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  • Das Nichtrechtsgeschäft im deutschen Zivilrecht: Ein Beitrag zu den Tatbeständen des Rechtsgeschäfts und der Willenserklärung

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Produktart: Buch
Verlag: Igel Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Nichtrechtsgeschäft stellt sich als eine der faszinierendsten und kontroversesten Rechtsfiguren des Zivilrechts in Europa dar. Erfunden von dem deutschen Karl Salomo Zachariae von Lingenthal in seinem Handbuch zum französischen Zivilrecht, wurde sie durch die Übersetzung dieses Werkes unter dem Stichwort acte inexistant in Frankreich übernommen. Der Einfluss Frankreichs bewirkte seinerseits die Verbreitung dieser Lehre auf ganz Europa (mit Ausnahme von Großbritannien) und selbst Lateinamerika. Man spricht dabei von negozio giuridico inesistente (Italienisch), negocio jurídico inexistente (Spanisch) und negócio jurídico inexistente (Portugiesisch). Die Gemeinsamkeit in allen Rechtsordnungen ist jedoch, dass sich das Schrifttum nach wie vor streitet, ob die Rechtsfigur Nichtrechtsgeschäft notwendig ist. Ein rückwirkender Blick auf das deutsche Zivilrecht zeigt, dass der Begriff Nichtrechtsgeschäft fast nirgendwo zu finden ist. Die vorliegende Untersuchung strebt nach einer Erklärung dieses unangenehmen Schweigens des deutschen Zivilrechts.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel III.6. Typische Anwendungsbereiche des fehlenden Tatbestands: Unter der Voraussetzung, dass Tatbestand im Sinne von Mindesttatbestand zu verstehen ist, soll nun auf vier typische Anwendungen des fehlenden Tatbestands eingegangen werden, nämlich auf den Dissens (unter (a)), die Gefälligkeitsverhältnisse (unter (b)), das von dem Erklärungsgegner erkannte Scherzgeschäft (unter (c)) und auf die Nichtehe (unter (d)). (a) Dissens: Dissens und Konsens bilden zwei Aspekte desselben Phänomens. Jeder Vertrag setzt eine natürliche oder zumindest normative Einigung der Parteien über alle regelungsbedürftigen Punkte voraus. Ist eine solche Einigung gegeben, kommt ein Vertrag zustande liegt sie umgekehrt nicht vor, ist nicht von einem Vertrag zu sprechen, bestenfalls von wirksamen Willenserklärungen. Unter Dissens versteht man daher die Uneinigkeit der Parteien über Punkte, die nach dem Gesetz oder nach dem Parteienwillen zum Regelungsprogramm des Vertrages gehören müssen. Ergibt sich dieser Punkt aus dem Gesetz, spricht man von totalem oder logischem Dissens, denn die Parteien haben sich über einen Hauptpunkt (essentiale negotii) nicht geeignet. Der totale Dissens ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, sondern wird aus dem Begriff des Vertrags abgeleitet. Besteht hingegen Uneinigkeit über einen Nebenpunkt (accidentale negotii), kommt der Vertrag nach §§ 154 (offener Dissens) oder 155 (versteckter Dissens) i. d. R. nicht zustande. Hier tritt wieder die Relevanz der Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäft als Akt und Rechtsgeschäft als Regelung hervor. Gegenstände des Dissenses können sowohl der Abschluss des Vertrages als auch die Übereinstimmung über dessen Inhalt sein, d. h. über die Wirkungen, die nach dem Willen der Parteien erzeugt werden sollen. § 154 BGB stellt lediglich auf den Abschluss ab: Haben sich die Parteien bewusst über einen Vertragspunkt nicht geeinigt (offener Dissens, § 154 I), stimmen sie schon in dem Vertragsabschluss nicht überein. Es geht somit um einen Vereinbarungsmangel . Haben sie hingegen übersehen, dass sie über einen Punkt des Vertrags nicht einverstanden sind, und schließen ihn dennoch ab (versteckter Dissens, § 155), wird vermutet, es handle sich um das Fehlen eines untergeordneten Punktes, das durch Auslegung und dispositives Gesetzrecht ergänzt werden soll. Es liegt somit eine Unvollständigkeit im Hinblick auf den Inhalt des Vertrags vor, also ein Einigungsmangel . Die Rechtsfolge des Dissenses ist nach der h. M. das Nichtzustandekommen eines Vertrags, das bedeutet, dass der Vertrag nicht existent ist. Damit wird die Auffassung des Tatbestands als Mindesttatbestand bestätigt: Gegenstand des Dissenses ist nicht die Vollwirkung des beabsichtigten Vertrags, sondern es sind die Mindestanforderungen, die entweder die Rechtsordnung oder die Parteien (§ 311 I BGB) als regelungsbedürftig