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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 200
Abb.: 13
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Bedürfnis nach Bindung ist dem Menschen evolutionär gegeben wie das nach Nahrung oder Schlaf. Wenn er geboren wird, so ist er von den Fähigkeiten seiner erwachsenen Bezugsperson, dieses Bedürfnis befriedigen zu können, abhängig, und seine psychische Entwicklung wird merklich von dieser Konstellation beeinflusst. Bei suchtkranken Elternteilen haben die Kinder oftmals einen schweren Stand. Sie müssen im Kontext der abhängigkeitsgesteuerten Bedürfnisse der Eltern überleben lernen und werden nicht selten mit einer komplexen Psychopathologie konfrontiert. Diese Arbeit stellt bindungstheoretische Erkenntnisse in den Mittelpunkt sozialpädagogischen Handelns und soll als Analyseinstrument in der professionellen Arbeit mit den betroffenen Familien dienen. Im ersten Teil wird der Mensch als Bindungswesen definiert und das Konzept der Bindungstheorie vorgestellt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit Einflussfaktoren auf die Genese einer Bindungsstörung und zeigt zunächst in einer eigenen Untersuchung Bindungsrepräsentationen drogenabhängiger Eltern auf, um in einem nächsten Schritt ausführlich die Elemente des suchtbelasteten Familiensystems darzulegen. Hierauf folgt die Beschreibung der möglicherweise daraus entstehenden kindlichen Psychopathologie. Der abschließende Teil setzt sich mit den möglichen professionellen Hilfsangeboten auseinander und diskutiert zusammenfassend die Frage nach der Verantwortungsübernahme für das - bindungsbezogene - Wohl des Kindes, wobei dies eine Trennung von den Eltern nicht ausschließt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Die Bindungsrepräsentanzen drogenabhängiger Eltern eine eigene Untersuchung: 3.1, Forschungskontext: Nach SCHLEIFFER (2007) sind die IAM Erwartungsstrukturen, die sich aus affektiven Bindungserfahrungen von Kindern mit ihren Bezugspersonen herleiten lassen und später ‘vorzugsweise in emotional bedeutsamen’ Beziehungen von Relevanz sind (S. 51). So funktionieren die Arbeitsmodelle, welche die Eltern zur Fürsorge ‚benutzen’, nicht unabhängig von eigenen früheren Modellen. Es findet vielmehr eine Integration jener statt. Vor diesem Hintergrund kann von einer ‘transgenerationale[n] Transmission’ gesprochen werden (Ahnert, 2004, S. 153). BOWLBY (2008) bemerkt, es sei aus vielen Therapien bekannt, wie stark ‘die eigene Elternbindung die Gefühle und Verhaltensweisen der Mutter gegenüber ihrem Baby beeinflusst’ (S. 12). Auch Studien haben ergeben, dass die frühen Erfahrungen der weiblichen Säuglinge mit ihren Müttern einen großen Einfluss auf ihr späteres Fürsorgeverhalten gegenüber dem eigenen Nachwuchs haben, was BRISCH (2006) als ‚psychobiologischen Mechanismus’ bezeichnet (vgl. S. 233). So weist GLOGER-TIPPELT (2009) auf zahlreiche Untersuchungen hin, die die elterliche Bindungsrepräsentation im Hinblick auf Erfahrungen in der Herkunftsfamilie als wesentlichen Einflussfaktor erkannt haben (S. 131). RICKS (1985) untersuchte den Zusammenhang zwischen Beziehungs- und Kindheitserinnerungen der Mütter und der Bindungsqualität einjähriger Kinder in der FS und fand, dass ‘Mütter mit sicher gebundenen Kindern deutlich positivere Erinnerungen an die Beziehung zu den eigenen Eltern in ihrer Kindheit [schilderten] und … sich deutlich stärker akzeptiert [fühlten] als die Mütter mit unsicher gebundenen Kindern’ (Zellner, 2007, S. 41f). HAFT & SLADE (1989) wiesen nach, dass die Bindungsmuster der Eltern ‘mit der mütterlichen Feinfühligkeit auf kindliche Signale und Bedürfnisse zusammenhängen und die Fähigkeit, einen Gleichklang zwischen sich und dem Kind herstellen zu können, beeinflussen’ (ebd., S. 42). Bei GROSSMANN & GROSSMANN (2008) zeigte sich ‘ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen dem Internalen Arbeitsmodell von Bindung bei einer Mutter und ihren Interaktionsqualitäten mit ihrem Kind’ (S. 442). Hierbei wurde die Bindungsrepräsentation der Mutter im Alter des Kindes von sechs Jahren gemessen und die frühere Feinfühligkeit zum Kind verglichen. Mütter mit unsicherer Bindungsrepräsentation imponierten in allen Formen von