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Geschichte

Detert Zylmann

Einmal Hamburg - Mainz und zurück. Mein Leben

ISBN: 978-3-96146-823-2

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2021
AuflagenNr.: 1
Seiten: 152
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Es ist die Geschichte meines Lebens und zugleich die Geschichte meiner Familie, verknüpft mit zeitgeschichtlichen Aspekten. Über das persönliche Erleben hinaus sind die Aufzeichnungen ein Spiegelbild sich wandelnder Zeiten und damit Dokumente von allgemeiner Bedeutung. Politisch waren es spannende Nachkriegsjahre. Die Lehrerschaft schien gespalten zu sein, einige machten keinen Hehl aus ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Nazis waren allgegenwärtig. Fast alle Beamte und Staatsdiener, die während des Nationalsozialismus beschäftigt waren, also Richter, Staatsanwälte, Polizisten, die Juden abgeholt haben oder Lehrer, die Schüler bei der Gestapo denunzierten, arbeiteten einfach weiter, machten Karriere und wurde nicht zur Verantwortung gezogen, so als sei nichts geschehen. Das Wissen um diese Zeit möchte ich gern weitergeben. Für die Fortschreibung meiner Geschichte waren die Tagebücher meiner Frau von besonderer Bedeutung. Erst jetzt, über zwei Jahre nach ihrem Tod, kann ich sie lesen und ein wenig verstehen, wenngleich sie mich emotional sehr berühren. Hinzu kommt ein unbearbeitetes, umfangreiches Bildmaterial, welches die Auslassungen meiner Frau vortrefflich ergänzt, sodass sich eine überarbeitete Neuauflage meiner Geschichte anbietet.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel Schaalsee: Als ich 9 Jahre alt war, unternahmen meine Eltern mit mir und meiner Schwester den ersten Campingurlaub. Urlaub im eigenen Zelt begann in den 50igern. Es waren erschwingliche Ferien mit einem Hang zum Abenteuer inklusive Rückenschmerzen, insbesondere für die ältere Generation. Im Mai 1954 schlugen wir unser Zelt am Ufer des Pipersees auf. Der See im Landkreis Herzogtum Lauenburg, nur wenige Kilometer östlich von Mölln, lag mitten im Wald. Es gab noch keinen offiziellen Campingplatz, man konnte das Zelt an den schönsten Stellen aufbauen. In der Wahl des Platzes war man völlig frei. Die Gedanken an Maßnahmen zum Schutz und zur Pflege der Natur standen noch am Anfang. Wir blieben dort über ein Wochenende. Ich führte Tagebuch: Gutes Wetter, nachts kühl. Wir sahen einen Kranich zweimal über den See fliegen. Abendspaziergang mit Papi und Detert im Modenschein. Es klingt seltsam und man mag es kaum verstehen: es war mir nie langweilig. Viele Naturphänomene, die wir beobachteten und mir unbekannt waren, konnten mir meine Eltern erklären. Es gab nur die Natur. Es war Natur pur. Mein Onkel Eckbert, der Bruder meines Vaters, der später mit seiner Familie ebenfalls die Wochenenden am Schaalsee verbrachte, schloss mit uns Kindern gern Wetten ab. So setzte er eines Tages 5 DM aus, für denjenigen, der über den Kanal am Ende des Pipersees schwimmen konnte. Da ich mich im Januar zuvor freigeschwommen hatte, eine leicht zu lösende Aufgabe, zumal der Kanal nur etwa 10 Meter breit ist. Vom Pipersee gelangte man auf dem Schaalseekanal durch den Phulsee zum eiszeitlich geprägten Schaalsee. Im Jahre 2000 durch die Weltorganisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) als internationales UNESCO-Biosphärenreservat Schaalsee