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  • Der indische Comic und sein Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse: Eine Untersuchung aus soziokultureller Sicht

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Abb.: 21
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Seit dem Jahr 2006 wächst der indische Comicmarkt immer mehr an, wobei besonders zwei inhaltliche Tendenzen auszumachen sind. Zum einen Comicbücher, die als Bildungsmedien vermarktet und dabei in eine Traditionslinie zu den Amar Chitra Katha Comics der 1970er Jahre gestellt werden, die teilweise recht hindunationalistische und an mancher Stelle sogar islamophobe Töne angeschlagen. Zum anderen Autorencomics, die in gesellschaftlichen Debatten unterrepräsentierte Themen wie Fundamentalismus oder Sexualität verhandeln und zum Teil eine starke Gesellschaftskritik üben. Dem zugrunde liegend befasst sich diese Arbeit in wirtschaftlicher als auch in soziokultureller Hinsicht mit dem indischen Comic und fragt nach dessen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Kommodifizierende Comics: Obwohl sich der indische Comicmarkt hoch divers gestaltet, ist dennoch ein großer Anteil der Publikationen in Hindumythologie und indischer Geschichte verankert. Dies ist ein Phänomen durch das dem indischen Comicmarkt, in einem weltweiten Vergleich, eine gewisse Einzigartigkeit zugesprochen werden kann. Zwar beschäftigen sich Comics auch in anderen Nationen mit Religion und Geschichte, aber bei weitem nicht in der Dimension wie es im indischen Comic getan wird. Wie kein anderes Medium zuvor hat der Comic an dem was in Indien als hinduistisch oder indisch verstanden wird, tiefe Spuren hinterlassen. Er ist ein Mittel einer hinduistischen und indischen Kommodifizierung eines kulturellen Erbes. Zudem ist er an translokalen Prozessen der Bedeutungsartikulation partizipierend und konstruiert eine hinduistische und vor allem indische Identität, die den tatsächlichen Realitäten Indiens nicht standhalten kann. Seit den 1970er Jahren ist es besonders der Comicverlag Amar Chitra Katha gewesen, der ein konkretes Bild von Hinduismus und Nation transportierte, welches eine post-nehruvianische Leserschaft ansprach, die sich überwiegend aus der neu entstandenen Mittelschicht konstituierte und sich als eine Art Lenker der Nation empfand. Dieses Bild ist auch noch heute existent und zeigt sich in einer Fülle von Arbeiten, die sich selbst als Bildungsmedien verstehen und in eine Traditionslinie zu ACK stellen. 2.1, Amar Chitra Katha - Beginn einer Traditionslinie: Die Entstehungszeit von ACK war eine Zeit gesellschaftlicher Verwirrung. Die Versprechungen des Nehruvianismus der 1960er und der frühen 1970er Jahre hatten sich nicht erfüllt. Das neue ökonomische Model brachte keine gesellschaftlichen Verbesserungen mit sich. Dennoch galt Indien nun als modern und international. Das Land wurde geöffnet für ausländisches Kapital multinationaler Konzerne. Eine neue Mittelklasse verlangte nach gesonderten Rechten auf der Basis von Kaste, Gemeinschaftszugehörigkeit und Geschlecht. In diesem Zusammenhang funktionierte ACK wie ein Vehikel, über das eben genau diese Forderungen, über die Betonung einer glorreichen Vergangenheit, Heldenmut und Stärke, artikuliert wurden. Ein Vehikel in Form eines pädagogischen Instruments (auch von ACK als solches verstanden), über das der New Man geprägt werden sollte, so dass ihm seine Rolle in einer Hindunation, in Gestallt eines Nationalstaats, bewusst werde. Hierbei muss die zentrale Rolle ohne Zweifel Anant Pai zugeschrieben werden. Pai, Jahrgang 1929, arbeitete in den 1960er Jahren bei der Times of India und war maßgeblich an der Gründung von Indrajal Comics beteiligt. Pai war der Auffassung, die jüngere Generation entferne sich zunehmend von der indischen Kultur und Religion und müsse deshalb in kulturellen Belangen geschult werden. Er empfand das damals noch unpopuläre Medium Comic als ein adäquates Mittel seine Idee umzusetzen. 1964 wurde Indrajal Comics als ein Imprint der Times of India konzipiert. Pais Konzept bestand darin, zur einen Hälfte ausländische Comics und zur anderen Hälfte in Indien produzierte Geschichten zu publizieren. Daraus wurde allerdings nichts. Die Veröffentlichungspolitik der Verantwortlichen bei Indrajal beschränkte sich vorerst ausschließlich auf das Reproduzieren amerikanischer Comics wie the Phantom, Flash Gordon oder Mandrake. Die Comics verkauften sich gut und Indrajal fing über die Jahre zunehmend an, seine Publikationen neben dem Englischen auch in andere indische Sprachen zu übersetzen. Im Jahr 1978 führten sie mit Bahadur den ersten in Indien produzierten Comic-Helden ein. Bahadur, ein Held geschaffen von Aabid Surti, gekleidet in saffranfarbender Kurta und blauer Jeans, der sich gegen Verbrecherbanden aufgebahrt, war ein großer Erfolg und kann auch nach dem Ende von Indrajal Comics im Jahr 1990 nachhaltig eine große Fangemeinde für sich gewinnen. Hieran war Anant