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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 11.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Studie macht sich zur Aufgabe, die Reinheitsdiskurse in Goethes ‚Iphigenie auf Tauris‘, Schillers ‚Die Jungfrau von Orleans‘ und Grillparzers ‚Das goldene Vließ‘ begrifflich zu fassen und hinsichtlich ihrer textimmanenten Funktion und ihres ideengeschichtlichen Ortes zu analysieren. Die Texte bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Mythos und Aufklärung, Archaik und Moderne. Die in ihnen durchgespielten Reinheitsdiskurse sind Medium der Auseinandersetzung über Werte und Normen, die soziale und kulturelle Ordnungen konstituieren, stabilisieren oder desavouieren. Desgleichen werden über Reinheitsdiskurse Verlustgeschichten in den Blick genommen, die auf die durch die Aufklärung geborene Moderne referieren. In diesem Sinne können die hier verhandelten Texte als Kulturkritik verstanden werden: Als Reflexionen über die Möglichkeiten, aber auch die Zumutungen der Moderne.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel I.4, SCHEIN DER VERSÖHNUNG: Iphigenie auf Tauris wird gemeinhin als das klassischste der Dramen Goethes verstanden. Schon in der Prosafassung verwendete Goethe einen hohen Sprachstil, er montierte Archaismen, Lyrismen, Sentenzen, Inversionen und archaische Bilder. Die Feierlichkeit und Gemachtheit der Sprache radikalisierte er in der Versfassung durch Einführung des Blankverses. Der Blankvers wurde in Folge der Iphigenie ‘der Vers des deutschen Dramas schlechthin’. Gleichwohl rief die sprachliche und dramatische Form Vorbehalte unter Goethes Zeitgenossen hervor der Sprache ermangele es der Natürlichkeit und dem Werk an Bühnenwirksamkeit. Der strenge Rückgriff auf die Form der klassischen fünfaktigen Tragödie, die Entwicklung also des Stoffes über Exposition, Steigerung, Anagnorisis, Intrige und (suspendierter) Katastrophe der fünfhebige reimlose Jambus des Blankverses und die archaisierend wirkenden rhetorischen Mittel brachten dem Stück den Vorwurf der Abgehobenheit und künstlicher Gemachtheit ein. Goethe berief sich bei der Umarbeitung der Prosafassung auf die Kategorie des Harmonischen, insofern als er im Brief an Herder vom 18.9.1786 die Harmonisierung als Bedingung der Reinheit des Stückes bestimmt: ‘so verjagt nun eine Harmonische Stelle die nächste unharmonische und so wird hoffentlich das ganze Stück rein’. Auch beabsichtigte er, durch die Harmonisierung der Form dem Stück die Fremdheit zu verleihen, ‘die der auf der Ebene des Gehalts eingehaltenen Distanz zur Realität entspricht’. Der Blankvers soll den Stoff der Wirklichkeit entrücken. Die Harmonisierung der Sprache in der Iphigenie durch den Blankvers hat Goethe treffend mit einer Gewaltmetapher umschrieben: ‘Ich möchte ihr zartes Haupt unter das Joch des Verses beugen’. In dieser Metapher stellt sich der schriftstellerische Prozess als Zwangsregime dar, als ein Vorgehen der Reinigung, der Glättung – aber auch der Bändigung des bislang Ungebändigten, der Ordnung des Ungeordneten der prosaischen Rede. Wie Cuonz plausibel darlegt, handelt es sich bei der Reinigung der Form um eine Selbstreferenz auf den Anspruch des klassischen Dramas, ‘ein reines Kunstwerk zu sein’. Jedoch ist die Selbstbezüglichkeit des Stücks nicht hinreichend beschrieben durch die Inszenierung des aporetischen Reinheitsideals ‘im Modus des klassizistischen Duktus […] als Modell seines eigenen Funktionierens (bzw. Nicht-Funktionierens) nach dem Ideal der Erzeugung eines reinen Kunstwerks’ . Denn auch auf das klassische Humanitätsideal referiert der Modus der klassisch-reinen Sprache. