medizinischer Leistungen hat. Zunächst wird hergeleitet, wieso ein Ärztemangel befürchtet wird. Thematisch analysiert werden hier unter anderem der Rückgang der Allgemeinärzte, der demografische Wandel und seine Folgen sowie das zunehmende Vorhandensein von Multimorbidität in der deutschen Bevölkerung. Nach der theoretischen Erschließung des Ärztemangels wird empirisch dessen Auswirkung gemessen. Hierzu wird Andersens Behavioral Model of Health Service Use verwendet. Anhand der Ergebnisse lässt sich einschätzen, ob ein Einfluss des Ärztemangels auf das Inanspruchnahmeverhalten der Patienten besteht und wie stark ein solcher ist, sodass zum Abschluss ein umfassendes Bild über das Vorhandensein und die Auswirkungen des Ärztemangels in Deutschland entsteht. In einem kurzen Ausblick werden Handlungsmöglichkeiten und Strategieansätze vorgestellt, um das Defizit zu beheben.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1 Bedarfsplanung: Die ärztliche Versorgung im Bundesgebiet wird über die 1993 eingeführte ärztliche Bedarfsplanung organisiert. Die bisherige ärztliche Bedarfsplanung wurde stark kritisiert, so dass zum 1.01.2013 eine modifizierte Version verabschiedet wurde. Im Folgenden wird zunächst die ursprüngliche Planung und die korrespondierende Kritik vorgestellt. In einem zweiten Schritt werden die Neuerungen und sich daraus ergebende Konsequenzen für die ärztliche Verteilung analysiert. Die ärztliche Bedarfsplanung steuert die ambulant ärztliche Versorgung. Auf Grund-lage des Verhältnisses von Einwohnerzahl zu Arzt (je nach Fachgruppe verschieden) wird der Versorgungsgrad der Bevölkerung bestimmt. Dieser wird mit einer Sollquote für den jeweiligen Raumtypus verglichen. Bis 2012 gab es auf Grundlage der Kreistypisierung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung [BBSR] neun verschiedene Raumtypen zuzüglich der Sonderregion des Ruhrgebiets. Für jeden Raumtypus galt ein bundesweit gültiger Sollwert der anhand der Verhältniszahl von gemessenen Ärzten zu Einwohnern in allen Kreisen eines Kreistyps am 31.12.1990 (Ozegowski, 2013, S. 14) festgelegt wurde. Idealerweise sollte das Verhältnis der jeweiligen Region zum Sollwert 100% betragen und somit einer vollen ärztlichen Versorgung entsprechen. Kritisiert wurde an der bis Ende des Jahres 2012 gültigen Bedarfsplanung vor allem die Größe und Aufteilung der Regionentypen. Die Versorgungsrealität innerhalb und im Austausch der Kreise zueinander würde hiervon nicht hinreichend berücksichtigt. Es wurde argumentiert, dass für einen Kreis möglicherweise eine Überversorgung angegeben wird, tatsächlich aber nur bestimmte Teile des Kreises überversorgt wären. Beispiele hierfür wären Städte, in denen sich viele Ärzte in besonders wohlhabenden Stadtteilen niederlassen, während andere Stadtteile (vor allem solche, mit sozial schlechter gestellten Einwohnern) unterversorgt sind. Ähnliches gälte für Speckgürtel um Städte. Die Ärzte würden sich besonders häufig an den Peripherien der Städte ansiedeln, was zu einem guten Ergebnis für den jeweiligen Kreis führe, auch wenn die entsprechende Arztgruppe im gesamten Kreis unterrepräsentiert ist (Adler & Knesebeck, 2011, S. 228). Weiterhin wurde kritisiert, dass die Bedarfsplanung weder auf die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft eingehe, noch regionale Besonderheiten berücksichtige. Zu-dem sei die Fokussierung und der Vergleich der Ärztezahlen anhand eines bestimm-ten Stichtages willkürlich und wissenschaftlich nicht validiert (Jacobs & Schulze, 2011, S. 11). Die oben genannte Kritik an der Bedarfsplanung und die Einsicht, dass die aktuelle Bedarfsplanung den Bedarf der Regionen an Ärzten nicht hinreichend erfüllt, haben zu einer Änderung der Planung geführt (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2013a, S. 1). Es gibt nun vier verschiedene Versorgungsebenen. Diese bestehen aus den Untertei-lungen in 1. Hausärztliche Versorgung 2. Fachärztliche Versorgung 3. Spezialisierte fachärztliche