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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Abb.: 13
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Anerkannt ist heute, dass für zahlreiche psychische und psychosomatische Erkrankungen traumatische Erfahrungen ursächlich oder mitursächlich sind. Um nicht erneut mit ihren Erinnerungen an Traumaerfahrungen in Kontakt zu kommen, weichen viele Menschen davor zurück, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und bewältigen ihr Trauma nicht. Traumatische Erfahrungen und daraus resultierende Identitätsverunsicherungen können daher auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Die Autorin veranschaulicht dies und geht dabei auf die Generationenfolgen im geteilten Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Anhand der Fallgeschichte einer Patientin aus einer stationären psychosomatischen Abteilung stellt sie heraus, dass Kunsttherapie eine besonders wirkungsvolle Therapieform für die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen ist.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen in der Kunsttherapie: In der bildnerischen Gestaltung findet die Imagination einen vertiefenden Ausdruck, kann von anderen Menschen wahrgenommen und mit ihnen geteilt werden (vgl. Lücke 2003, S. 132). Das Malen und Plastizieren kann eine erste Option sein, sich der inneren Bilderwelt ohne Angst zuzuwenden. Besonders PatientInnen, die unter Zuständen innerer Überflutung leiden, erlaubt diese kreative Auseinandersetzung eine Strukturierung und Differenzierung der als chaotisch erlebten Innenwelt. Die tiefenpsychologisch fundierte Kunsttherapie fügt der Arbeit mit Imaginationen die Möglichkeit des Ausdrucks und der Handlungserfahrung hinzu (vgl. Lücke 2003, S. 133). Im Prozess des Gestaltens entsteht ein in der Außenwelt real existierendes und sichtbares, begreifbares Objekt. Die Gestaltung wird zu einem direkt erlebbaren Gegenüber und Spiegel, die eine Chance zur Veränderung bieten. Innere Prozesse zu externalisieren ermöglicht eine Distanz, die einen neuen Blick auf das innere Geschehen erlaubt. Ein selbst geschaffenes Objekt ist sowohl Teil der Innen- als auch der Außenwelt, auf das Einfluss genommen, das verwandelt und in seiner veränderten Form internalisiert werden kann. Vor dem Hintergrund des in der traumatischen Erfahrung erlebten Kontrollverlustes und der Ohnmacht ist ein Wiederherstellen des Vertrauens in die eigene Handlungskompetenz von enormer Bedeutung. Für manche PatientInnen stellen einzelne Materialien einen belastenden Auslösereiz dar, z.B. durch Berührung, durch ihre Farbe, Form, Symbolhaftigkeit oder durch Geräusche beim Umgang mit ihnen (vgl. Lücke 2003, S. 134). Zu Beginn der Therapie ist es wichtig, die PatientInnen in der bewussten Wahrnehmung solcher Trigger zu unterstützen, sie zu respektieren und Umgangsformen zu entwickeln, die zunächst einer Vermeidung und mit wachsender Stabilität einer erhöhten Toleranz dienen (vgl. ebd., S. 134f.). 4.1, Fallbeispiel einer bulimischen Patientin: 4.1.1, Absteckung des Rahmens: Institution, Setting, Behandlungskonzept und freie Themenwahl: Für die Dauer von zwei Monaten absolvierte ich eine Praxistätigkeit in einer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und war als Co-Therapeutin und teils auch als vertretende Kunsttherapeutin in den kunsttherapeutischen Sitzungen tätig. Betrachten möchte ich eine Patientin aus der stationären Gruppe der PatientInnen mit Essstörungen (ICD-10, F50), für die ein spezielles Behandlungsprogramm zur Anwendung kam (vgl. Leitbild