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass das Stück die Performanz der Sprache zum Thema macht. Das Humanisierungspotential der Sprache findet als das Geschehen auf der stofflichen Ebene seine produktionsästhetische Entsprechung im künstlerischen Prozess der Umarbeitung: Das Ungebändigte, Mythische wird geglättet, gereinigt, dem aufgeklärt Humanen unterworfen. Gewiss, die Harmonisierung der prosaischen zu gebundener Sprache ‘kostet den Preis der Gewalt, die man der Sprache antun muß’ das dem Humanen immanente Substrat des Inhumanen beansprucht sein Recht auch in der sprachlichen Form. Mithin aber bricht Goethe an zwei bedeutenden Stellen mit der ästhetischen Harmonisierung, der Reinigung der Form. Zum einen wird im Zentrum des Stücks durch den Bruch mit dem Versmaß das emphatische ‘Sei Wahrheit!’ (Vs. 1081) als Wendepunkt gekennzeichnet. Der fünfhebige Jambus wird nicht ausgeführt und damit die Bedeutung des Wahrheitsproblems formal plausibel gemacht. Die Wahrheit wird als zentrale Kategorie des Stückes herausgestellt, ‘[d]ie Pause nach dem Wort 'Wahrheit' hebt den inhaltlichen und konzeptionellen Zentral- und Wendepunkt deutlich hervor’. Mit der Kategorie der Wahrheit steht und fällt das hier vorgeführte Programm der Humanisierung, allein durch die Macht des wahren Wortes soll das Ende des mythischen Schuldzusammenhangs besiegelt, Versöhnung ermöglicht und das barbarische Weltenalter humanisiert werden. Insofern lässt sich der formale Bruch in Orests Wahrheitsbekenntnis als Vorzeichen der Konfliktlösung bestimmen. Im fünften Akt findet sich der zweite eklatante Bruch mit der harmonisierten Form: Statt das Stück zur Katastrophe zu bringen, löst Goethe den Konflikt auf, bricht also mit der reinen, an die klassische griechische Tragödie angelehnten aristotelischen Form. Diese Verunreinigung der klassischen Form ist durchaus als kreativer Ausbruch aus einem Schema strikter Reinheit zu verstehen und nimmt ihr Sterilität und Dogmatik. Im Bruch mit der Harmonisierung zeigen sich so auch die Grenzen der Humanisierung. Dort, wo sich das subtile Programm des Stückes der 'Beugung unters Joch des Verses' entzieht, wird es als prekär gekennzeichnet und damit entdogmatisiert. Dem allzu Humanen wird die Schärfe genommen die von Iphigenie erreichte Versöhnung zwischen sich und Thoas, zwischen Griechen und Skythen erscheint so als Unvollkommene. Thoas' ‘Lebt wohl!’ (Vs. 2174) wird als Erzwungenes, gewaltsam Abgerungenes markiert. Dass Iphigenie ihm die Floskel nur wenige Verse zuvor wortwörtlich eingibt, verstärkt diese Einschätzung nur. Gerade darin, wie mit dem Skythenkönig verfahren wird, zeigt sich das Inhumane der Humanität. Als zentrale Kategorie der Aufklärung ist jene immer auch ein Moment der Beherrschung, hat Teil am aufklärerischen Programm der Naturbeherrschung. Das ‘Lebt wohl!’ des Königs hingegen ist wiederum seiner Humanität abgerungen: Er hält sein Versprechen, er lässt Gnade vor Recht ergehen, verzichtet auf die Ausübung seiner Macht und beherrscht sein Verlangen nach Iphigenie. Indem er aber den Forderungen Iphigenies nachgibt, wird er gleichsam zum Verlierer des geschichtlichen Prozesses, denn hier wird nur scheinbar Humanität gestiftet: ‘durch den Tausch von [...] Gleichem: Wahrheit gegen Wahrheit, Freundschaft gegen Freundschaft [denn] nur von einem, Thoas, wird verlangt, daß er sich entäußere: der Macht, die ihm die Überlegenheit der Waffen gibt, der Liebe, die allein ihm den Sinn humanen Verhaltens verbürgt, der Sicherheit, die ein traditionelles Normengefüge verleiht’. Deshalb äußert Christa Bürger auch den Verdacht, dass ‘[d]ie in der Iphigenie dargestellte Welt der herrschaftsfreien Kommunikation [...] in dem Maße bloßer Schein der Versöhnung bleiben [muss], wie deren reale Bedingungen ausgespart sind’ . 