Pai jedoch nicht mehr beteiligt. Nach dem er feststellen musste, dass sein Konzept bei Indrajal Comics keinen Anklang fand, bemühte er sich einen anderen Verlag zu finden, bei dem er seine Vision verwirklichen konnte. Nach zahlreichen Absagen erklärte sich Indian Book House (IBH) zu einer Veröffentlichung einer neuen Comicbuchreihe bereit. Gegründet 1952, veröffentlichte IBH zuvor überwiegend Kinderbücher. Mit Pais Einstieg wurden vorerst eine Reihe Disney-Titel reproduziert, die schnell wieder eingestellt wurden, um 1969 mit Krishna, basierend auf der Bhagavata-Purana, die Geburtsstunde von Amar Chitra Katha einzuleiten. Krishna war der erste in Indien produzierte Comic, der einen indischen Helden zum Inhalt hatte. Weitere Titel folgten, wie Shakental (1970), Savitri (1970) oder Rama (1970). Bis zum Ende der 1970er Jahre avancierte ACK zur meistgelesenen indischen Comicbuch-Reihe und hat heute weit über 400 Titeln, mit über 90Millionen verkauften Exemplaren und Übersetzungen in über 20 Sprachen auf zu weisen. In den 1960er und 1970er Jahren hatte die indische Comicindustrie, vor allem die Amar Chitra Katha Comics, mit ähnlichen Vorurteilen wie die US-Comics der 1950er Jahre zu kämpfen. In den USA wuchs eine Leserschaft rasant an und mit ihr auch Skepsis und Misstrauen gegenüber diesem neuen Medium. Im Angesicht gesamtgesellschaftlicher Probleme, wie etwa Kriminalität und Drogenmissbrauch, brauchte es einen Sündenbock. Aufgrund einiger sehr fragwürdiger wissenschaftlicher Untersuchungen, zum Beispiel einer Studie der Leiterin des in Chicago ansässigen Institut for Juvenile Research Sophie Schroeder-Sloman, wurde dieser schnell in der Comickultur gefunden. Schroeder-Sloman präsentierte im Frühjahr 1950 auf einer Konferenz über Jugend in Chicago eine Studie, in der sie aufzeigte, dass alle von ihr untersuchten Kinder mit psychischen Störungen Comicbücher lasen. Aufgrund dessen sah sie eine Verbindung im Konsum von Comics und dem Auftreten von Verhaltensstörungen. Weitere Arbeiten anderer Wissenschaftler mit ähnlichen Inhalten, von denen die bekannteste mit Sicherheit Fredric Werthams 1954 erschienenes Werk Seduction of the Innocent ist, folgten. Auch Wertham sah eine Verbindung zwischen jugendlichem Ungehorsam, Gewalt und Comics. Seine Studien führten ihn zu dem Schluss, dass Comics eine culture of violence fördern würden, welche die Entwicklung von Kindern auf schädliche Weise beeinflussen würde. Leider bedachte er der Tatsache, sowie zuvor schon Schroeder-Sloman, dass in jener Zeit so ziemlich jedes Kind Comics las, mit keiner besonderen Bedeutung, welches seinen Rückschluss von Comickonsum auf Verhaltensstörungen unter Umständen revidiert hätte. Seinem Buch folgten Protestkundgebungen gegen Comics von Elternverbänden, Lehrern und Politikern (mancherorts sogar so skurrile Veranstaltungen wie Comicverbrennungen) und die Einführung eines Zensurapparats, der Comics Magazine Association of America (CMAA), der den US-Comicmarkt für Dekaden lahm legen sollte. Obwohl er eine Leitfigur der US-amerikanischen Anti-Comic-Kampagne war, sprach sich Wertham interessanter Weise gegen eine Zensur aus. ‘I detest censorship. […] I believe adults should be allowed to write for adults. I believe what is necessary for children is supervision.’ sagte Wertham am 21. April 1954 vor einer Anhörung über die Zukunft der Comicbuchindustrie. Schnell wurden auch in Indien Vorwürfe erhoben, wie etwa, dass ACK das Lesen seriöser Literatur diskreditieren würde, Gewalt verherrlichen und Frauen objektivieren würde. Um einem Schicksal wie es die Industrie in den USA zu erleiden hatte zu entgehen, fingen die Macher hinter ACK an ihre Comics als Bildungskonzept an Eltern und Bildungseinrichtungen zu verkaufen. Mit vollem Erfolg entwickelte ACK Programme für Schulen, um die Comics für Bildungszwecke nutzbar zu machen. 1978 sagte Anant Pai zu diesem Thema: ‘If there are bad comics, let us oppose them as we oppose bad books or bad movies, but let us not frown on comics as a medium of education.’ Heute findet sich mit Sicherheit ein Kontingent an ACK Comics in so ziemlich jeder Schulbibliothek. In Indien wird ACK heute eher als ein kulturell-pädagogisches Projekt wahrgenommen, als ein Profit anstrebendes Unternehmen. Zudem umhüllt Pai eine altruistische Aura. Als der Geschäftsmann, der er letztendlich war, wird er kaum wahrgenommen.

Über den Autor

Martin Otto, Jahrgang 1983, hat einen Bachelorstudium in ‘Regionalstudien für Afrika und Asien’ und einen Masterstudium in ‘Moderne Süd- und Südostasienstudien’ an der Humboldt-Universität zu Berlin abgeschlossen. Für das vorliegende Buch wurde er vor allem durch mehrere Aufenthalte in Indien inspiriert und einer damit in Verbindung stehenden Erkenntnis, dass der indische Comic seit mehreren Dekaden so stark an der Konstruktion von Gesellschaft, Kultur und Tradition beteiligt ist, wie kaum eine Comicbuchindustrie in einer anderen Nation.

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