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- Erkenntnistheoretische Grundlagen der klassischen Physik: Band II: Vertiefung der philosophischen Reflexion
Gesellschaft / Kultur
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Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 472
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das tradierte Realitätsverständnis der Naturwissenschaften setzt beobachtungsunabhängig vorhandene Eigenschaften der Gegenstände voraus und ist somit nicht vereinbar mit den Entdeckungen der modernen Physik, die auf eine engere Verzahnung von Subjekt und Objekt im Erfahrungsvorgang hinweisen. Es ist deshalb ein grundsätzliches Überdenken der jeder Beobachtung zugrunde liegenden Subjekt-Objekt-Relation erforderlich. Der Autor will dazu mit seiner Studienreihe zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik beitragen. Band I der Studienreihe untersucht das Subjekt-Objekt-Thema für die klassische Mechanik und die Relativitätstheorie. Der vorliegende Band II behandelt die in der formalwissenschaftlichen Basis der Physik (Mathematik und Logik) auftretenden Subjekt-Objekt-Probleme und beleuchtet den philosophischen Hintergrund der Thesen des Autors. Während Band I gesondert rezipiert werden kann, setzt die Lektüre der vorliegenden Publikation die Rezeption dieses ersten Bandes voraus. Die Homepage zur Studienreihe mit Leseproben aus allen drei bisher erschienenen Publikationen findet sich unter: http://www.erkenntnistheorie.at
Textprobe: Kapitel 8.8, Die Regeln der Konstruktion von Regelsystemen: Überlegen wir nun etwas genauer, wie der Ausdruck ‚Meta-Regel der Regelbefolgung‘ zu verstehen ist: Wird davon ausgegangen, daß Regeln immer ein bestimmtes Verhalten steuern, dann muss man sich bei der Beantwortung dieser Frage vor Augen halten, dass alles regelgeleitete Handeln zwei Aktionsebenen umfasst: Zum einen jene des durch die Regel gelenkten Tuns selbst und zum anderen die Ebene, auf der sich der Akteur zum eigenen Agieren und zu der dieses Agieren normierenden Regel verhält, wodurch er aus blindem Verhalten erst ein regelgeleitetes Handeln macht. Während nun die Regel das durch sie gesteuerte Tun zum Gegenstand hat, bezieht sich eine Meta-Regel der Regelbefolgung auf das Verhalten zu dieser das Tun steuernden Regel. Meta-Regeln der Regelbefolgung legen somit fest, wie wir uns bei der Orientierung an gemeinsam anerkannten Regeln zu diesen verhalten müssen, damit wir die kollektiven Ziele unseres Handelns erreichen. Wittgenstein entdeckte verschiedene derartige Meta-Regeln in seinen ‚Philosophischen Untersuchungen‘, indem er der Frage nachging, was es heißt, einer Regel zu folgen und dabei zum Beispiel einsah, dass die gemeinsame Unterordnung unter eine Regel immer ein bestimmtes Verhalten wechselseitiger Kritik voraussetzt. Zwischen dieser durch Wittgenstein aufgezeigten Meta-Regel des Regelfolgens und der dem Satz vom Widerspruch korrespondierenden Meta-Regel besteht ein wesentlicher Unterschied. Wir haben es nämlich im nunmehr vorliegenden Fall nicht mit der Vorschreibung von bestimmten Verhaltensweisen zu tun, die bei der Orientierung an einer bereits vorhandenen Regel zum Tragen kommen, sondern mit einer Anweisung, welche besagt, wie Regeln zu konstruieren sind, damit sie auf die für Kooperations- und Probehandlungszwecke erforderliche Weise gelten können. Indem somit die dem Satz vom Widerspruch zugrunde liegende Meta-Regel der Regelbefolgung eine Minimalbedingung ausspricht, welche mehrere Regeln immer dann erfüllen müssen, wenn sie in einem praxis- und reflexionsgerechten Geltungszusammenhang stehen sollen, ist sie die oberste Regel für unser Verhalten bei der Verknüpfung von Normen zu geschlossenen Regelsystemen. So wie aber der Satz vom Widerspruch nicht das einzige, wohl jedoch wichtigste aller apriori geltenden Gesetze des richtigen Schließens ist, gibt