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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 02.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das vorliegende Buch behandelt die kurze Phase der politischen Öffnung in Syrien ( Damaszener Frühling ), die mit der Machtübernahme durch Baschar al-Asad im Jahr 2000 eingeleitet wurde. Nachdem der Sohn des langjährigen Herrschers Hafiz al-Asad in seiner Amtsantrittsrede die Notwendigkeit demokratischen Denkens betonte, eine Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung forderte und zahlreiche politische Gefangene frei ließ, hofften Beobachter im In- und Ausland auf einen Wandel des politischen Systems. Im Land selbst bildeten sich in der Folge zahlreiche Diskussionszirkel, in denen Vertreter der Zivilgesellschaft offen über Reformen diskutierten. Bereits im Frühjahr 2001 reagierte die Staatsmacht jedoch mit repressiven Maßnahmen. Die Schließung zahlreicher Diskussionszirkel, Verhaftungen und letztendlich das Verstummen der Debatte waren die Folge. Was waren Gründe für die kurze politische Öffnung von oben? Warum reagierte die Staatsmacht ab Februar 2001 mit repressiven Maßnahmen? Warum wurden die im Zuge der Debatte geforderten politischen und wirtschaftlichen Reformen nur zögerlich bzw. gar nicht umgesetzt?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel II.2.1. Die Staatsführung: Zwar läuft alle Autorität im syrischen System laut Verfassung in den Händen des Präsidenten zusammen. Die politischen Entscheidungen werden jedoch innerhalb der Kernelite, einem kleinen Kreis von Personen getroffen, an deren Spitze der Präsident steht. Es ist im Folgenden also von der Macht- oder Regimeelite als kollektiver Akteur in der Debatte auszugehen. Diese politische Elite ist weder statisch noch homogen. Seit der Machtübernahme durch Baschar al-Asad fand ein umfangreicher Wandel innerhalb der Regimeelite statt, der sich in der Zusammensetzung der Kabinette von 2001 und 2003 widerspiegelt. Der Personalwechsel und die Heterogenität der Elite lassen sich auch am öffentlichen Diskurs und den Maßnahmen der Staatsführung seit 2000 ablesen. Die Regimeelite unter Hafiz al-Asad: Die Kernelite um Hafiz al-Asad, welche letztlich die Nachfolge Baschar al-Asads sicherte, reflektiert die Mächtekoalition, auf der das syrische Regime gegründet ist. Sie besteht hauptsächlich aus alawitischen Vertretern des Sicherheitsapparates, aber auch aus Sunniten. Neben absoluter Loyalität ist der persönliche Status oder der Status der Institution innerhalb des syrischen Kräftegefüges ein wichtiges Kriterium für die Zugehörigkeit zum inneren Zirkel. Armeekommandeure oder Leiter der Sicherheitsdienste haben somit großen Einfluss und bilden einen wichtigen Bestandteil der syrischen Herrschaftselite, wohingegen den meisten Ministern der Zugang zur Kernelite verwehrt bleibt. Unter Hafiz al-Asad zählten unter anderem Vizepräsident Abdelhalim Khaddam, Verteidigungsminister Mustafa Tlas, der Leiter der Geheimdienste Hikmat Shihabi, Außenminister Faruq Shara´, Premier Ahmad al-Zu´bi und Asads Brüder Rif´at und Jamil zu diesem Personenkreis. Die Zusammensetzung der Elite änderte sich kaum während Hafiz al-Asads Amtszeit, eine Tatsache, die auf die Loyalität der Personen um Asad schließen lässt, aber auch auf Asads Streben, den Status Quo zu bewahren. Erst gegen Ende der 90er Jahre begann eine geringfügige Umgestaltung der Machtelite, um die ‘Thronfolge’ Baschars vorzubereiten. Was nun die Entscheidungsprozesse innerhalb dieser Elite angeht, so können diese, aufgrund der mangelnden Transparenz der Abläufe, nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Beobachter sind sich jedoch weitgehend einig, dass Hafiz al-Asad die allgemeinen Richtlinien der Politik bestimmt hat und zudem die Macht besaß, ‘wichtige politische und personelle Entscheidungen auch ohne die Zustimmung formal zuständiger Institutionen zu treffen (…).’ Die Regimeelite unter Baschar al-Asad: Mit der Amtsübernahme erlangte Baschar al-Asad zwar alle offiziellen Posten, die sein Vater innehatte, sein Machtstatus innerhalb der Elite war jedoch nicht derselbe: Während die langjährigen Mitglieder der Elite ihre Position Hafiz al-Asad und ihrer Loyalität zu ihm verdankten, schuldete Baschar seine Position genau dieser Elite – ein Umstand, der seinen Handlungsspielraum massiv einschränkt. Asad war also zumindest zu Beginn seiner Herrschaft auf die Unterstützung der langjährigen Berater seines Vaters angewiesen (was in der Beibehaltung des Vizepräsidenten, sowie des Außen- und Verteidigungsministers während der Kabinettsumbildungen deutlich wird). Doch um seine eigene Machtbasis zu schaffen, musste er, gemäß den Mechanismen des neopatrimonialen Systems, strategische Positionen in den zentralen Machtinstitutionen Bürokratie, Partei und Sicherheitsapparat mit loyalen Personen besetzen. Mit der Machtübernahme begann so ein weitläufiger, personeller Wechsel innerhalb der Regimeelite – der umfangreichste seit der Machtergreifung Hafiz al-Asads. Neben dem neo-patrimonialen Aspekt der Machtsicherung kann dieser Schritt auch als Absicht Asads gedeutet werden, Personen in zentrale Positionen zu bringen, die seine Reformagenda mittragen und zudem die notwendigen Qualifikationen für eine Modernisierung von Wirtschaft und Verwaltung mitbringen. Viele der neuen Minister in den Kabinetten von 2000 und 2003 haben im Ausland studiert und gearbeitet (hauptsächlich in den Bereichen Wirtschaft und Ingenieurwesen), drei der neuen Minister des Kabinetts von 2003 sind Mitglieder der Syrian Computer Society (SCS), der Baschar al-Asad vor seiner Amtsübernahme vorstand und durch die er sich seinen Ruf als Reformer erwarb. Zudem stehen die neuen Minister für eine transparente, unbestechliche Regierungsweise. Nach der relativ umfangreichen ersten Kabinettsumbildung, blieben die Auswirkungen der zweiten jedoch gering. Einige von Asad ernannte Minister, die als Technokraten galten, mussten ihren Posten wieder abgeben. Das Kabinett von 2003 spiegelte die nach wie vor wichtige Stellung der drei staatlichen Institutionen, Bürokratie, Partei und Militär wider. Das Parlament hingegen fungiert eher als konsultatives Organ und stellt nicht in erster Linie einen Rekrutierungspool für Führungspersönlichkeiten in Politik und Verwaltung dar. Zwei Strömungen in der Regimeelite: Zur Kernelite unter Baschar al-Asad konnten drei Jahre nach Amtsantritt etwa ein Dutzend Leute aus Regierung, Sicherheitsapparat und der Familie des Präsidenten gezählt werden. Dieser gehören zum einen Personen an, die ihren Posten Hafiz al-Asad verdanken: Unter ihnen Vizepräsident Khaddam, Verteidigungsminister Tlas, Außenminister Shara´, der stellvertretende Generalsekretär der Baath-Partei sowie Muhammad Makhlouf, der Onkel Baschar al-Asads. Personen, die ‘von Baschars Gnaden’ dem inneren Zirkel angehören, sind etwa sein jüngerer Bruder Mahir al-Asad, sein Schwager Asef Shawkat, Innenminister Ali Hajj Hammud, der Leiter der Allgemeinen Sicherheit sowie einige wenige Minister, die als enge Berater des Präsidenten gelten. Die Machtstellung des Präsidenten innerhalb der Kernelite lässt sich, genauso wie ihre Zusammensetzung, nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Im Jahr 2003, so stellt Perthes fest, könne Baschar al-Asad als