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  • "Das Parfum" und das Böse: Patrick Süskinds Protagonist Jean Baptiste Grenouille

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Zum großen Erfolg des Romans Das Parfum von Patrick Süskind trägt vor allem die besondere Faszination bei, die von ihm ausgeht. Neben aller eindringlichen und im historischen Mantel auftretenden Beschreibung der Handlungsorte steht hier ein Protagonist im Mittelpunkt, dessen Lebenswelt und Werdegang in ganz spezieller Weise faszinieren. Jean Baptiste Grenouille ist Scheusal, Mörder, Geruchsgenie, größter Parfumeur aller Zeiten, Animal, Teufel und zugleich ein Mensch, dessen Suche nach Liebe in der Welt von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Grenouille ist böse. An dieser Tatsache besteht kein Zweifel, schließlich bringt er jungfräuliche Mädchen um, um aus ihnen das verführerischste Parfum aller Zeiten herzustellen und die Menschen damit zu beherrschen. Doch diese Bösartigkeit ist keine simple, sondern komplex und vom Autor aus vielen, sehr verschiedenen Elementen konzipiert. Eine große Rolle spielen dabei Anklänge an Religiosität und Mythologie, die Grenouille nicht nur als Teufel oder Bacchus erscheinen lassen, sondern auch die Vermutung nahe legen, dass er einen Gegenentwurf zum christlichen Messias darstellen soll und somit als eine Art Anti-Messias und Parodie auf den christlichen Heilsbringer fungiert. Eine weitere Frage, die in der Literatur auf unterschiedliche Weise beantwortet wird, ist die nach dem Ursprung von Grenouilles Bösartigkeit. Ist er von Grund auf böse, also als Teufel geboren, oder aber macht sein Umfeld ihn zu dem, was er am Ende ist? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend für die gesamte Deutung des Romans. In diesem Buch wird die Figur des Jean Baptiste Grenouille in ihrer Vielschichtigkeit untersucht und ihre Funktion für Süskinds Roman herausgearbeitet. Dabei sind vor allem das Böse an und in der Figur und dessen Ursprung von Interesse.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4., Grenouille – Das Monster: Der genialische Mörder Grenouille, empfindet man nun Mitleid für ihn oder nicht, verkörpert im Roman nicht nur durch seine mörderischen Taten das Böse. Sein Äußeres, sein Verhalten, seine Gedanken und allein die Beschreibung seiner Geburt ordnen ihn in eine Kategorie Mensch ein, die vielleicht dem Animalischen oder Monströsen viel näher ist und die in den anderen Menschen Abscheu, Furcht und Schaudern hervorruft. Diese Bösartigkeit Grenouilles ist so vielschichtig, dass die einzelnen Elemente erst einmal einzeln betrachtet werden müssen, um die Frage nach ihrer Herkunft beantworten zu können. In Grenouilles Existenz findet jedoch auch eine Entwicklung zum Menschlichen hin statt, die man als ‘Menschwerdung’ bezeichnen kann. 4.1, Das Animal: Bereits zu Beginn seines Lebens gleicht Grenouilles Existenz eher der eines Tieres, als der eines Menschen. Geboren auf dem nach alten Fischen stinkenden Fischmarkt nahe dem nach Leichen stinkenden Friedhof, liegengelassen unter dem Schlachttisch, wie die Reste der toten Fische um ihn herum, entscheidet sich Grenouille zu leben, obwohl seine Mutter ihn sterben lassen wollte. Schon seine Geburt also ist eine unmenschliche, geschieht an einem abscheulichen, dem Tode nahen Ort. Schon als Säugling weist Grenouille ein animalisches Verhalten auf, was zum ersten Mal deutlich wird, als er Pater Terrier mit seinen sehenden ‘Nüstern’ ängstigt. Der Pater bezeichnet ihn hier in seiner Abgestoßenheit auch bereits als ‘feindseliges Animal’ (S. 24). Dieser ist nämlich der Ansicht: ‘’Es sieht der Narr mit der Nase’ mehr als mit den Augen’ (S. 20). Ähnlich einem Tier schnüffelt sich Grenouille durch seine Welt. Allein seine besondere olfaktorische Fähigkeit ordnet ihn bereits in das Reich der Tiere ein, denn der Mensch besitzt einen vergleichsweise sehr schlechten Geruchssinn. Die meisten Tiere, seien es Hunde oder einfaches Vieh, haben ein viel differenzierteres Riechorgan, mit dem sie sich, wie Grenouille, in der Welt orientieren können. Während seiner Zeit im Waisenhaus Madame Gaillards und auch später beim Gerber Grimal macht sich Grenouille täglich ‘mit geschlossenen Augen, halb geöffnetem Mund und geblähten Nüstern, still wie ein Raubfisch’ (S. 44) auf die Jagd nach Düften. Auch der Erzähler erwähnt, Grenouille lebe bei Grimal in einer ‘mehr tierischen als menschlichen Existenz’ (S. 42) und berichtet uns immer wieder davon, wie Grenouille geruchliche Fährten aufnimmt und auf das Sehen mit den Augen zwischenzeitlich ganz verzichtet. Vergleiche mit negativ konnotierten Tieren und deren Verhalten kommen im ersten Teil des Romans sehr häufig vor. Wie Matzkowski anmerkt, verweisen viele spezifische Verben wie ‚zischeln’, ‚lauern’, ‚schnarren’ und ‚krächzen’ auf die animalische Existenz, sowie Bezeichnungen als ‘schlangenhaftes Wesen’, ‘Kröte’ und ‘schwarze Spinne’. Auch ‘Kuchucksbrut’ (S. 196) wird Grenouille genannt. Seine Haut färbt sich in der Sonne des Zentralmassivs von ‘madenweiß’ zu ‘langustenrot’ (S. 174), Grimal hält ihn zuvor ‘wie ein nützliches Haustier’ (S. 43). Bei dieser Betrachtung des Animalischen an Grenouille darf auch der Name des Protagonisten nicht außer Acht gelassen werden: ‚Grenouille’ bedeutet übersetzt Frosch oder Kröte. Vieles kann mit diesem Namen assoziiert werden, angefangen mit der stillen, feucht-kalten und gefühllosen Existenz des Amphibs. Alexander Kissler und Carsten S. Leimbach stellen auf Grund der unnormalen sprachlichen Entwicklung des Froschmenschen fest: ‘Grenouille redet nicht, er quakt.’ Seine Unfähigkeit zu kommunizieren deutet an, dass Grenouille nicht viel mit den Menschen gemeinsam hat, sondern ein ganz eigenes Wesen zu sein scheint, das keine Artgenossen besitzt. So mag er auch an den Froschkönig erinnern, der im Märchen ein verzauberter Prinz in einer abstoßenden Krötengestalt ist und dazu verdammt wurde, als Amphib zu leben, bis er gerettet wird. Tatsächlich wurde das Paris des 18. Jahrhunderts auch ‘Stadt der Frösche’ genannt, wobei besonders im Umfeld des Cimetière des Innocents viele dieser Tiere gelebt haben sollen. Süskind wird diese historischen Belege wohlwissend in die Konzeption seiner Figur als einen animalischen, froschartigen Menschen mit einbezogen haben. Auch die mythologische Bedeutung des Frosches ist in diesem Zusammenhang interessant zu betrachten. Während er im alten Ägypten als Symbol der Auferstehung galt, wurde er im Christentum als böser Geist oder Verkörperung des Teufels angesehen und gehörte zu einer der zehn Plagen. Ich werde diese Thematik weiter unten noch einmal aufgreifen, wenn ich die Funktion Grenouilles als böser Gott behandle. Ein wichtiges Motiv oder zentrales Symbol, das Süskind verwendet, um das Animalische in Grenouilles Existenz hervorzuheben, ist das des ‘Zecks’ Grenouille. Immer wieder taucht dieses Bild auf, zu Beginn des Romans jedoch öfter als gegen Ende, was mit der Entwicklung des Protagonisten einhergeht. Der kleine häßliche Zeck, der seinen bleigrauen Körper zur Kugel formt, um der Außenwelt die geringstmögliche Fläche zu bieten [...]. Der Zeck, der sich extra klein und unansehnlich macht, damit niemand ihn sehe und zertrete. Der einsame Zeck, der in sich versammelt auf seinem Baume hockt, blind, taub und stumm, und nur wittert (S. 29). Grenouille wird auf diese Weise mit einem besonders resistenten, fast unsichtbaren, unansehnlichen kleinen Spinnentier verglichen, das von uns Menschen verhasst und gefürchtet ist. Mit einer Zecke, die ein parasitisches Leben führt, hässlich ist und die ihr Leben nur darauf ausrichtet, irgendwann einmal auf einen Wirt zu treffen, dem sie Blut aussaugen kann, verbindet der Mensch nichts Positives. Vielmehr sind die Tiere eine unsichtbare Gefahr, da sie sich unbemerkt an unserem Körper eine Stelle zum Blutsaugen suchen und dabei schwere Krankheiten wie Borreliose oder Encephalitis übertragen können. Als ‘bockig, stur und eklig’ (S. 29) wird der Zeck im Roman beschrieben. Er ist eines der resistentesten Tiere, kann allen Widrigkeiten trotzen und sogar jahrelang ohne Nahrung auskommen. Allein auf Grund seiner besonderen Resistenz passt dieser Vergleich so gut auf die Figur Jean-Baptiste Grenouille: ‘Er war zäh wie ein resistentes Bakterium und genügsam wie ein Zeck, der still auf einem Baum sitzt und von einem winzigen Blutströpfchen lebt, das er vor Jahren erbeutet hat.’ (S. 27). Nur einen kleinen Fehler macht Süskind an dieser Stelle: Zecken lassen sich nicht, wie man glaubt, von Bäumen fallen, sondern erklimmen höchstens kniehohe Gräser und Pflanzen, die der Wirt streifen muss, damit das Tier sich festhalten kann. Für den Vergleich mit Grenouille hat dieser Fehler jedoch keine Relevanz. Nicht zuletzt erinnert die blutsaugende Tätigkeit des Zecks auch an die Nahrungsaufnahme von monströsen mythologischen gestalten: Den Vampiren. Kissler und Leimbach sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Grenouilles Dufternte und dem Blutsaugen des Vampirs. Beide benötigen den geernteten Stoff zum Leben. Die kultische Beschreibung der Dufternte bei den toten Mädchen lässt die beiden Autoren eine Parallele zu alten Mythen und Kulten ziehen, in denen Blut und Duft austauschbar sind. Grenouilles Zähigkeit, sein Zurechtkommen mit den widrigsten Umständen und seine unsichtbare Bedrohung für die Menschen könnten wohl kaum besser aufgezeigt werden, als in dem Bild des Zecks. Beide verharren in einer Art Starre, halten jede Krankheit und Lieblosigkeit aus, können mit einem Mindestmaß an Nahrung überleben und warten auf den einen Moment, triumphieren zu können. Der Zeck triumphiert dann über den Wirt, während Grenouille über die Menschen triumphiert. Doch seiner zeckenhaften Existenz kann Grenouille genauso wenig entfliehen, wie die Zecke selbst. Er ist letztlich auch ‘der einsame Zeck’, dessen Existenz niemanden interessiert und dessen Verschwinden von der Welt somit auch keinen seiner Mitmenschen bekümmert.

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