es neben der jenem Satz entsprechenden Meta-Regel der Regelbefolgung noch eine Reihe weiterer derartiger Regeln, welche ebenfalls die Funktion der Normierung des Konstruierens von Regelsystemen haben. In Analogie zum Satz vom Widerspruch steht jeder dieser Meta-Regeln ein entsprechendes Gesetz des richtigen Schließens gegenüber. Die a priori begründete Möglichkeit zur Ableitung wahrer Schlussfolgerungen aus gegebenen wahren Urteilen beruht dabei in jedem Fall auf demselben Prinzip, welches folgendermaßen charakterisiert werden kann: - Die jeweilige Meta-Regel der Konstruktion von Regelsystemen legt fest, dass zugleich mit einer bestimmten Regel gewisse andere Regeln gelten müssen, bzw. nicht gelten dürfen. - Jeder dieser Regeln, welche aus praktischen Gründen entweder unbedingt gemeinsam gelten müssen bzw. keinesfalls gemeinsam gelten dürfen, entspricht einem Urteil, das direkt oder indirekt die Geltung bzw. Nichtgeltung jener Regel behauptet. - Der praktischen Notwendigkeit der gemeinsamen Geltung bzw. Nichtgeltung der betreffenden Regeln korrespondiert daher die theoretische Notwendigkeit einer gemeinsamen Geltung bzw. Nichtgeltung der jeweils entsprechenden Urteile. - Die theoretische Notwendigkeit der gemeinsamen Geltung bzw. Nichtgeltung jener Urteile ist die unmittelbare Basis für die Schlussfolgerung von der Geltung eines bestimmten Urteils auf die Geltung bzw. Nichtgeltung gewisser anderer Urteile. Wir wollen nun einige dieser ergänzenden Regeln der Konstruktion von Regelsystemen einschließlich der korrespondierenden Gesetze des Schließens darstellen, wobei auf den jeweiligen praktischen Stellenwert der betreffenden Meta-Regeln und damit auch auf deren systematischen Zusammenhang einzugehen ist. Da hier jedoch keine vollständige Darstellung der transzendental-pragmatistischen Grundprinzipien aller Gesetze der Logik gegeben werden kann, ist auch bloß eine Andeutung und keine Entfaltung der diesbezüglichen Systematik möglich. Jede der nun zu behandelnden Meta-Regeln des Regelfolgens hat zwei Grundlagen. Die erste derselben ist die dem Satz vom Widerspruch entsprechende Meta-Regel, welche eben deshalb, weil sie auch in sämtlichen anderen Regeln der Konstruktion von Regelsystemen enthalten ist, an deren Spitze steht - so wie der aus ihr entspringende Satz vom Widerspruch ebenfalls in allen übrigen Gesetzen des Schließens enthalten ist und daher als oberstes logisches Gesetz zu gelten hat. Die zweite Grundlage sind jeweils unterschiedliche, in der Folge noch darzustellende Aspekte des Kommunikationsschemas, dessen Struktur unser Wahrnehmen von Objekten ja nur deshalb determiniert, weil sie zugleich die Grunderfordernisse von funktionierender Interaktion verkörpert und somit wesentliche Bedingungen für die kooperationsgerechte Verknüpfung von Regeln enthält. Sehen wir uns nun zur Konkretisierung der eben aufgestellten Behauptungen als wichtiges Beispiel eines logischen Gesetzes, das sich aus der Verknüpfung einer strukturellen Implikation des Kommunikationsschemas mit der dem Satz vom Widerspruch entsprechenden Meta-Regel ableitet, den sogenannten ‚Satz vom ausgeschlossenen Dritten‘ an: Wir gehen dabei zunächst von der dem Satz vom Widerspruch zugrunde liegenden Meta-Regel der Regelbefolgung aus, die vorschreibt, dass eine Regel nicht zugleich gelten und nicht gelten darf bzw. entweder zu gelten oder nicht zu gelten hat. Dieser Meta-Regel stellen wir nun jene Strukturbestimmung des Kommunikationsschemas zur Seite, welche vorschreibt, dass alles kommunikative Verhalten regelgeleitet sei. Das letztgenannte kommunikative Erfordernis hat für den negativen Fall der Nichtgeltung unserer Regel, nennen wir sie die Regel p’, zur Folge, dass an ihrer Stelle notwendigerweise eine andere Regel gelten muss. Die Nichtgeltung der Regel p’ sagt uns zwar nur sehr wenig über die konkrete Gestalt der ihre Position einnehmenden