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Kunst & Kultur

Julian Philipp Schlüter

Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz": Die Konstitution einer neuen Romanpoetik

ISBN: 978-3-95934-699-3

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Alfred Döblin unterfütterte sein dichterisches Werk stets mit Literatur und kunsttheoretischen Schriften, die ein hohes Maß an Selbstreflexion aufwiesen und das ästhetische Fundament seines Schaffens bildeten. Döblin reüssierte als einer der bedeutendsten Vertreter des Frühexpressionismus. Er formte daraufhin aus der Auseinandersetzung mit dem Futurismus eigene programmatische Positionen, indem er sich aus der Ablehnung des bürgerlichen Romans und aus der Lossagung vom Expressionismus heraus auf den Naturalismus besann Dadurch nahm er bereits wesentliche Elemente der Neuen Sachlichkeit vorweg. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass sich Spuren dieses ästhetischen Entwicklungsverlaufs auch in seinem Roman ‚Berlin Alexanderplatz‘ ausmachen lassen. Es wird der Entstehungsweg von Döblins romanpoetologischen Überlegungen nachgezeichnet und aufgezeigt, wie diese in ‚Berlin Alexanderplatz‘ kulminieren. Wie zuvor in seinen theoretischen Schriften, so finden sich auch hier deutliche Bezüge zum Naturalismus, Expressionismus, Futurismus, zu Dada und zur Neuen Sachlichkeit. In Form einer textimmanenten Analyse wurden prägnante Textstellen herausgegriffen und in den jeweiligen stilistischen Zusammenhang der verschiedenen literarischen Bewegungen gestellt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel III. 4, SPUREN DES FUTURISMUS: Die neuartige Bildstruktur der expressionistischen Simultangedichte, die sich durch ihren Reihungsstil auszeichnen, wird im Futurismus und an ihn anknüpfend im Dadaismus radikalisiert. Die bereits im Expressionismus vorgenommene Auflösung der Bildkontinuität, durch die der Eindruck von Disparatheit entsteht, wird im Futurismus aufs Äußerste gesteigert. So fordert Marinetti im Technischen Manifest der Literatur schließlich die komplette Zerstörung der Syntax und die Reduzierung auf nur noch analogisch-assoziativ miteinander in Verbindung stehende Begriffspaare. Durch das Stilmittel der unverbundenen Aufzählung lässt sich der Eindruck von Bewegung und Dynamismus erwecken, womit der im Manifest des Futurismus proklamierten Schönheit der Geschwindigkeit entsprochen wird. Wie bereits gezeigt wurde, lässt sich Döblin durch seine Auseinandersetzung mit dem Futurismus zu einer Reihe von eigenen stilistischen Prinzipien anregen, die er unter anderem in seinem Berliner Programm festhält. So unterstützt er den Anspruch der Futuristen, das ‚Ich’ des Schriftstellers möglichst zurücktreten zu lassen, der im radikalen Sprachduktus Marinettis wie folgt klingt: MAN MUSS DAS ‚ICH’ IN DER LITERATUR ZERSTÖREN, das heißt die ganze Psychologie. Dass Döblin die Auffassung, die Psychologisierung der Literatur müsse beendet werden, mit den Futuristen teilt, wurde bereits angeführt. Das damit im Zusammenhang stehende futuristische Postulat der extremen Reduzierung auf die von jeglichen syntaktischen Regeln befreiten Wortpaare, die Marinetti als ‚parole in libertà’ bezeichnet, wendet Döblin jedoch nicht an. Diesen Teil der futuristischen Programmatik hatte er bereits früh, in seinem Brief an Marinetti, abgelehnt. Er proklamiert stattdessen das grundsätzliche Erhaltenbleiben der Syntax wenn auch in reduzierter Form, indem die Kontinuität der Erzählung durch die Intensität einiger Stichworte gewährleistet wird. Des Weiteren findet er in dem Verfahren der Montage/Collage die Entsprechung zur futuristischen Forderung nach dem Verschwinden des Autors aus seinem Werk. Die Kombination aus dem Element der Aufzählung mit der Technik der Montage/Collage deckt sich also im Wesentlichen mit den Ansprüchen der Zurücknahme des ‚Ich’ des Autors und der Wiedergabe von Bewegung und Geschwindigkeit, so wie es auch der Futurismus formuliert. Nicht nur in seinem Roman Die drei Sprünge des Wan-Lun, zu der das Berliner Programm das theoretische Fundament liefert, sondern auch für Döblins Wallenstein, gelingt es Chiellino eine Reihe futuristischer Einflüsse nachzuweisen. Obwohl er in Berlin Alexanderplatz einen Bruch mit der Kontinuität sieht, lassen sich doch auch in diesem Werk verschiedene stilistische Eigenheiten feststellen, die auf eine futuristische Provenienz hinweisen. Chiellino sieht den futuristischen Ansatz zur Überwindung des Subjektivismus, die ja auch Döblin anstrebt, in dem Ziel des Ausschlusses jeglichen persönlichen Elementes, um so die Betrachtung eines Erlebnisses zu objektivieren und zu entpersönlichen. Döblin widerspreche jedoch dieser Idee und betone stattdessen die Pluralität der individuellen Realität. Dies zeigt sich beispielhaft in der Art der Massenbeschreibung in Berlin Alexanderplatz, die als Döblins