wichtigster Entscheidungsträger innerhalb der Regimeelite betrachtet werden, jedoch nicht als alleinige Machtquelle. Michel Kilo bezeichnet Asad als ‘primus inter pares’ in der Kernelite und ‘Koordinator der Macht’, bemerkt jedoch auch, dass er die Zusage des inneren Zirkels zu seiner Politik brauche. Wie eingangs erwähnt, ist die Elite nicht homogen. Häufig ist in Presse und wissenschaftlicher Literatur bezüglich der syrischen Elite von der Dichotomie ‘Alte Garde’ versus ‘Neue Garde’ die Rede. Erstere halte Baschar al-Asad von der Umsetzung seines Reformprogramms ab, so eine häufige Erklärung. Da die verschiedenen Positionen innerhalb der Machtelite jedoch Generationsgrenzen überschreiten, bietet es sich eher an, von verschiedenen Strömungen zu sprechen. Generell lassen sich zwei Strömungen innerhalb der Machtelite um Baschar al-Asad unterscheiden: - Modernisierer und Technokraten, repräsentiert durch Baschar al-Asad und sein ‘Reform-Team’. Diese Strömung verfolgt eine wirtschaftliche Öffnung und eine Strukturreform, um die Wirtschaft anzukurbeln und Syrien international wettbewerbsfähig zu machen. Zeichen hierfür sind etwa die intensivierten Verhandlungen um ein Assoziationsabkommen im Rahmen der EMP seit 2000 sowie einige legislative Maßnahmen. Darüber hinaus verfolgen Vertreter dieser Strömung einen transparenteren Regierungsstil und eine begrenzte politische Liberalisierung, die sich etwa in der anfänglichen Toleranz gegenüber den Diskussionsforen äußerte. - Konservative Hardliner finden sich in der Baath-Führung, und den oberen Bereichen von Bürokratie und Teilen des Sicherheitsapparates. Man kann davon ausgehen, dass sich auch die konservativen Mitglieder der Regimeelite der Notwendigkeit von Reformen bewusst sind. Sie vertreten jedoch eine andere Meinung bezüglich Umfang und Geschwindigkeit von wirtschaftlichen und administrativen Reformen. Wie in II.1. dargelegt wurde, verbindet die Staatsbourgeoisie, genau wie die neue Bourgeoisie, vielfältige Interessen mit dem öffentlichen Sektor. Eine weiter gehende Privatisierung etwa würde die Geschäfte zwischen den beiden Gruppen empfindlich stören – die Kosten einer Öffnung würden für diese Gruppe also den Nutzen bei weitem übersteigen, weshalb diese Strömung keine tiefer gehenden Reformmaßnahmen unterstützt. Neben diesen beiden Strömungen existiert noch eine dritte: Die ‘liberalen Reformer’ betonen die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels der Regimestrukturen und vertreten zudem die Position, dass wirtschaftliche Reformen ohne politische Reformen nicht durchführbar seien. Vertreter dieser Strömung sind unabhängige Abgeordnete und Intellektuelle, von denen einige durch Baschar al-Asad in beratende Positionen gehoben wurden. Generell betrachtet sich diese Gruppe als ‘loyale Opposition’, welche die Legitimation des Präsidenten nicht anzweifelt, aber deutlich Kritik an der Politik des Regimes übt und neben der wirtschaftlichen Öffnung auch eine politische Liberalisierung bzw. eine Demokratisierung des Systems anstrebt. Während des Damaszener Frühlings versuchten Vertreter dieser Strömung die Reformagenda zu bestimmen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So etwa der unabhängige Abgeordnete und Unternehmer Riyad Seif, der 2001 die Gründung einer Partei ankündigte. Diese Versuche wurden von der Regimeelite jedoch abgewehrt. Vertreter dieser Strömung agieren daher ausschließlich außerhalb der Kernelite. Die Differenzen innerhalb der Kernelite bezüglich der Umsetzung von wirtschaftlichen und politischen Reformen und der ungebrochene Einfluss von Vertretern der konservativen Strömung auf strategische Entscheidungen