anerkannt, war bereits die Westseite des Sees 1960 als Naturpark Lauenburgische Seen unter Schutz gestellt worden. Während der deutschen Teilung verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch den See. Da er 40 Jahre im Grenzbereich zwischen dem geteilten Deutschland lag und nur wenigen Touristen bekannt war, konnten sich hier eine besondere Fauna und Flora ungestört entwickeln. Inmitten dieser reizvollen Natur hatten sich meine Eltern einen Ort ausgesucht, der über lange Zeit Ausflugsziel und Erholungsort werden sollte. Damals gab es hier noch kein Biosphärenreservat und keine Unterschutzstellung. Und so war es auch hier möglich, unser Zelt dort aufzuschlagen, wo wir wollten. Unser Zeltplatz am Schaalsee lag auf dem Heidehügel in der Gemeinde Salem, Ortsteil Dargow. Aus meinem Tagebuch: Am Pfingstmontag 1954 begann nachts ein sanfter Regen. Am Morgen regnete es immer noch. Wir machten es uns im Zelt gemütlich und sangen aus Leibeskräften schöne Fahrtenlieder. Papi und Onkel Eckbert spielten Blockflöte und Mundharmonika. Zu unserem Liedgut gehörte, und ich habe die 1. Strophe noch im Ohr: Wildgänse rauschen durch die Nacht mit schrillem Schrei nach Norden Unstete Fahrt, habt Acht, habt Acht! Die Welt ist voller Morden. Das Lied entstand 1917 in den Schützengräben der Westfront und wurde später in der Wandervogelbewegung (Sammelbezeichnung für alle politisch unabhängigen und nicht konfessionell gebundenen Jugendbünde in der Weimarer Republik) und in der Bündischen Jugend (Jugendbewegung der bürgerlichen Mitte) gesungen. Aber auch das Lied vom Polenmädchen wurde angestimmt: In einem Polenstädtchen, da wohnte einst ein Mädchen, die war so schön. Sie war das allerschönste Kind, das man in Polen find’t, aber nein, aber nein sprach sie ich küsse nie. Dieses Lied ist nicht gerade unbelastet, gehörte es doch zur NS-Propaganda der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg und zur Romantisierung des Soldatenlebens. Der zweifelhafte Ursprung war nur allzu leicht vergessen worden. Es wäre sicherlich verfehlt, meine Eltern in die Nähe des Nationalsozialismus rücken zu wollen. Über die Herkunft des Liedes machten sie sich allerdings wohl keine Gedanken. Noch lange Zeit nach Kriegsende schien der Einfluss der Nazi-Ideologie auf die Menschen der Nachkriegszeit präsent. Erst sehr viel später kapierte ich, was da gesungen wurde. Allgemein war damals unser Verhältnis zur Volksmusik seit dem Dritten Reich stark gespalten. Für einen Großteil der Nachkriegsgeneration haftete an deutschen Volksliedern noch der Geruch von Faschismus. Die Nazis hatten sie für ihre Zwecke missbraucht, und daher galt das Liedgut als belastet. Erst als Erwachsener fand ich, wie viele andere auch, Gefallen an den fortschrittlichen Liedern des Genres, so z.B. an Hannes Wader und an dem Duo Zupfgeigenhansel, ohne mich allerdings vorher mit der Problematik auseinander gesetzt zu haben. Es gab damals einige Redensarten in unserer Familie, die sicherlich nicht nur bei uns üblich waren und die aus Unbedachtheit geäußert wurden. Hatte ich meine Lateinvokabeln nur ungenügend gelernt, kritisierte mein Vater mich mit der Bemerkung: Du musst sie bis zum Vergasen lernen, sonst klappt es nie. Ich glaube, man kann heute das Wort vergasen nicht mehr unbefangen verwenden, selbst wenn es ganz anders gemeint ist. Irgendeiner hat einmal treffend