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  • Die ethnische Persistenz der Vlach-Roma: Zum Erhalt einer minoritären Gruppe in den USA

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Ethnische Minderheiten sind das Ergebnis soziopolitischer und historischer Entwicklungen. Es handelt sich um Menschengruppen, die in einem größeren politischen Gefüge ein autonomes Identitätsbewusstsein ausbilden. Die Roma sind ein Beispiel dafür. Sie leben gegenwärtig fast auf der ganzen Welt, ihre gemeinsame Urquelle liegt in Indien. Von dort spalteten sie sich im Zuge langer Wanderungen, bewohnten unterschiedliche Gebiete und nahmen als Folge neue Charakteristika an. Die Vlach, mit denen wir uns in dieser Arbeit vorrangig befassen werden, sind eine der vielen Gruppen, die aus dieser Aufspaltung hervorgingen. Durch ihre Distinktivität wurden die Roma, welche vor allem europäische Länder bewohnen, zum Opfer von Diskriminierung, Verfolgung und sogar Völkermord. Was die Vlach von den anderen Gruppen jedoch unterscheidet, ist, dass sie ihre kulturelle Distinktivität und zugleich Gruppenidentität durch Sklavenhaltung erlangt hatten, die mehr als 500 Jahre andauern sollte. Ihre kulturelle Besonderheit liegt so nicht nur in der sprachlichen Entwicklung, sondern vor allem in ihrer durch die Knechtschaft geprägten Mentalität. Nach ihrer Befreiung wanderten viele Vlach Ende des 19. Jahrhunderts in die USA. Angetrieben durch die neugewonnene Freiheit und das Land, welches für sie vielversprechender zu sein schien, erhofften sie sich dort ein besseres Leben. Diese Arbeit soll Aufschluss darüber geben, wie die Vlach in der neuen, fremden Welt ihre Existenz bestreiten und dabei versuchen, weiterhin als ethnische Minderheit zu bestehen. Auch wird dargestellt, ob und wie sie seit ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten von Amerika) verändert haben und wie sie es meistern, in der modernen, industrialisierten Welt ihre Tradition beizubehalten

