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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 02.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Roman Die Verzauberung teilt wie kein zweites Werk des österreichischen Autors Hermann Broch die Meinungen seiner Leserschaft innerhalb und außerhalb der Forschung. Der Roman bleibt in seiner Popularität hinter der drei Jahre zuvor abgeschlossenen Romantrilogie Die Schlafwandler und noch weiter hinter Brochs berühmtestem Roman Der Tod des Vergil zurück. Die Rezeption schlägt sich auch in der Verteilung des Forschungsinteresses nieder, was sich an konkreten Zahlen belegen lässt: So verzeichnet die Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft momentan zum Tod des Vergil 70 Einträge, zur Schlafwandler-Trilogie 93 Einträge und zur Verzauberung nur 24 Einträge. Gründe für die geringe Resonanz liegen sowohl auf inhaltlicher als auch formaler Ebene. Julia Mansour bezeichnet in ihrem Aufsatz den Denk- und Darstellungsstil Brochs in der Verzauberung als befremdlich, nicht selten unzugänglich . Gegenstand dieser Untersuchung ist eine Besonderheit in Brochs Roman: Die Verseinlagen innerhalb des epischen Textes. Zu den in der Verzauberung auftretenden lyrischen Einlagen existiert bisher in der Forschung noch keine gesonderte Analyse. Das ist, sowohl aufgrund der formalen Unterschiedlichkeit und Ungewöhnlichkeit der Einlagen in gebundener Rede, als auch aufgrund ihrer Auftretenshäufigkeit erstaunlich. Selbst wenn Passagen, die man als Grenzerscheinungen zwischen Epik und Lyrik ansehen kann, unbeachtet bleiben, beinhaltet der Roman 15 Einlagen in gebundener Sprache. Die Analyse dieser Einlagen zeigt, dass die beiden populären Deutungsrichtungen des Romans – die Auslegung unter historischer Perspektive als symbolisch-parabelhafter, antifaschistischer Roman oder geistesgeschichtlich als religiös-mythischer Roman - nur einen unzureichenden Horizont eröffnen. Die Abschnitte in gebundener Rede erhellen die enge Verwebung zwischen dem Roman und den ästhetischen Schriften Brochs und verkörpern in überraschender Art und Weise selbst das in Letzteren ausgedrückte metaphysische Konzept.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel1, Gattungstheoretische Einordnung: Da die versifizierten Abschnitte in der Verzauberung in unterschiedlichen Formen auftreten, von denen einige nicht mehr mit einem konventionellen Begriff von Lyrik zu erfassen sind, ist es sinnvoll, die in dieser Arbeit verwendete Definition des Gattungsbegriffes im Voraus kurz zu klären. Die Verseinlage ist zur Lyrik zu rechnen, auch wenn sie durch ihre besondere Form aus rezeptionsästhetischer Sicht natürlich mit dem sie umgebenden Prosatext zusammenwirkt. Innerhalb der drei Gattungen Epik, Drama und Lyrik stellt die Lyrik die Gattung dar, welche die meisten Probleme bereitet bei der Formulierung übergreifendend wirksamer und gleichzeitig konkreter Merkmale. Der Begriff von Lyrik als eigenständiger und gleichwertiger Gattung neben Epik und Drama besteht erst seit Beginn des 18. Jahrhunderts. Definitionen von Opitz (Liedhaftigkeit), Gottsched, Schlegel und Herder (Grundstimmung) bis Goethe (Attribut der enthusiastischen Aufgeregtheit) tragen nicht wirklich zu einer Konkretisierung des Begriffs bei, sondern fördern eher das 'verschwommene Verständnis des Lyrischen als eines stimmungsvollen Zustandes', dem auch das alltagssprachlich gebrauchte Attribut ,lyrisch‘ in seiner Bedeutung als ,stimmungsvoll‘ oder ,gefühlsbetont‘ entspricht. Ein Problem dieser Ansätze besteht unter anderem darin, dass sie die Gattung stark über Inhalte zu definieren versuchen, so beispielsweise die zahlreichen Konzepte, die durch ihre Kriterien ausschließlich auf Erlebnis- und Stimmungslyrik abheben. Die Lyrik der Moderne führt schließlich zu einer Infragestellung aller bisher angenommenen Gattungskriterien. Sie lässt sich inhaltlich nicht mehr festlegen (obwohl es natürlich wie zu jeder anderen Zeit populärere und weniger populäre Themen gibt) und löst sich formal immer stärker von den traditionellen Merkmalen des Reims und des Metrums, die seit Klopstock bereits nicht mehr obligatorisch sind. Theoretiker wie Asmuth versuchen, das ursprünglichste Kriterium, die Liedhaftigkeit, zu verteidigen, scheitern jedoch aufgrund des 'Verzicht[s] auf Metrum und schnelle Verstehbarkeit' von großen Teilen moderner Lyrik. Es stellt sich dabei jedoch die Frage, in welcher Form sich Liedhaftigkeit überhaupt aufgrund bestimmter Merkmale beweisen oder widerlegen lässt und ob es sich nicht eher um eine Bezeichnung handelt, die allenfalls graduelle Abstufungen identifiziert. Eine exakte Abgrenzung lyrischer von nicht-lyrischen Texten aufgrund des Kriteriums der Liedhaftigkeit ist wegen der unscharfen Merkmalskriterien jedenfalls schwer vorstellbar. Dieselbe