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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 05.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 200
Abb.: 28
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Buch zeichnet die Gesellschaftsgeschichte von Deutschland und Griechenland im Detail nach. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die wechselseitige Beeinflussung von Griechenland, Deutschland und Europa gelegt. Unter anderem werden folgende Fragen analysiert: Waren die Reparationsforderungen seitens Griechenlands berechtigt? Warum hatte Griechenland einen deutschen König? Kann man Kulturen überhaupt vergleichen? Wieso hat Deutschland ein Problem mit seinem Selbstverständnis? Ziel ist es, zu untersuchen, ob die gemeinsame Vergangenheit von Deutschland und Griechenland auf die kontroverse Mediendebatte zur Euro-Krise einen entscheidenden Einfluss hat. Neben der gesellschaftsgeschichtlichen Aufarbeitung werden kulturvergleichende Studien vorgestellt und Tiefeninterviews geführt. Anhand der Berichterstattung zur Euro-Krise zeigt sich, inwieweit die geschichtliche Entwicklung Europas und explizit der beiden Länder, Griechenland und Deutschland, auf die aktuelle Medienberichterstattung Einfluss nehmen. Darüber hinaus wird die desolate gesellschaftliche Situation in Griechenland aus erster Hand dargestellt und ein Ausblick auf die Perspektiven des Landes gegeben.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 6.1.2, Die griechische Jugend im Abwärtsstrudel: Zweifelhaft, aber durch den strengen Sparkurs notwendig, sind Einsparungen im Schulwesen. Schulbücher werden nicht mehr verteilt, Fremdsprachenunterricht wird weitestgehend eingestellt und Lehrer werden entlassen. Die Privatschulen sind in Griechenland anders als in Deutschland eine unersetzliche Komponente, wenn eine Universitätslaufbahn angestrebt wird. Das Dilemma ist nun, dass die staatlichen Schulen qualitativ weiter absinken und die Privatschulen nicht mehr bezahlt werden können. Dies bestätigt auch Kartakis als Lehrer an einer Privatschule: ‘Die griechische Schule existiert im Moment sozusagen nur um überhaupt zu existieren. Sie ist geöffnet nur um geöffnet zu sein. Die Kinder lernen da zurzeit meistens nichts. […] [V]iele Fächer werden praktisch gar nicht mehr unterrichtet. […] [D]ieses Jahr kamen für die meisten Fächer keine Schulbücher. Wir haben wirklich keine Bücher zur Verfügung und das an einer Schule! Die Kinder müssen den Stoff aus dem Internet holen.’ Eine schlechte Schulbildung bedeutet auch eine fehlende politische Bildung durch entsprechende Unterrichtsfächer sowie eine geistige Verwahrlosung. Die Auswirkungen werden dabei erst in einigen Jahren sichtbar, wenn die heute um die 15-Jährigen in das Arbeitsleben einsteigen wollen. Kartakis sieht in diesem Fall die fehlenden Reize durch die Regierung selbst als Problem: ‘Die Menschen sind, so habe ich den Eindruck, politisch ein wenig zurückgeblieben in Griechenland. […] Also die Reize, die die Menschen bekommen um sich zu bilden vor allem politisch zu bilden, sind zu wenig. Die Leute haben kaum Interesse an etwas, weil sie auch gar nicht wissen was überhaupt existiert in der Welt.’ In Verbindung mit dem oben angesprochenen Wettbewerb ist es fragwürdig, ob die zukünftigen Eliten des Landes, die zum einen eine qualitativ schlechte, zum anderen aber auch eine veraltete Bildung erfahren haben, in Europa bestehen können. Andreas Andreanopoulos, langjähriger Minister und Parlamentarier, beschreibt aus seiner Erfahrung als Dozent am Institut für Diplomatie und Weltpolitik in Athen, dass vorwiegend das Prinzip des Auswendiglernens und nicht des selbstständigen, wissenschaftlichen Arbeitens herrscht. Die griechische Gesellschaft wird es folglich schwer