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Gesellschaft / Kultur

Bert Grashoff

Historisiertes Gattungswesen in entfremdeter Form beim jungen Marx (1843 - 1845)

Zur Zurückweisung überhistorischer Wesensbegrifflichkeiten in Marx' Werk

ISBN: 978-3-95425-318-0

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 184
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Wiederholt fällt in Diskussionen innerhalb und außerhalb des akademischen Rahmens auf, dass dem Begriff der Entfremdung eine gewisse historisierend-anthropologische Deutung fast zwanghaft untergeschoben wird, wonach er zu einem früheren historischen Zustand eine ähnliche Stellung einnimmt wie der biblische Sündenfall zum Paradies: Er scheint auf einen authentischen, vollständigen, glücklichen, problemlosen, gar natürlichen Zustand der menschlichen Geschichte zu rekurrieren, von dem er die Menschen gleichwohl als radikaler Bruch trennt. Als leitende These dieser Untersuchung zur Konstellation der Marxschen Begriffe von Gattungswesen und Entfremdung lässt sich formulieren: Gerade die im – sich historisch zunehmend über kooperative Produktivitätsfortschritte ermächtigenden – Gattungswesen der Menschen sich entfaltenden Potentiale zur Befriedigung sich historisch entwickelnder Bedürfnisse finden in gesellschaftlichen Formen statt, die die Individuen von diesen Potentialen zugleich abschneiden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2.3, István Mészáros' gegenteilige Auffassung: Kontinuität des Marxschen Werks: Heinrichs These eines Bruchs im Marxschen Werk hat den Charme, kritisch die spekulativen, 'philosophischen', vage wirkenden Begrifflichkeiten der Schriften vor DI zugunsten eines vermeintlich positiv wissenschaftlich verfahrenden späten Marx zurückzuweisen. Wirkt der Terminus 'Gattungswesen' nicht hoffnungslos antiquiert und unspezifisch gegenüber Vorstellungen einer über kapitalistische Verkehrsformen hergestellten Weltgesellschaft? Stellt etwa die Analyse einer Durchschnittsprofitrate im dritten Kapital-Band nicht viel realistischer dar, dass die Menschen sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen, die in ihrem unbewusst-systemischen Charakter eine Totalität darstellt, als die scheinbar schon durch gemeinsame biologische Merkmale gegebene Vorstellung einer menschlichen Gattung? Ich habe bereits dafür argumentiert, die Unterschiede zwischen frühem und spätem Marx eher an einer zunehmenden Detailschärfe und der kritischen Reflexion auf die tradierten Gehalte der sprachlichen Darstellung festzumachen als an einem genuinen Bruch in der theoretischen Konzeption. In diesem Abschnitt möchte ich kurz eine Position erwähnen, die engagiert für die Kontinuität des Marxschen Werks eintritt und Ms 44 sogar einen stark programmatischen Charakter für die späteren Marxschen Bemühungen zuspricht: ‘Weit davon entfernt, später größerer Abwandlungen oder Revisionen zu bedürfen, nehmen die Manuskripte von 1844 adäquat den späteren Marx vorweg, indem sie »durch eine ganz empirische, auf ein gewissenhaftes Studium der Nationalökonomie gegründete Analyse« in synthetischer Einheit die Problematiken einer umfassenden, praxisbezogenen, radikalen Neubeurteilung aller Facetten menschlicher Erfahrung in den Griff bekommen.’ (Mészáros 1973: 24f). Mészáros unterfüttert diese Auffassung insbesondere im ersten Abschnitt seines Kapitels VIII (vgl. ebd.: 275-287) mit diversen Belegstellen quer durchs Marxsche Werk, die primär um den Begriff der Entfremdung kreisen. Auch er interpretiert die Veränderungen in diesem Werk im Sinne einer zunehmenden Detailschärfe und punktueller Anpassungen, die aus der Jahrzehnte währenden vertiefenden Beschäftigung mit dem in Ms 44 bereits gesetzten Problemhorizont im Denken von Marx erwuchsen: ‘Doch alle weiteren Konkretisierungen und Modifizierungen der Marxschen Konzeption – samt gewissen grundlegenden Entdeckungen des älteren Marx – geschehen auf der begrifflichen Basis der großen philosophischen Errungenschaften, die in den Manuskripten von 1844 so deutlich zutage treten.’ (Mészáros 1973: 115). Mészáros Hochschätzung von Ms 44 geht so weit, dass er ein richtiges Verständnis der späten Marxschen Schriften geradezu von ihnen abhängig macht: ‘Hätte Lenin tatsächlich Marx' Kritik der kapitalistischen Entfremdung und Verdinglichung – seine Analyse der »Entfremdung der Arbeit« und ihre notwendigen Folgerungen – übersehen, so hätte er den Kern der Marxschen Theorie mißachtet: den Grundgedanken des Marxschen Systems.’ (Mészáros 1973: 116). Dieser Bedeutsamkeit des Entfremdungsbegriffs steht prima vista entgegen, dass er in weiten Teilen des Spätwerks nicht mehr auftaucht. Mészáros betont aber meines Erachtens zu Recht und triftig belegend, dass das tendenzielle Verschwinden des Terminus nicht zugleich den gedanklichen Zusammenhang verschwinden lässt. Zur Begründung dieser Diskrepanz zwischen begrifflicher Darstellung und inhaltlich Dargestelltem verweist er nicht so sehr auf Marx' Reflexionen zum Problem ungewollt mitgeschleppter tradierter Gehalte von Termini, also zum Problem der Phraseologie, sondern bietet als Argument auf, dass die Bestimmungen eines Begriffs diesem nur inhaltliche Bedeutung zukommen lassen, wenn sie sich anderer Begriffe bedienen: ‘Die konkrete Artikulation der umfassenden Sicht läßt sich unmöglich bewerkstelligen, wenn man stets denselben Terminus verwendet: dies führte nicht nur zu endlosen Wiederholungen, sondern letzten Endes ebenso zu einer gewaltigen Tautologie. Daher sollte man das Zurücktreten des allgemeinen Terminus im Verlauf der konkreten Ausarbeitung der komplexen Entfremdungsproblematik nicht fälschlich für eine Preisgabe des Begriffs selber nehmen.’ (Mészáros 1973: 302) 2.2.4, Heinrichs Anthropologismus-Vorwurf: Um beurteilen zu können, ob Heinrichs Vorstellung berechtigt ist, dass die wesensphilosophische theoretische Problematik Marx strukturell unterhalb des gesellschafts- und erkenntnistheoretischen Problembewusstseins seiner späteren Schriften fixiere, erscheint es mir sinnvoll, sich in diesem Abschnitt und dem Abschnitt 2.2.6 etwas vertiefend zu vergegenwärtigen, was Heinrich als die Schwachstellen der Wesensphilosophie beim Marx der Ms 44 diagnostiziert. Neben der Problematik des Epochenbruchs im Entfremdungsbegriff und mit dieser vermittelt sieht Heinrich vor allem vier weitere problematische Dimensionen in den frühen Schriften von Marx, die er ab der DI überwinde: Anthropologismus, Individualismus, spekulativen Empirismus und Normativität. Ich werde die ersten beiden dieser Aspekte kurz einzeln diskutieren und dabei Heinrichs Perspektive kritisieren. Da es mir aber in dieser Ausarbeitung nicht um einen expliziten Vergleich des frühen mit dem späten Marxschen Werk geht, werde ich dabei Zweifel an Heinrichs These eines Bruchs im Marxschen Werk nur kursorisch mit Belegen für Kontinuitäten unterfüttern und mich stattdessen mehr darauf konzentrieren, Heinrichs Problematisierungen im Kontext vor allem der Ms 44 ihrerseits zu