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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Spätestens bei der Recherche nach Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der russischen Pidgins wird klar, dass diese durchaus als ‘Stiefkinder’ der Slavistik bezeichnet werden können. Nach intensiver Befassung mit russischen Kontaktsprachen gelangt man dennoch oder gerade deshalb zu der Erkenntnis, dass noch immer viel über russische Pidgins zu entdecken sein dürfte. Dieses Buch gibt einen Einblick in das Kommunikationssystem der Pidginsprachen sowie einen Überblick über die russische Kolonisationsgeschichte. Die Sprachkontaktforschung auf diesem Gebiet soll etwas Licht in ein spannendes Kapitel der russischen Sprachgeschichte bringen. Berücksichtigt man, dass der Beginn der russischen Kolonisationsgeschichte rund 900 Jahre zurückreicht zu der Novgoroder Expedition in das Komi Territorium im 11. Jahrhundert, so erscheint die Anzahl der bekannten russischen Pidgins eher gering. Von den einstigen Handelsaktivitäten, welche sich von Troms und der Finnmark in Nordnorwegen nach Alaska und weiter entlang der nordamerikanischen Westküste zum kalifornischen Fort Ross und sogar nach Hawaii ausdehnten, sind lediglich drei russisch dominierte Pidgins dokumentiert - diesen ist diese Arbeit gewidmet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Russisch als Staats- und Kolonialsprache: Bei der Frage nach europäischen Kolonialreichen werden in aller Regel Frankreich, Großbritannien, Spanien und Portugal, kaum aber Russland genannt. Eine Ursache könnte die Spezifik westlicher Geschichtsschreibung sein, welche zwar europäisch sagt, meist jedoch westeuropäisch meint. Eine andere Ursache für die unterschiedliche Wahrnehmung Russlands als Kolonialmacht ist, dass zwischen allen westeuropäischen Kolonialmächten ein Konkurrenzkampf um dieselben überseeischen Gebiete entstand, während sich das russische Imperium ungehindert auf dem Landweg nach Osten ausbreitete. Als weitere Unterscheidung kann hier die gute sprachliche Erforschung der westeuropäischen Kolonialisierung genannt werden, während die sprachliche Seite der russischen Expansion kaum erforscht ist (Stern, 2003: 69). Der von einer Legitimationsideologie getragene europäische Kolonialismus ging von einer geistig-kulturellen Rückständigkeit der kolonisierten Völker und der eigenen Überlegenheit aus, einhergehend mit der Annahme, dass die kolonisierten Völker die Kolonisation als zivilisatorische Bereicherung ansehen mussten. Dass die Kolonisatoren ihre eigene Sprache auf Kosten der indigenen Bevölkerung übernahmen, wurde in diesem Rahmen als Fortschritt gewertet. Diese Illusion der eigenen Überlegenheit gipfelte im 18. Jahrhundert in evolutionistischen Sprachtheorien, wonach es sich bei den Sprachen der Erde um Abstufungen der geistigen Vollkommenheit handelte und das obere Ende von den europäischen Sprachen gebildet wurde (Calvet, 1974: 27 - 32). Bezüglich der russischen Kolonisation unterscheidet Kreindler (1985: 345) hier zwischen zwei konträren Konzeptionen der russischen resp. sowjetischen Sprachpolitik. Auf der einen Seite die von ihr als östlich bezeichnete Tradition der billigenden, zum Teil fördernden Behandlung der indigenen Sprachen und auf der anderen Seite die westliche Tradition der unifizierenden Sprachpolitik, welche auf Kosten der Sprachenvielfalt die Verbreitung des Russischen als Staatssprache anstrebte. Die Idee einer sprachlich-kulturellen Russifizierung reicht bereits in das 18. Jahrhundert zu Katharina der Großen zurück. Ihr ging es hierbei primär um die Konsolidierung der russischen Staatsmacht in den neu erworbenen westlichen Gebieten (Laitin, 1998: 39). 1863 brachte Zar Alexander II. eine Russifizierungspolitik verbunden mit Sprachverboten auf den Weg, welche sich 1876 mit dem Emser Ukaz und 1883 mit der Verwaltungsreform fortsetzte (Stern, 2003: 70 - 71). Die zaristische Sprachpolitik hatte jedoch keine Breitenwirkung. Zum einen war das russische Staatsgebiet zu groß und zum anderen wurden viele Gebiete relativ spät und in zu schneller Folge vom russischen Imperium annektiert. Erst im Laufe der Sowjetzeit kommt der russische Sprachkolonialismus zu seiner vollen Entfaltung (Stern, 2003: 73). 