haben, wettbewerbsfähig zu werden. Reformen sind an den im internationalen Vergleich schlecht bewerteten Hochschulen kaum möglich, da starke Studentenverbindungen mit Nähe zur Politik einen großen Einfluss besitzen. Der große Verlierer der Situation ist folglich die Jugend, die auf dem Arbeitsmarkt perspektivlos, der Bildung beraubt und politisch nicht erzogen ist. Die Jugend läuft dabei dem spanischen Soziologen Manuel Castells nach Gefahr, in den ‘schwarzen Löchern des informationellen Kapitalismus’ zu versinken. Das bedeutet, es drohen Krankheit, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Verlust der Vermittelbarkeit in eine neue Arbeitsstelle, Verlust der Kreditwürdigkeit. Der Vorgang kann auch als ‘Abwärtsspirale der sozialen Exklusion’ bezeichnet werden. In einer gespalteten Gesellschaft wie Griechenland ist die Jugend unmündig. Gerade die politische Bildung und Erziehung spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Jedoch kann diese nicht stattfinden, wenn das Bürgertum beziehungsweise die Jugend nicht anfängt, sich aufzuklären. Aufklärung kann in diesem Fall als ein Infragestellen von Autoritäten, Ideologien und Wissen gesehen werden. Dies ist die Grundlage und somit rationale Vorstufe ‘einer Emanzipation, einer selbstbestimmten (weil aufgeklärten) Befreiung aus einer (in der Regel nicht selbst verschuldeten) Unmündigkeit ‘. Die Krux ist, dass eine Emanzipation zwar für einen Gesellschaftswandel essenziell ist, diese jedoch nicht ohne Hilfe von außen geschehen kann. Eben diese Hilfe ist in Griechenland nicht zu beobachten. Weder das Bildungssystem, noch die Politik fühlen sich dafür zuständig. Auch muss eine Emanzipation in gesellschaftlicher Sicht auf eine Bereitschaft beider Seiten treffen. Der griechischen Jugend ist dies mit ihren Kommunikationsfähigkeiten und -Kanälen nicht möglich. Es steht folglich im Raum, dass die Politik den Bürger und die Jugend des Landes primär als Wähler sieht, welche durch eine gezielte Unmündigkeit kontrolliert werden müssen. Im Kontext der tiefen gesellschaftlichen Spaltung zwischen Politik und Bürgertum ist dies vorstellbar. Armut und Einsparungen verschlimmern diesen Umstand. Griechenland verliert zunehmend den Anschluss an die moderne Welt. Dies ist ein idealer Nährboden für radikale und vereinfachte politische Lösungen. Somit finden die Parolen der rechtsradikalen Parteien solange einen breiten Anklang in der Bevölkerung, wie die großen Versprechungen nicht umgesetzt werden müssen. Es wird dabei von Freiheit und Griechenland gehört den Griechen gesprochen. Was das aber nun genau heißt und ob es umsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Blick auf die Geschichte Deutschlands lohnt hier. Denn der Versailler Vertrag ist mit den hohen Forderungen ein Grund für den schnellen Aufstieg der NSDAP. 6.1.3, Der Weg aus der Krise ist ein europäischer: ‘Ich glaube, dass wir wirtschaftlich noch eine Verschlechterung zu erwarten haben. Und ich kann nicht erkennen, mit welcher Perspektive die Situation sich zum Guten ändern soll. Wirtschaftlich gesehen. Da kommen noch die politischen Auswirkungen dazu.’ Auch wenn ein Austritt aus dem Euro für Griechenland kein ernsthaftes Thema ist, zieht sich diese Forderung durch die gesamte Debatte. Aktuell hat sich allerdings die Meinung verbreitet, dass Griechenland den Euro als Zahlungsmittel behalten soll, damit die gesamte Währungsunion nicht zusammenbricht. Denn mit Portugal, Spanien, Irland und auch Italien stehen weitere Länder unter hohem Druck. Die Prinzipien der Zusammenarbeit und des Zusammenseins in Europa werden generell durch ein finanzielles Nord/Süd-Gefälle in Frage gestellt. Diese grobe Einteilung sieht den Norden Europas als wirtschaftlich stark, den Süden hingegen als schwach an. Entscheidend in