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Gesellschaft / Kultur

Cordula Gries

Otto Dix: Der Krieg 1923/24 - 50 Radierungen

ISBN: 978-3-95425-676-1

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 144
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Heute beschreiben Historiker ihn als die ‘Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts’. Der Erste Weltkrieg sprengte alle bisher gültigen Kategorien und wurde zum Paradigma der Gewalterfahrung. Aus heutiger Perspektive ist es kaum vorstellbar, dass dieser erste weltumspannende Krieg von vielen Menschen in Europa herbeigesehnt und 1914 mit Euphorie begrüßt wurde. Auch bei den bildenden Künstlern gab es eine breite Strömung, die sich durch den Krieg eine kulturelle Erneuerung versprach und auf den Durchbruch einer neuen, besseren Weltordnung hoffte. Demgemäß meldeten sich viele Künstler freiwillig zum Militärdienst - darunter auch Otto Dix, der es kaum erwarten konnte, an die Front zu kommen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen überlebte er das Inferno fast unversehrt. Erst ein halbes Jahrzehnt nach Kriegsende kehrte Dix sozusagen auf das Schlachtfeld des Krieges zurück, um sich seinen persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu stellen. Dafür bedurfte er jedoch neuer Ausdrucksformen, die er im Erfassen der Realität und nackten Wirklichkeit fand. In dieser Schaffensphase entstand auch der Radierzyklus ‘Der Krieg’, der in 50 Radierungen ein Panorama der schrecklichen und desolaten Zustände an der Westfront des Ersten Weltkrieges entfaltet und der von den Zeitgenossen als ein wahrhaftiges Abbild der Wirklichkeit begriffen wurde. Mit welchen Strategien Dix hier versucht, Authentizität zu suggerieren, untersucht die vorliegende Arbeit.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Vom Pazifisten zum Realisten - Otto Dix und Der Krieg (1923/24) in der kunstwissenschaftlichen Diskussion seit 1924: Er sei kein Pazifist gewesen! So unmissverständlich äußerte sich Otto Dix im Dezember 1963 in einem Gespräch unter Freunden. Er sei Realist, ein ‘Wirklichkeitsmensch’, der alles mit eigenen Augen sehen müsse! ‘Sehen’, das bedeutete für Dix dasselbe, wie ‘erleben’. Und entsprechend formulierte er sein künstlerisches Anliegen, die Wirklichkeit so darzustellen, wie er sie sah bzw. erlebte. Es war wohl die Offenheit dieses Konzeptes, das seine Bilder, die sein Erleben des Ersten Weltkrieges reflektieren, zu Projektionsflächen für politische Ideologien rechter und linker Couleur werden ließ. So kam es, dass seit der ersten öffentlichen Präsentation des Gemäldes ‘Der Schützengraben’ 1923 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum in der öffentlichen Diskussion und unter den Kunstwissenschaftlern die Frage dominierte, ob Dix’ Weltkriegsreflexionen pazifistisch und antinationalistisch motiviert gewesen seien oder nicht. Seine späte Aussage, niemals Pazifist gewesen zu sein, widerspricht seinem damaligen Handeln. Denn die Publikation des Radierzyklus ‘Der Krieg’ durch Dix’ Verleger und Galeristen Karl Nierendorf sowie die zeitgleiche Herausgabe eines billigen Buches mit einer Auswahl von 24 Offsetdrucken aus dem Zyklus in einer Auflage von 10.000 Stück, fiel nicht zufällig in das Jahr 1924. Damals jährte sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum zehnten Mal und die politische Linke propagierte das Anti-Kriegs-Jahr. Es war mithin die großangelegte Werbekampagne anlässlich der ersten Ausstellung der fünfzig Blätter 1924 in Berlin und 13 weiteren deutschen Großstädten, die dieses Bild vom pazifistischen Dix maßgeblich prägte. Karl Nierendorf, der den Kriegszyklus angeregt hatte, war sich des brisanten Gehaltes sehr wohl bewusst und belieferte gezielt