Maxime. Wir wissen jedoch, dass es sich dabei um eine Norm handeln muss, die ein anderes Verhalten vorschreibt als die nicht geltende Regel p’. Geben wir sämtlichen von p’ abweichenden Regeln die Namen q1’, q2’, … qn’, dann können wir sagen, daß im Fall der Nichtgeltung von p’ die Regeln q1’ und/oder q2’, und/oder … qn’ gelten müssen. Wenn wir diese durch das Gelten von q1’ und/oder q2’, und/oder … qn’ beschriebene Geltungssituation das ‚kontradiktorische Gegenteil’ der zurückgewiesenen Regel p’ nennen und als nicht-p’ bezeichnen, dann können wir folgende Meta-Regel der Regelbefolgung formulieren: ‚Entweder eine Regel gilt, oder es gilt ihr kontradiktorisches Gegenteil.‘ Diese Meta-Regel ist nun ihrerseits das Praxis-Pendant des als ‚Satz vom ausgeschlossenen Dritten‘ bezeichneten logischen Gesetzes, welches besagt, dass von zwei kontradiktorischen Aussagen (p und nicht-p) immer genau eine wahr sein muss. Wenden wir uns jetzt als nächstes dem Beispiel einer Meta-Regel zu, welche einer jener logischen Operationen zugrunde liegt, die man als Folgerungen bezeichnet. Es handelt sich dabei im Unterschied zu den Schlüssen im engeren Sinne, welche ein wahres Urteil aus zwei anderen wahren Urteilen ableiten, um die Deduktion eines wahren Urteils aus nur einem einzelnen anderen wahren Urteil. Eine der wichtigsten Arten von Folgerungen ist die sogenannte ‚einfache Konversion‘. Sie besteht darin, dass man bei bestimmten Aussageformen Subjekt und Prädikat vertauschen kann und auf diese Weise neuerlich eine wahre Aussage erhält. So lässt sich etwa aus dem Urteil ‚Kein S ist P.‘ das Urteil ‚Kein P ist S‘ herleiten. Um die Meta-Regel der Regelbefolgung aufzufinden, welche dieser a priori als wahr erkennbaren Folgerung zugrunde liegt, überlegen wir zunächst, welche Interaktionssituation durch das Ausgangsurteil ‚Kein S ist P.‘ dargestellt wird. Wir kommen dabei zu dem Ergebnis, dass S hier für einen beliebigen Typus von (virtuellen oder menschlichen) Subjekten steht, also eine Gruppe von (virtuellen oder menschlichen) Akteuren markiert, die allesamt dem durch S symbolisierten Set von Verhaltensregeln unterliegen. P stellt ein anderes Set von Verhaltensregeln dar, und das Urteil ‚Kein S ist P.‘ sagt demnach aus, dass sich kein Individuum, das dem durch S dargestellten Akteurstyp zuzurechnen ist, an der Gesamtheit der durch P repräsentierten Verhaltensregeln orientiert. Das aus dem ersten Urteil gefolgerte zweite Urteil hat nun genau jene Gruppe von Akteuren zum Gegenstand, die deshalb einen eigenen Subjekttyp bilden, weil sie alle dem durch P symbolisierten Regelset unterliegen. S stellt jetzt ein anderes Set von Verhaltensregeln dar, und das Urteil ‚Kein P ist S.‘ sagt demnach aus, daß sich kein Individuum, das dem durch P symbolisierten Akteurstyp zuzurechnen ist, an der Gesamtheit der durch S repräsentierten Verhaltensregeln orientiert.
Karl Czasny wurde 1949 in Wien geboren und studierte an der hiesigen Universität die Fächer Philosophie, Soziologie, Psychologie und Statistik. Nach einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in West-Berlin kehrte er nach Österreich zurück und arbeitete hier als Soziologe in verschiedenen Bereichen der angewandten Sozialforschung, wobei er sich ab 1984 zunehmend auf stadtsoziologische Fragestellungen konzentrierte. Seit 2013 schließlich ist er Pensionist. Nachdem er in seiner Dissertation die Thematik einer nicht-objektivistischen Methodologie der Sozialwissenschaften behandelt hatte, begann er sich in seiner Freizeit schon in den achtziger Jahren mit erkenntnistheoretischen Problemen der Naturwissenschaften auseinanderzusetzen. Seit 1994 arbeitet er zu seinem ganz privaten Vergnügen, das heißt ohne Zeit- und Kostendruck, nur von seinem persönlichen Forschungsinteresse getrieben, an einer Kritik des Objektivismus in der Physik.
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