'Reale Bedingungen' meint hier einerseits die bereits ausgeführte Situation Thoas', andererseits den Verzicht Goethes auf die Stimme des Volkes, durch den das vorgeführte Geschehen als elitäre Veranstaltung Privilegierter enttarnt ist. Auch Karina Becker kommt zu dem Ergebnis, dass ‘die Verwirklichung von Humanität und Autonomie […] auch eine Frage von Macht [ist] und die hat nicht das Volk, sondern der Staatsmann und die Königstochter’. Daher bleibe vollständige Humanität und Autonomie unerreicht, die Lösung des Konfliktes erzeuge letztlich nur ‘Scheinvollkommenheit’ und enttarnt somit die Insel der Skythen als Eutopie. Der Bruch im ästhetischen Verfahren zeigt somit zweierlei an: Erstens die Grenzen formaler Stilisierung und zweitens die Grenzen des reinen Humanitätsideals. Indem Goethe an den beiden genannten Stellen mit der ästhetischen Harmonisierung bricht, entlarvt er sowohl das Reinheitsideal der Ästhetik der Klassik als auch die im Dienste der Humanität erzielte Versöhnung am Ende als Schein von Versöhnung, ‘die sprachliche Harmonisierung, die eine Anstrengung darstellt zur ästhetischen Versöhnung der Widersprüche, versagt vor der Wahrheit’ . Anders gesagt: Der Bruch in der gereinigten Sprache, der letzte verunreinigende Rest, der in der Harmonie aufzugehen sich versagt, verweist gleichsam auf die Grenzen ästhetischer und sittlicher Reinheitsideale. Dem entsprechen Douglas' Anmerkungen zur Starrheit strikter Reinheit, sowie diejenigen bezüglich des kreativen Potentials von Verunreinigungen. Douglas verweist darauf, dass ‘Reinheit (...) nur durch Aussondern zu erlangen [ist]. Daraus folgt, daß Reinheit in ihrer gelebten Form – nicht als Symbol – etwas Reduziertes und Steriles sein muß. Die Reinheit (…) stellt sich, wenn wir sie erreicht haben, als hart und tot wie Stein heraus (…) Reinheit ist der Feind aller Veränderungen, Mehrdeutigkeiten und Kompromisse’. So führe der Zwang einer strikten Reinheitsstruktur immer bei ‘exakter Befolgung zu Widersprüchen, wenn nicht gar Heuchelei. Das Negierte verschwindet dadurch nicht. Das übrige Leben, das nicht säuberlich in die anerkannten Kategorien paßt, bleibt vorhanden und beansprucht sein Recht’. Dieser Sachverhalt finde seinen Grund im Wesen des Strebens nach Reinheit: Erfahrung soll dabei in logische, widerspruchsfreie Kategorien gezwungen werden. Erfahrung aber ‘läßt sich nicht unterwerfen, und diejenigen, die es versuchen, verwickeln sich in Widersprüche’. Widersprüche dieser Art werden in der Iphigenie sichtbar an der nur scheinbar erreichten Versöhnung. Dass auch Iphigenies Reinheit ein Makel anhaftet, zeigt sich am inhumanen, repressiven Rest ihrer Humanität. Pylades wusste dies, als er Iphigenie darauf hinwies, dass sie ihre reine Tugendhaftigkeit nur in der Abgeschiedenheit des sakralen Tempelbezirks durchhalten könne, während in der Welt ‘[...] keiner in sich selbst noch mit den andern / Sich rein und unverworren halten kann’ (Vs. 1658). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Reinheitsdiskurse in Goethes Iphigenie auf Tauris Auskunft geben über die Macht und Grenzen von Reinheitsvorstellungen. Gegen mythische Dumpfheit und archaisch-feudale, ebenso wie göttliche Herrschaftsanmaßung bringt Goethe Iphigenies Reinheit in Stellung – im Namen der Aufklärungsphilosophie, deren Anliegen es war, das Privileg der Geburt durch Tugendhaftigkeit und reine Menschlichkeit abzulösen. Iphigenies Reinheit dient dabei gewissermaßen als Katalysator gesellschaftlicher Utopie. Es ist aber nur unter Vorbehalt davon zu sprechen, dass Iphigenies Reinheit auch Garant gesellschaftlicher Utopie sein kann. Denn erstens bleibt die weitere Entwicklung auf Tauris im Dunkeln: Es ist völlig unklar, welche Folgen die Heimfahrt der Griechen für die Skythen zeitigen wird. Zweitens haftet dem aufklärerischen Programm, Friede und Freiheit durch Wahrheit zu schaffen, der Makel des Inhumanen an. Goethe muss erkannt haben, dass eine Versöhnung des Stoffes nur möglich war, indem er ihre Scheinhaftigkeit ästhetisch transparent machte.

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