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  • Redekünstler – Schweigekünstler: Zur Darstellung des Schweigens in Thomas Bernhards Roman "Verstörung"

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Sprechen des Fürsten mit sich selbst hängt nicht von einem Zuhörer ab. In seinem partnerlosen Sprechen drückt sich eine menschliche Grundhaltung aus, die monologisch ist. Hört die Kommunikation mit der Außenwelt auf, so setzt die Verständigung mit der eigenen Person ein. Dem Sprechenden dient das Selbstgespräch als letztmögliche Ausdrucksmöglichkeit eines mitten einer todgeweihten Welt existierenden Menschen. Es fungiert als Notlösung vor dem endgültigen Schweigen, vor dem Tod. Das Schweigen, in dem diese monologisierende Figur existiert und das sie gleichzeitig durch einen besonderen Sprechakt zu überwinden versucht, dominiert letztendlich ihr Denken und ihr Sprechen. Das Sprechen wird zur Form, zu einer unaufhörlich rekurrierenden Vergeblichkeit. Das Schweigen zeigt sich in dem Roman Verstörung als ein interpretationsbedürftiges Motiv. Es ist das Signal einer Krisensituation und einer unaussprechlichen Innerlichkeit wie auch der Gradmesser eines zerstörten Denkens und einer vernichteten Sprache.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2.1, Zur Bestimmung des Monologischen: Im Gegensatz zum Dialog ist der Monolog ein Selbstgespräch und findet vor allem im Drama Verwendung. Er ist das ‘Gespräch einer Figur mit sich selbst ohne direkten Adressaten, jedoch vor einem implizierten imaginären Zuhörer.’ Faktisch ist natürlich das Publikum Adressat des Monologisierenden. Für Friedrich Hebbel sind Monologe im Drama ‘nur dann statthaft, wenn im Individuum der Dualismus hervor tritt, so daß die zwei Personen, die sonst immer zugleich auf der Bühne seyn sollen, in seiner Brust ihr Wesen zu treiben scheinen’. Johann Jakob Engel unterscheidet in seiner 1774 erschienenen Abhandlung über Handlung, Gespräch und Erzählung zwischen dem ‘räsonierenden Monolog’ und dem ‘pathetischen Monolog’. Über den ‘räsonierenden Monolog’ sagt er: ‘Der Schriftsteller thut, als ob er von keinem Zuhörer wüsste, und bey sich selbst noch nicht ausgemalt hätte, was er vortragen will er schließt sich gleichsam in sein Kabinett ein, und fängt laut an zu denken, indessen wir Leser unvermerkt an seine Thüre schleichen und horchen.’ Das Gespräch des Schriftstellers mit sich selbst, in dem der Gedanke reift und zum Ausdruck gebracht wird, betrachtet Engel hier als ein philosophisches Moment. Der ‘pathetische Monolog’ ist die Äußerung, ‘worin sich eine Person nur ihrem Herzen Luft zu machen, und alle die Empfindungen auszuströmen sucht, die durch Veranlassung der vorhergehenden Situation in ihr rege geworden.’ Das Rekurrieren auf das Selbstgespräch ist bei Lucidor in Wilhelm Meisters Wanderjahre von Johann Wolfgang von Goethe innerlich, psychisch bedingt. Er ‘war von tiefem Gemüt und hatte meist etwas anderes im Sinn, als was die Gegenwart erheischte deswegen Unterhaltung und Gespräch ihm nie recht glücken wollten er fühlte das und wurde schweigsam[…] jede Mitteilung war ihm daher bedenklich Bedenken aber hebt jede Mitteilung auf. Zu seinem Vater war er nur gewohnt unisono zu sprechen, und sein volles Herz ergoß sich daher in Monologen, sobald er allein war’. ‘Die moderne Literatur greift ihn [den Monolog] im monologischen Aneinandervorbeireden als Zeichen der Kommunikationslosigkeit und seelischer Vereinsamung u.a. im Monodrama wieder auf.’ Insofern ist das monologische Sprechen im modernen Sinne der Ausdruck einer menschlichen Grundbefindlichkeit und die Widerspiegelung einer inneren Disposition, die darin – im Sprechen mit sich selbst – die letztmögliche Kommunikationsform erkennt. Friedrich Nietzsche unterscheidet im Begriff des Monologischen, als menschlicher und künstlerischer Grundhaltung, zwischen der monologischen Kunst und Kunst vor Zeugen: ‘Alles, was gedacht, gedichtet, gemalt, komponiert, selbst gebaut und gebildet wird, gehört entweder zur monologischen Kunst oder zur Kunst vor Zeugen […] Ich kenne keinen tieferen Unterschied der