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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 05.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 180
Abb.: 86
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Venedig wird im Allgemeinen mit dem romantischen Bild der von Kanälen durchzogenen mittelalterlichen Stadt verbunden, nicht aber mit dem einer modernen Großstadt. Zahlreiche Großmaßnahmen brachten es in der faschistischen Ära auf eben diesen Weg. Eine entscheidende Rolle bei der baulichen Umsetzung spielte die rationalistische Architektur. Die modernen Bauten, die in dem kurzen Zeitfenster von fünf Jahren zwischen 1933 und 1938 entstanden, legen Zeugnis für den ersten Einbruch der Moderne in Venedig ab. Es wird aufgezeigt, dass die Durchsetzung des Faschismus in Venedig und die Umsetzung der Idee eines Großvenedigs in den 1930er Jahren die Voraussetzungen für die Entstehung der rationalistischen Architektur in der Stadt waren, welche das weite Spektrum der faschistischen Ideologie inhaltlich und formal widerspiegelt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Die Architekturströmungen im faschistischen Italien: Das faschistische Italien Mussolinis hatte im Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschen Reich keine einheitliche Kultur- und Kunstideologie hervorgebracht. Das Regime war weder in der Lage, noch hatte es die Absicht Entscheidungen hinsichtlich einer faschistischen Kunst zu treffen. Durch eine Politik der Zurückhaltung und geschickten Einflussnahme förderte es unterschiedliche, auch moderne künstlerische Bewegungen, die sich durch einen aggressiven Nationalismus auszeichneten und so mit der eigenen Ideologie konform liefen. Verschiedene Strömungen beanspruchten daher, die faschistische Staatskunst zu repräsentieren. Das gemeinsame Streben nach einer bildlichen Darstellung des Faschismus und die Integrationspolitik des Regimes führten oft zu einer stilistischen Annäherung gegensätzlicher Tendenzen. Entsprechend konnten sich in den 1920er Jahren verschiedene Architekturauffassungen ausbilden, die Mussolini in Konkurrenz zueinander treten ließ, damit sich ein Stil entwickeln konnte, der das etablierte faschistische Regime am besten darzustellen vermochte. Bis weit in die 1920er Jahre war die italienische Architektur noch durch einen eklektischen, akademischen Historismus in der Form des späten Ottocento geprägt. Obwohl sich der Faschismus betont vom vorangegangenen liberal-parlamentarischen System absetzen wollte, bediente er sich in der Anfangszeit der Architekten und des Stils dieser Zeit. Erst zu Beginn der 1920er Jahre zeichneten sich die ersten Versuche zur Erneuerung der Architektur durch die Vertreter des Mailänder Novecento ab. Der Novecento war eine Gruppe von bildenden Künstlern, die 1922 von der Kunstkritikerin Margherita Sarfatti formiert wurde, sich aber auch schon vorher um die 1919 gegründeten Zeitschriften ‘Valori Plastici’ und ‘La Ronda’ gebildet hatte. Zu dem Kreis gehörten u.a. Carlo Carrà, Giorgio De Chririco, Alberto Savinio und Mario Sironi. Zwar vertraten die Künstler ganz unterschiedliche stilistische Formen, gemeinsam war ihnen jedoch das Ziel einer neuen italienischen Kunst, die sich von Liberty und Eklektizismus ebenso abgrenzte wie von ausländischen Tendenzen. Sie sollte zugleich modern und traditionell sein, indem sie als Ausdruck der gegenwärtigen Epoche auf den Werten der klassischen Tradition basierte. In engem Kontakt mit dieser Gruppe stand der Architekt Giovanni Muzio, welcher deren Vorstellungen von einer Erneuerung der Kunst teilte. Um ihn bildete sich ein Kreis von Architekten, die eine moderne italienische Architektur schaffen wollten, darunter Giuseppe de Finetti, Mino Fiocchi, Emilio Lancia, Gio Ponti, Giuseppe