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  • Die Metaphorik der Farbe Blau in der expressionistischen Lyrik. Eine Untersuchung an Werken von Georg Heym, Georg Trakl und Else Lasker-Schüler

Kunst & Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2022
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Farben kommen häufig nicht nur durch den visuellen Reiz, sondern auch durch die dahinter versteckte metaphorische Assoziation zur Geltung. Als traditionelle Himmelsfarbe eröffnet die Farbe Blau seit Langem vielfältige Assoziationsräume. Besonders in der Epoche des Expressionismus nimmt sie eine zentrale Rolle ein. Von der bildenden Kunst ausgehend, fungiert das Blau in Form des schriftlichen Zeichens auch in der expressionistischen Lyrik als ausdrücklich metaphorischer Bedeutungsträger. Zum Verständnis der expressionistischen Lyrik ist daher essenziell zu fragen, wie sich die Farbe Blau in den Gedichten deuten lässt. Die vorliegende Untersuchung stellt die Frage, wie die Farbe Blau in den lyrischen Werken von Georg Heym, Georg Trakl und Else Lasker-Schüler eingesetzt wird und zeigt, dass das Blau bei den drei Dichter/-innen auf unterschiedliche Weise wirkt. An manchen Stellen behält diese Farbe ihre Polyvalenz, sodass die Deutung zwangsläufig eine offene sein muss. Dennoch liefert dieses Buch einen exzellenten Überblick über diese spezifische expressionistische Metaphorik.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2 Der Blaue Reiter und das blaue Pferd: Einsatz des Blaus in der modernen Malerei: Als von Kandinsky gewürdigte Farbe des Geistigen wurde das Blau in der bildenden Kunst neu verwendet. Vor allem setzte Kandinsky selbst als Maler bereits in seiner frühen Schaffensperiode die blaue Farbe ein und ließ ihre seelische Wirkung sich entfalten. Ein Beleg dafür ist das Ölgemälde Der blaue Reiter, das im Jahr 1903 entstand und zu den bedeutsamsten Werken Kandinskys zählt. Darin wird eine idyllische Landschaft dargestellt, wobei sich in der Mitte ein in Blau gekleideter Reiter befindet, der mit seinem Pferd voranschreitet. Der mythische blaue Reiter, der ohne weitere merkbare Attribute erscheint, rückt alle ihn umgebenden natürlichen Elemente in den Hintergrund und gewinnt volle Aufmerksamkeit bei der Betrachtung. Wird Kandinskys These berücksichtigt, dass Blau zur Vertiefung und ins Unendliche neigt und beim Betrachter eine übersinnliche Berührung erweckt, so ist das Blau in Der blaue Reiter als ein überirdisches Zentrum in der irdischen Landschaft zu verstehen, das beim Betrachter das Unendliche im Seelischen hervorruft. Christoph Schreier bemerkt zudem den Bewegungscharakter des Blaus in diesem Gemälde: [M]an hat den Eindruck, als fliehe dieser blau gewandete Reitersmann aus der ihn umgebenden Realität in eine ungleich rätselhaftere andere. Dass Blau kaum nur als Kleidungsfarbe des Reiters, sondern vielmehr als autonome Farbe wahrgenommen wird, deutet darauf hin, dass der Eigenwert des Blaus seinem Attributcharakter hoch überlegen ist. Durch das Blau ist es Kandinsky gelungen, das Seelische und das Geistige zu vergegenwärtigen und den seelischen Appell an eine sinnliche Unmittelbarkeit zu binden . Diese Tendenz von Blau setzte Kandinsky in seiner nachfolgenden künstlerischen Praxis fort. Das im Jahr 1909 erschienene Ölbild Friedhof und Pfarrhaus in Kochel gilt als weiterer Ausdruck seiner Ästhetik, durch Form und Farbe auf psychischer Ebene zu wirken. Zu bemerken sind hier die unwirklichen Farb- und Formveränderungen: die sonnengelben