gesamten Optik eines Künstlers als diesen: ob er vom Auge des Zeugen aus nach seinem werdenden Kunstwerke (nach sich – ) hinblickt oder aber die Welt vergessen hat: wie es das Wesentliche jeder monologischen Kunst ist – sie ruht auf dem Vergessen, sie ist die Musik des Vergessens’. Der Begriff des Monologischen wird bei Gottfried Benn, der von Nietzsches Ideen beeinflusst ist, in seinem 1953 erschienenen Brief unter dem Titel Monologische Kunst, den er an Alexander Lernet - Holenias geschrieben hat, näher spezifiziert. Die monologische Kunst wird als ‘einsame Bewegung des Schaffenden mit sich selbst verstanden, die keine äußere Gemeinschaft duldet’. Im Gegensatz zum Monolog ist das Adjektiv ‘monologisch’ die Bezeichnung einer menschlichen Grundhaltung, die sich im partnerlosen Sprechen zu verwirklichen sucht. Die Rede ohne Partner, die die äußere konkrete Sprechbedingung zur Bezeichnung ‘Monolog’ bildet, ist zu unterscheiden von derjenigen, in der ‘die Erfahrung der Einsamkeit der eigentliche und tragende Grund des Sprechens ist. […] Die äußere Situation des Alleinseins ist dabei eher eine Folge als eine Ursache dieser Haltung’. Für Hans Erich Nossack hat das Sprechen bzw. das Schreiben eine ‘biologische Funktion’. Der Zweck wird nicht mehr das literarische Werk selbst, sondern die Erfahrung, der Prozess des Schreibens und des Sprechens, als innerlich verspürte Notwendigkeit. Das Geschriebene wird dann zum Beweis, zum ‘Kardiogramm einer Situation’, zur ‘Kurve eines überstandenen Fiebers.’ Das Schreiben wird zum Experimentierfeld, auf dem ununterbrochen versucht wird, sich selbst zu begegnen und Zwiesprache mit der eigenen Person durchzuführen. Diese monologische Grundhaltung ermöglicht dem eigenen Ich ein Zu – sich – selbst – Vordringen, von dem nur, als zustande gebrachtes Kunstwerk, ‘abgeworfene Häute’ und ‘gestrige Fußspuren’ zurückbleiben. Für Nossack kann die moderne Literatur nur monologartige Kunstwerke zustande bringen: ‘Was von der Literatur unserer Tage übrig bleiben wird, kann nur Monolog sein. Weil der Monolog genau der Situation des im Dickicht abstrakter Wahrheiten verlorenen Menschen entspricht. Aber ist das nicht immer so gewesen? Ist nicht alles, was über die Zeiten hinweg lebendig an unser Ohr dringt, Monolog? Sollte die Größe des Menschen in seiner Einsamkeit liegen?’ 2.2.2, Die monologische Grundhaltung des Fürsten: ‘Ein tatsächlich in jede Richtung hinein Hunderte von Kilometern weiter Blick’ (V, 78). So fängt der zweite Teil des Romans an, indem sich der Berichterstatter von dem vergewissert, was er vorher über Hochgobernitz vom Hörensagen erfahren hat. Diese räumliche Grenzenlosigkeit, die an dem Ausdruck ‘weiter Blick’ deutlich wird, weist gleichzeitig auch auf die räumliche Höhe Hochgobernitz’, die der Arzt und sein Sohn ‘über den gefahrvollen Steig’ (V, 70) erreicht haben, hin. Dieser direkte visuelle und physische Kontakt mit jenem hochgelegenen Ort und die wiederholte Konzentration auf die Beschreibung seines Verhältnisses zur nahen Umgebung (‘Ich dachte, daß man von hier aus wahrscheinlich den allerbesten Rundblick auf das ganze Land hat’ [V, 78]), markieren einen räumlich- erzählerischen Bruch mit den bisher besuchten und beschriebenen Orten. Stellvertretend dafür steht die Fochlermühle , als Zwischenstation beim Aufstieg zum Fürsten Saurau. Diese Mühle befindet sich in einer Schlucht. Die aus diesem Besuch gewonnenen Kenntnisse versetzen den Berichterstatter in eine tiefe Depression und machen aus der herrschenden Finsternis in der Schlucht, die buchstäblich und metaphorisch zu verstehen ist, eine psychische, innere Finsternis, die er nur an etwas anderes denkend und sprechend zu überstehen versucht. Seine letzte Rettung sieht er im Denken an das Studium und an die Wissenschaft, die er betreibt und die letztendlich unfähig ist, die menschliche Finsternis aufzuklären. Angesichts der empfundenen räumlichen Befreiung von den beengenden Grenzen der unterirdischen Hölle, fungiert Hochgobernitz als Gegenpol zur Schlucht bzw. zur Umwelt. Aber sofort und nur andeutungsweise stellt der Berichterstatter