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  • Die Sehnsucht nach dem Grünen: Eine Studie zur Wirkung von Stadt- und Naturräumen auf den Menschen

Kunst & Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 12.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der urbane Mensch wird in der zeitgenössischen Literatur als umtriebig beschrieben: Arbeit, soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten bestimmen seinen Alltag. Gleichzeitig findet sich eine hohe Anzahl von reisenden Städtern, die in Naturlandschaften Erholung und Ausgeglichenheit erfahren. Dieses scheinbar natürliche Bedürfnis des Stadtmenschen in Naturzonen rasten zu können, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Anhand von drei zeitgenössischen Romanen stellt der Autor dieses Thema in einen gegenwärtigen Kontext und sieht den einzelnen Menschen, die Gesellschaft und die Politik als die drei formenden Akteure des städtischen Raums, während die Natur als nahezu herrschaftsfrei erlebt wird. Die Untersuchung greift auch kulturökologische Konzepte Böhmes und Foucaults auf und verzichtet dabei nicht auf eine Zeitkritik, so scheinen Stadt und Land für den Menschen in einem traditionellen Zusammenhang zu stehen, der an Aktualität nicht verloren hat.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3: Realsozialistische Ökologiewelten in Monika Marons Flugasche (1981): […] Mit ihren beiden Werken Flugasche (1981) und Bitterfelder Bogen (2009) beschreibt Monika Maron den städtischen Raum Bitterfeld im zeitlich versetzten Vergleich. So bescheinigt die bis 1988 in der DDR lebende Autorin der SED-Umweltpolitik im zeitgenössischen Roman Flugasche verödete Landschaften durch eine marode Wirtschaft, vergiftete Luft und verseuchten Boden . Im Folgenden soll es weniger um einen Vergleich der beiden Werke Marons gehen, vielmehr soll die poetologische Mehrschichtigkeit von Innen-und Außenräumen im Roman Flugasche in den Blick genommen werden. Auf der Ebene des Politischen fokussiert die Autorin die in der DDR bis in die späten 80er Jahre eingeschränkte Pressefreiheit durch einen ökokritischen Zugang an den Lebens-und Arbeitsbedingungen der Stadt B., die sie 2009 mit dem sachsen-anhaltinischen Bitterfeld entschlüsselt. Auf anthropologischer Ebene arbeitet Maron durch die Figur der Josefa Nadler, die als Journalistin der Illustrierten Woche in Ost-Berlin eine Identitätskrise durchlebt , stark autobiographisch. Maron selbst war bis 1976 bei der Wochenpost als Journalistin tätig. Gleich zu Beginn des Werks rekurriert die Autorin auf die Großeltern Josefas und eröffnet dem Leser somit das Schicksal des eigenen Großvaters Pawel Iglarz‘, der als polnischer Jude durch die Nationalsozialisten in einem Kornfeldbrand ums Leben kam. Durch die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte, die im Roman jedoch hinter die Krise Josefas zurücktritt , ist Josefa darin bestrebt, mit Hilfe einer intensivierten Ich-Erfahrung ihre biografische Kontinuität zu sichern. Dieser Innenraum steht im Werk differenten öffentlichen Schauplätzen gegenüber, die durch von außen auf den Körper einwirkenden Kräften (Pressezensur, Disziplinierungsmaßnahmen) determiniert werden. Im Folgenden soll dieses Wechselspiel zwischen privaten und öffentlichen Räumen werkimmanent und werkvergleichend in den Blick genommen werden. Historisch steht der Roman in der zeitgenössischen Kritik gegenüber einer repressiven Pressepolitik der mittleren 1970er Jahre. Er lässt sich der Lesart ökokritischer Literatur der DDR zuordnen, die sich mit einer breiteren Themenstreuung auf einem hohen Reflexionsniveau bewegt. So finden sich in den Werken zeitgenössischer DDR-Literaten (die im Vergleich zu westdeutschen Autoren stärker in umweltpolitische Themen involviert waren ) ökokritische Themen wie die Hinterfragung systemischer Gesellschaftstheorien (in der DDR den real existierenden Sozialismus), die Unterdrückung von Frauen unter patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen oder die Vorstellung sozialistischer Utopien. 