festlegen. Nicht überraschend beschreibt Manigk den aufgrund eines Dissenses fehlgeschlagenen Vertrag als Nichtrechtsgeschäft . Ob der Vertrag auch wirksam ist, ob er unter Bedingung (§ 158 BGB) abgeschlossen wurde, also ob er seine Vollwirkung oder eine andere Wirkung (z. B. aus der Nichtigkeit) möglicherweise irgendwann erzeugen wird, kommt bei der Lehre vom Dissens nicht in Betracht. Die Annahme der Rechtsfigur des Dissenses setzt somit die getrennte Analyse der Tatbestandmerkmale den übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen gegenüber voraus. In der Rechtsprechung sind nicht wenige Entscheidungen über den Dissens zu finden. Gelegentlich handelt es sich um einen Einigungsmangel, den die Parteien beim Abschluss des Vertrags nicht hinreichend beachtet haben (versteckter Dissens), der nach § 155 BGB durch dispositives Recht oder durch die Verkehrssitte ergänzt wird. Wenn die Parteien einen Vertrag geschlossen haben, obwohl sie sich bewusst über einen Punkt des Vertrags nicht geeignet hatten (offener Dissens, § 154 BGB), kommt der Vertrag zustande und der umstrittene Punkt wird nach Billigkeit oder nach der Auslegung durch das Gericht bestimmt. Nicht selten wird von den Gerichten ein Vereinbarungs- oder Einigungsmangel festgestellt, der das Zustandekommen des Vertrags verhindert. Diese praktische Relevanz des fehlenden Tatbestands lässt somit die Notwendigkeit einer genauen Bestimmung der Tatbestandsmerkmale hervortreten, damit folgerichtig entschieden werden kann, ob ein Vertrag (oder gleich welches andere Rechtsgeschäft) zustande kommt. (b) Gefälligkeitsverhältnisse: Unter Gefälligkeitsverhältnis versteht die h. M. die Lebensverhältnisse, die die Parteien aus dem objektiven Empfangshorizont rechtlich nicht binden, d. h. keiner Partei steht gegen die andere ein Anspruch auf Leistung oder auf Gegenleistung zu. Maßgebend ist nicht, was die Parteien in Wirklichkeit wollen (deswegen ist der Ausdruck Rechtsbindungswille unpräzis), sondern dass sich aus der Auslegung nach Treu und Glauben und den Verkehrssitten (§§ 133, 157 BGB) sowie aus den Umständen ergibt, dass das Lebensverhältnis der Rechtsordnung entzogen werden soll. Anhaltspunkte dafür sind der Wert der anvertrauten Sache, die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung, das von einem Beteiligten übernommene erkennbare Risiko, das Interesse der Beteiligten und die Unentgeltlichkeit. Schulbeispiele sind die Einladungen zum Abendessen und zu einer Party. Insb. bedeutsam in der Praxis sind die gentlemen’s agreements und solche Fälle, in denen ein Freund einen anderen kostenlos fährt (sog. Gefälligkeitsfahren). Die Feststellung, dass nur ein Gefälligkeitsverhältnis besteht, führt dazu, dass das Geschehen rechtlich irrelevant ist, d. h. dass es um ein rechtlich unerhebliches Handeln, um ein rechtliches Nichts geht. Man darf also ohne weiteres von einem Nichtrechtsgeschäft sprechen. Es entstehen keine Vertragsansprüche, und falls es zu Schäden kommt, ist der Geschädigte i. d. R. lediglich durch das Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) geschützt, wobei die Höhe des Schadenersatzes gelegentlich gemildert werden kann. Hier schlägt sich wieder die Notwendigkeit einer sauberen Betrachtung der Tatbestandsmerkmale nieder: Beim Gefälligkeitsverhältnis liegt der Schwerpunkt auf der Ermittlung, ob ein Lebensverhältnis die notwendigen Tatbestandsmerkmale erfüllt, damit die Rechtsordnung daran Vertragswirkungen knüpft. Auf Wirksamkeitsvoraussetzungen kommt es nicht an.

Über den Autor

Francisco Sabadin Medina, LL.M., wurde 1989 in São Paulo (Brasilien) geboren. Das Studium an der juristischen Fakultät der Universität von São Paulo schloss der Autor im Jahre 2013 ab. Bereits 2012 erlangte er das Zertifikat in den Grundzügen des Deutschen Rechts an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Zuge seiner laufenden Promotion im Zivilrecht an der juristischen Fakultät der Universität von São Paulo hat der Autor Aufsätze sowohl auf Deutsch als auch auf Portugiesisch veröffentlicht. Fasziniert von dem Einfluss des deutschen Zivilrechts auf Brasilien und Lateinamerika, beschäftigt sich der Autor mit einer der erfolgreichsten Schöpfungen der deutschen Rechtswissenschaft, nämlich mit der Lehre des Rechtsgeschäfts.

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