der Klinik 1998). Die Gruppe der PatientInnen mit Essstörungen im so genannten Langzeitsetting war als eine halboffene Gruppe anzusehen, in der sich ausschließlich Frauen befanden, denn zumeist sind die Betroffenen Frauen (vgl. v. Wietersheim 2008, S. 291). Die Patientinnen blieben in der Regel zehn Wochen in jenem Setting. Vorgeschaltet war das dreiwöchige Klärungssetting , in dem die Behandlungsmotivation sowie Therapieziele der Patientinnen herausgestellt wurden. Im Zuge davon kam es zu einem Behandlungsvertrag zwischen der Klinik und der Patientin, woran beide Seiten gebunden waren. Die vorrangigen Verfahren bei der Behandlung von Essstörungen sind psychotherapeutisch (vgl. American Psychological Association 2006 und National Institute of Clinical Excellence 2004 in v. Wietersheim 2008, S. 295). Das Behandlungskonzept der Klinik war tiefenpsychologisch fundiert und enthielt daneben verhaltensmodifizierende Maßnahmen (vgl. Leitbild der Klinik 1998). Symptome wurden trotz ihrer objektiven Schädlichkeit vorübergehend als eine unverzichtbare Stütze für das Selbstwertgefühl der Patientinnen respektiert. Die Konzentration richtete sich zunächst auf das Symptomverhalten und die begleitenden Kognitionen und Affekte, während mit Besserung der Symptomatik die Konfliktzentrierung zunahm. Die therapeutische Beziehung diente als Motor für den Symptomveränderungsprozess. Um eine strukturelle Änderung der Persönlichkeit der Patientin zu erreichen, bestand die Therapie aus der Arbeit an und mit den Symptomen. Die symptomorientierten Maßnahmen umfassten die medizinische Betreuung und Besprechung des Behandlungsvertrages, ein strukturiertes Essprogramm, Gewichtskontrolle, gemeinsame Mahlzeiten, Entspannung, Ernährungsberatung und Sozialarbeit. Zu den konfliktorientierten Interventionen zählten Einzel- und Gruppensitzungen, Kunst-, Tanz- oder Konzentrative Bewegungstherapie sowie Familiengespräche. Als Behandlungsziele galten das Wiedererlernen eines normalen Essverhaltens mit Abstinenz gegenüber gewichtsreduzierenden Maßnahmen, das Anstreben bzw. die Beibehaltung des Basisgewichts und die Normalisierung des körperlichen Zustandes (vgl. Leitbild der Klinik 1998). Weiterhin sollte ein psychodynamisches Verständnis der Erkrankung entwickelt werden, die Bearbeitung von relevanten Konfliktbereichen einsetzen, das Körperbild verbessert werden sowie eine realistische Selbsteinschätzung erfolgen. Einerseits wurde den Patientinnen mit Essstörungen viel Struktur angeboten, andererseits aber auch Raum gelassen zur freien Gestaltung, damit sie vermehrt Selbstverantwortung und Selbstbestimmung übernahmen. Mangelndes Engagement auf Seiten der Patientin machte die Behandlung unergiebig, sodass eine vorzeitige Entlassung erfolgte, wenn sie dem Behandlungsvertrag nicht nachkam. Die Kunsttherapiesitzungen der Gruppe mit maximal zehn Patientinnen fanden wöchentlich zweimal zu einem festen Termin für anderthalb Stunden statt. Themenvorschläge wurden nur nach Bedarf unterbreitet. Wichtig war stets, erst einmal all das zu fördern und anzunehmen, was die traumatisierten Patientinnen zum Ausdruck bringen konnten. Die Patientinnen waren dazu angehalten, für ihre entstandenen Werke einen Titel zu finden. Bereits auf diesem Weg konnte bildnerischer Inhalt ein Stück weit durch sie versprachlicht und ihnen somit das Dargestellte mehr bewusst werden. Jede Patientin hatte für die Zeit ihres Aufenthaltes eine eigene Mappe, worin sich ihre Gestaltungen befanden. 