Versorgung und 4. Gesonderte fachärztliche Versorgung. (Bundesministerium für Gesundheit, 2012, §5). Je nach Versorgungsebene finden unterschiedliche Planungsbereiche Anwendung. Für die hausärztliche Versorgung werden Mittelbereiche, für die allgemein fachärztliche Versorgung Kreise (fünf verschiedene Kreistypen) und für die spezialisierte fachärztliche Versorgung Raumordnungsregionen zu Grunde gelegt. Die gesonderte fachärztliche Versorgung basiert auf dem Bereich der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung. Statt vorher 14 werden somit 23 Arztgruppen beplant. Für die hausärztliche Versorgung bedeutet dies unter anderem, dass es statt 395 nun 883 Planungsbereiche gibt, die Mittelbereiche genannt werden. So entsteht eine insgesamt kleinräumigere Planung. Zielgröße für jeden Mittelbereich ist das Ärzteverhältnis 1:1.671 Einwohner. Während es vorher 14 verschiedene Verhältniszahlen gab, so gibt es im hausärztlichen Bereich nun nur noch eine gültige Sollzahl für alle 883 Bereiche. Eine Ausnahme hiervon bildet das Ruhrgebiet, in dem es nach wie vor eine Sonderregelung (1:2.134) gibt. Die Sollzahl ist erneut anhand eines Stichtages bestimmt. Als Grundlage dient das Verhältnis von Hausärzten zu Einwohnern vom 31.12.1995. Diese Sollzahl wird zu-sätzlich für jeden Mittelbereich gemäß seiner demografischen Struktur angepasst. Mit dem demografischen Leistungsfaktor werden bundesweit jährlich die Leistungs-inanspruchnahmen der unter 65-Jährigen ins Verhältnis der über 65-Jährigen ge-stellt. Aktuell gilt, dass der Bedarf ab dem Alter von 65 um 2,567 mal höher ist, als jener der unter 65-Jährigen. Wenn in einem Planbereich prozentual mehr über 65-Jährige leben, als im Rest der Republik, so sinkt die Sollverhältniszahl für diesen Planbereich. Statt des Verhältnis-ses von 1:1.671 könnte es dann beispielsweise 1:1.450 betragen (Münnch, 2013). Dementsprechend wird mit dem demografischen Leistungsfaktor der deutschen Be-völkerungsentwicklung stellenweise Rechnung getragen. Weicht das Verhältnis von der Sollquote ab, so stellt der gemeinsame Landesaus-schuss der Ärzte- und Krankenkassen eine Über- oder Unterversorgung fest. Eine Überversorgung wird bei einem Versorgungsniveau über 110% diagnostiziert. Als unterversorgt gilt eine Region bei weniger als 50%. Eine Ausnahme bilden Hausärzte, bei denen schon bei weniger als 75% von einer Unterversorgung gesprochen wird (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2013, §29). Besteht Überversorgung darf kein neuer Arzt der entsprechenden Fachgruppe in diesem Kreis zugelassen werden. Jedoch dürfen niedergelassene Ärzte aufgrund des verfassungsmäßigen gesicherten Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 1 GG) ihre Praxis inklusive Zulassung an einen Nachfolger verkaufen. Daher ist ein Abbau von Überversorgung im ambulanten Bereich tendenziell schwierig (Jacobs & Schulze, 2011, S. 13). Bei erkannter Unterversorgung muss die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung des Landes tätig werden, ihrem Sicherstellungsauftrag nachkommen und schnellstmöglich neue ärztliche Stellen schaffen (Ozegowski, 2013, S. 15). Eine weitere entscheidende Änderung ist die Öffnung der Bedarfsplanung für beson-dere Regionen. Nach dieser können die Krankenkassen und die Kassenärztliche Ver-einigung des jeweiligen Landes von den Richtlinien des G-BAs abweichen. Auf Grundlage von regionalen Besonderheiten, wie Morbidität, Demografie, sozioökonomischen Faktoren, räumlichen Faktoren oder infrastrukturellen Besonderheiten können die Landesausschüsse systematisch (für die ganze Region) oder in speziellen Planbereichen andere Bedarfszahlen festlegen (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2013a, S. 3-8). Von den praktischen Auswirkungen der neuen Bedarfsplanung berichtet der Verband der Ersatzkassen in Thüringen. So wurde durch die neue Berechnung Thüringen nicht nur von 20 auf 34 Gebiete vergrößert und somit eine kleinteiligere Analyse durchgeführt, sondern es wurde auch ein deutlich geänderter Bedarf an Hausärzten festgestellt. Er sank von 277 benötigten Hausärzten auf 77 offene Niederlassungsstellen (Keding-Bärschneider, 2013, S. 1-3). Deutschlandweit stieg jedoch der Bedarf, so dass allein bei den Hausärzten 3.000 mögliche Praxissitze ausgewiesen wurden (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2013b, S. 2). 