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3, Grundzüge und soziale Organisation der Vlach: Ein Charakteristikum der Vlach das direkt aus ihrer jahrhundertlangen Knechtschaft resultiert, sind ihr Mentalitätswandel und Konservatismus, die die kulturelle Eigenheit der Gruppe in besonderem Maße prägten. In jeder noch so strikten und gewaltsamen Unterdrückung, so Kearney (1979: 248), bleibt immer noch Raum für die Freiheit des menschlichen Geistes. So kam es einerseits zur Festigung des bestehenden Wertesystems, andererseits zur Bildung eines neuen sehr konservativen Denkmusters: The impact of over five centuries of enslavement has very deeply affected the identity and character of contemporary Vlax-speaking Romanies. Being socially – and for most groups physically –isolated as slaves for almost their entire existence in the West, Vlax Romani language and culture, while extensively influenced by Romanian, have at the same time remained conservative in comparison with those other groups” (Hancock 2010a: 129). Dieser Charakterzug der Vlach betrifft alle Lebensbereiche der Gruppe und bezieht sich sowohl auf externe wie auch auf interne Aspekte. Abgesehen von der soeben beschriebenen slave mentality der Vlach, zeichnen sie sich durch eine stark hierarchisierte Sozialstruktur aus. Wie alle Zigeuner-Gruppen besitzen sie interne Verhaltensregeln des sozialen Lebens, sowie rechtliche Mechanismen zur Wahrung dieser Regeln. Dabei fungieren die rechtlichen Regelungen ebenfalls als Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Gruppen. Das Fundament der Rom-Zigeuner, in dem auch der Vlach, liegt dem Grundprinzip der Romaniya zugrunde, welches eine rechtliche und moralische Instanz bildet. Sie regelt das interne soziale Leben der Vlach, das auf einem Werte- und Tabusystem basiert (Kanwar 2000: 1272). So besitzen sie strikte, geschlechterorientierte Meidungsvorschriften sowie ein damit einhergehendes striktes Schamgefühl. Dabei spielt Marime, vor allem bei den Vlach eine fundamentale Rolle. Einerseits ist es die Vorstellung der rituellen Beschmutzung, die aufgrund der Nichteinhaltung verschiedener Reinheitsvorschriften zum Vorschein kommt. Andrerseits kann es die soziale Ausgrenzung aus der eigenen Gemeinde (Weyrauch/Bell 2001: 24). Was die Vlach gegenüber allen anderen Roma und sogar Rom-Zigeunern deutlich unterscheidet, ist in welcher Weise sie die interne Gerichtsbarkeit regeln. Nur sie haben nämlich eine formelle Methode der Rechtsprechung, welche sich in Form der Kris manifestiert, einem Schiedsgericht, das aus älteren Mitgliedern bestehet und für eine friedliche Konfliktlösung zuständig ist (Lee 2001: 189). Sutherland erwähnt die bedeutendsten Identifikationsmerkmale der Vlach, auf deren Basis sie sich von anderen Gruppen abgrenzen: For the Rom use of the language Romanes and acceptance of romania (Law and tradition), including shame (lashav) and marime as embodied in the kris, are the most important conditions for accepting someone as Rom” (Sutherland 1975:17). Im Gegensatz zu den Gadsche, von denen sich die Vlach gänzlich distanzieren möchten, sehen sie alle anderen Zigeuner-Gruppen, die nicht zu den Rom-Zigeunern gehören, als eine Art Halb-Zigeuner an, da diese trotz vieler Unterschiede dennoch unbestritten auch Gemeinsamkeiten aufweisen (Salo 1977: 42). In Hinblick auf das Glaubensbekenntnis greifen Zigeuner (abhängig von regionalen und soziopolitischen Gegebenheiten) auf die römisch-katholische, jüdische, islamische und hellenische, sprich orthodoxe Religion zurück (Kearney 1979: 21ff). Wegen dem langen Aufenthalt auf dem Balkan, bekennen sich die Vlach der orthodoxen Religion bzw. den orthodoxen Ostkirchen an (Hancock 1996: 25). Dabei bilden sie, wie alle Zigeuner, einen religiösen Synkretismus, ergänzt durch hinduistische Elemente (als ehemalige Bewohner Indiens). So haben sie einen starken Glauben an Geister beibehalten sowie an den Gott O Del, welcher mit Reinlichkeit, Gesundheit und Glück verbunden wird (Silverman 1979: 130). Überdies hinaus haben die Vlach eine auf Verwandtschaft basierende soziale Hierarchie. Die Ältesten erfreuen sich eines hohen Prestiges, denen insgesamt viel Respekt und Anerkennung endgegengebracht wird (Silverman 1979: 51). Die wichtigste soziale Einheit der Rom-Zigeuner ist die Familiya d. h. die erweiterte Familie, welche durch die Tatsache, dass eine Roma-Frau im Durchschnitt fünf bis sechs Kinder bekommt, sehr groß ist (Gropper 1975: 1). Zur Familiya gehören die Eltern mit den unverheirateten, verwitweten und geschiedenen Kindern, wie auch den verheirateten Söhnen mit deren Ehefrauen und Kindern. Verheiratete Töchter wohnen hingegen bei dem Ehemann und seiner Familie. Aus der patrilokalen Heiratsfolge sowie der Zugehörigkeit des Kindes zur väterlichen Verwandtschaftsgruppe erschließt sich eine patrilineare Deszendenzform, die typisch für Rom-Zigeuner ist (Fraser 1995: 238). Da die Vlach durch die Versklavung einen großen Wert darauf legen, in einer hermetischen Gemeinde, abgeschottet von den Gadsche zu leben, steht der Familiya eine wichtige Rolle zu. Zum einen ist sie für den Erhalt der ganzen Roma-Gemeinschaft zuständig, zum anderen kontrolliert sie den kompletten Prozess der Sozialisation ihrer Mitglieder (Smith 1999: 8). Die Vitsa ist eine weitere Instanz der Rom-Zigeuner. Sie besteht aus mehreren