Häuser, das dünn verstrichene Blau des Himmels, der strahlende, blau verschattete Schnee und der abstrahierte Umriss des Blicks. Dies alles lässt in erster Linie auf eine planvolle Abweichung von der realen Welt schließen. Dass das Bild aus großen Farbenblöcken ohne Detailpräsentation besteht und ein außerordentlicher Farbeinsatz wie blauer Schnee auffällt, verweist darauf, dass die dargestellte Landschaft nicht mit der Realität zu verwechseln ist, sondern einer transzendentalen Vorstellung entspricht. Das Blau in der Mitte bricht wie eine Flut die formale Geschlossenheit auf, präsentiert eine auffallende geistige Wirklichkeit, die sich wie ein blauer Wasserfall aus dem Bildhintergrund nach vorne ergießt. Dieses Bild kennzeichnet außerdem die expressionistische Farbenkontraste: Zum einen steht das erstarrte Hellblau des Himmels der lebhaften Blauschattierung des Schnees gegenüber und zum anderen bilden die gelben Flächen der Häuser zusammen mit dem Blau zwei Farbpole, nämlich die von Goethe und Kandinsky angesprochene Wärme und Kälte. Die Zusammenstellung von Gelb und Blau führt, Goethe zufolge, zu der realen Befriedigung , da die beiden nach Kandinsky einander bremsen und gegenseitig vernichten , sodass eine Unbeweglichkeit und Ruhe entsteht. Somit streifen die Farben ihre Funktion als Merkmale der Gegenstandsoberfläche ab und werden als autonome Elemente dargestellt. Statt Häuser oder Schnee zu vergegenwärtigen, werden nur Gelb, Blau, Weiß und ihre Konfrontationen miteinander wahrgenommen, die Emotionen beim Betrachter evozieren. Wo in den beiden oben angeführten Beispielen noch gegenstandorientierte Elemente erkennbar sind, tendierte Kandinsky danach zur verstärkten Abstraktion. Durch die vollkommene Befreiung der Farbe von der Gegenständlichkeit wird sie nicht nur subjektiviert, sondern die reine Komposition von Form und Farbe wird hemmungslos hervorgehoben. Charakteristisch für Kandinsky sind die vielfältigen Farbenkontraste. Unter allen fallen der Gelb-Blau- und der Rot- Blau-Kontrast, die auch in seiner Schrift hervorgehoben wurden, besonders auf. Während Kirche in Murnau I (1910) durch den Warm-Kalt-Kontrast gekennzeichnet ist, bildet das geistige Blau mit dem energischen Rot in Bild mit schwarzem Bogen (1912) eine kompositionelle Äquivalenz des Divergenten . Die abstrahierte Form und die flächigen Farben werden als Repräsentanz des Geistigen 78 interpretiert, denn seine Kunstwerke gleichen einer Empirie des inhärenten Dualismus von Materie und Geist, indem sie dem Geistigen mit Hilfe der Malerei Gestalt verleihen . Im Jahr 1912 hat Kandinsky zusammen mit seinem Freund Franz Marc die Künstlergemeinschaft Der Blaue Reiter in München gegründet: Den Namen Der blaue Reiter erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst. Anfangs war die Gruppe für das gemeinsame Verfassen eines Buches gedacht, mit dem die beiden einen Überblick über die neuen Tendenzen der zeitgenössischen Kunst, aber auch eine Art Glaubensbekenntnis für eine neue Kunst beabsichtigten. Durch die Zusammenarbeit und -wirkung postulierte die Künstlergruppe eine expressive, autonome Kunst, die sich aus Form und Farbe zusammensetzt. Im selben Jahr erschien die programmatische Schrift Der blaue Reiter und die erste gleichnamige Ausstellung lief an. Laut Marc sollte die gemeinsame Beschäftigung der Ruf werden, der die Künstler sammelt, die zur neuen Zeit gehören, und der die Ohren der Laien weckt . Im Rahmen des Blauen Reiters haben auch andere zeitgenössische Künstler/-innen