Friedensgesellschaften, Menschenrechtsorganisationen und ‘alle linksstehenden grösseren Zeitungen’ mit der Buchpublikation Der Krieg. Auch die Gewerkschaften bedienten sich der Motive des Radierzyklus’ als propagandistische Unterstützung und orderten für ihren Anti-Kriegs-Tag 1500 Exemplare des Buches. Otto Dix, der zwar behauptete, dass man Entrüstung nicht malen könne , Anklage und Abschreckung Kategorien der Moral und nicht der Kunst seien, positionierte sich damit meiner Ansicht nach, sicher nicht versehentlich an der Seite seiner Künstlerkollegen George Grosz, Käthe Kollwitz, Max Beckmann und anderer, deren Bilder in den 20er Jahren als ‘Antikriegskunst’ verstanden wurden. Während die einen sein Mappenwerk ‘Der Krieg’ als pazifistisches Manifest für den Frieden und gegen den Krieg priesen und nur verhalten kritisierten, dass die Verantwortlichen der Misere z. B. nicht benannt und angeprangert wurden, vermisste die konservative Kritik das Bild des heldenhaften deutschen Soldaten. Die ungeschönten Bilder des Frontsoldaten und seines elenden Sterbens, die Dix 1924 schuf, entsprachen in keiner Weise der Ideologie der Deutschnationalen, die in der Weimarer Zeit die Dolchstoß-Legende kolportierten und populär machten. Das deutsche Heer soll demnach ‘im Felde unbesiegt’ gewesen sein und aus der Heimat durch die sozialistischen und sozialdemokratischen Revolutionäre im Sommer und Herbst 1918 verraten, bzw. hinterrücks ‘erdolcht’ worden sein. Die Radierungen Otto Dix’ sind eine vollkommene Obstruktion dieses Wunschbildes vom heroischen Soldaten. Der Heidelberger Kunstwissenschaftler Dietrich Schubert sieht denn auch die Reaktionen der Nationalsozialisten als sicheren Indikator für den wahren Gehalt des Krieg-Zyklus. Sie titulierten Dix’ Reflexionen des Krieges als ‘gemalte Wehrsabotage’, verunglimpften sie seit 1935 in der Wanderausstellung Entartete Kunst und schränkten letztendlich seine künstlerische Arbeit während ihrer Diktatur drastisch ein. Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen während des Zweiten Weltkrieges bewirkten eine Zäsur im künstlerischen Schaffen Otto Dix’. Er widmete sich während dieser Zeit der politisch unverfänglicheren Landschaftsmalerei. Auch die Wahrnehmung seiner Person durch die Öffentlichkeit veränderte sich. War er zuvor ein populärer Maler gewesen, wurde er nun an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Im Nachkriegsdeutschland konnte er seine Künstlerkarriere jedoch fortsetzen. Genau genommen machte er zwei Karrieren mit unterschiedlichen Verläufen, die eine in der DDR und die andere in der Bundesrepublik. Während sich die Kulturverantwortlichen in der sowjetisch besetzten Zone recht schnell wieder an seine Kunst aus der Weimarer Zeit erinnerten und ihn 1947 erneut zum Professor an der Dresdner Kunstakademie beriefen , nahm man in der jungen Bundesrepublik zunächst kaum Notiz von ihm. Im Westen interessierte man sich nun mehr für abstrakte Kunst und konnte mit dem Realismus eines Otto Dix nichts mehr anfangen. Im Osten dagegen wurde der ‚Sozialistische Realismus’ propagiert und man suchte nach Künstlern, die an der Entwicklung eines neuen Stils im Sinne des sozialistischen Systems mitwirken sollten. Dix hielt man dafür wegen seiner realistischen Formensprache, wegen seiner Vergangenheit als Kriegsgegner in der Weimarer Republik und als verfolgter Künstler im Dritten Reich für besonders gut geeignet. Die Erwartung jedoch, sich künstlerisch wie persönlich eindeutig zum Sozialismus zu bekennen, erfüllte er nie und blieb deshalb auch in der DDR nicht unumstritten, zumal er weiterhin in Hemmenhofen am Bodensee wohnte und nicht in seine zweite Heimat Dresden zurückkehrte. Trotzdem hielt man an ihm fest und machte sich ‚seinen Dix passend’, indem man seine Kunst im Anti-Kriegs-Kontext interpretierte und sie als sozialkritische und friedensstiftende Kraft würdigte. Otto Conzelmann war in der Bundesrepublik der erste Kunstwissenschaftler, der sich dem künstlerischen Werk von Otto Dix wieder zuwandte. 