4.2 Kritik an der Bedarfsplanung: Betrachtet man die neue Bedarfsplanung, so fällt auf, dass auf die bisherigen Kritik-punkte reagiert wurde. Es gibt nun eine kleinteiligere Gliederung, um Defizite in der hausärztlichen Versorgung besser beplanen zu können. Weiterhin wurde durch die neuen Einteilungen der allgemeinen Fachärzte die Mitversorgung durch urbane Zen-tren miteinbezogen. Zudem wurde ein Demografiefaktor eingeführt und regionale Besonderheiten wie Morbidität oder Infrastruktur können nun mitberücksichtigt werden. Allerdings gibt es weiterhin Kritik an der Bedarfsplanung. Der Hauptkritikpunkt ist nach wie vor, dass sie nicht auf den tatsächlichen Bedarf ausgerichtet ist, sondern sich an einer idealisierten Sollzahl aus den 1990er Jahren ausrichtet (Ozegowski, 2013, S. 116). Zwar wird der Demografiefaktor für gut geheißen, aber die Grenzzie-hung bei 65 Jahren ist eher willkürlich. Zudem ist das Alter ein nicht hinreichender Prädikator für die benötigte Versorgung. Was auf der regionalen Ebene möglich ist, fordert die Patientenvertretung, die im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzt, für den gesamten Bund (Faubel, 2012). Sie heißt es nicht gut, dass der G-BA sich aus seiner Verantwortung zieht und die bedarfsgerechte Versorgung an die Länder abgibt, weil der G-BA [es] nicht schafft (Faubel, 2012, S. 2). Dass ein Mangel länderspezifisch festgestellt wird, wird von der Patientenvertretung sehr kritisch gesehen, da die glei-chen Voraussetzungen (z.B. Morbidität) regional unterschiedlich gehandhabt werden und somit systematische Verzerrungen in der Behandlung folgen könnten. Ozegowski nennt das Beispiel, dass in Baden-Baden besonders viele über 80-Jährige leben und das Landesgremium in Baden-Württemberg daraufhin beschließen könnte aufgrund regionaler Besonderheiten fünf neue Augenarztsitze auszuschreiben. Wenn sich z.B. Niedersachen entscheidet, für seine ländlichen Kreise, die einen gleichhohen Anteil an über 80-Jährigen wie Baden-Württemberg haben, keine neuen Arztsitze auszuschreiben, so ist zu hinterfragen, warum die Patienten keine höhere Dichte an Arztzahlen (bessere/gleiche Zugangschancen) erwarten können (Ozegowski, 2013, S. 113). Dieser Argumentationsweise zu Folge wäre es besser und gerechter, wenn die bundesweite Bedarfsplanung alle besonderen Faktoren, wie Demografie, Morbidität und Sozialstruktur berücksichtigen und selbst die Bedarfszahlen anpassen würde. Kritisiert wird weiterhin die einbezogene Mitversorgung. Durch das neue Raumord-nungskonzept würde der Gedanke zementiert, dass städtische Regionen notwendi-gerweise die ländlichen ‚Mitversorgen’, dass also Patienten gerne und freiwillig zum Arzt in die Stadt pendeln (Faubel, 2012, S. 4). Dadurch würden eventuell bestehende Zugangsnachteile der nichtmobilen Patienten (Kinder, ältere Menschen) im Nachhinein legitimiert (Faubel, 2012, S. 4). Zuletzt wird vom Ärztemagazin Der Internist angemerkt, dass die Bedarfsplanung zwar neuen Bedarf in der Versorgung aufzeigt, aber allein durch zusätzlichen Bedarf man keine neuen Ärzte (Spies, 2013, S. 219) bekommt.

Über den Autor

Martin Hochheim schloss sein Masterstudium des Gesundheitswesens und der Gesundheitswirtschaft an der Universität Bochum im September 2014 ab. Seit Oktober 2014 arbeitet er als Projektleiter für eine private Krankenversicherung. Erfahrungen und Kenntnisse des Gesundheitssystems sammelte Martin Hochheim zudem als Vorsitzender der studentischen Initiative Rub.Health sowie in einem Auslandssemester an der Griffith University in Australien.

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