Entsprechung der futuristischen Forderung, die großen Menschenmengen [zu] besingen gelten kann. Zu Beginn des fünften Buches steht die Beschreibung des von Schupos geregelten Fußgängerverkehrs auf dem Alexanderplatz. Die Darstellung der Menschenmasse nimmt das metaphorische Bildfeld einer Flüssigkeit an, die sich von Norden nach Süden und in die umgekehrte Richtung ergießt , während andere den Menschen von Osten her entgegengeschwommen sind. Es heißt über die große Anzahl der Personen auf dem Alexanderplatz: Es sind Männer, Frauen und Kinder, die letzteren meist an der Hand von Frauen. Sie alle aufzuzählen und ihr Schicksal zu beschreiben, ist schwer möglich, es könnte nur bei einigen gelingen. Der Wind wirft gleichmäßig Häcksel über alle. Das Gesicht der Ostwanderer ist in nichts unterschieden von dem der West-, Süd- und Nordwanderer, sie vertauschen auch ihre Rollen, und die jetzt über den Platz zu Aschinger gehen, kann man nach einer Stunde vor dem leeren Kaufhaus Hahn finden. Döblin betont also einerseits die Pluralität der Individuen, gleichzeitig aber auch deren Gleichförmigkeit: Sie sind so gleichmäßig wie die, die im Autobus, in den Elektrischen sitzen. So erklärt sich, dass er sich scheinbar wahllos Figuren aus dieser großen Menge der Großstadtmenschen herausgreifen kann, um deren Schicksal kurz exemplarisch zu schildern, wie z. B. das gesamte weitere Leben des 14-jährigen Max Rüst auf einer knappen halben Seite. Döblin teilt also den futuristischen Anspruch der Darstellung von Menschenmassen, distanziert sich aber von deren radikalen Entpersönlichung, indem er stattdessen das Exemplarische gewisser beschriebener Personentypen hervorkehrt. Des Weiteren macht Döblin von der bereits erwähnten Methode der Dynamismus evozierenden Aufzählung stellenweise geradezu exzessiven Gebrauch und kombiniert sie mit der, ebenfalls dem Futurismus nahe stehenden, Technik der Montage/Collage. Auf den indirekten Zusammenhang dieses Verfahrens mit der futuristischen Forderung nach dem Zurücktreten des Autors wurde bereits hingewiesen. Die direkte Beziehung zwischen der Technik der Collage und dem Futurismus wird weiter unten mit Hinblick auf das Verhältnis zwischen Futurismus und Dada analysiert. Ein gutes Beispiel für den erzielten Effekt der Dynamik durch die Aufzählung collagierten oder montierten Materials bietet die Aneinanderreihung der Haltestellen der Elektrischen Nr. 68 zu Beginn des zweiten Buches oder an anderer Stelle die Wiedergabe der letzten Stationen der 65 und der 76 vor dem Alexanderplatz. Dieses Verfahren verleitet erstens zu überfliegendem, hektischem Lesen und hinterlässt durch die Auflistung geografischer Bezugspunkte zweitens den Eindruck, schnell durch die Stadt zu hetzen. Die futuristische Technikbegeisterung mit der Marinetti vom Reich der Maschinen und dem mechanischen Menschen spricht, findet ebenfalls in Berlin Alexanderplatz ihren Widerhall. Öffentliche Verkehrsmittel wie z. B. die ‚Elektrische’ sind als Teil der modernen technisierten Welt ein wesentlicher Bestandteil der Berlinkulisse. Außerdem beschreibt Döblin mit der Dampframme am Alexanderplatz schweres Arbeitsgerät, dessen stetiges Schlagen und Hämmern symbolisch überhöht eine Parallele zu dem mit seinem Schicksal hadernden Biberkopf gewinnt und leitmotivisch an unterschiedlichen Stellen wiederholt wird: Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Dampframme. Rumm rumm haut die Dampframme auf dem Alexanderplatz. […] Rumm rumm ratscht die Ramme nieder, ich schlage alles, noch eine Schiene . Gerade im Zusammenhang mit der lautmalerischen Beschreibung der Arbeit der Dampframme wird ein weiterer Bezugspunkt zum Futurismus ersichtlich: Im Technischen Manifest der futuristischen Literatur fordert Marinetti neben dem Gewicht und dem Geruch auch den Lärm in die Literatur einzuführen. Hinter diesem Postulat verbirgt sich die Theorie der Lautgedichte, die neben dem Futurismus wiederum im Dadaismus beliebt sind. Die große Zahl der Onomatopoetika in Berlin Alexanderplatz steht also durchaus auch im Einklang mit futuristischen Forderungen und Techniken. Die neue Konzeption von Raum und Zeit und die dargestellte Vielfalt ihrer Dimensionen, die Döblin bereits an Den Bildern der Futuristen bewunderte, werden ihn ebenfalls angeregt haben. Die Idee, die die futuristischen Maler um Boccioni entwerfen, den Betrachter zum Zentrum des Werkes zu machen und ihn polyperspektivisch mitten ins Bild zu setzen, kommt auch in Berlin Alexanderplatz zur Anwendung. Besonders die Beschreibungen des Alexanderplatzes durch Aufzählung disparater Einzeldetails entsprechen der Simultaneität der futuristischen Malerei, die sich in der gleichzeitigen Wiedergabe des überall und nirgends nur kurz verweilenden Blickes des Betrachters, der zur selben Zeit verschiedene Perspektiven einnimmt, manifestiert.

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