1959 veröffentlichte er über ihn die für Gesamtdeutschland erste Monografie nach dem Zweiten Weltkrieg und erwähnt darin die Krieg-Mappen als eine Arbeit ganz im Geiste des Gemäldes Der Schützengraben von 1923. Hier wie dort, so Conzelmann, der mit Dix persönlich bekannt war, handele es sich um den Versuch des Künstlers, sich von dem entsetzlichen Albtraum des Krieges zu befreien. Was sich im Schützengraben zu einem Gebirge der Abscheulichkeiten auftürmt, wird seines Erachtens im Radierzyklus aufgeteilt und in Einzelheiten erläutert. Tod, Verstümmelung und Verwesung kennzeichneten den Krieg, den Dix dort schildere. Er ergänzt, dass sich in den Krieg-Radierungen auch etwas offenbare, das stärker sei als alle Gewalt des Krieges, nämlich der blinde Lebenswille des Menschen und sein animalischer Selbsterhaltungstrieb. Die Bordellszenen und nicht zuletzt die vom Zyklus ausgeschlossene Vergewaltigungsszene Soldat und Nonne brächten dies anschaulich zum Ausdruck. Diese Gegensätze vermitteln laut Conzelmann eine Dialektik von Leben und Tod, Verwesung und Geburt, blinder Destruktion und wucherndem Wachstum. Als Jean Cassou, der damalige Direktor des Musée National d’Art Moderne in Paris, Anfang der sechziger Jahre ein Konvolut von über 600 Zeichnungen entdeckte, die Dix während der vier Jahre an der Front (1915-1918) angefertigt hatte, wandelte sich der Blick Conzelmanns auf die Radierungen des Krieg-Zyklus. In den Kriegszeichnungen offenbarte sich ihm der ‘andere Dix’, der von den gewaltigen Kräften des Krieges fasziniert, diese in der kraftvollen Formensprache des italienischen Futurismus und aus dem unmittelbaren Erleben heraus schildert. Die Kreidezeichnung von 1917 Reihe im MG-Feuer z. B. zeigt deutlich die im Vergleich zu den Radierungen andere Herangehensweise an das Kriegsthema und das Kriegserleben. Die Reihe der Soldaten fällt in der spitzen, fächerförmigen Garbe des Maschinengewehrs. Der Mensch als Individuum spielt hier keine Rolle, er verschmilzt mit der Schützenreihe, die Teil der energetisch geladenen Kriegsmaschinerie ist, welche Dix fasziniert und focussiert. Anders als in den Radierungen wird hier das Leiden des Menschen nicht gezeigt, er blutet nicht, er verendet nicht, er verwest nicht und stinkt noch nicht. Im Gegenteil, er fungiert als Symbol imponierender Kriegsgewalt. Zu geometrischen Formen abstrahiert, fallen und liegen die Soldaten fast dekorativ arrangiert, während sie in den Radierungen mit allen ihren menschlichen Regungen und Bedürfnissen detailliert geschildert werden. Conzelmann erkennt nun auch in den Radierungen dieses ‘Ja’ zum Krieg, das in den Zeichnungen durch die distanziert faszinierte Perspektive des Künstlers so deutlich zutage tritt. Es sei ein ‘Ja’ des Künstlers zum Menschen und der Welt in allen ihren Ausprägungen und dazu gehöre eben auch, dass der Krieg als Destruktionstrieb naturgegeben und unausrottbar im Menschen angelegt sei. Für Conzelmann tritt an dieser Stelle der Nietzscheaner Dix hervor. ‘Was Nietzsche und Dix bejahen - Die Vergänglichkeit und alles Negative, was mit ihr zusammenhängt - ist unveränderbar. Es gehört zum naturgegebenen Wesen des menschlichen Daseins. Wie jenseits von Gut und Böse, so steht es hoch und unerreichbar über allen politischen und sozialen Verbesserungs-Tendenzen (…).’ Die Möglichkeit den Krieg überhaupt zu bekämpfen oder einzudämmen, bestünde deshalb für Dix nicht. Auch den Vergleich der Radierungen mit Francisco de Goyas (1746-1828) Desastres de la Guerra (1808-1815) führt er letztendlich in dieselbe Richtung, nämlich Dix vom häufig geäußerten Vorwurf des gewollten Pazifismus und der politischen Agitation freizusprechen. Obwohl Goya aus einer nachweislich patriotischen Position heraus arbeitete, - er stand im Dienst des spanischen Königs als er die Gräuel des Krieges gegen Napoleon in einer Reihe von achtzig Radierungen schilderte -, gewinnen seine Darstellungen eine überzeitliche, überlokale bzw. generelle Bedeutung, so Conzelmann. Wie Dix den Destruktionstrieb im Menschen entdeckte, so entdeckte Goya den Foltertrieb, der in jedem Menschen angelegt sei. Eben jenen Anspruch der Universalität und Überzeitlichkeit formulierte bereits Ernst Kállai 1927 für Dix’ Gemälde Der Schützengraben. Kállai, ein einflussreicher Kunstkritiker der Weimarer Zeit, war überzeugt, dass Dix’ Glaube an die Allmacht des Krieges es ihm ermögliche, diesen als eine Art monumentale Vision zu gestalten. Er beschwöre das Hässliche und Abscheuliche in seinem Gemälde, indem er es mit kalter Grausamkeit und einem unerbittlichen Verismus darstelle. Jedoch bleibe die Frage offen, ob es sich um eine Ablehnung des Abscheulichen handele oder um einen anbetenden Kult. Das Schützengrabenbild von Dix könne Gegenstand höchster Anbetung eines fanatischen Kriegsgottverehrers sein, so Kállai, aber ebenso gut als pazifistisches Propagandamittel dienen. Diese Erörterung Kállais sei für die Krieg-Radierungen ebenso gültig, erläutert Otto Conzelmann. Denn was dieser als ‘monumentale Vision’ beschreibe, bezeichnet Conzelmann als Kriegsmythos. Dieser Mythos speise sich aus der Anonymität, in die Dix ihn verbanne. Trotz zahlreicher dokumentarischer Ortsangaben seien die Radierungen weder örtlich noch zeitlich eingeengt. Alle wirtschaftlichen, militärischen und politischen Aspekte und Ursachen fänden keine Ansprache, findet Conzelmann. Selbst das ‘Ungeheuer an Kraft’, das in den Kriegszeichnungen lebendig sei, bleibe in den Radierungen verborgen. Der Schützengraben und Der Krieg von 1924 sind für den Autor damit in eine andere Sphäre, außerhalb politischer Ideologien, entrückt und zeichnen eine Art ‘Urbild aller Kriege’. Conzelmanns Publikation von 1983 Der andere Dix. Sein Erlebnis des Krieges und des Menschen war bis dahin die ausführlichste Auseinandersetzung zur Bedeutung des Ersten Weltkrieges im Oeuvre des Künstlers. Indem der Autor das Verständnis der dixschen Kunst aus dessen Nietzscherezeption generierte, versuchte er die politische Diskussion um Dix zu überwinden und den bis dahin eng begrenzten Blick auf den Künstler zu erweitern. Es gelang ihm nur bedingt. Zunächst empörten sich nicht wenige Kunstwissenschaftler über Conzelmanns Bestreben, Otto Dix zu entpolitisieren und nachzuweisen, dass ihm nichts an einer politischen Wirkung gelegen habe. Dietrich Schubert, der das dixsche Werk für ‘eminent politisch’ hält, wie er 1984 als Reaktion auf das Buch betonte, entzieht sich sogar demonstrativ einer detaillierten Besprechung von Conzelmanns Thesen mit dem Hinweis auf dessen ‘unwissenschaftliche Schimpftiraden’, seinen ‘unreflektierten Anti-Sozialismus und blinden Anti-Kommunismus’ sowie auf die ‘methodologischen und wirkungsgeschichtlichen Defizite’ des Autors. Andere Wissenschaftler wiederum folgen den Thesen Conzelmanns. Rainer Beck konzipierte zum Beispiel die große Dix-Ausstellung in München 1985 ganz in dessen Sinne, sodass in folgenden Ausstellungsbesprechungen die Frage auftauchte, ob Dix den Krieg am Ende gar verherrlicht hätte? Ein Jahrzehnt später beschäftigt sich Annegret Jürgens-Kirchhoff im Rahmen ihrer Studie zu ‘Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert’ ausführlich mit Conzelmanns Position. Sie