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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 04.2020
AuflagenNr.: 1
Seiten: 216
Abb.: 20
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Besteht ein Zusammenhang zwischen der Nutzung oder dem Praktizieren ‚alternativer Heilmethoden‘, esoterischen Weltanschauungen und dem Glauben an Verschwörungstheorien? Inwiefern gibt es die Möglichkeit, dass Personen über alternative Heilmethoden an esoterische Konzepte und Verschwörungstheorien, sowie damit verbundene rassistische oder nationalistische Ideologien und antisemitische Denkweisen gelangen? Auf diese und weiterführende Fragen werden durch Anwendung innovativer Forschungsmethoden Antworten gesucht und gefunden. Durch die Verbindung von theoretischer Fundierung, qualitativen Methoden, Feldforschung und quantitativen Netzwerkanalysen auf Social-Media-Plattformen werden relevante Akteur_innen und rechtsideologische, verschwörungstheoretische Diskurse im Feld der Alternativmedizin und Esoterik im Online- und Offline-Raum anhand anschaulicher Beispiele beleuchtet. Das Buch nimmt Sie mit in die verflochtenen Gefilde der Homöopathie und Alternativmedizin, Impfgegner_innen und Geistheiler_innen, Anthroposophie, dem Glauben an Chemtrails, über antisemitische Verschwörungstheorien und der völkischen Anastasia-Bewegung bis hin zu Reichsbürgerideologie und Brauner Esoterik.