erweiterten Familien und dient als soziales Orientierungsinstrument eines jeden Individuums: The vitsa is the primary basis of identity for an individual. The source of a man´s or woman´s personal name, family name, social status, and significant relationships throughout life are based on membership in a vitsa (Sutherland 2001: 232). Es ist eine endogame und kognatische Einheit, die aufgrund der traditionellen Ahnenverehrung, Namen männlicher Vorfahren trägt (Coker 1966: 87). Die Kumpania ist dagegen, eine flexible aus mehreren Vitsas bestehende Wirtschaftseinheit. Ihre Mitglieder verfolgen gemeinsame ökonomische Ziele und teilen sich die gleiche Nische sowie territoriale Einflusssphäre (Sway 1988: 61). Der Rom Baro, als letzte wichtige Instanz, ist eine männliche Respektsperson innerhalb der Rom-Gemeinde. Er hat die Position eines Chiefs inne und ist für den Erhalt der Machtstruktur innerhalb seiner Familie und der kompletten Kumpania zuständig, sei es auf moralischer, wirtschaftlicher oder politischer Ebene. Zudem repräsentiert er ebenfalls die Gruppe nach außen d. h. bei offiziellen Treffen mit Gadsche und ist für interne und externe Konfliktlösungen zuständig. Das Amt beruht vorwiegend auf Wissen, Alter und Geschlecht (Fraser 1995: 239). 2.4, Auswanderung der Vlach in die USA: Die in die USA ausgewanderten Zigeuner waren vielen verschiedenen Gruppen zugeordnet. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Auswanderer-Gruppen dargestellt und die Eingrenzung der zu untersuchenden Vlach-Gruppen erläutert. Die ersten Zigeuner erreichten die USA bereits während der Kolonialzeit, kurz nach ihrem Erscheinen in Westeuropa im 15. Jahrhundert. Die europäischen Mächte versuchten schon damals diese Minderheit loszuwerden und sahen die Verschiffung in die Neue Welt als eine ideale Lösung. Dorthin gelangten sie entweder direkt von Europa, durch Mexiko oder Kanada, wo sich ebenfalls viele Gruppen ansiedelten (Silverman 1979: 6). Eine freiwillige Emigration der Zigeuner (sofern man dies so nennen darf) erfolgte dann schließlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Angezogen durch den Konjunkturaufschwung Nordamerikas, wie auch den generellen Antiziganismus Europas, erhofften sich die Zigeuner, wie auch andere Zuwanderer, dort ein besseres Leben (Fraser 1995: 234). Die günstige Migrationspolitik Nordamerikas erlaubte zudem einen unkomplizierten Zufluss: Once inside the country no passports or other papers are demanded he is free to come and go as he pleases” (Brown 1929: 145). Die massivste Einwanderungsperiode der zigeunerischen Bevölkerung vollzog sich zwischen den Jahren 1880 bis 1914 (Gropper 1975: 17). Die ersten freiwilligen Zigeuner waren die englischen Romanichals, die bereits im Jahre 1840 in den USA ankamen, gefolgt von den ungarischen Bashalde und den Vlach kurz nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1880. Die Xoraxane, eine Gruppe bosnischer Flüchtlinge, folgte in den späten 60er Jahren, woraufhin die letzte große Welle in den 90er Jahren aus den Reihen der ehemaligen kommunistischen Länder kam (Hancock 2010a: 128). Insgesamt wird die Zahl der verschiedenen Zigeuner-Gruppen in den USA auf über eine Million geschätzt, wovon die Vlach etwa zwei Drittel ausmachen (Hancock 2010a: 129). Dabei sind es nicht alle der vier zuvor genannten Vlach-Gruppen welche zur der hohen Anzahl der Vlach in den USA beitragen, sondern vornehmlich die Kalderash und die Machwaya. Diese besiedelten Amerika kurz nach ihrer Befreiung aus der Sklavenhaltung und stellen gegenwärtig die zahlenmäßig größten Natsias dar (Hancock 2010a: 129ff). Ihre lange Aufenthaltsdauer und ihre Größe machen sie im Gegensatz zu den anderen Vlach-Gruppen somit zu den prototypischen Vertretern der amerikanischen Roma, weshalb sie häufig sie als the American Gypsies (Kearney 1979: 343) oder the American Rom (Sutherland 1975: 10) bezeichnet werden. Die Churara hingegen sind in den USA so selten, dass viele Autoren wie Salo (1977) sie nicht einmal erwähnen. Die Gruppe der Lowara spielt in der amerikanischen Literatur nur eine untergeordnete Rolle. Neben ihrer geringen Anzahl auf dem neuen Kontinent, liegt der Grund ebenfalls darin, dass sie vorwiegend in den 70er Jahren ankamen (Hancock 2010a: 131). Somit wird sich diese Untersuchung der Vlach in der Arbeit ausschließlich auf die Kalderash und die Machwaya beschränken, für deren Repräsentativität zudem ihre gemeinsame Ähnlichkeit hinsichtlich sprachlicher und kultureller Aspekte spricht (Miller 1968: 1). Die beiden Natsias differenzieren sich vornehmlich in Bezug auf den sozialen Status (Machwaya genießen ein höheres Ansehen), welcher wichtig für sozioökonomische Relationen wie Konfliktlösungen oder Heiratsallianzen ist (Sutherland 1975: 10). So kommt es trotz des internen Klassenunterschieds auf Basis kultureller Ähnlichkeiten zu gemeinsamen Hochzeiten (Petrovic 2008: 3).

Über den Autor

Zaneta Nowak ist Magisterabsolventin der Universität zu Köln, wo sie sich mit Ethnologie, Englischer und Romanischer Philologie sowie Spanisch beschäftigte. Die über dieses Studium gewonnenen Erkenntnisse, die sich interkulturell durch die entsprechenden Bereiche der Linguistik, Politik, Kultur, Soziologie und Geschichte bewegen, möchte sie nun weiterdenken und anderen zugänglich machen.

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