durch die scheinbare räumliche Weite eine ihr entgegengesetzte räumliche Enge fest. Dem Ausdruck ‘weiter Blick’ stehen ‘Burg’, ‘äußere Mauer’ und dann ‘innere Mauer’ (V, 78) entgegen. Dieses Gefühl der räumlichen Enge wird auch erzählerisch hervorgehoben durch die den Erzählvorgang einrahmenden Feststellungen von ‘Weiter Blick’ und ‘Rundblick auf das ganze Land’. Folglich wird auch diese räumliche Weite als Enge dargestellt. Diese empfundene Enge findet ihre Überspitzung in der Haltung der Selbstgesprächigkeit des Fürsten Saurau, die gleichzeitig auch den Kontrast dazu bildet. Denn nicht mit einem geistig Beschränkten und eng Denkenden haben wir es hier zu tun, sondern mit einem unaufhörlich mit sich selbst Sprechenden, der sich durch einen geistigen ‘weiter[en] Blick’ und eine geistige Höhe auszeichnet. Schon als der Berichterstatter Hochgobernitz erreicht hat, deutet er auf jenen Zustand der Selbstgesprächigkeit des Fürsten hin: ‘Wir [der Sohn und sein Vater] trafen den Saurau dann auf der inneren Burgmauer gehend in einem Selbstgespräch’ (V, 78). Das Selbstgespräch, das der Fürst trotz des Vorhandenseins eines Gegenübers fortsetzt, ist der Ausdruck seines Heraustretens aus dem kommunikativen Rahmen. Sein monologisches Sprechen hängt bloß nicht von einem Zuhörer ab. Er ‘ist aber nicht nur allein und spricht, sondern er gibt in seinem ganzen Verhalten zu erkennen, dass das Sprechen ohne Partner die seiner persönlichen Grundhaltung angemessene Ausdruckweise ist […] Seine Grundhaltung ist monologisch’. Indem sie ‘stumm angeredet werden’, fungieren der Arzt und sein Sohn nicht als Gesprächspartner, sondern eher als ein formales Gegenüber. Wie es sich schon im letzten Kapitel gezeigt hat, sieht der Fürst in den Familienmitgliedern keine Gesprächspartner, mit denen er kommunizieren und sich verständigen kann. Rücksichtslos fällt er die strengsten Verdikte über sie und hebt gleichzeitig seine besondere Betrachtungsweise, die hohe Anforderungen an den Geist stellt, hervor. Hört die Kommunikation mit der Außenwelt auf, so setzt die Verständigung mit der eigenen Person ein, die im Sprechen ein Zu – sich – selbst – Finden ermöglicht. Das Sprechen wird somit zu jenem Ort der Selbstbegegnung und der geistigen Selbstverwirklichung. Aber dieses Sprechen hebt sich letztendlich im Wahnsinn auf. Denn wahnsinnig ist der Fürst. Zwar behauptet der Vater vorher seinem Sohn gegenüber, dass der Fürst Saurau wahnsinnig ist, aber der Sohn stellt ‘auf einmal’ (V, 112) das fest, nach langem Zuhören und konzentrierter Beobachtung des Fürsten. Die Geräusche, die der Fürst andauernd hört, scheinen die Ursache seiner Krankheit zu sein. An einer Textstelle des Monologs werden diese Geräusche seitens des Fürsten als ‘Risse’, ‘Brüche’, ‘ein Zerreißen und Zerbröckeln’ näher umrissen. Sein Kopf muss immer das ‘Fürchterliche’, das ‘Tödliche’ (V, 116) registrieren. Diese Geräusche widerspiegeln das permanente Einstürzen der Welt, das jegliches zusammenhängende Denken unmöglich macht. Der Maler Strauch in Frost leidet auch unter diesen Geräuschen. Er sagt: ‘Hören Sie [der Famulant]? In meinem Kopf ist eine Kreissäge installiert. Diese Säge macht einen Lärm, daß ich darin umkommen könnte […]’ (F, 88). In einem Brief an seinen Assistenten, der ihn beauftragt hat, seinen Bruder Strauch zu beobachten und ihm über seine Beobachtungen Bericht zu erstatten, sagt der Famulant: ‘Er [Strauch] ist nicht Wahnsinnig! (Verrückt?) Nein, auch nicht verrückt. ,Anklänge an den Tod’ seien es, die in seinem Gehirn Lärm machen’ (F, 306). Im Unterschied zur Verrücktheit ist der Wahnsinn eine Geisteskrankheit, die im Fall des Fürsten eine geistige, philosophische Ausweglosigkeit zeigt. Wenn bei ihm alles dem Gesetz des Zerfalls unterliegt, so entpuppt sich jegliches Dasein und jegliche Existenz als sinnlos.

Über den Autor

Imed Abdelwahed wurde 1972 in Gabès (Tunesien) geboren und studierte Germanistik in Tunis. Zurzeit ist er Dozent für deutschsprachige Literatur und allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Gabès.

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