3.1, Klassifikation der Ausbreitungskontexte des Russischen: Die facettenreiche Ausbreitung des Russischen vor den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist bedauerlicherweise nicht umfassend und nur lückenhaft dokumentiert, sodass vieles nur mutmaßend aus dem heutigen Zustand und der äußeren Geschichte der russisch-indigenen Kontakte rekonstruiert werden kann. Nachstehend werden in einer groben Klassifikation vier historisch-geographische Ausbreitungskontexte für das Russische vorgestellt (Stern, 2003:76 - 78). Der vierte Punkt ist der für diese Arbeit relevanteste, jedoch sollen der Vollständigkeit halber sämtliche Punkte in allgemeinen Zügen vorgestellt werden: Die koloniale Ausbreitung nach Norden und Osten mit Anbindung neuer Gebiete an das russische Imperium, inklusive der frühen Novgoroder Kolonisation der von Ostseefinnen besiedelten russischen Gebiete und die Aktivitäten auf den Aleuten und Alaska sowie entlang der amerikanischen Nordwestküste bis nach Fort Ross in Kalifornien. Die Expansion im Kaukasus und Zentralasien, wo Russland sein osmanisch-muslimisches Erbe angetreten hatte. In diesen Gebieten stand das Russische zwei ausbreitungshemmenden Faktoren gegenüber - den religiös bedingten Vorbehalten gegenüber der Kultur der neuen Herren und der Existenz bereits etablierter Linguae Francae, nämlich dem Türkischen und Persischen sowie im Ostkaukasus dem Avarischen. Lev Tolstoj erwähnt in seinen Novellen Nabeg und Kazaki ein russisch-türkisches Kaukasus-Pidgin (Stern, 2004: 296), weitere Belege und Aufzeichnungen über dieses Pidgin existieren nicht. Die Ausbreitung nach Westen durch den Anschluss der Ukraine (1654), die Nordischen Kriege und die polnischen Teilungen. In den ostslawischen Gebieten entstanden aufgrund der großen Nähe des späteren Ukrainischen und Weißrussischen sprachliche Abgrenzungsprobleme zum Großrussischen, welche sich früh zu einer Diglossie-Situation auswuchsen. Die übrigen westslawischen Gebiete blieben von sprachlichen Inferenzproblemen unberührt. Die Ausbreitung des Russischen als Handelssprache an den Peripherien des russischen Imperiums. Hier wird das Russische im Grenzhandel, im Handel mit China sowie in der Finnmark genutzt. Die Herausbildung stabiler russischer Pidgins wie das Russenorsk und das Kjachta Pidgin scheint sich nach heutigem Kenntnisstand auf diese funktionale Domäne beschränkt zu haben. Einen anderen Ursprung hingegen hat das Govorka Pidgin auf der Tajmyr Halbinsel. Hier bestehen bestimmte Berührungspunkte der Expansion als Handelssprache zu dem unter Punkt (1) genannten Ausbreitungskontext, indem neuerlich kolonisierte Gebiete zunächst Grenzgebiete und Freihandelszonen waren. Insbesondere betrifft dies diejenigen Handelskolonien, wo russische Kolonisten und Händler an die Grenzen der Interessensgebiete anderer Staatsmächte vorstießen und die russische Präsenz nicht von langer Dauer war. In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob im kalifornischen Fort Ross und hawaiianischen Fort Elisabeth auch russische Pidgins gesprochen wurden. Bedauerlicherweise gibt es gegenwärtig diesbezüglich keine Erkenntnisse. 4, Sprachkontaktforschung russischer Pidgins: Blickt man auf die Anfangszeit der Kreolistik zurück, beschränkt diese sich fast ausnahmslos auf die Erforschung maritimer Pidgins im Pazifikraum, in der Karibik und in Westafrika, wo man Pidgins auf englischer, französischer, spanischer und portugiesischer Basis begegnet. Russische Pidgins hingegen haben die Aufmerksamkeit von Sprachkontaktforschern lediglich im bescheidenen Umfang auf sich gezogen. Dass westliche Kreolisten Kenntnis von russischen Pidgins erlangten, ist vor allem Stephen A. Wurm zu verdanken. Er trägt seit Beginn der 1990er Jahre wesentlich zur Verbreitung der Kenntnis russischer Pidgins unter den westlichen Kreolisten bei. Dem glücklichen Umstand, dass Wurm in der Lage ist, russische Literatur selbst einzusehen, verdankt man es, dass das auf der Tajmyr Halbinsel gesprochene Govorka Pidgin in der westlichen Kreolistik bekannt wurde (Stern, 2002: 5 - 7).

Über den Autor

Claudia Nickel, B.A., wurde 1963 in Gießen geboren. Ihr Studium der Modernen Fremdsprachen, Kultur und Wirtschaft mit dem Hauptfach Slavische Philologie und den Nebenfächern Wirtschaftswissenschaften und Lusitanistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Fasziniert von der russischen Kultur und Sprache, studierte die Autorin ein Semester an der Staatlichen Moskauer ‘Lomonossov’ Universität und absolvierte mehrere Praktika in Moskau. Diese Faszination als auch das Interesse an den Besonderheiten der russischen Sprache war die Motivation der Autorin, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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