wie August Macke, Paul Klee und Gabriele Münter mitgewirkt. Zur Stellung dieser Künstlergemeinschaft, die sich mit der Farbe Blau betitelt hat, trifft Schreiers Zusammenfassung zu: Es signalisiert den Rückzug aus der Welt der Äußerlichkeiten und die Orientierung am tieferen, inneren Wert. Beim Mitbegründer, Franz Marc, wurde das Blau ebenfalls in signifikanter Weise verwendet. Er knüpfte an Kandinskys ästhetische Ansätze an und bemühte sich in seiner Kunst, das hinter der Oberfläche verbogene Wesen der Welt aufzudecken. Das kennzeichnende Beispiel für Marcs Bemühungen ist sein blaues Pferd, das später auch zum Attribut der expressionistischen Kunst wurde. Unter zahlreichen Versionen dieser Gestalt gilt Blaues Pferd I als das bekannteste Gemälde, in dem sich ein blaues Pferd vor einem landschaftlichen Hintergrund befindet. Aus dem harmonischen Bildganzen, das auf den kontrastreichen Farbenflächen Gelb, Blau, Rot, Grün und Violett beruht, ragt das Blau in verschiedenen Nuancen hervor. Aufgrund des ungewöhnlichen Blaus geht das Pferd von der realen in eine mythische, märchenhafte Welt über, sodass die Spiritualisierung der Welt spürbar wird. Durch die merkliche Verbindung des Blaus zum Mysterium und seinen deutlichen Verweis auf die seelische Dimension trägt diese Farbe in Marcs Werken zum großen Teil Züge der Vergeistigung. In seinen Worten versinnbildlicht das blaue Pferd die Sehnsucht nach Erlösung von der weltlichen Schwere und der materiellen Gebundenheit, indem ich den Sinn meines Daseins ins Geistige hinüberspiele, ins Geistige, von Leib Unabhängige, das heißt ‚Abstrake‘ . Mit Tiermotiven, insbesondere dem blauen Pferd, hat Marc sich eingehend befasst, sodass das blaue Pferd zum eigentümlichen metaphorischen Träger für das Geistige geworden ist. Auch wenn er sich später weniger auf Tiervisionen als auf abstrakte Farbkomposition konzentrierte, lässt der Einsatz des Blaus als Sinnbild für Verinnerlichung und Ausdrucksträger des Geistigen nicht nach. Belegen lässt sich die etwa anhand späterer Werke wie Tirol (1914) oder Zerbrochene Formen (1914). Darüber hinaus verweist das Blau, wie er selbst einräumt, bei Marc immer auf die männliche Spiritualität: Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb ist das weibliche Prinzip, sanft, sinnlich und heiter. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft werden muss! Mischst Du z. B. das ernste, geistige Blau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichen Trauer, und das versöhnende Gelb, die Komplementärfarbe zu Violett, wird unerlässlich. Zu entnehmen ist, dass er genau wie Goethe und Kandinsky Gelb und Blau mit gegensätzlichen Charakteren versieht und Blau für eine geistige Farbe hält. Er betrachtet Blau noch als Zeichen für Männlichkeit und Stärke, das zusammen mit dem weiblichen Gelb Harmonie ermöglicht. Mit Rot und Gelb muss sich das Blau immer konfrontieren, jedoch auf unterschiedliche Weise.

Über den Autor

Yumeng Hu, Jahrgang 1994, schloss ihr Studium der Germanistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Jahr 2021 mit dem akademischen Grad des Master of Arts erfolgreich ab. Bereits während ihres Studiums in Heidelberg und Beijing (VR China) wählte sie einen literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt, wobei sie sich insbesondere mit der deutschsprachigen Lyrik beschäftigte. Ihr Interesse an der Farbmetaphorik in der expressionistischen Lyrik motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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