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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 152
Abb.: 15
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Lange Zeit fungierte die Original- oder Werktreue als populär deutsches Ausschließlichkeitskriterium innerhalb eines mit moralisierender Hochkultur-Stimmung aufgeladenen akademischen Diskurses über die Qualität von Literaturverfilmungen. Das Licht des 18. Jahrhunderts hatte seine Schatten weit geworfen. Die öffentliche Meinung hält bis heute an der Borniertheit eines Urteils fest, dass das sogenannte ‚Gerechtwerden’ eines Mediums mit einem anderen in den Mittelpunkt seiner Unmöglichkeit stellt. Doch wem oder was kann und soll der Film im Bewusstsein medialer Differenzen treu sein? Ein für die Analyse von Literaturverfilmungen brauchbares Instrument, das weniger wertgeleitet, dafür kontextueller, intertextueller operiert, fehlt bis heute. Genau dies will das vorliegende Buch sein: ein methodischer Neuanfang, ein Versuch zur Methode, eine Grammatik der Transformation.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Intertextualitätsspuren: 3.1, Universale und spezifische Intertextualität: Der Begriff der Intertextualität, in den letzten fünfzehn Jahren auch aufgrund seiner inhaltlichen Polyvalenz innerhalb der literaturtheoretischen Diskussion inflationär gebraucht, bezeichnet allgemein den Bezug von Texten auf andere Texte, die Beziehung-en, die Texte zueinander unterhalten. Dabei ist die Art der Beziehung entscheidend: ‘Und je nachdem, wieviel man darunter subsumiert, erscheint Intertextualität entweder als eine Eigenschaft von Texten allgemein oder als eine spezifische Eigenschaft bestimmter Texte oder Textklassen.’ Intertextualität bewegt sich in diesem kontroversen Spannungsfeld: Als immer präsenter allgemeiner Teilaspekt literarischer Textualität, ‘there are no texts, but only relationships between texts’, eine universale Intertextualität also, deren Ausgangspunkt ist, ‘daß es in der Kommunikation keine tabula rasa gibt, daß der Raum, in den ein einzelner Text sich einschreibt, immer bereits ein beschriebener ist. Jeder Text ist Reaktion auf vorausgegangene Texte, und diese wiederum sind Reaktionen auf andere und so fort (...).’ 1967 erstmals von der Semiologin Julia Kristeva rekurrierend auf Michail Bachtins Dialogizität innerhalb der Literaturwissenschaft als Leitbegriff eingeführt, bedeutet der universale, poststrukturalistische Intertextualitätsbegriff auch den Versuch, die Autonomie eines bürgerlichen Subjektbegriffes zu unterwandern, zu dezentrieren. Im intertextuellen Spiel, in der ‘unendlichen Freiheit der Sinnkonstitution’ wird der Autor zur bloßen Projektionsfläche (wie schon einleitend auf S. 4 angerissen und als Argument gegen die von den Verfechtern der ‚Original- oder Werktreue‘-Debatte implizierten Genieansprüche verwendet). Für die konkrete Analyse entbehrt diese Konzeption heuristischen Potentials. Demgegenüber steht die spezifische Intertextualität als ein ‘Verfahren des Bedeutungsaufbaus’, als ein ‘systematischer Oberbegriff für die verschiedenen Formen konkreter Bezüge zwischen Einzeltexten, wie sie die Literaturwissenschaft immer schon untersucht hatte (z.B. Parodie, Travestie, Zitat, Anspielung, Übersetzung, Adaption).’ Warum erscheint das Konzept spezifischer intertextueller Referenz für das methodisch undurchsichtige, terminologisch verfilzte und allzu lang brachliegende Feld der Literaturverfilmung von Relevanz? Zum einen bietet es eine zusätzliche Beschreibungsebene an, die die Spuren literarischer spezifischer Intertextualität im Ursprungstext aufzuspüren und deren Niederschlag im filmischen Werk nachzuzeichnen versucht, ebenso wie den Spuren filmischer Intertextualität im Sinne der Bezüge zwischen filmischen Texten nachzugehen ist eine Möglichkeit auch, den Kontext des jeweiligen Kunstwerks zu erschließen. Weitere hyperästhetische Bezüge, Beziehungen zwischen literarischen oder filmischen Texten und Gemälden, Musikstücken etc. sind vorstellbar, müssen aus Umfangsgründen jedoch unberücksichtigt bleiben. Zum anderen bietet gerade der von Gérard Genette in Palimpseste - Die Literatur auf zweiter Stufe (1993) entwickelte und sehr ausdifferenzierte Versuch einer Theorie der Intertextualität ein Begriffssystem an, ursprünglich rein auf literarische Texte bezogen, das sich auf die Beziehung zwischen literarischer Vorlage und filmischer Adaption anwenden läßt, ohne in ausgediente Denk- und Argumentationsmuster zu verfallen: ‘Intertextuality, then, helps us transcend the aporias of ‚fidelity.