Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

Kunst & Kultur

Phillip Grimberg

que(e)r gelesen: junge Literatur aus Taiwan

Ji Dawei, sein Erzählungsband „Welt der Sinne“ und die Kurzgeschichte „Die Rituale“

ISBN: 978-3-8366-9741-5

Die Lieferung erfolgt nach 5 bis 8 Werktagen.

EUR 28,00Kostenloser Versand innerhalb Deutschlands


» Bild vergrößern
» Blick ins Buch
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 114
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Vor dem Hintergrund taiwanischer Diskurse zu Homosexualität und ihrer gesellschaftlichen und politischen Bezüge verhandelt der taiwanische Autor Ji Dawei (geb. 1972) als Vertreter einer postmodernen, stark global orientierten und inszenierten jungen intellektuellen taiwanischen Elite die Themen Homosexualität, Wahrheit, Identität und Ritualität in einer Sammlung unterschiedlicher Erzählungen,. Diese sind jedoch durch die Klammer der Dekonstruktion als methodologisches Instrument und die theoretischen Prämissen der als ku´er lun taiwanisch-indigenisierten Entsprechung der queer-theory miteinander verbunden. Die im Rahmen dieser Studie exemplarisch behandelte Erzählung Die Rituale , 1995 in dem Erzählungsband Welt der Sinne veröffentlicht, beleuchtet anhand der Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichte des Protagonisten die Falsifizierbarkeit absoluter Wahrheiten und die diesen innewohnenden willkürlich-subjektiven Identitätsannahmen. Anhand unterschiedlicher textimmanenter Parameter wie Familie, Militär und Ritual versucht die Arbeit, die zugrunde liegenden Einschreibungen des Autors sichtbar zu machen und gleichzeitig einen Blick auf ein wenig beachtetes und außerhalb Taiwans kaum rezipiertes literarisches Sujet zu eröffnen. Da die vorgelegte Studie induktiv und textnah angelegt wurde, findet sich eine Übersetzung der Rituale beigefügt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2 (Auszug), Taiwan seit dem Ende der japanischen Besetzung: Während der fünfzig Jahre währenden japanischen Kolonisierung Taiwans von 1895 bis 1945, hatte sich dieses, bedingt durch den Einfluss der seit den Meiji-Reformen des Jahres 1868 modernisierten und in vielen Bereichen einem westlichen Vorbild angenäherten Kolonialmacht, gänzlich anders entwickelt, als das zur selben Zeit in Revolution und Bürgerkriegswirren verstrickte und von Cliquenkämpfen heimgesuchte Mutterland China. Neben einer rascheren urbanen Entwicklung auf Taiwan und einer fortschreitenden wirtschaftlichen, technischen und infrastrukturellen Modernisierung, stellten sich auch Rezeption und Diskurs von Homosexualität gänzlich anders dar, als es auf dem Festland der Fall war. Nach Damm stellt sich der taiwanische Diskurs als ein Hybriddiskurs dar, der unter Ausprägung eigenständiger taiwanischer Charakteristika, westlich-medizinische und chinesisch-traditionelle Diskursansätze miteinander verband . Während im taiwanischen Diskurs der letzten Jahre der japanischen Herrschaft die traditionelle chinesische Auffassung von einer Klassenorientierten Homosexualität weiterhin Bestand hatte und Homosexualität, die das gesellschaftliche und familiäre Gefüge nicht gefährdete oder in Frage stellte, geduldet wurde und sich diese Haltung außerhalb urbaner Zentren noch lange halten sollte , fehlten die Elemente, welche den chinesischen öffentlichen Diskurs auf dem Festland während der Republik-Zeit prägten, allen voran die Klassifikation von Homosexualität als psychischer Abnormität, sowie für den westlichen Diskurs charakteristische, moralisierende und polemisierende Fragen nach dem Erlaubten, völlig. Die Ursache für Homosexualität wurde in einer Vertauschung von männlichen und weiblichen Eigenschaften betrachtet . Die Zeit nach dem Ende der japanischen Herrschaft und der Machtübernahme der KMT im Jahre 1945 war durch stark autoritäre gesellschaftliche und politische Strukturen gekennzeichnet. Das Verbot von Opposition, die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, nächtliche Ausgangssperren, sowie eine scharfe Zensur im Verein mit der fast vollständigen, dauerhaften Überwachung der Bevölkerung durch die allgegenwärtigen Polizei- und Geheimdienste, schufen ein Klima, das nicht dazu angetan war, einen fruchtbaren Diskurs der Homosexualität zu befördern. Der von der Füh-rung der KMT als Ideal verordnete synkretistische, neoklassische Moralkodex konfuzianischer Prägung als Familien- und Gesellschaftsmodell, ließ keine Abweichung von dem als traditionell erachteten Bild der Heteronormativität zu. Es herrschten klar definierte Vorstellungen traditioneller Geschlechterrollen. Die Frau war dem Mann in allem untergeordnet und patriarchalische Familienstrukturen, sowie hierarchisch gegliederte Über- und Unterordnungsverhältnisse kennzeichneten die vertikale Ausrichtung von Familie und Gesellschaft. In der öffentlichen Diskussion kam Homosexualität schlicht nicht vor. Dennoch findet sich in dieser Zeit keine, der europäischen oder US-amerikanischen vergleichbare Gesetzgebung gegen Homosexualität oder homosexuelle Handlungen auch der Zeit der Hexenjagd der McCarthy-Ära in den USA vergleichbare systematische Verfolgungen und Diffamierungskampagnen gab es auf Taiwan nicht. Nicht Homosexualität als solche wurde verurteilt, sondern vielmehr die Abweichung von der als Richtmaß vorgegebenen, ideologisch gefärbten und von der Führung der KMT fixierten, definierten Norm. Das Versammlungsverbot verhinderte den Zusammenschluss von Homosexuellen in organisierten Gruppen vollständig, und auch private Versammlungen von mehr als drei Personen waren nicht gestattet öffentliche Plätze bargen stets die Gefahr, bei Razzien der Polizei verhaftet zu werden. Dies verhinderte nachhaltig, dass sich Homosexuelle einer Gruppe zugehörig fühlen und sich aus einer sexuellen Neigung das Gefühl einer Identität entwickeln konnte. Erst unter dem westlichen Einfluss der während des Koreakrieges auf Taiwan stationierten amerikanischen Soldaten und der von ihnen dort etablierten Barkultur , bot sich für viele weibliche und männliche Homosexuelle eine Möglichkeit zu gefahrlosen Treffen, gedanklichem Austausch und der Rezeption neuer Diskursansätze aus dem Westen.

Über den Autor

Phillip Grimberg, geboren 1980, ist seit seinem Magisterabschluss in Moderner und Älter Sinologie als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter für chinesische Literatur an den Universitäten Köln und Bonn tätig. Bereits während seines Studiums in Köln und Hangzhou (VR China) wählte er einen literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt, wobei er sich insbesondere mit dem klassischen chinesischen Roman sowie der festlandschinesischen Literatur des XX. Jahrhunderts und der Literatur Taiwans seit den fünfziger Jahren beschäftigte. Seine Magisterarbeit zur taiwanischen queer-Literatur verfasste er bei Prof. Dr. Lutz Bieg (Köln). Z.Zt. promoviert Phillip Grimberg zum Thema Literaturtheorie, Kritik und Ästhetik im China des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Daneben veröffentlicht er wissenschaftliche Aufsätze zur Literatur- und Geistesgeschichte Chinas und fertigt Übersetzungen chinesischer Lyrik und Prosa an.

weitere Bücher zum Thema

Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.