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Gesellschaft / Kultur

Wolfgang Spindler

Die Politische Theologie Carl Schmitts: Kontext – Interpretation – Kritik

ISBN: 978-3-95425-884-0

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Carl Schmitt (1888–1985) gehört zu den international meistgelesenen Staatsrechtlern und politischen Theoretikern des 20. Jahrhunderts. In der bis heute anhaltenden Rezeption seines Werks spielt der von ihm geprägte Begriff und das gleichnamige Werk Politische Theologie (1922) eine zentrale Rolle. Die vorliegende Studie unternimmt den Versuch, Schmitts Intentionen im Interesse eines produktiven Zugangs zu seinem Werk freizulegen. Nach der kontextorientierten Herausarbeitung des Begriffs und der Grundzüge der Politischen Theologie werden die im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Lesarten systematisch vorgestellt und kritisch gewürdigt. Autoren der Weimarer Republik wie etwa Hugo Ball finden ebenso Berücksichtigung wie führende Staatsphilosophen unserer Zeit (z. B. Ernst-Wolfgang Böckenförde). Die Arbeit mündet in die Frage nach der (fundamental-)theologischen Relevanz der Politischen Theologie. Es wird deutlich: Theologie kann politisch niemals unschuldig sein.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel A IV, Die politische Theologie der Gegenrevolution: Das vierte Kapitel der ‘Politischen Theologie’ widmet sich den Hauptvertretern des von Schmitt beschriebenen Dezisionismus. Neben Donoso Cortés behandelt der Autor die ‘Gegenrevolutionäre’ de Maistre und de Bonald, aber auch Friedrich Julius (eigentlich: Julius Jolson) Stahl und stellt diese den politischen Theologen des ‘Antitheologischen’, Proudhon, Bakunin, P. A. Kropotkin und O. Groß, entgegen. Wie schon in seinem Buch ‘Politische Romantik’ von 1919 setzt er die Theoretiker der Gegenrevolution von Novalis, Adam Müller, Schelling und anderen deutschen Romantikern ab, deren staatsphilosophische Übereinstimmung mit liberalen Kräften darin besteht, politische Gegensätze im ‘ewige(n) Gespräch’ aufzuheben anstatt sie zu einer definitiven Entscheidung zu führen. Nach Schmitts Darstellung bedeutet für de Bonald, den Begründer des Traditionalismus, Tradition die ‘einzige Möglichkeit, den Inhalt zu gewinnen, den der metaphysische Glaube des Menschen akzeptieren kann, weil der Verstand des Einzelnen zu schwach und elend ist, um von sich aus die Wahrheit zu erkennen.’ Sein Bild von der Menschheit, das als eine Herde von Blinden von einem sich an einem Stock weitertastenden Blinden durch die Geschichte geführt wird, steht im denkbar größten Kontrast zum einem auf ‘Synthese’ vertrauenden Geschichtsglauben nach der Art Schellings, Müllers oder Hegels. Bei seinen Antithesen und Distinktionen handelt es sich um ‘moralische Disjunktionen’, um ‘Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel’, nicht um bloße ‘Polaritäten’. De Maistre spitzt die Souveränität ganz auf Entscheidung zu. Die Bedeutung des Staates liegt darin, daß er – analog zur Kirche – eine Entscheidung trifft, deren Verbindlichkeit der päpstlichen Infallibilität gleichkommt Infallibilität und Souveränität sind ‘parfaitement synonymes’. Das wichtigste an jeder Regierung ist, daß sie überhaupt existiert denn bereits die schiere Existenz verdankt sich einer Entscheidung, und diese ist schon deshalb ‘wertvoll’, weil es ‘gerade in den wichtigsten Dingen wichtiger ist, daß entschieden werde, als wie entscheiden wird’ Hauptsache, die Entscheidung ist inappellabel. Im Vergleich zu de Maistre erkennt Schmitt in der gegenrevolutionären Staatsphilosophie Donosos nochmals eine ‘radikale Steigerung’, die dem tiefergehenden Radikalismus der ‘proletarischen Revolution von 1848’ gegenüber der des ‘dritten Standes von 1789’ entspricht. Schmitt beschreibt sie als eine Entwicklung von der Legitimität zur Diktatur. Erkennbar wird die Radikalisierung an der entschiedeneren Stellung zur Natur des Menschen, die jeder politischen Idee notwendig innewohnt. Jede politische Idee ‘setzt voraus, daß er (= der Mensch W. Sp.) entweder, von Natur gut’ oder, von Natur böse‘ ist. Mit pädagogischen oder ökonomischen Erklärungen kann man der Frage nur scheinbar ausweichen.’ Gilt der Mensch in der Sicht der Aufklärung als ‘von Natur dumm und roh, aber erziehbar’, ist er ‘für die bewußt atheistischen Anarchisten … entschieden gut und alles Böse die Folge theologischen Denkens und seiner Derivate, zu denen alle Vorstellungen von Autorität, Staat und Obrigkeit gehören’. Schmitt versucht hier, seine These von der Säkularisierung auch von der politischen Anthropologie des Anarchismus her zu erhellen. Donoso Cortés vertritt genau das Gegenteil. Bei ihm ist das katholische Dogma von der Erbsünde über die tridentinische Formulierung hinaus ‘polemisch radikalisiert’, der Mensch daher von Natur aus böse und nichtswürdig. Diese Auffassung unterscheidet sich nach Schmitts Urteil von der lutherischen nur noch dadurch, dass sich der Lutheraner ‘jeder Obrigkeit beugt’, während der Spanier ‘die selbstbewußte Größe eines geistigen Nachfahren von Großinquisitoren’ behält. Zu dieser pessimistischen Anthropologie gelangt Cortés durch eine ‘religiöse und politische Entscheidung von ungeheurer Aktualität’, die gezielt gegen das atheistisch-anarchistische Dogma von der Gutheit des Menschen gerichtet ist. Auch wenn der Pessimismus Donosos vom Feind her bestimmt ist, so findet Schmitt ihn jedenfalls erschreckend Donosos Verzweiflung über die Verdorbenheit des Menschen bewegt sich am Rande des Wahnsinns. ‘Wäre Gott nicht Mensch geworden – das Reptil, das mein Fuß zertritt, wäre weniger verächtlich als ein Mensch’, wird der Spanier zitiert. Es ist der Katholizismus, der ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Dieser aber befindet sich in einer apokalyptischen Entscheidungsschlacht mit dem atheistischen Sozialismus. Angesichts dieses Kampfes sich der Entscheidung zu enthalten hält Donoso Cortés für das Wesen des Liberalismus. Die Bourgeoisie erweist sich als ‘una clasa discutadora. Damit ist sie gerichtet.’ Der ‘liberale Konstitutionalismus’ bzw. ‘konstitutionelle Liberalismus’ verstrickt sich in Widersprüche und Inkonsequenzen, weil er einerseits den König als Repräsentanten behalten, andererseits ihn mit Hilfe der Verfassung seiner Souveränität berauben will. Eine solche Staatstheorie findet ihre ‘fruchtbare Parallele’ in der deistischen Metaphysik, die Gott zwar ein Existenz-, aber kein Eingriffsrecht in die Geschicke der Welt einräumt. Diese Aporien als Ausdruck ‘alles Lebendigen’ (Lorenz von Stein) ausgeben und damit harmonisieren zu wollen ruft bei Revolutionären wie Gegenrevolutionären das gleiche Unverständnis, ja die gleiche Verachtung hervor. ‘Jener Liberalismus mit seinen Inkonsequenzen und Kompromissen lebt für Cortes nur in dem kurzen Interim, in dem es möglich ist, auf die Frage: Christus oder Barrabas, mit einem Vertagungsantrag oder der Einsetzung einer Untersuchungskommission zu antworten. Eine solche Haltung ist nicht zufällig, sondern in der liberalen Metaphysik begründet.’ Nach Cortés/Schmitt besteht nämlich ‘ihre Religion in Rede- und Preßfreiheit’, und auch die ökonomischen Postulate der Liberalen (Handels- und Gewerbefreiheit) sind ideengeschichtlich ‘nur Derivate eines metaphysischen Kerns’. Für Schmitt steht fest, dass der Spanier ‘in seiner radikalen Geistigkeit immer nur die Theologie des Gegners’ gesehen hat, was nicht mit Theologisieren zu verwechseln ist. Aus dem Gegensatz zur liberalistischen Tendenz, die metaphysische Wahrheit in eine Diskussion aufzulösen, und der Apokalyptik seines politischen Denkens kommt Donoso Cortés auf den Gedanken der Diktatur. Das Moment der Dezision wird von den Gegenrevolutionären so weit zugespitzt, dass es ‘schließlich den Gedanken der Legitimität, von dem sie ausgegangen sind, aufhebt’. Der Staat reduziert sich bei de Maistre auf eine ‘reine, nicht räsonnierende und nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende, also aus dem Nichts geschaffene absolute Entscheidung. Das aber ist wesentlich Diktatur, nicht Legitimität.’ Ebenso verwirft Donoso Cortés im Augenblick des Untergangs (auch der konsitutionellen) Monarchie jeden restaurativen Legitimationsversuch der Erbmonarchie und votiert für politische Diktatur. Aus der gemeinsamen Erkenntnis, dass ‘jede Regierung … notwendig absolut’, d.h. ‘jede Regierung Diktatur ist’, ziehen Revolutionäre und Gegenrevolutionäre völlig entgegengesetzte Konsequenzen: Erstere verwerfen und bekämpfen sie, letztere fordern und setzen sie ein. Dahinter steckt die Antagonie ihrer Anthropologien. So wird Bakunin ‘theoretisch der Theologe des Antitheologischen und in der Praxis der Diktator einer Anti-Diktatur’ eine Paradoxie, die den ‘Kern der politischen Idee, die anspruchsvolle moralische Entscheidung’, welche auch Bakunins Entscheidung gegen die Entscheidung impliziert, deutlich werden lässt. Darin kommen Anarchismus und Gegenrevolution überein, dass beide den liberalistischen ‘Kampf gegen das Politische’ nicht mitmachen, also den Kern des Politischen nicht umgehen.

Über den Autor

Wolfgang Spindler, geb. 1968, Dipl.-Jurist Univ., Mag. Dr. theol., wirkt als Sozialethiker und publiziert seit Jahren über Carl Schmitt.

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