Pizzigoni, Ferdinando Raggiori und Gigiotti Zanini. Sie zogen ihre Inspiration aus der klassizistischen Architektur Mailands vom Ende des 18. und vom Anfang des 19. Jahrhunderts, jedoch nicht in Form von Imitationen, sondern im freien Umgang. Im Zentrum stand die Treue zur italienischen Identität, das Streben nach Wiederbehauptung und Stärkung der italienischen Kultur. Die klassischen Epochen entsprachen ihrem Verlangen nach Ordnung und stilistischer Kontinuität. Die Klassik war für die Novecentisten nicht nur stilistische Inspirationsquelle, sondern in der Übernahme humanistischer Werte auch deren Geisteshaltung. Als erstes bauliches Manifest des Novecento-Stils wurde 1922-23 die spöttisch sogenannte Ca’Brütta gebaut, die Muzio seit 1919 federführend im Büro V. Colonnese und P. Barelli erarbeitet hatte. Die Wohnblöcke sind durch traditionelle Formen und Gesetzmäßigkeiten geprägt, sie wurden aber in ganz neuer Art und Weise angewandt. Es handelt sich nicht um eine eklektische Zusammenstellung historischer Zitate, sondern um eine freie Komposition von Fragmenten, die aus der klassischen italienischen Tradition des Cinquecento bis Ottocento entnommen, aber nicht kopiert wurden. Muzio verzichtete auf vorfabrizierten, standardisierten und applizierten Zement-Dekor akademischer Prägung ebenso wie auf eine Nachahmung des üblichen bürgerlichen palazzo. Er löste sich vom traditionellen akademischen Fassadenaufbau, den er zugleich parodierte. Zudem lehnte er eine kolossale, monumentale Architektur ab und passte die Gestaltung der Funktion Wohnhaus an. Die Wohnblöcke haben keine Hauptfassade. Sie zeichnen sich durch eine mehrschichtige, flächige Fassadendekoration aus. Deren ins Geometrische abstrahierte Ornamente werden frei wiederholt. Der Fassadenschmuck steht im Kontrast zu den gewaltigen Massen und strengen Proportionen der Baukörper. Durch eine vertikale wie horizontale Differenzierung der Fassaden entsteht ein bewegtes Bild. Die Übertreibung und Abstraktion der historischen Zitate und deren ungewöhnliche Kombination greift damit die Erscheinung und Prinzipien der metaphysischen Malerei auf. Auch in der Architektur sind die Werke durch einfache geometrische Formen, flache Oberflächen und lineare Begrenzungslinien geprägt. Wesentlich weiter ging die Erneuerung der Architektur im Bezug auf die technischen und hygienischen Standards. Bei der Ca’Brütta wurden moderne Baustoffe, Konstruktionsmethoden (Stahlbeton-Skelettbauweise) und technische Ausstattungen angewandt. Die Grundrisse sind durch klar gegliederte Funktionsgruppen und durch eine besondere Luft- und Lichtfülle geprägt. Bald bedienten sich auch Architekten anderer Städte der neuen Architektursprache. Ein zweiter Schwerpunkt des Novecento wurde Rom. Zwar griff man auch hier auf die bekannten Bilder der italienischen Architekturgeschichte zurück und vollzog eine starke Vereinfachung des Dekors, die Vorbilder waren jedoch andere. Giuseppe Capponi und Pietro Aschieri benutzten im Gegensatz zu den Mailändern barockisierende, dem Chiaroscuro verpflichtete Formen. Eine stark plastische Architektur äußern auch das Wohngebäude in der via Flaminia (1924), der Albergo degli Ambasciatori (1925-26), beide von Marcello Piacentini, der albergo suburbano per sfrattati in Garbatella (1927-28) von Innocenzo Sabbatini oder die Casa del Cooperativa ‘Nuova Prati’ (1929) von Enrico Del Debbio. Sie folgten jedoch eher klassischen Vorbildern. In den 1920er Jahren hatte sich in Rom ein Architektenkreis entwickelt, in dessen Zentrum Marcello Piacentini stand und zu dem vor allem Dozenten und Schüler der Scuola superiore di architettura di Roma gehörten, darunter so einflussreiche Personen wie Gustavo Giovannoni, aber auch Calza-Bini, der seit 1924 als Generalsekretär der