problematisieren. Heinrich betont, dass Feuerbachs im Februar 1843 erschienene Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie für Marx' Schriften ab 1843 eine bedeutsame Referenz darstellten (vgl. Heinrich 2001: 93). Diese Thesen drehen sich im Kern darum, den Unendlichkeitsbegriff als idealistische Mystifizierung zu denunzieren: ‘Das Unendliche der Religion und Philosophie ist und war nie etwas Anderes, als irgend ein Endliches, irgend ein Bestimmtes, aber mystificirt, d. h. ein Endliches, ein Bestimmtes, mit dem Postulat, nichts Endliches, nichts Bestimmtes zu sein.’ (Feuerbach 1959: 231) Auch wenn Feuerbach ohne Argument das ‘Wesen der Natur’ im Gegensatz zu ihren konkreten Gestalten, also im Sinne eines sich in seinem Wandel erhaltenden Kosmos, aus der ‘zeitliche[n] Genesis’ (ebd.: 240) herausnimmt, lässt er ansonsten kein Wesen außer ‘endliche Wesen’ (ebd.: 226) gelten. Die Genese des mystifizierenden Unendlichkeitsbegriffs wird bei ihm zwar nicht wie von Marx in ThF gefordert in ‘Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen’ (ThF: 3/6) der weltlichen, gesellschaftlichen, polit-ökonomischen Grundlage gesucht, aber immerhin empirisch-psychologisch gedeutet: ‘Nur wer den Verlust eines endlichen Wesens als einen unendlichen Verlust empfindet’ (Feuerbach 1959: 229), entwickele idealistisch im Endlichen das Unendliche. Zentrales Anliegen ist ihm also bereits vor Marx eine immanente Historisierung des Wesensbegriffs, was besonders darin zum Ausdruck kommt, dass der über Feuerbachs neue Philosophie aufgeklärte Mensch wisse, dass das ‘pantheistische Wesen’ der spekulativen Philosophen und Theologen ‘nichts Anderes ist als sein eigenes unbestimmtes, aber unendlicher Bestimmungen fähiges Wesen.’ (ebd.: 241) Auch wenn etwa mit Blick auf die Urknall-Hypothese die zeitliche und räumliche Unendlichkeit einer abstrakten Natur des Universums zweifelhaft ist und nicht weniger zweifelhaft ist, ob die Menschheitsgeschichte mehr als bloß abzählbar viele Bestimmungen des Menschenwesens hervorbringen wird, es also problematisch ist, dass Feuerbach in seiner radikalen Kritik des Unendlichkeitsbegriffs ihn gleichwohl in diesen zwei Varianten positiv festhält, macht doch seine Bestimmung des menschlichen Wesens als sowohl unbestimmtes als auch unendlicher Bestimmungen fähiges deutlich, dass er mit der Platonischen Tradition bricht, als Wesen eines Objekts dessen invariante Eigenschaften zu begreifen. Vielmehr wird Wandel und Varianz, gefasst im Begriff der Endlichkeit, bereits bei Feuerbach – und wie ich noch ausführlicher belegen werde: erst recht bei Marx – zentral für den Wesensbegriff, überzeitliche Invarianz hingegen überhaupt als Mystizismus denunziert. Eine solche Auffassung wie Heinrich als ahistorische Anthropologie zu titulieren, erscheint mir ignorant und irreführend, daher inhaltlich falsch. Das Urteil von Marx und Engels über Feuerbach in der von Heinrich als erster Schrift nach dem Bruch identifizierten DI fällt übrigens anders als Heinrichs aus. Feuerbach argumentiert für sie sowohl historisch als auch materialistisch, hat aber keinen ernsthaften Praxis- und Gesellschaftsbegriff und sieht daher nicht, dass die Menschen ihre eigene Geschichte und ihre materiellen Grundlagen permanent (re-)produzieren: Feuerbach ‘kommt also nie dazu, die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen […]. Bei ihm fallen Materialismus und Geschichte ganz auseinander’ (DI: 3/44f).

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