diesem Gefälle ist die Frage nach der Solidarität. Bei der Wiedervereinigung Deutschlands ist schnell klar, dass die strukturstarken Länder die strukturschwachen unterstützen. Allerdings findet sich hier auch eine politische Einheit, die in diesem Maße in Europa fehlt. Die Bereitschaft der strukturstarken Nationen, den Schwächeren zu helfen, ist durch die nationalen Interessen schwerlich zu erwarten. Anders gesagt bräuchte Europa, um zu funktionieren, mehr politische Einheit nach dem Vorbild der USA, was durch die staatliche Souveränitätsvorstellung nicht umsetzbar ist. In der Praxis ist dies am Beispiel von Bulgarien zu erkennen: Obwohl die EU Bulgarien bereits nach dem Zerfall des Ostblocks den Eintritt in das europäische Bündnis suggerierte, wundern sich die übrigen Länder über unzählige bulgarische Einwanderer seit dem Beitritt. Somit kann Europa nur funktionieren, wenn sich die nationalen Gesellschaften entwickeln und gleichzeitig eine politische Einheit, beispielsweise nach dem Vorbild des deutschen Einigungsprozesses, mit der entsprechenden Solidarität vorangetrieben wird. Grundlage dafür sind jedoch zumindest in Ansätzen eine europäische Bürgerschaft und eine europäisch-kollektive Identität. Die staatliche Souveränität darf dabei nicht nur im Bereich einiger vorhanden sein, sondern muss institutionell und konstitutionell organisiert werden. ‘[…] wenn sie eine Familie schaffen wollen, dann müssen sie die schwachen Mitglieder mittragen. Sonst sind sie keine Familie. Man propagiert auf der einen Seite die europäische Familie, auf der anderen Seite behandelt man die schwachen Familienmitglieder so, wie es keine Familie tut […].’ Wie weit Europa in der Praxis davon entfernt ist, sieht man daran, dass die Bevölkerung eines armen Landes im besten Sinne noch als Schlendrian bezeichnet wird. Ohne Frage sind eben solche Verallgemeinerungen, einhergehend mit dem Außerachtlassen der gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklung, ein Konfliktpunkt. Auch Manolopoulos merkt an, dass Europa heute kein Europa der Völker, sondern des Kapitals sei. Außen vor bleibt dabei der Umstand, dass beispielsweise in Griechenland für wenig Geld viel gearbeitet wird und Deutschland derzeit an den Hilfszahlungen sogar verdient. Ferner ist entgegen der vorangegangenen Empfehlung die Souveränität ungleich verteilt. Während Deutschland national souverän ist, müssen sich die griechischen Politiker primär als Befehlsempfänger geben. Eben dieser Umstand ist von der Gesellschaft nicht zu tragen. Es macht sich dabei eine Ohnmacht hinsichtlich der Ausweglosigkeit in Griechenland breit, die auch Kartakis beobachtet: ‘Die Griechen glauben nicht mehr an eine Verbesserung der Situation. Denn die gleichen Menschen die von Verbesserung sprechen sind im Prinzip diejenigen, die uns zur Korruption geführt haben. […] entweder die Väter, die Söhne oder die Neffen. […] Aber wer wollte die korrupte griechische Regierung haben? Das ist auch eine Frage, die man sich stellen muss. Oder wer hat die Leute zur Korruption geführt? [Die] Leute, die Politiker sind korrupt in Griechenland. Das ist keine Frage. Aber wenn beispielsweise Siemens sie vor zehn Jahren alle bestochen hat […] wer hat sie dazu geführt?’

Über den Autor

Der gebürtige Wuppertaler Sven C. Stein studierte Medienwirtschaft und schloss 2010 seinen Bachelor an der HS Mittweida erfolgreich ab. Im Anschluss erlangte er 2013 den Master in Kommunikationswissenschaften und Gesellschaftswissenschaften. Praktische Erfahrungen in der interkulturellen Kommunikation sammelte er in den externen Kommunikationsabteilungen der RWE AG und Audi AG. Heute arbeitet er wieder in seiner Heimat, selbstständig als Kommunikationsberater bei Videmi.

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