Architekten-Syndikate fungierte. Als Hochschulprofessor und späterer Direktor des Architekturinstituts schuf Piacentini eine Art Stilschule, die Scuola Romana. Ihm wurde auch die Koordination der anderen Architekturschulen übertragen, wo er bald Anhänger fand. Piacentini und seine Gefolgsleute erlangten die Dominanz über die gesamte italienische Architekturszene. Die Scuola Romana beherrschte nicht nur die öffentliche Baukunst in Rom, sondern dehnte ihren leitenden Anspruch auf die Staatsarchitektur in den Provinzen aus. Besonders durch die Politik des sventramento konnte dieser Kreis in ganz Italien tätig werden. Seit den späten 1920er Jahren entstanden in zahlreichen Städten an Stelle abgerissener Altstadtareale neue monumentale Gebäudeensembles, so die piazza della Vittoria in Brescia, 1927-32 von Piacentini. Der Novecento - in seiner Römer Variante - wurde somit bestimmend für die italienische Architektur der Zwischenkriegszeit. Dies hatte nicht nur die Nähe der Protagonisten zum Regime als Ursache. Die Vertreter der Scuola Romana waren zugleich als bedeutende Architekturkritiker tätig und hatten als Jurymitglieder bei fast allen großen öffentlichen Wettbewerben sowie als Kommissionsmitglieder starken Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen, die nicht selten durch Bevorzugung des eigenen Kreises oder Korruption geprägt war. Teilweise zog Piacentini nach Wettbewerben die Aufträge direkt an sich. Das Monopol von Calza Bini, Giovannoni und Piacentini erstreckte sich auch auf die consigli superiori delle belle arti e dei lavori pubblici, in denen u.a. die Projekte für Kindergärten, Schulen, Regierungspaläste und Märkte geprüft wurden. Im Gegensatz zu den Mailänder Novecentisten, die ihre Vorbilder im lombardischen Klassizismus hatten, zog die Scuola Romana ihre Inspirationen vorerst allgemein aus dem Klassizismus und der Renaissance wie die Beispiele der piazza della Vittoria in Brescia und des Foro Mussolini in Rom, 1927-32 von Enrico Del Debbio, zeigen. In den 1930er Jahren wurde aber zunehmend die antik-römische Architektur zum Vorbild. Es entstanden monumentale, massige Bauten eines streng reduzierten, kahlen Neoklassizismus mit scharfkantigen Formen, wie etwa das Rektoratsgebäude der Citta universitaria in Rom, 1932-35 von Piacentini. Die Scuola Romana entsprach damit der immer zentraler werdenden faschistischen romanità-Ideologie. Nach der Gründung des Imperiums 1936 hielt Mussolini die neoklassizistische Architektur Piacentinis am geeignetsten, um den neuerworbenen Machtstatus zu symbolisieren. In den 1930er Jahren kam es auch im Mailänder Novecento zu einem Prozess der Vereinfachung. Es entstand ein reduzierte Variante, welche die ornamentale Anwendung traditioneller Elemente aufgab und auf abstrakten, geometrischen Musterungen mit reicher Farbigkeit basierte, wie Giovanni Muzios Eingangsgebäude der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand von 1928-29 zeigt. Die Bauten von Emilio Lancia und Gio Ponti näherten sich dabei teilweise stark den rationalistischen Bauten an. Eine Architektur nach den Prinzipien der internationalen Moderne trat in Italien erst verspätet auf. 1926 wandten sich die sieben jungen Architekten Luigi Figini, Guido Frette, Sebastiano Larco, Ubaldo Castagnoli (seit 1927 für ihn Adalberto Libera), Gino Pollini, Carlo Enrico Rava und Giuseppe Terragni als Gruppo 7 mit vier programmatischen Schriften (4 note) über eine neue Architektur in Italien an die Öffentlichkeit, die zwischen Dezember 1926 und Mai 1927 in der Zeitschrift ‘La Rassegna Italiana’ veröffentlicht wurden. Damit war die Bewegung der Architettura Razionale bzw. des Razionalismo begründet. Sie lehnten Eklektizismus und Stile Liberty, aber auch die ‘falsche Moderne’ des Novecento und der