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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 02.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 40
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die menschliche Perspektive auf das Großstadtleben fand besonders in der Epoche des Expressionismus große Beachtung in der literarischen Verarbeitung. Auch die dieser Analyse zugrunde liegenden Romane Mes amis und Fabian , beide in den 1920er Jahren entstanden, thematisieren die Situation des Individuums im sich neu gestaltenden Großstadtmilieu. Im Zentrum beider Werke stehen sozial isolierte Individuen, die im menschenüberfüllten Großstadtdschungel mit Einsamkeit und Unzugehörigkeitsgefühlen kämpfen. Die beiden Charaktere könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein: Der eine wird durch Armut und soziale Unverträglichkeit an den Rand der Gesellschaft getrieben, der andere ist sowohl beruflich als auch auf zwischenmenschlicher Ebene vermeintlich erfolgreich. So drängt sich die Frage auf, inwiefern der großstädtische Kontext zu ihren jeweiligen Situationen beiträgt. Schafft es allein die Situierung in einer anonymisierten Metropole, die beiden Figuren sozial zu isolieren? Als theoretische Grundlage dieser Analyse dient Georg Simmels soziologischer Aufsatz Die Großstadt und das Geistesleben , eine bahnbrechende und noch immer gültige Untersuchung des Innenlebens von Großstädtern. Es erfolgt eine Aufschlüsselung der psychologischen Gestaltung beider Hauptfiguren: Inwiefern sind ihre Charaktere verantwortlich für ihre Position im sozialen Abseits? Auch wird die Interaktion zwischen Stadt und Individuum untersucht. Der abschließende, fundierte Vergleich der beiden Werke stellt schließlich heraus, ob und in wieweit die Metropole die unterschiedlichsten Charaktere isolieren kann. Sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlicher Ebene liefert dieses Buch einen neuen Ansatz zur Analyse des Großstadtromans.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1, Der Protagonist als isoliertes Individuum: Jakob Fabian: Wie bereits im Untertitel des Romans festgehalten, handelt es sich bei Kästners Figur des Fabian um einen Moralisten. Der Moralismus der Hauptfigur äußert sich in Form eines beschreibend-belehrende[n] Blick[s] [...], dessen primäres Anliegen in der schieren Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Zustände und Einrichtungen liegt . Ferner besteht Fabians Moralismus vor allem in Form einer Aufrechterhaltung der eigenen moralischen Integrität: Fabian bezieht seine Identität in der Großstadt Berlin in wesentlichen Zügen aus der Gewissheit, die Wirklichkeit werde Tag für Tag schlechter, das eigene moralische Bewusstsein ändere sich jedoch nicht [...]. So weist der Protagonist im kleineren, alltäglichen Rahmen moralische und mitmenschliche Verhaltensweisen auf, wird aber nicht sozialpolitisch aktiv. Im größeren Rahmen erlebt er die Ohnmacht dieser kleinen Moral des Helfens weshalb er sich auf die Position des Moralisten zurück[zieht] . Es ist der Blick Fabians auf die beschriebenen Zustände, durch den sich Kästners moralische Intention äußert: der Autor sieht [...] in der Vernunft ein Mittel der Rettung vor dem Abgrund, auf den die Menschheit zusteuert. Diesen ersten Schritt der Vernunftwahrung lässt Fabian demnach in seinen bescheidenen Rettungsversuchen von Benachteiligten erkennen, bei denen er als einziger Beteiligter die Moral aufrechterhält. Der soeben beschriebene Abgrund taucht im Fabian hauptsächlich in Form eines Sittenverfalls auf , der die Gesellschaft übermannt und dem gegenüber Fabian als Einzelperson machtlos ist. Der Protagonist beobachtet diesen Sittenverfall zwar häufig direkt, erfährt ihn jedoch stets distanziert: Fabian streift als aufmerksamer Beobachter durch die Großstadt Berlin und beleuchtet das Leben der Menschen in all seinen Facetten, ohne wirklich Stellung zu beziehen und sich zu engagieren. Bei diesem von Rauch benannten Engagement muss eine Unterscheidung gezogen werden zwischen Fabians persönlichem Engagement, das für den Moment sehr wohl Wirkung zeigt, allerdings im gesamtgesellschaftlichen Rahmen schnell verhallt. Fabians Auffassungsgabe bezüglich seiner Beobachtungen ist höchst ausgeprägt, durch sachliche Darstellungen und die eigene Distanz zum Erlebten vermag er es, die ihm begegnenden Individuen und Zustände in ihrer unverfälschten Erscheinung, da ohne persönliche Anteilnahme aufzuzeigen. So zu sehen bei dem Besuch eines Amüsierlokals: Das von Musik begleitete Rundpanorama weiblicher Fülle erregte die an der Barriere drängenden Kommis, Buchhalter und Einzelhändler. Der Tanzmeister schrie, man möge sich auf die Damen stürzen, und das geschah. [...] Die Orgie