gesagt, dass dieses Wort seine Unschuld verloren hätte. Weniger belastet war hingegen der Ausdruck Jödennööten (=Judennüsse) für Erdnüsse. Am Schaalsee brachten wir uns das Segeln bei. Unsere martialische Devise lautete: Das Leben ohne Segeln ist ein Irrtum. Hier am Schaalsee entdeckte ich meine Liebe zum Wassersport. Ich fieberte jedem Wochenende entgegen, an dem ich auf dem Wasser sein konnte. Mit einem umgerüsteten Schlauchboot unternahmen wir die ersten Segelversuche. Allerdings konnte man sich lediglich vor oder mit dem Wind fortbewegen, weit entfernt vom richtigen Segeln. Ein Kreuzen bei Rückenwind, also im Zickzackkurz ein Ziel anzusteuern, das in Windrichtung lag, war nicht möglich. Der direkte Rückweg musste gepaddelt werden. Schon bald wurde das Schlauchboot durch eine gebrauchte schwerfällige Jolle ersetzt, mit der wir richtige Segelmanöver üben konnten. Später haben wir uns vom Konfirmationsgeld eine H-Jolle angeschafft. Das Schiff war schnittiger und viel schneller. Kräftiger Wind und kabbeliges Wasser versetzte uns in einen übermütigen Zustand. Wir empfanden Freude bei dem Kampf mit Wind und Wasser. Wenn also bei starkem Wind nicht gerefft (Segelfläche verkleinert) wurde, das Boot sich stark auf die Seite legte, wenn man also nach alter Seemannsart dem Teufel ein Ohr absegelte , dann waren wir in unserem Element. Oft verlegten wir diese Schaustellung der hohen Segelkunst in der Nähe des Schaalseeufers, besonders dann, wenn sich das weibliche Geschlecht dort aufhielt und wir vor den Mädels angeben konnten. Wir merkten aber schon bald, dass unser Imponiergehabe von wenig Erfolg gekrönt war. Obwohl wir Jungen unterschiedliche Annäherungsversuche ersannen, waren sie doch allesamt zum Scheitern verurteilt. Wir wurden vorgeführt, belächelt, die Mädchen nahmen uns nicht ernst. Und so blieb man unter sich und beschränkte sich auf das Segeln. Mit dem Segeln lernten wir die Windstärken und Windrichtungen richtig einzuschätzen. Das Segeln auf dem Schaalsee mit seinem Waldbestand an Teilen des Schaalseeufers war gerade für ungeübte Segler tückisch, da die Bäume die Windströme oft ablenkten. Eine Tages erwischte es auch uns. Wir hatten die Windverhältnisse völlig unterschätzt und eine plötzlich einfallende Böe nicht rechtzeitig wahrgenommen. Das Lösen der Schoten (Segelleinen) kam zu spät und so legte sich unser Schiff auf die Seite. Da wir es nicht wieder aufrichten konnten, klammerten wir uns an den Rumpf und ließen uns ans weit entfernte Ufer treiben. Alle, auch das einzige Nichtschwimmer-Crewmitglied, überstanden die Kenterung unbeschadet. Schwimmwesten oder entsprechende Sicherheitskleidung hatten wir nicht. Pass auf, da kommt eine Böe , über diesen Spruch aus der Segelanfangszeit schmunzelte lange Zeit meine spätere Frau Sylvia. Man sah natürlich keine Böe, sondern nur eine gekräuselte Seeoberfläche, die das Herannahen einer Windböe ankündigte und bestimmte Handgriffe auf dem Segelboot erforderte. Wie von Zauberhand kam dann plötzlich der Wind auf. Sylvia war bass erstaunt, dürfte aber schon bald das Prinzip dieses Wetterphänomens verstanden haben. Häufiges Ziel unserer Segeltörns war der Gasthof am See in Seedorf am Schaalsee, der eine eigene Anlegestelle hatte. Nach mehreren Bierchen und einigen Schnäpschen – wir waren recht trinkfreudig, aber auch sehr trinkfest – erreichten wir häufig spät