Scuola Romana ab. Die ersten Projekte wurden auf der 3. Triennale der dekorativen Künste in Monza 1927 ausgestellt. Sie zeigen eine deutliche Orientierung an der europäischen Moderne. Während die Rationalisten im eigenen Land kaum Aufmerksamkeit erhielten, bekamen sie im europäischen Rahmen Unterstützung für ihre Bestrebungen, indem man sie zu Ausstellungen und zum ersten Congrès International d‘Architecture Moderne (CIAM) 1928 auf dem Schloss Sarraz in der Schweiz einlud. Die ersten beiden rationalistischen Bauten konnten erst 1928 verwirklicht werden, Giuseppe Terragnis ‘Novocomum’ in Como und der Edificio delle comunità artigiane von Alberto Sartoris auf der Esposizione del Valentino in Turin. Vor allem das Novocomum führte zu einer heftigen landesweiten Polemik. Im selben Jahr fand in Rom die Prima Esposizione Italiana di Architettura Razionale statt, deren Ausstellungsobjekte trotz des Stilpluralismus zeigten, dass der Rationalismus inzwischen ganz Italien erfasst hatte. Die Reaktionen des traditionellen Lagers waren zwar noch gemäßigt, zeigten aber bereits die Konturen der späteren heftigen Polemiken. Es erschien Piacentinis Artikel ‘Prima internazionale architettonica’ in der Zeitschrift ‘Architettura e Arti Decorative’, seit 1927 offizielles Organ des nationalen faschistischen Architekten-Syndikats. Darin behauptete er, dass der Rationalismus keine Kunst sei, denn Architektur sei für ihn mehr als nur ein Produkt aus Rationalität und Funktionalität. Er warf der Moderne zudem Anpassungsunfähigkeit innerhalb historischer Stadtzentren, technische Mängel, Verarmung der Materialvielfalt und die Verwendung kurzlebiger Materialien vor. Die Ausstellung hatte nicht die erwünschte Wirkung auf die Kulturpolitik des Regimes. Öffentliche Aufträge blieben aus. Einige private Bauherren ermöglichten jedoch den Rationalisten weitere Bauten zu verwirklichen, darunter der Palazzo Gualino in Turin, 1928-30 von Gino Levi Montalcini und Giuseppe Pagano, und die Casa elettrica für den Elektrokonzern Edison von Luigi Figini und Gino Pollini auf der 4. Triennale in Monza 1930. Da der Rationalismus schnell neue Anhänger aus der jungen Architektengeneration gewann, wurde 1930 der Movimento Italiano per l’Architettura Razionale (MIAR) gegründet. Mit der folgenden Seconda Esposizione del MIAR, 1931 in Rom in der Galerie des einflussreichen Kunstkritikers Pietro Maria Bardi, wurde die Forderung an Mussolini gestellt, die Architettura Razionale als offizielle und alleingültige Staatsbaukunst zu etablieren. Mussolini besuchte die Ausstellung und sprach seine Anerkennung für die Tendenz aus. Das Ziel der Rationalisten schien nahe. Die Ausstellung verursachte jedoch durch ihre kämpferische Haltung einen Eklat, indem sie die traditionellen Architekten, darunter Piacentini und Giovannoni, mit dem ‘tavolo degli orrori’ persönlich angriffen. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern wurde schärfer. In seiner Polemik ‘Difesa dell’architettura italiana’ in der Zeitung ‘Il Giornale d’Italia’ vom 2. Mai 1931 drängte Piacentini, den Rationalismus als ‘internationalistisch’ und ‘bolschewistisch’ zu entlarven. Die publizistische Verteidigung der Moderne übernahmen im Gegenzug vor allem Pagano in der Zeitschrift ‘Casabella’ und Bardi ab 1933 in ‘Quadrante’.

Über den Autor

Martin Petsch, Jahrgang 1977, studierte Kunstgeschichte und Mittelalterliche Geschichte in Berlin und Venedig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. In einer Reihe von Publikationen widmete er sich bereits der Brandenburgischen Herrenhaus-Architektur, der Reformarchitektur nach 1900, der Nachkriegsmoderne sowie der zeitgenössischen Architektur. Hauptberuflich arbeitet er als Denkmalschützer.

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