Feinfühligkeit mit signifikant niedrigeren Werten (vgl. ebd., S. 443). Auch die Güte der ‘väterlichen Herausforderungen im Spiel’ lässt sich ‘eng mit seinen [des Vaters, d. V.] Erinnerungen an seine Kindheit und seiner Wertschätzung von Bindung verbinden’ (ebd., S. 605). Die empirisch nachgewiesene intergenerationale Transmission von Bindungsklassifizierungen (Schleiffer, 2007, S. 50) kann nicht hinreichend durch Standardmessungen der Feinfühligkeit einer Betreuungsperson erklärt werden (vgl. Fonagy et al., 2004, S. 349). Demgegenüber fanden STEELE & STEELE (1995), dass die Bindungsrepräsentation der Mutter einen höheren Vorhersagbarkeitswert für das Bindungsmuster des Kindes hat als die Feinfühligkeit (vgl. Schleiffer, 2007, S. 50). Mit Hilfe des ‚Adult Attachment Interview’ (AAI) lässt sich mit einer Sicherheit von 80% voraussagen, welche Bindung eine Mutter, die noch nicht geboren hat, zu ihrem Kind aufbauen wird. Für die Übertragung der Bindungsmuster auf die nächste Generation besteht nach KÖHLER (1999) demnach eine Wahrscheinlichkeit von 80% (vgl. S. 111). GLOGER-TIPPELT ET AL. fanden eine Übereinstimmung von 85% zwischen dem Bindungsmodell der Mutter und dem Verhalten des Kindes in der FS. Des Weiteren spiegelten sechsjährige das Bindungsmodell der Mutter zu 78% wider (vgl. Grossmann & Grossmann, 2008, S. 446). Nach BRISCH (2009) ist der transgenerationale Zusammenhang sowohl sicherer als auch unsicherer Bindung durch vielfältige Längsschnittstudien mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 75% belegt (vgl. S. 356). Eine Meta-Analyse von 548 Eltern-Kind-Paaren zeigt, dass Eltern mit einem sicheren Bindungsmodell zu 77% ein sicheres Kind haben, wohingegen unsicher-distanzierte Bindungsrepräsentationen nur zu 57% ein sicher gebundenes Kind vorweisen können und verstrickt-gebundene Eltern lediglich zu 21% (vgl. Grossmann & Grossmann, 2008, S. 447). Eltern mit einem unverarbeiteten Bindungstrauma hatten zu 52% desorganisierte Kinder (vgl. ebd.). In der NICHD-Studie zeigte sich, dass über 70% der Kinder von Müttern mit Internalisierungsproblemen und fast 90% von Müttern mit Externalisierungsproblemen eine unsichere Bindung aufweisen (vgl. Friedman & Boyle, 2009, S. 125). Diese bedeutenden Zusammenhänge ließen für die vorliegende Arbeit die Frage nach vorherrschenden Bindungsrepräsentationen bei drogenabhängigen Eltern aufkommen. Den Forschungsergebnissen nach lassen sich so mehrgenerational wirksame Einwirkparameter ausmachen, die die Möglichkeiten zum Bindungsaufbau zum Kind durch die Eltern schon lange vor der Geburt beeinflussen. 3.2, Die Probanden: Die Teilnehmer der Untersuchung entstammen dem Rehabilitationsbereich einer Therapeutischen Gemeinschaft, die als systemische Einrichtung stoffgebunden suchtkranke Eltern nach einer Entgiftung zusammen mit ihren Kindern aufnimmt. Der Heilungsprozess der Erwachsenen verläuft in drei Phasen, wobei die erste Phase einen etwa zehnmonatigen stationären Aufenthalt bedeutet, die zweite Phase ein engmaschig begleitetes Außenwohnen darstellt und die dritte Phase durch einen rein ambulanten Kontakt zur Einrichtung gekennzeichnet ist. Für die Befragung konnten sämtliche zum Untersuchungszeitpunkt in Behandlung stehenden Klienten der Phasen 1 und 2 gewonnen werden. Es handelt sich hierbei um 15 Personen, von denen 12 weiblich und 3 männlich sind. Die Anzahl der Angehörigen von Phase 1 und 2 ist mit 8 zu 7 in etwa gleich verteilt. Das Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre, wobei 3 (weibliche) Probanden unter 25 und 3 (ebenfalls weibliche) über 30 Jahre alt sind.

Über den Autor

Christian Pönsch wurde 1981 in Berlin geboren. Der Autor schloss sein Studium 2010 als Diplom-Sozialpädagoge an der Leuphana Universität Lüneburg ab. Während des Studiums arbeitete er zunächst in einer Kinderkrippe und später in einer therapeutischen Gemeinschaft für suchtkranke Eltern und ihre Kinder. Seine Faszination für bindungstheoretische Erkenntnisse paarte sich mit der praktischen Erfahrung mit suchtbelasteten Familiensystemen, was zur Themenwahl der vorliegenden Arbeit führte. Derzeit ist er in der ambulanten Familienhilfe tätig und spezialisiert sich in der Traumapädagogik.

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