3.1 Zur Ersatzfunktion literarischer Prosa: Bei der Berichterstattung über eine von Ammoniak und Salpetersäure und Schwefeldioxyd erstickte Luft über dem Kohlekraftwerk der Stadt Bitterfeld, stellt sich die Frage nach der Stilistik und Funktion journalistischer Beiträge in der DDR. Angesichts von politischen Repressalien wie Pressezensur oder das Verhören vor der betriebsinternen Parteileitung , steht Josefa als Protagonistin im Werk vor dem moralischen Dilemma zwischen einer auf Fakten beruhenden Berichterstattung und die an sie herangetragene Anforderung des verklärenden, propagandistisch gefärbten Schreibstils über die Umweltbedingungen des Fall B.s. Monika Maron verarbeitete im Roman damit autobiografisch ihre journalistischen Erfahrungen bei der Berliner Wochenpost, als Vertreterin der Nachfolgegeneration Wolf Biermanns distanzierte sie sich vom in den 1970er Jahren in der DDR normierten Berufsleitbild des Journalisten und sah wie Hanns Cibulka oder Christa Wolf die Prosaliteratur als neues gesellschaftspolitisches Forum in Alternative zu medial transportieren Nachrichten-beiträgen in der Debatte um umweltbezogene Themen. Martin Watson schreibt der Literatur eine solitäre Funktion zu, in der DDR alltägliche Realitäten aufzugreifen, während andere Medien diesen Status nicht erreichten. Das stark politisch motivierte Engagement dieser (öko-)kritischen Bewegung wird im Werk auf den erfahrenen Schockmoment zurückgeführt, so bemängelt Josefa die normiert-disziplinierte Arbeitsweise durch kontinuierliche Zensur im hierarchisierten Presseverlag: Und der Mensch, glaubst du, der bleibt heil? Der geht auch kaputt. Er bleibt nicht stehen, fällt nicht um, aber er wird immer schwächer, bringt nichts mehr zustande. Seine wichtigste Beschäftigung wird die Kontrolle über sich selbst, das Verleugnen seiner Mentalität, seiner Gefühle. […] Allmählich beginnt er unter der künstlichen Armut seiner Persönlichkeit zu leiden und erfindet sich neue Eigenschaften, die ihm Lob und Anerkennung einbringen. […] Aber am Tag trägt unser armer gebremster Mensch einen Einheitscharakter, ein schön gemäßigtes, einsichtiges Wesen, bis er eines Tages seine ursprüngliche Art vergessen hat oder schreit vor Schmerz oder stirbt. In George Orwells Nineteen-Eighty-Four findet sich der Ansatz der ‚mentalen Selbstkasteiung zur Kollektivmachung des Individuums‘, der Winston Smith als indoktrinierte Wirklichkeit durch O‘Brien suggeriert wird: [...] But I tell you Winston, that reality is not external. Reality exists in the human mind, and nowhere else. Not in the individual mind, which can make mistakes, and in any case soon perishes: only in the mind of the Party, which is collective and immortal. Whatever the Party holds to be truth, is truth. It is impossible to see reality except by looking through the eyes of the Party. That is the fact that you have got to re-learn, Winston. It needs an act of self-destruction, an effort of the will. You must humble yourself before you can become same. Die von Josefa intendierte Forderung nach Aufklärung zur Schadstoffemission und Volksgesundheit wäre im Werk dem Wechselspiel aus innerem-privaten Raum sowie öffentlich-politischem Raum zuzuordnen: Durch die Benennung umweltpolitischer Missstände setzt sich die Protagonistin zunächst selbstbewusst diesem ‚Spiel in beiden Bahnen‘ aus. Da die Parteiführung der SED darin bestrebt war, ihren Machtbereich gesellschaftlich breit und konsequent auszubauen, wirken Kraftmechanismen zwischen Innen-und Außenraum, die Alison Lewis als Machtkampf zwischen Sein und Dasein bezeichnet. Im Folgenden soll es um die sich überlagernden Ebenen des Machtraums gehen. 