Problematik ergibt sich für das Kriterium der Kürze: Auf welche Weise soll festgelegt werden, wann ein Text nicht mehr liedhaft oder nicht mehr kurz (genug) ist? Neue Theorieversuche, beispielsweise unter dem Begriff der 'Differenzqualität', welcher das besonders stark vorhandene Abweichen von der Alltagssprache bezeichnen soll, oder der 'Offenheit des Wirklichkeitsbezuges lyrischer Texte' kritisiert Burdorf zu Recht als ebenfalls nicht trennscharf genug. Beide Merkmale erfassen zwar einen Großteil von lyrischen Texten, gewährleisten jedoch keine ausreichende Abgrenzung zu Texten anderer Gattungen - so weichen auch zahlreiche moderne Romane stark von üblicher Sprachverwendung ab und einige epische Kurzformen unterbieten umfassendere lyrische Werke bei weitem. 1993 entwirft Lamping eine Definition, die sich ausschließlich auf das Merkmal der Versstruktur stützt und damit den Großteil der aktuell als Gedichte angesehenen Texte abdeckt: Als Versrede soll hier jede Rede bezeichnet werden, die durch ihre besondere Art der Segmentierung rhythmisch von normalsprachlicher Rede abweicht. Das Prinzip dieser Segmentierung ist die Setzung von Pausen, die durch den Satzrhythmus der Prosa, und das heißt vor allem: durch die syntaktische Segmentierung des Satzes nicht gefordert werden. Im Schriftbild lässt sich diese Segmentierung in der Regel durch eine Anomalie des Satzspiegels erkennen, also durch nicht vollgeschriebene Zeilen. Kayser formuliert dazu sehr pragmatisch: 'Unser Auge sagt uns schnell, was Verse sind. Wenn auf einer Seite um das Gedruckte herum viel weißer Raum ist, dann haben wir es gewiß mit Versen zu tun.' Diese Definition trifft natürlich nicht zu, wenn Verse, wie häufig im 17. Jahrhundert, nicht durch Zeilenumbrüche, sondern stattdessen durch Schrägstriche voneinander abgesetzt sind. Diesem Einwand kann entgegengehalten werden, dass die Schrägstriche dem Zeilenumbruch strukturell entsprechen und das Kriterium bestehen bleibt, dass die Segmentierung rhythmisch, nicht syntaktisch motiviert ist. Die Definition von Lamping soll daher grundsätzlich zur Identifikation von Verseinlagen für die folgende Untersuchung gelten. Einen Sonderfall, der bei Burdorf nicht berücksichtigt wird, stellen die Verseinlagen des Kapitelpunktes 'Mutter Gissons Tod' dar. Es handelt sich dabei um Textabschnitte, die zwar nicht das Äußere von Versen besitzen, also keine Segmentierung durch Zeilenumbrüche, dafür aber über die konventionellen Kriterien des Metrums und des Reimes verfügen. Burdorf hält streng an der Definition Lampings fest, was solche Mischformen angeht: 'Entweder ein Text ist in Versen gefasst: dann ist er ein Gedicht oder er ist nicht in Verse gegliedert: dann ist er Prosa und eben kein Gedicht'. Tatsächlich ist aber dieser Textabschnitt gerade aufgrund seiner Grenzhaftigkeit zwischen gebundener Sprache und Prosa für das Gesamtkonzept der lyrischen Einlage in der Verzauberung zentral und soll deshalb, allerdings genau unter dieser Definition als formale Grenzerscheinung, Teil der folgenden Analyse sein. Abschließend muss in Bezug auf die Gattungsfrage noch darauf hingewiesen werden, dass die Gattungsbegriffe ,Lyrik‘ und ,lyrisch‘ von Broch selbst auf sehr undifferenzierte Weise verwendet werden. Loos schreibt zu diesem Problem in Mythos Zeit und Tod: 'die Vokabel ,lyrisch‘ […] scheint für ihn [Broch] nicht fixiert in einem streng gattungspoetischen Sinn, demzufolge auch nicht an bestimmte metrisch-rhythmische Formen gebunden'. So verwendet Broch in seinen kunstästhetischen Essays und Briefen häufig diffuse Begrifflichkeiten wie den 'lyrischen Ausdruck' oder gar die 'musikalisch[e] Komposition des Gesamtwerks', unabhängig von der äußeren Form jener Texte, und bezeichnet zuweilen sogar seinen Roman Tod des Vergil als ,Gedicht‘. Beim Hinzuziehen solcher Aussagen des Autors als Beleg von Thesen über die lyrischen Einlagen ist also große Vorsicht geboten. Auch die vorliegende Arbeit wird unterstützend Ausschnitte aus Schriften von Broch zitieren und deuten, in denen er die Begriffe ,Lyrik‘ und ,lyrisch‘ verwendet. Besondere Aufmerksamkeit wird jedoch darauf verwendet werden, die Bedeutung der Autoraussagen immer aus dem jeweiligen Kontext heraus zu erschließen.

Über den Autor

Britta Baier wurde 1988 in Bad Bergzabern geboren. Sie studierte gymnasiales Lehramt für die Fächer Deutsch und Musik an der Universität des Saarlandes sowie an der Hochschule für Musik Saar und schloss dieses Studium im November 2012 mit dem Akademischen Grad des Ersten Staatsexamens erfolgreich ab. Eine anhaltende Faszination für Hermann Brochs Werk sowie eine persönliche Vorliebe für die sprachlich konzentrierte Form der Lyrik führten zur ungewöhnlichen und fruchtbaren Fragestellung der vorliegenden Untersuchung.

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