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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 12.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die spezifische Untersuchung der österreichischen und deutschen Verbandssysteme mag zunächst durch die Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer institutionellen Ordnung, Geschichte und Kultur nicht sinnvoll erscheinen, jedoch können die Unterschiede im Detail gerade im Bereich der Arbeitsbeziehungen mit Schwerpunkt auf den Gewerkschaften hervorragend durch das ‘Most Similar Case’-Design herausgearbeitet werden. Aus Gründen der historischen Entwicklung ist es nahliegend, die deutsche Wiedervereinigung als Startpunkt der Untersuchung zu wählen, da die 1990er Jahre sowohl in Deutschland als auch in Österreich bedeutende Veränderungen brachten. Beide Staaten verfügen über einen großen Gewerkschaftsbund, der jedoch in Österreich stärker als in Deutschland selbst tätig und weniger bloßer Dachverband ist. Darüber hinaus werden die Unterschiede im Grad der Inkorporation der Institutionen offengelegt, in dem Österreich ebenfalls eine große Bandbreite an Einrichtungen zu bieten hat. Die Auswirkungen auf die Phänomene der Arbeitsbeziehungen werden beleuchtet und gegenübergestellt, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Der Fall Deutschland: Für die weitere Untersuchung der Interessenvertretung, insbesondere der Gewerkschaften, soll hier nur zunächst das deutsche Verbändesystem, speziell die Arbeitsbeziehungen, erläutert werden. Dazu werden zu Beginn die unterschiedlichen Akteure erläutert, wobei sinnvollerweise der Schwerpunkt bei den Gewerkschaften liegen wird. Nichtsdestotrotz sollen die Strukturen der Arbeitgeberverbände beschrieben werden. Insbesondere der Deutsche Gewerkschaftsbund und eine Auswahl dort organisierter Fachgewerkschaften soll in der Folge genauer betrachtet und auf die spezifische Rolle in den Arbeitsbeziehungen untersucht werden. Ebenfalls wird eine Einordnung des deutschen Systems von Verbänden und Staat erfolgen sowie in diesem Zusammenhang eine Reihe von korporatistischen Mustern in der Bundesrepublik vorgestellt werden. 3.1, Allgemeine Akteure der Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen: In Deutschland finden sich zahllose Interessenverbände und Lobbygruppen, die bemüht sind, die Interessen ihrer Mitglieder in den politischen Prozess einzubringen oder sich im Sinne des vermeintlichen Gemeinwohls zu engagieren, hierzu zählen also auch Umweltschutz- oder Wohlfahrtsverbände. Insgesamt kann von ca. 4.000 Verbänden in der Bundesrepublik ausgegangen werden, also einer Anzahl und Vielfalt, die unmöglich in ihrer Gesamtheit erfasst und Zusammengefasst beschrieben werden kann. Für die Betrachtung der Arbeitsbeziehungen genügt es, das Feld von Interessenvertretungen aus dem Bereich der Ökonomie näher zu beleuchten. Dazu zählen immerhin rund 1.000 Verbände, welche sich im Jahr 1994 in der vom Deutschen Bundestag geführten Lobbyliste registriert hatten. Für die Arbeitsbeziehungen eine wesentliche Rolle spielen dabei in Deutschland zuvorderst die Gewerkschaften als wichtigste Vertreter der Arbeitnehmer und die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände als Organisationen der Kapitalseite. Auf diese soll im Folgenden eingegangen werden, um später eventuelle deutsche Besonderheiten herausstellen zu können. Die beiden anderen Akteure der traditionellen großen vier in Deutschland, die Kirchen und Bauernvereinigungen, können hier vor allem wegen ihres inzwischen relativ geringen Einflusses auf die Arbeitsbeziehungen, außen vor gelassen werden. 3.1.1, Unternehmerverbände: Unternehmerverbände vertreten im System der organisierten Interessen in der Bundesrepublik Deutschland die Belange der Wirtschaft, also der Arbeitgeberseite. Allerdings sind die Unternehmerverbände keineswegs einheitliche Organisationen, welche sich den umfangreichen Interessen im Ganzen annehmen, vielmehr findet man in Deutschland eine starke Ausdifferenzierung der Arbeitsbereiche vor. Auffällig ist hier zunächst die Organisationsform der 80 regionalen Industrie- und Handelskammern (IHK), welche als öffentlich-rechtlich gestützte Einrichtungen eindeutig den umfassendsten Charakter unter den Unternehmerverbänden aufweisen. Sämtliche Unternehmen der Wirtschaft, freie Berufsgruppen, aber auch Betriebe aus Handwerk und Landwirtschaft sind zwangsweise Mitglied der jeweiligen regionalen Kammer. Überregional organisieren sich die Industrie- und Handelskammern in 16 Landeskammern, die sich den deutschen Bundesländern entsprechend zuordnen. Diese Zusammenschlüsse auf Landesebene nehmen zusammen mit den regionalen Kammern zahlreiche Aufgaben in Feldern wie der Berufsausbildung und lokaler Interessenvertretung wahr. Die einzelnen IHKs sind – im Gegensatz zu den Landesorganisationen – im DIHK, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag, der bis zum Jahr 2001 den Namen Deutscher Industrie- und Handelstag (DIHT) trug, zusammengefasst. In seinem Selbstverständnis ist der DIHK die Vertretungsinstanz aller selbstständigen IHKs auf