konnte beginnen. Labude und Fabian saßen an der Rampe, sie liebten dieses Lokal, weil sie nicht hierher gehörten. In der Traumepisode des Romans charakterisiert die Figur der Irene Moll Fabian folgendermaßen: Du hältst die Welt für eine Schaufensterauslage und trifft es damit auf den Punkt. Die hier verwendete Glasmetaphorik ist Ausdruck der Distanz zur Welt, die Fabian empfindet und zu bewahren sucht , da sie als Flucht- und Schutzversuch fungiere. Dass es sich bei dieser elementaren Aussage um eine Traumepisode des Protagonisten handelt, ist signifikant für Fabians Eigenwahrnehmung- und darstellung. Nur im Traum, dem Bereich, in dem das Unterbewusstsein regiert, gelingt Fabian eine derart präzise Beobachtung des eigenen Charakters. Dies unterstützt die These, nach der sich in der gesamten Handlung die ihn stets begleitende Einstellung des inneren Abstandnehmens auch auf das eigene Innenleben erstreckt: Er verhält sich zu sich selbst distanziert und betrachtet sein Handeln vor allem als Experiment. [...] Gefühlen wird mit der gleichen Distanz begegnet wie Dingen. Einer seiner Gedankengänge, der in der Episode um Irene Moll formuliert wird, lässt diese Distanz deutlich erkennen: Er betrieb die gemischten Gefühle seit langem aus Liebhaberei. Wer sie untersuchen wollte, musste sie haben. Nur während man sie besaß, konnte man sie beobachten. Man war Chirurg, der die eigene Seele aufschnitt. Der medizinische Vergleich und sachliche[...] Umgang mit dem eigenen Gefühlsleben sind signifikant für Fabians psychologische Gestaltung. An dieser Stelle gilt es zu berücksichtigen, dass Kästners Roman der Epoche der Neuen Sachlichkeit zuzuschreiben ist, in welcher eine Rückkehr zur alltägl. Wirklichkeit und klarer Erfassung der objektiven Formen und Gegenstände unter Verzicht auf subjektive Bewertung elementar sind. Es handelt sich um die literarische Reaktion auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise bei der ein Bemühen um Authentizität gegeben ist: Im Vordergrund steht weniger das persönliche Schicksal des Romanhelden als die scheinbar unbeteiligt geschilderte Außenwelt . Der distanzierte, beobachtende Blick ohne persönliche Stellungnahme konstituiert Fabian also als zeittypischen [...] Helden der Neuen Sachlichkeit . Als weiteres Attribut eines neusachlichen Helden ist es neben der Reserve, mit der Fabian seiner Umwelt begegnet, auch eine extreme Bindungslosigkeit , die ihn charakterisiert und seine zwischenmenschlichen Beziehungen prägt. Fabian ist zwar auf moralischer Ebene innerlich stabil, weise laut Rauch darüber hinaus jedoch eine mangelnde innere Festigkeit auf, die im intimeren Umgang mit Menschen als Zeichen einer auffälligen Bindungsangst erscheint . Diese äußert sich beispielsweise in seinem unverbindlichen Umgang mit Frauen, mit denen er sich mehr aus Neugier, denn aus ehrlichem Interesse an ihren Personen einlässt , und sogar in seinen tieferen Beziehungen, wie der zu seinem langjährigen Freund Labude. Dieser stellt zwar einen der wenigen engen Vertrauten Fabians dar, mit dem er persönliche Gespräche führt, ihre Freundschaft ist jedoch von einem emotional[en] Ungleichgewicht geprägt: Während Labude sich Fabian anvertraut, [...] bleibt Fabian insgeheim recht verschlossen. Er berichtet dem Freund weder von der verlorenen Arbeit noch von der Liebe zu Cornelia Battenberger . Die Figur Cornelia stellt in diesem Kontext eine Ausnahme dar, da der Protagonist sich ihr öffnet und einen Bindungswunsch erkennen lässt. Auf diesen Aspekt wird im Folgenden noch eingegangen werden. Zwar fällt Fabian eine erste Kontaktaufnahme stets leicht, durch die Distanz zu den eigenen Gefühlen ist eine Vertiefung von zwischenmenschlichen Beziehungen jedoch schwierig umzusetzen. Die Mauer Fabians zu seinen eigenen Empfindungen bricht erst auf, als er sich im Angesicht der Mutter wiederfindet. Zu dieser verbindet ihn ein inniges, respekt- und liebevolles Verhältnis. Erst im Umgang mit ihr kann er seinen Gefühlen freien Lauf lassen und den Tod des Freundes Labude, sowie den Verlust des Arbeitsplatzes und das Scheitern der Liebesbeziehung zu Cornelia beweinen: Er ging auf [seine Mutter] zu und sagte mit zitternder Stimme: ,Mutter, Labude hat sich erschossen.’ Und plötzlich liefen ihm Tränen aus den Augen.

Über den Autor

Malena Brandl, 1987 in Osnabrück geboren, widmete sich nach ihrem Abitur dem Studium der Literaturwissenschaften in ihrer Wahlheimat Hamburg. Während des Studiums der Romanischen Philologie und der deutschen Literatur wandte sie sich früh der Komparatistik zu. Daneben zählen zu Brandls Arbeitsschwerpunkten die Narratologie und die innovative Form des Erzählens, Dichtens und Sprechgesangs/Rap.

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