3.2 Binäre Identitätskrisen und Determinanten von Machtbeziehungen: Der kontinuierliche Machtausbau des DDR-Regimes auf die Lebensbereiche seiner Bürger sollte den Machtanspruch durch Kontrolle, Zensur und Erziehung sichern. Mit der von Alison Lewis beschriebenen deformierenden und normierenden Kraft der Disziplinarmacht festigte die SED-Partei somit nicht nur durch kollektiv-hierarchisierte Unternehmen und propagandistisch ausgerichtete Berichterstattung ihre Integrität in der Bevölkerung, besonders in der Erziehung des Individuums zu systemisch kohärentem Denken war der reale Sozialismus darüber hinaus im privaten Raum vertreten. Lewis belegt ihre These an Entstellungserscheinungen des Körpers und der Seele durch unnatürliche Arbeitsbedingungen wie der Ausübung ungeeigneter Berufe oder, wie in Flugasche hervorgehoben, der Missachtung beziehungsweise unterlassene Formulierung hygienischer Standards am Arbeitsplatz. Im Folgenden sollen die beiden sich überlagernden Innen-und Außenräume miteinander verglichen werden. 3.2.1 Personale Identitätsstiftung im Bereich des Privaten (Innenraum): Der tendenziell pessimistische Schreibstil in Monika Marons Flugasche lässt sich vordergründig auf die Figur der Josefa Nadler zurückführen. Sie befindet sich im gesamten Handlungsverlauf in einer doppelten Identitätskrise, die durch eine Handlungsbegrenzung bedingt wird. Durch die intendierte Aufarbeitung ihrer Biografie mit Rekurs auf ihren Großvater Pawel versucht sie, ihre Identität durch eine Standortbestimmung zu profilieren. Der autobiographische Ansatz Marons gelingt durch das Zeitreisemotiv, so trifft die leicht kindliche Josefa ihren Großvater als Jungen während eines Tagtraums. Die in Abständen auftretenden Tagträume haben im Werk eine Fluchtfunktion, Josefa findet in ihnen eine kompensatorische Wirkung angesichts mangelnder Anerkennung durch die Genossen am Arbeitsplatz oder die Konfrontation mit der Obrigkeit aufgrund ideologischer Gegensätze. Während Monika Maron in Pawels Briefen die biografische Historie weiter fokussiert , setzt sie in ihrem früher publizierten Roman Flugasche zeitlich am Tod der Großeltern an, überspringt die Elterngeneration und lässt die Handlung bei der Enkelin fortsetzen. Über die weitere Erblinie der Familie Nadler-Iglarz gibt Maron im Werk keine Auskunft, lediglich eine Tochter Josefas wird erwähnt. Eine ähnliche, noch ausführlichere beschriebene Genealogie einer Familie findet sich bei Thomas Manns Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901): Niemals vermochte Thomas Buddenbrook mit dem Blicke matten Mißmutes, mit dem er den Rest seines eigenen Lebens erwartete, auch in die Zukunft des kleinen Johann zu sehen. Sein Familiensinn, dieses ererbte und anerzogene, rückwärts sowohl wie vorwärts gewandte, pietätvolle Interesse für die intime Historie seines Hauses hinderte ihn daran[…]. Wie, wenn er selbst noch dereinst auf seine alten Tage, von einem Ruhewinkel aus, den Wiederbeginn der alten Zeit, der Zeit von Hannos Urgroßvater erblicken durfte? Abgesehen von den Rückblenden auf die zu Beginn des Werks geschilderte Ermordung des Großvaters, ist der Text jedoch vorwiegend in der Gegenwart situiert. Der Innenraum Josefas steht im Handlungsverlauf in einem dynamischen Spannungsverhältnis zur sozialistischen Ideologie durch die Darstellung der Umweltbedingungen im Kohlekraftwerk der Stadt Bitterfeld. So spricht sie in einem Gespräch mit Hans Schütz von einer vernünftigen und unvernünftigen Fassung ihres Berichts. Von ihrem Naturell her lässt sich Josefa unbeachtet der Pressezensur als kritisch-engagierte