abends wohlbehalten nach mehreren Kreuzschlägen unseren Heimathafen in Dargow. Jede Polizeikontrolle auf der Straße hätte uns aus dem Verkehr gezogen. Einen gewissen Nervenkitzel hatten unsere Segeltörns in die Nähe der damaligen sogenannten Zonengrenze, die mitten durch den See verlief. Tauchte ein Boot der patrouillierenden DDR-Volkspolizei auf, drehten wir bei. Abenteuer pur war die Fahrt mit einem Ruderboot zu einer der unbewohnten bewaldeten Schaalseeinseln, die direkt an der innerdeutschen Grenze lagen. Wir waren drei Freunde, hatten aber nur ein Zweimannzelt dabei, so dass einer ständig in der Nacht vor dem Zelt sitzen musste, um Wache zu schieben . Eine recht unheimliche Angelegenheit, denn jedes Mal, wenn vom nahegelegenen DDR-Festland von den Wachtürmen des Volkspolizei die Scheinwerferkegel den Wald auf der Insel durchstreiften, hielten wir voller Angst inne. Mitte der 50iger mietete dann die Familie ein Zimmer in einer Scheune in Dargow, direkt am Schaalsee gelegen. Später kam ein zweites hinzu. Damit waren wir von der Witterung unabhängig und konnten sommers wie winters dort Urlaub machen. Nicht nur die Familie suchte hier Entspannung, sondern auch wir hatten häufig Freunde und Klassenkameraden zu einem Kurztrip eingeladen. Ich erinnere mich lebhaft an eine Fahrt mit dem Fahrrad, die Satteltaschen voller Konserven, etwa 100 kg. Wir radelten von Hamburg über Bergedorf, ein riesiger Umweg, und kamen schweißgebadet nach 10 Stunden Fahrt am Schaalsee an. Trotz mannigfacher Instruktionen von meiner Mutter zum pfleglichen Umgang mit der kleinen Ferienwohnung konnten wir Messer und Gabeln nicht auffinden. Mit mehr oder weniger Geschick schnitzten wir uns aus Weidenruten Esswerkzeuge, eine Aktion, die dem Aufenthalt einen bestimmten abenteuerlichen Anstrich gab. Wie sich später herausstellte, war das Besteck säuberlich aufbewahrt in einer Schublade, versteckt unter dem Küchentisch. Später auf den Autofahrten von Hamburg an den Schaalsee mit meinen Eltern hatte ich jedes Mal mit Übelkeit zu kämpfen. Bereits in der zweiten Kurve nach Hamburg wurde mir schlecht. Einen großen Anteil an diesem Zustand hatte mein Vater, der keinen Versuch unternahm, meine Reiseübelkeit einzudämmen. Im Gegenteil, seine Fahrweise gab wenig Anlass auf Besserung, auch wenn die Höchstgeschwindigkeit unseres DKW 3=6 Meisterklasse sehr moderat war. Dennoch musste meinetwegen die Fahrt einige Male unterbrochen werden, damit ich mich in die Büsche schlagen konnte. Mein Vater war übrigens, was das Autofahren betraf, nicht immer sehr rücksichtsvoll zu seinen Mitmenschen im Straßenverkehr. Ging ein Fußgänger nicht schnell genug über den Zebrastreifen, hatte mein Vater es auf ihn angesehen. Er drängte ihn mit leicht erhöhter Geschwindigkeit bei nur geringem Abstand förmlich von der Straße, für uns jedes Mal eine Gaudi!

Über den Autor

Detert Zylmann wurde 1944 geboren. Nach dem Studium der Vor- und Frühgeschichte promovierte er 1980 in Mainz und übernahm 1983 die Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bei der dortigen Archäologischen Denkmalpflege. Seit dem Eintritt in den Ruhestand 2009 beschäftigt sich der Autor intensiv mit seiner umfangreichen Familiengeschichte. Nach dem Tod seiner Ehefrau 2008 zog er wieder zurück nach Hamburg zu seinen beiden erwachsenen Töchtern.

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