werden an politischen Entscheidungen deutlich. So sollen Sicherheitsdienste etwa eine Entscheidung Baschar al-Asads im Juli 2003 blockiert haben, nach der er Oppositionellen im Exil bei einer Rückkehr nach Syrien, individuelle Amnestie garantieren wollte. Ein weiterer Fall ist die von Asad initiierte Entscheidung für eine strikte Trennung zwischen Parteiinstitutionen und der Tagespolitik, die im Juni 2003 durch die Regionalführung bekannt gegeben und als Versuch des Präsidenten gewertet wurde, mehr nicht-Baathisten in Regierungspositionen zu bringen. Trotz des Beschlusses stieg im Kabinett von 2003 der Anteil der Baath-Mitglieder, einige von Baschars engen Beratern, wie der Ökonom Nabil Sukkar wurden nicht ernannt bzw. mussten ihren Posten wieder abgeben. Der Wirtschaftsminister Ghassan al-Rifa´i äußerte in einem Interview Ende April 2002, dass Reformen ‘Widerstand auf allen Ebenen’ erfahren würden. Auch gegen die politische Öffnung und das Toleranz der Diskussionsforen regte sich Protest, den der Präsident, der die Aktivitäten zunächst zu unterstützen schien, ab Februar 2001 mit trug. Es lässt sich also festhalten, dass die konservative Strömung innerhalb der Elite eine abweichende Meinung bezüglich der Umsetzung von Reformen innehat. Zwar fand seit 2000 ein Wandel in der Elite statt, Vertreter der konservativen Strömung halten jedoch nach wie vor strategisch wichtige Positionen. Bezüglich der neuen Mitglieder in der Regimeelite argumentiert Perthes zudem, dass ‘Those who were co-opted into the elite were not keen to share their newly gained spoils with those who would challenge them in democratic competition.’ Auch wenn die Reformer in der Elite für mehr Transparenz und eine politische Liberalisierung stehen, verfolgen auch sie keine Veränderung der Machtstrukturen im Sinne einer Demokratisierung des autoritären Systems. Asad sprach in seiner Antrittsrede zwar von Demokratie, machte aber deutlich, dass Syrien seine eigenen demokratischen Erfahrungen machen müsse und führte zudem die von der Baath-Partei geführte NPF als ‘demokratische Beispiel’ an. Auch die Ziele der neuen Staatsführung verdeutlichte Baschar al-Asad an dieser Stelle: Als Hauptziel der Regierung definierte er die Reform der Wirtschaft und Verwaltung und verwies zudem auf das favorisierte ‘chinesische Modell’, soll heißen: eine graduelle Öffnung der Wirtschaft unter der Beibehaltung der autoritären politischen Strukturen. Als wichtigste Aufgaben der Regierung vom Dezember 2001 wurden so auch Wirtschaftsreformen, die Modernisierung der Verwaltung und die Verbesserung der sozialen Dienste genannt erst an vierter Stelle folgten politische Reformen. Als Begründung für diese Reihenfolge der Reformen verweist Asad in einem Interview auf die Prioritäten der Bürger: Für den syrischen Bürger, unabhängig davon, ob er ein Staatsangestellter ist oder nicht, ist gegenwärtig das größte Problem die Sicherung der Existenzgrundlage. Das Gehalt reicht bei weitem nicht aus, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist folglich nur normal, dass für ihn das alltägliche Leid im Vordergrund steht.

Über den Autor

Julia Jaki, 1979 in Stuttgart geboren, studierte Islam- und Politikwissenschaften in Tübingen und Hamburg. Für Recherchen zu ihrer Magisterarbeit verbrachte sie 2005 im Rahmen eines DAAD-Stipendiums mehrere Wochen in Damaskus und interviewte Angehörige der damaligen Zivilgesellschaft. Nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums (Magistra Artium) absolvierte sie ein Fernseh-Volontariat und arbeitet heute als freie Journalistin in Kapstadt, Südafrika.

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