Leseprobe

Textprobe: Historischer Rückblick auf Verschwörungstheorien: Verschwörungstheorien existieren – zumindest in Europa – bereits seit der Antike, im Hochmittelalter waren sie weit verbreitet und stellten vollkommen legitimes Wissen dar. In den USA wurde die Geschichte des Verschwörungsglaubens bereits vielfältig wissenschaftlich erforscht, in Europa sind hingegen bisher nur einige Regionen und Epochen untersucht, dokumentiert und aufgearbeitet worden (Butter, 2018). In welcher Weise und in welchen Ausprägungen Verschwörungstheorien im asiatischen und arabischen Raum historisch verbreitet waren ist bisher ebenfalls kaum untersucht. Aufgrund dessen widmet sich dieses Kapitel lediglich der Geschichte der Verschwörungstheorien in Europa und den USA, zumal die kulturelle Vergangenheit von Christentum und Verschwörungsglaube bereits sehr umfangreich ist. Zu Beginn der historischen Analyse von Verschwörungstheorien, welche in den 1990er Jahren durch die Geistes- und Sozialwissenschaften zunehmend Beachtung fand, wurden Verschwörungstheorien als eine ‚anthropologische Konstante‘ beschrieben, die aus einem grundlegenden Bedürfnis des Menschen nach Orientierung resultiere. Nach diesem Verständnis seien Verschwörungstheorien in jedem Kulturkreis und in jeder Epoche existent gewesen (Hammel, 2015). Butter widerspricht dieser Ansicht: Wenn mit einer einigermaßen engen Definition gearbeitet werde zeige sich, dass Verschwörungstheorien keineswegs derart konstant verbreitet waren, da spezifische Bedingungen gegeben seien müssen um Konspirationstheorien zu verbreiten (Butter, 2018). Zum einen müsse ein spezielles Konzept von Subjekten und von Handlungsfähigkeit gegeben sein, zudem brauche es ein Verständnis zeitlicher und historischer Entwicklung. Zum anderen sei für die Verbreitung und Zirkulation von Verschwörungstheorien eine Öffentlichkeit notwendig, die über rein private Kommunikation hinausgehe. Somit seien Verschwörungstheorien auch an mediale Umstände gebunden, ansonsten blieben sie lediglich Verschwörungsgerüchte (Butter, 2018). Butter stellt die These auf, dass es sich bei der Verschwörungstheorie (nach seiner Definition) um ein europäisches Denkmuster handele, welches in der Antike entstand, sich zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung entwickelte, im Rahmen des Kolonialismus und Imperialismus in der Welt verbreitet wurde und durch Hybridisierungen mit indigenen Glaubenssystemen zu spezifischen Ausprägungen (z.B. dem Hexenglauben) geführt habe (ebd.). Dies sei zwar eurozentristisch gedacht, jedoch nach aktuellem Forschungsstand relativ wahrscheinlich. Heutzutage existierten jedenfalls sehr ähnliche Verschwörungstheorien auf der ganzen Welt (Butter, 2018). In der Antike seien Verschwörungstheorien Teil des allgemeinen Wissens, aber auch der politischen Kommunikation gewesen. Sie seien wie auch heutzutage genutzt worden, um die Welt als planbar und beeinflussbar zu betrachten, Chaos und Zufall auszuschließen, um Feinde mittels der Unterstellung des Verschwörens zu identifizieren und stigmatisieren sowie zur Stärkung der eigenen Gruppenidentität und der Konstruktion von Überlegenheit seitens der ‚Wissenden‘ gegenüber den ‚Unwissenden‘ (Butter, 2018). Im Mittelalter bildete sich im Kontext christlicher Dogmen die erste antisemitische Verschwörungstheorie heraus: Jüd_innen wurden als Christusmörder, Brunnenvergifter und Kindsmörder dargestellt, welche der christlichen Bevölkerung Schaden wollen würden und mit dem Teufel im Bunde seien (Wippermann, 2007). Butter ordnet diese antisemitischen Anschuldigungen und Verdächtigungen gegen Jüd_innen nicht als vollständige Verschwörungstheorien ein, da es weder das zeitliche Verständnis noch die notwendige Öffentlichkeit gegeben habe. Es seien zwar Versatzstücke von Verschwörungstheorien, jedoch sei es in den meisten Fällen darum gegangen, verübte Gewalt gegenüber Jüd_innen mittels Unterstellungen der Konspiration zu rechtfertigen und nicht um die Enthüllung einer Intrige (Butter, 2018). Erst die Entwicklung des Buchdrucks in der Moderne habe die Herausbildung moderner Verschwörungstheorien hervorgebracht. Dies zeigt Butter anhand der Konspirationsvorwürfe gegen angebliche Hexen auf: Während sich der Hexenglaube im Mittelalter primär gegen Einzelpersonen richtete, entwickelte er sich ab Mitte des 15. Jahrhunderts, also in der Epoche der Frühen Neuzeit, zu der Idee einer großen Hexenverschwörung (Butter, 2018). Auch der Hexenhammer, ein Nachschlagewerk zum Beweis der Hexerei mittels Folter, welches weite Verbreitung fand, propagierte, Hexen seien mit dem Teufel im Bunde und miteinander als Komplott verschworen, um der Bevölkerung zu schaden (Hammel, 2015 Wippermann, 2007). Im 17. Jahrhundert gipfelte die ‚Hexen‘-Verfolgung in diversen Pogromen in ganz Europa, bei denen hunderte Frauen (und einige Männer) gefoltert und auf dem Scheiterhaufen ermordet wurden (Rummel/Voltmer, 2008). Die Verschwörungstheorien gegen die angeblichen Hexen, die angeblich mit dem Teufel im Bunde steckten, erfüllten in Zeiten der Reformation und der Religionskriege eine Ordnungsfunktion und waren vollkommen legitimes Wissen, welches in politischen Diskursen genutzt und sowohl von den Eliten, als auch dem Großteil der Bevölkerung, geglaubt und verbreitet wurde (Butter, 2018). In der Epoche der Aufklärung ab Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts, welche die Säkularisierung voranbrachte, veränderten sich lediglich die Zielgruppen, denen eine Verschwörung unterstellt wurde. Da Gott als Ordnungsfaktor der Welt an Bedeutung verlor, nahmen die Verschwörungstheorien im 18. Jahrhundert an Popularität deutlich zu (ebd.). Anstelle des christlichen Menschen- und Weltbildes trat das mechanistische Denken von Ursache und Wirkung, welches alle Ereignisse und Handlungen als steuerbar und intentional bewertete sowie die Moralphilosophie Kants, welche ebenfalls von der Möglichkeit eines vollkommen vernunftbegabten, rationalen Menschen ausging (Butter, 2018). Im 18. Jahrhundert wurden Freimaurer und Illuminaten beschuldigt, die Französische Revolution organisiert zu haben und weitere Verschwörungen zu planen, ab dem 19. Jahrhundert standen Sozialist_innen und Kommunist_innen unter Verdacht, mittels Komplotten die politische und soziale Ordnung zerstören zu wollen. In Deutschland wurden auch Katholik_innen kurzzeitig der Verschwörung bezichtigt (ebd.). Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann immer stärker Jüd_innen der Konspirativität beschuldigt. Getragen von der Idee einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘ breitete sich der Antisemitismus in ganz Europa aus und gipfelte letztendlich in der Shoah, in der systematischen Ermordung von Millionen Menschen (Butter, 2018). Der Holocaust war ein entscheidender Faktor dafür, dass Verschwörungstheorien nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst stigmatisiert und delegitimiert wurden.

Über den Autor

Nora Feline Pösl (M. A.) ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Sozial- und Gesundheitswissenschaften tätig. Bereits während ihres Bachelor-Studiums der Soziologie beschäftigte sie sich mit intersektionalen Dimensionen sozialer Ungleichheit, Verschwörungstheorien, Esoterik, Antisemitismus und Rassismus. In ihrem 2019 erfolgreich abgeschlossenen Masterstudium der Sozialwissenschaft und Gender Studies wandte sie sich der Erforschung der Zusammenhänge von sogenannten alternativen Heilmethoden, Verschwörungstheorien und rechten Ideologien zu. Das vorliegende Werk ist Resultat dieser Analysen. Weitere Arbeitsschwerpunkte von Nora Feline Pösl sind Demokratie- und Partizipationsforschung, intersektionale Perspektiven auf Flucht und Migration, interdisziplinäre Geschlechterforschung, insbesondere in Bezug auf gesundheitliche Perspektiven, die soziologische Betrachtung der Konstruktion von Gesundheit, Krankheit und Behinderung, sowie deren gesellschaftlichen Auswirkungen.

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