Visionärin beschreiben, die sich regelmäßig auf die Faktenlage beruft: Ich kann nicht über eine Stadt schreiben und das Wichtigste verschweigen. Das Wichtigste an B. ist das neue Kraftwerk und der Dreck vom alten. Dadurch nutzt Monika Maron stilistisch die Personifizierung im Rahmen einer ökofeministischen Kritik: So steht Josefa als Journalistin und eher ökologischen Verhältnissen verhaftet in direkter Opposition zum linientreuen, berechnenden Siegfried Strutzer in einem neuen roséfarbenen Hemd, das es mit passender dunkelroter Krawatte im Exquisitgeschäft zu kaufen gab . In der ökofeministischen Lesart des 20 Jahrhunderts wären demnach die (noch) beiden SED-Genossen Josefa (Frau-Natur) und Strutzer (Mann-Kultur) am jeweils anderen Ende der Skala zweier Entitäten zu verorten. Der Eindruck der zumindest feministischen Kritik erhärtet sich angesichts Josefas emanzipatorischer, fiktiv gehaltender Rede an die Zuhörerinnen im Plenum. Dem Privatraum steht Josefa im Roman skeptisch-distanziert gegenüber gemischt mit einer sarkastischen Position gegenüber geordneten Wohnanlagen. So kritisiert sie die am Abend in ihre Höhlen eingesperrten Stadtbewohner. Hervorzuheben wäre, dass Maron durch die Überlagerung von differenten Handlungsebenen die Verzahnung gesellschaftlicher Lebensbereiche gelingt, so werden der Redaktionsalltag, die Interviews in Bitterfeld, die Erinnerung an die Großeltern sowie das eigene Privatleben negativ inszeniert: die SED-Genossin Josefa Nadler sieht sich selbst als Teil einer funktionierenden, jedoch nicht aktiv erlebbaren Gesellschaft, was durch ihre Identitätskrise beziehungsweise depressiven Phasen zusätzlich determiniert wird. Sie positioniert sich somit nicht nur ökofeministisch, sondern auch als Gegnerin autoritärer Strukturen. Fluchtmöglichkeiten aus dieser als überfordernd empfundenen Lebenswelt bieten ihr lediglich Schlafmittel oder Träume in Form von Rückblenden oder Zukunftsvisionen. Der einzige Lebensbereich, in dem Josefa ‚entkrampft‘ beschrieben wird, wäre der Bereich der Sexualität. Lewis klassifiziert ihn als intakten herrschaftsfreien Ort . Bei Robert Merle habe ich gelesen, dass die Haitianer spielen nennen, wozu wir miteinander schlafen sagen. Spielen ist schöner. Es erinnert an Wiese und Blumen, an Spaß und Lache, nicht an stickige Schlafzimmer, sentimentale Schwüre oder müden Griff neben sich kurz vor dem Einschlafen. Komm, Christian, wir spielen, vergessen B. […] Nicht Leben denken, Leben fühlen, bis zum Schmerz, bis zur Erschöpfung, alle Gedanken wegfühlen, nur Bein und Bauch und Mund und Haut sein. Fungiert das Bild der Blumenwiese ähnlich wie in Der einzige Mann auf dem Kontinent das Landhaus als erotisierter Schauplatz in natürlicher Umgebung? In diesem Sinne würde Sexualität in beiden Werken mit einer attributiven Fruchtbarkeitskomponente in Verbindung stehen. Kontrastiv zu Mora werden bei Monika Maron keine aktiven Ausflüge auf das Land unternommen, die Träume fungieren aber als Fenster zu natürlichen Landschaften und parallelen Lebenswelten. Diese Tendenzen würden somit dem bukolischen Ansatz gerecht werden.

Über den Autor

Robert Bräutigam wurde 1988 in Arnstadt geboren. Sein Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Augsburg schloss der Autor im Jahre 2015 ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende Erfahrungen im Journalismus. Ein erster Auslandsaufenthalt in Frankreich trug dazu bei, dass der Autor über die Wirkung von städtischem Raum und Naturzonen auf den Menschen zu reflektieren begann, was sich bei späteren Reisen stärker manifestierte. In seiner Freizeit schreibt der Autor gern Reiseberichte und engagiert sich stark interkulturell in der Erwachsenenbildung.

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