‘ 3.1.1, Gérard Genettes Theorie der Intertextualität: Unter dem Terminus der als Transtextualität benannten Intertextualität subsumiert Genette ‘alles, was ihn (den Text) in eine manifeste oder geheime Beziehung zu anderen Texten bringt.’ Fünf Typen transtextueller Adaption werden vorgestellt, wobei der vierte Typ der Hypotextualität von größter Bedeutung ist, weil er die Adaptionsrelation zwischen literarischem und filmischem Text benennbar macht, ohne die brüchig gewordene Etikette des ‚Originals‘ zu bemühen: ‘Darunter verstehe ich jede Beziehung zwischen einem Text B (den ich als Hypertext bezeichne) und einem Text A (den ich, wie zu erwarten, als Hypotext bezeichne), wobei Text B Text A auf eine Art und Weise überlagert, die nicht die des Kommentars ist. (…) Wir gehen vom allgemeinen Begriff eines Textes zweiten Grades (…), das heißt eines Textes aus, der von einem anderen früheren Text abgeleitet ist. Diese Ableitung kann deskriptiver oder intellektueller Art sein, wenn ein Metatext (etwa diese oder jene Seite der Poetik des Aristoteles) von einem anderen Text (Oedipus Rex) ‚spricht‘. Sie kann aber auch ganz anders geartet sein, wenn B zwar nicht von A spricht, aber in dieser Form ohne A gar nicht existieren könnte, aus dem er mit Hilfe einer Operation entstanden ist, die ich, wiederum provisorisch, als Transformation bezeichnen möchte, und auf den er sich auf eine mehr oder weniger offensichtliche Weise bezieht, ohne ihn unbedingt zu erwähnen oder zu zitieren.’ Im übertragenen Sinne ist der filmische Text ein Hypertext, der sich aufgrund von wie auch immer gearteten transformativen Operationen aus einem vorhergehenden Hypotext, der literarischen Vorlage, ableitet. Im Rahmen einer derart verstandenen Intertextualität stellen alle Literaturverfilmungen Hypertexte dar, weisen Spuren, Echos literarischer Werke auf: ‘Aber wie bei den Gleichen aus Orwells 1984 sind es manche mehr (oder offensichtlicher, massiver und expliziter) als andere (…).’ Eine Literaturverfilmung als Hypertext würde zum Typus einer massiven und zugleich offiziellen Ableitung gehören: ‘Filmic adaptations, in this sense, are hypertexts derived from preexisting hypotexts that have been transformed by operations of selection, amplification, concretization, and actualization.’ Und ebenso ist ein literarischer Hypertext ein Text, ‘der einen anderen zur Folie macht’, wie es zum Beispiel in der Imitation, der Adaption, der Fortsetzung, der Parodie geschieht. Da die Suche nach einer spezifischen Intertexualität im Proceß-Material eine eigenständige Analyseebene darstellt, scheint es sinnvoll, die von Genette in seiner Theorie angeführten Transtextualitätstypen vorzustellen und sie auf die filmische Adaption als Sonderfall zu übertragen. Weitere Unterkategorien der Transtextualiät: Die erste Subkategorie Intertextualität beschreibt die Kopräsenz zweier oder mehrerer Texte, ‘die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen.’ Unterschiedliche Formen dieser direkten Anwesenheit eines Textes in einem zweiten manifestieren sich im Zitat, in der Anspielung, im Plagiat etc.. Literaturverfilmungen partizipieren an einer doppelten Intertextualität, die sich mal literarisch, mal filmisch gestaltet. Einen zweiten Typus, ‘der die weniger enge und weniger explizite Beziehung, die der eigentliche Text im Rahmen des von ihm gebildeten Ganzen’ bezeichnet, ist der Paratext, der sich im Titel, Vorwort, Nachwort, Motto, in der Einleitung usw. manifestiert. ‘In the case of film, the paratext might include widely quoted prefatory remarks by a director about a film, or widely reported information about the budget of a film.’ Ein filmischer Paratext besteht demnach in der Verbreitung von produktionstechnischen Informationen oder von Aussagen des Regisseurs zu Form und Inhalt, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. Metatextualität nennt Genette die dritte Subkategorie ‘als den kommentierenden und oft kritischen Verweis eines Textes auf einen Prätext.’ Der vierte Typ der Hypertextualität ist schon dargelegt, die Architextualität erweist sich als letzte Subkategorie, die die Gattungsbezüge eines Textes meint: ‘Hier handelt es sich um eine unausgesprochene Beziehung, die bestenfalls in einem paratextuellen Hinweis auf die taxonomische Zugehörigkeit des Textes zum Ausdruck kommt (in Form eines Titels wie Gedichte, Essays oder Der Rosenroman usw. oder, was häufiger der Fall ist, eines Untertitels, der den Titel auf dem Umschlag ergänzt, etwa Hinweise wie Roman, Erzählung, Gedichte usw.). (…) Das Wissen um die Gattungszugehörigkeit eines Textes lenkt und bestimmt, wie man weiß, in hohem Maß den ‚Erwartungshorizont‘ des Lesers und die Rezeption des Werkes.’ Architextualität hängt mit der Bestimmung der taxonomischen Zugehörigkeit eines Textes durch den Titel oder durch titelhafte Ergänzungen zusammen. Die Mehrzahl der Literaturverfilmungen übernehmen einfach den Titel des literarischen Hypotextes, auch um die Vorteile eines schon existierenden Marktes zu nutzen, um zum Beispiel an der Popularität eines Romans, eines Autoren zu partizipieren, dessen Ruhm und ‚guter Name‘ als ‚werbestrategisches Zugpferd‘ für die Qualität des filmischen Textes einstehen soll. Für die filmische Adaption hat die Architextualität keine Relevanz, außer wenn ein geänderter Filmtitel operative Transformationssignale aufweist. Genettes Theorie einer als Transtextualität bezeichneten spezifischen Intertextualität konzentriert sich nicht nur auf individuelle Prätexte, sondern schließt Textsysteme wie das der Gattung mit ein. Eine solche Zusammenfassung wird besonders von deutschen strukturalismusbehafteten Kritikern, die zwischen Intertextualität auf der einen und Systemreferenz auf der anderen Seite differenzieren, heftigst angegriffen. Für die Analyse jedoch soll die Genettesche Nomenklatur unhinterfragt übernommen werden. Ergänzungen: Auf der Ebene der Intertextualität erscheint es in Bezug auf Kafka sinnvoll, die Intertextualitätsrelationen so auszuweiten, daß auch die Auto-Intertextualität eine Rolle spielt. Weniger zusätzliche literarische Texte Kafkas, als vielmehr seine Tagebücher und Briefe sollen in die Suche nach intertextuellen Bezügen im Roman einfließen, der für nach autobiographischen Bezügen suchenden Interpreten eine Verwandlung all dessen ist, was zuvor im Verlauf von zwei Jahren zwischen Franz Kafka und Felice Bauer in einer Vielzahl von Briefen durchgespielt und eingeübt worden ist: ‘…daß er (Kafka) unendlich viel mehr einbezog, als man aus den Briefen allein zu erkennen vermöchte, darf über die Identität der beiden Prozesse nicht hinwegtäuschen.’ Auch die Nähe zu Kleist als texttiefenstruktureller Referenzpunkt, bei welchem ‘Bedeutungen in der Form von Allusionen/Anspielungen, Paraphrasen, Übersetzungen, didaktischen oder ästhetischen Bearbeitungen von Texten mittelbar ‚zitiert‘ werden’, soll Bestandteil der Auseinandersetzung sein.

Über den Autor

Jasmin Luise Hermann schloss ihr Studium der Literatur- und Filmwissenschaft an der FU Berlin mit einem Magister Artium ab und erlangte anschließend ein Diplom in Filmregie an der Filmhochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Die Verbindung theoretischer Kenntnisse mit praktischer Erfahrung im Bereich Literaturverfilmung machen sie zu einer ausgewiesenen Kennerin dieses Sujets. Sie arbeitet erfolgreich als Autorin, Regisseurin und Redakteurin.

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