bemängelt, dass dieser die ästhetischen und wirkmächtigen Unterschiede zwischen den Kriegszeichnungen und den späteren Kriegsradierungen zwar richtig beschreibe, diese Widersprüche jedoch nicht ernst nehme und versuche beide Arbeiten zu harmonisieren. Für Jürgens-Kirchhoff äußern sich gerade in diesem Perspektiv- und Stilwechsel die Verarbeitungs- und Erkenntnisphasen eines sich wandelbaren Künstlers, der sein Verhältnis zum Krieg überdenke und verändere. ‘Wie kein anderer hat Dix den Krieg später als ‚Menschenschlachthaus’ dargestellt und unmissverständlich mitgeteilt, daß er das Sterben im Krieg für sinnlos halte’, so Jürgens-Kirchhoff. Conzelmann dagegen versuche, seinen antikommunistischen Ressentiments entsprechend, die von Otto Dix und anderen Künstlern nach dem Ersten Weltkrieg gewonnenen Einsichten rückgängig zu machen und negiere diese Wandlung des Künstlers schlichtweg, indem er behaupte, Dix vereine das ‘Scheußliche’ des Krieges mit dem ‘Großartigen’ des Krieges in einer dialektischen Spannung. Der ‘andere Dix’, der den Krieg als etwas Kraftvolles und Faszinierendes beschrieben hatte, verändere Conzelmanns Argumentation zufolge sein Bewusstsein nicht. Die nach 1918 entstandenen Arbeiten, darunter auch der Krieg-Zyklus, brächten zudem lediglich das im Krieg Verdrängte zur Sprache und sind demnach kein Zeugnis einer veränderten inneren Haltung des Künstlers. Außerdem sei das Interesse Conzelmanns den Krieg als etwas Unabänderliches und Naturgegebenes auszuweisen, der Versuch von der Verantwortung der kriegführenden Menschen abzulenken. Jürgens-Kirchhoff widerspricht ferner entschieden seiner Vorstellung, dass die Radierungen ein ‘Urbild aller Kriege’ zeichneten und einem ‘Mythos des Krieges’ geschuldet seien. Sie besteht darauf, dass der Zyklus ein sehr genaues Bild des Ersten Weltkrieges zeichne und auf konkrete Erfahrungen des Künstlers zurückgehe. Subskriptionen wie ‘Gesehen am (…)’ oder ‘Gefunden beim (…)’ betonten den Dokumentarwert der Bilder, so die Autorin. Kira van Lil nimmt in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2000 diesen Faden auf und prüft anhand formaler Kriterien den dokumentarischen Gehalt des Zyklus. So suggeriere Dix, ihrer Meinung nach, mit der Abfolge der Bilder einen Erlebnisbericht und erhebe damit den Anspruch einer wahrhaftigen Reportage. Die Orts- und Zeitangaben, die Dix den Radierungen hinzufüge, sollen dem Betrachter vermitteln, dass der ‘Reporter’ Dix zu jedem Zeitpunkt an den entscheidenden Orten der Westfront gewesen sei und deshalb wisse, wie der Krieg dort ausgesehen habe. Und berechtigterweise kann sie Dix eine solche Absicht unterstellen, da ihr Unstimmigkeiten zwischen einigen Zeit- bzw. Ortsangaben und den tatsächlichen Aufenthaltsorten des Künstlers auffallen. Danach konnte Dix, anders als der Titel Abend in der Wijtschaete-Ebene (Nov. 1917) glauben macht, im November 1917 nicht an den Kämpfen in der Wijtschaete-Ebene teilgenommen haben, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Russland an der Ostfront befand. Aller Kritik zum Trotz, die Van Lil im Einzelnen formuliert, überwiegen in der von ihr gegebenen Gesamtschau, die Übereinstimmungen zwischen der Erinnerung des Künstlers und dessen mittels des Militärpasses rekonstruierten Aufenthaltsorte während des Ersten Weltkrieges. Einige Blätter gingen sogar auf konkrete Erlebnisse zurück, die Dix in Feldpostbriefen an Helene Jacob geschildert hatte. Beides sei, der Argumentation Van Lils folgend, im Krieg-Zyklus gegenwärtig: Die konkrete Dokumentation einer wahrhaftigen Erinnerung sowie Produkte der künstlerischen Fantasie, die eine Augenzeugenschaft historisch bedeutender Schlachten suggerieren sollen.

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