4.1.2, Erstkontakt: Im Erstgespräch am 6. August 2013 lernte ich die 29-jährige Patientin kennen, die ich kunsttherapeutisch die ersten vier Wochen ihres Langzeitsettings begleitet habe. Diesen Prozess zeige ich anhand sämtlicher der entstandenen Gestaltungen auf (Abb. 3 bis Abb. 11, Anhang). Ihre Diagnosen lauteten auf: Bulimia nervosa (Bulimie, Ess-Brech-Sucht) (ICD-10, F50.2) und eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F32.1). Sie berichtete von Selbstverletzungen: Vor ihrem Klinikaufenthalt ritzte sie sich mit scharfen Gegenständen (ICD-10, X78). Die Patientin litt täglich, auch aufgrund einer Skoliose, unter Rückenschmerzen. Sie hatte immer viel Sport getrieben, und es lagen bereits mehrere Bandscheibenvorfälle hinter ihr. Das Hauptsymptom der psychosomatischen Erkrankung Bulimie sind mehrmals am Tag auftretende Essanfälle, in denen große Mengen Nahrung in sehr kurzer Zeit konsumiert werden (vgl. v. Wietersheim 2008, S. 292f.). Außerhalb dieser Essattacken liegt oft ein stark eingeschränktes Essverhalten vor. Bulimikerinnen wie die betrachtete junge Frau haben eine krankhafte Furcht, zuzunehmen und wirken deshalb dem dick machenden Effekt ihres Heißhungers durch Erbrechen, Abführmittelmissbrauch, Diäten oder exzessiv betriebenen Sport entgegen. Sie sind im Übermaß mit der Kontrolle von Essen, Gewicht und ihrer Figur beschäftigt und entweder normal-, unter- oder übergewichtig (vgl. Böning 2000, S. 9). Die Betroffenen erzeugen durch Essen und Erbrechen einen Rauschzustand, der kurzfristig Spannung abbaut und die Realität ausblendet (vgl. ebd., S. 43). Körperliche Beschwerden, innere Leere und massive Schuldgefühle sind die Folge. Die Erkrankten machen sich und ihre mangelnde Disziplin verantwortlich. Bei der Genese von Bulimie spielen Traumatisierungen eine erhebliche Rolle (vgl. v. Wietersheim 2008, S. 294). Die betrachtete Patientin studierte Veterinärmedizin im achten Semester. Seit einem Jahr jedoch litt sie so sehr unter einer Verminderung von Antrieb, Aktivität und den Auswirkungen ihrer bulimischen Erkrankung, dass sie vorerst nicht weiter studieren konnte. Im Alter von 16 Jahren wurde sie sexuell missbraucht. In den folgenden zehn Jahren hatte sie keine Beziehung, vielmehr verglich sie ihr Leben während dieser Zeit mit dem eines Zombies (ein Untoter, der als ein seiner Seele beraubtes, willenloses Wesen herumgeistert). Das Thema Beziehung war schwierig für sie: Sie lebte ohne Partner, wünschte sich jedoch einen solchen an ihrer Seite. Einige Monate vor diesem Klinikaufenthalt verliebte sie sich in einen Mann, der ihre Liebe nicht erwiderte, was sie nach wie vor sehr traurig stimmte. […].

Über den Autor

Dörthe Wilken wurde 1980 in Berlin geboren. Die diplomierte Landschaftsökologin schloss ihr berufsbegleitendes und tiefenpsychologisch fundiertes Bachelorstudium der Gestaltungstherapie/Klinischen Kunsttherapie im Jahr 2014 in Berlin erfolgreich ab. Bereits seit mehreren Jahren sammelte sie umfassende praktische Erfahrungen in berufsrelevanten Tätigkeitsfeldern. In einer Werkstatt zur beruflichen Rehabilitation arbeitete die Autorin gestaltungspädagogisch mit Menschen mit schweren Behinderungen. Zudem förderte und unterstützte sie psychisch erkrankte BesucherInnen eines Tageszentrums in ihrem kreativ-gestalterischen Schaffen. Die Verfasserin hospitierte insbesondere an verschiedenen Kliniken für Psychosomatik und Psychotherapie in den stationären Gruppensitzungen der Kunsttherapie und führte selbstständig Therapiesitzungen durch. Dabei entwickelte sie ihre Idee zur Thematik des vorliegenden Buches.

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