Bundesebene, aber auch in der Öffentlichkeit sowie in gerichtlichen Fragen. Die Hauptorgane der DIHK sind die Vollversammlung aller Mitgliedskammern als höchster Instanz, einem Präsidenten sowie einer Vorstandschaft. Besondere Wichtigkeit kommt den Industrie- und Handelskammern nicht zuletzt auch deshalb zu, da sie öffentlich-rechtliche Aufgaben übertragen bekommen haben und wahrnehmen, also mit ‘partiell staatlichen Funktionen’ ausgestattet sind. Dazu zählt neben der Überwachung der Berufsausbildung aber auch das Abliefern von Stellungnahmen zur wirtschaftlichen Situation in der entsprechenden Region gegenüber den staatlichen Stellen. Vor allem stellen die IHKs in der Praxis jedoch eine wichtige Vertretung der kleinen und mittelständischen Unternehmen dar. Neben den Kammern und den für die unmittelbaren Arbeitsbeziehungen meist weniger relevanten Statusverbänden finden sich zumindest zwei weitere wichtige Verbandstypen auf der Seite der Wirtschaft. Die Mitgliedschaft in diesen erfolgt, im Unterschied zu den Kammern, freiwillig. Wirtschaftspolitische Anliegen der Unternehmen werden in Deutschland von sogenannten Wirtschaftsverbänden bzw. deren Spitzenorganisationen vertreten. Hier wäre, neben weiteren kleinen, vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu nennen, die Dachorganisation der Wirtschaftsverbände, der industrielle und wirtschaftliche Interessen seiner Mitgliedsorganisationen – 100.000 Unternehmen, verteilt auf 3812 Branchenverbänden aus 15 Landesvertretungen – gegenüber der Politik sowie der Öffentlichkeit vertritt. Die verbandsinterne Struktur des BDI beinhaltet eine Versammlung aller organisierten Mitgliedsverbände, diese hat das Haushalts- sowie das Wahlrecht für die (Vize-)Präsidenten. Die eigentliche Macht im Verband liegt allerdings nicht bei der Vorstandschaft aus Mitgliedsvertretern und Präsidium sondern, so beschreibt es Reutter, ‘bei Präsidenten, Vizepräsidenten, hauptamtlicher Geschäftsführung und Präsidium’, jedoch wird der Wirtschaftsverband häufig von einigen Großunternehmen dominiert. Um neben den politische Interessen der Unternehmer auch die Positionen gegenüber Gewerkschaften und Arbeitnehmern sowie in der Sozialpolitik zu vertreten, organisieren sich die Arbeitgeber im Spitzenverband der deutschen Arbeitgeberverbände, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im Unterschied zu den Wirtschaftsverbänden vertreten die Arbeitgeberverbände also die Interessen auf dem Arbeitsmarkt, eine eher ungewöhnliche Trennung innerhalb der OECD-Staaten. Der Bundesvereinigung gehören im Jahr 2012 52 Bundesfachspitzenverbände, also Fachvereinigungen aus diversen Branchen von Industrie über Handel, Verkehr bis zur Landwirtschaft an, zudem Landesvereinigungen von Arbeitgeber- bzw. Unternehmensverbänden. In der Summe sind in den Mitgliedsorganisationen der BDA mehr als 1000 vollkommen selbstständige Verbände organisiert, für welche die BDA als Dachverband agiert. In Deutschland spielen diese Arbeitgeberverbände für die Untersuchung der Arbeitsbeziehungen die entscheidende Rolle als Gegenspieler der Gewerkschaften, da sie als Tarifpartner mit der Arbeitnehmerseite verhandeln sowie in der Folge bindende Tarifverträge aushandeln und abschließen. Selbst besitzt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände keine Tariffähigkeit, handelt aber als unterstützend und beratend, mit dem Ziel, ‘die Tarifpolitik der ihr angeschlossenen Verbände zu koordinieren’. Professionelle Beratungsangebote für die Mitgliedsverbände gibt es neben Tariffragen auch im Personal- und Rechtsbereich, was die Stellung der einzelnen Tarifpartner gegenüber den Gewerkschaften stärken soll, inzwischen aber über die anti-gewerkschaftliche Ausrichtung hinaus auch der Mitgliederbindung dient. Dabei leidet die BDA vor allem unter einem kontinuierlichen, relativen starken Mitgliederverlust, was unter anderem Zahlen zum Organisationsgrad in der BDA sowie branchenspezifisch in der westdeutschen Metallindustrie zeigen. Die BDA ist ähnlich strukturiert wie die übrigen Arbeitgeberspitzenverbände, in ihrer Arbeit allerdings – vergleichbar mit dem Einfluss großer Unternehmen auf den – abhängig von besonders einflussreichen Mitgliedsverbänden, was stets ein Konfliktpotential in sich trägt. Durch den oben beschriebenen Mitgliederverlust aber auch durch organisatorische Veränderungen wie Neugründungen von Arbeitgeberverbänden, die nicht tarifgebunden sind, stellt sich den Arbeitgeberverbänden in Deutschland eine aktuelle Herausforderung, ihre herausragende Position als Vertreter der Interessen am Arbeitsmarkt ist allerdings als kaum gefährdet anzusehen.

Über den Autor

Bernd Frederik Fertig wurde 1986 in Würzburg geboren. 2012 schloss er den Studiengang ‘Political and Social Studies’ an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg mit der Verleihung des akademischen Grades B.A. ab. Seit 2012 studiert er den Masterstudiengang ‘Politikwissenschaftliche Demokratiestudien – Demokratie und Globalisierung’ an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald.

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