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Kunst & Kultur

Kirsten Spillner

Interkulturelle Kompetenz in der Literatur der Moderne

Die Bedeutung der Wiener Moderne für die Germanistik

ISBN: 978-3-8366-6495-0

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 74
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Naheliegendste in dem Umgang mit der Literatur der Moderne, die sich dem Stil der Schriftsteller um die Jahrhundertwende zwischen einzelnen sogenannten literarischen Zentren abgrenzen lässt, ist zu untersuchen, welchen Einflüssen die jeweiligen Werke im einzelnen genau und wirklich unterliegen. Fokussiert ist die Metropole Paris, die den Blickwinkel abgibt. Die Bedeutung dieser interkulturellen Ansicht ist bislang nicht beachtet und unterschätzt. Neben China sind es ganz klar die stimulierenden Eindrücke mit der Metropole und der Beruf des sehenden Bildhauers, welche die Schreibweise der Autoren der sogenannten Wiener Moderne beeinflussen. Literarische Epoche, Entstehungszeit und der Ort, an dem die Werke verfasst werden, spielen in dem Hinblick auf den fiktiven Charakter der Literatur nicht zwingend eine große, tragende Rolle, was das Umfeld der literarischen Figuren betrifft. Wie aber soll es anders sein, dass ein Rainer Maria Rilke, der aufgrund einer sehr starken persönlichen Dissonanz mit Prag, die ihn unter anderem auch in das Künstlerdorf Worpswede verschlägt, das neue, ihm mehr oder weniger aufregend erscheinende Umfeld, Paris eben, in sein kulturelles Schaffen mit einbezieht. Er erschafft sogar einen neuen Typus der literarischen Figur 'Protagonist', der während seiner Tagebuch führenden Zeit als erfolgloser und nicht schreibender Schriftsteller permanent den Gedanken an eine literarische Ebene aufrecht hält, der den Rezipienten dahingehend zu unterhalten vermag, über die Zusammenhänge von autobiographischem Schreiben und der biographischen Methode sehr konkret nachzudenken. Mit Rilke versteht man, dass ein Schriftsteller auch an die Disziplin einer Art der schrifstellerischen Zunft gebunden ist, die sich wenig an Vorgaben und die Gebundenheit an literarische Zentren oder Salons orientiert und vielmehr versucht, ein eigenes Werk, eine ganz besondere Art und Weise der Literatur ins Leben zu rufen. Konkret lässt sich Rilke mit dem moderne gennement Dänemarks, mit der Wiener Moderne, mit Prag und der literarischen Epoche Frankreichs ein. Er verbindet sämtliche Eindrücke dieses Strudels an literarischen Erfahrungen mit seiner eigenen Intelligenz und dem, dass tatsächlich zu sehen und in seinem persönlichen Umfeld auch fassbar ist: Seinen Umgang mit der Freiheit des Blicks und der Beschäftigung seiner selbst mit der Errungenschaft des Talents und dem Streben nach schriftstellerischer Aufmerksamkeit, die ihn nicht gezwungenermaßen zu einem Prototyp des interkulturellen Schriftstellers der Wiener Moderne macht, der er letztendlich in der Engstirnigkeit von Literaturwissenschaftlern noch zuzuordnen ist. Wie wichtig das literarische Umfeld für die Bedeutung des Romans sein kann, ist hier der Bedeutung der Requisite für das Theater nach der Interpretation Berthold Brechts des Theaters Stanislaws abstrahiert entnommen: Nicht die Requisite, der ganze Pomp und so weiter ist das wirklich tragende von literarischen, ja auch dramatischen, Aussagen sondern vielmehr die genaue Interpretation einer Interaktion zwischen literarischen Figuren und das bedeutet natürlich auch die literarische Interaktion von der literarischen Figur zu dem Umfeld. Das literarische Umfeld ist also so etwas wie die Bühne des künstlerischen Romans.

Leseprobe

Kapitel 4.1, Rilkes Pariserfahrungen: Keine Großstadt außerhalb der deutschen Grenzen hat im Leben und im Schaffen der deutschsprachigen Schriftsteller solche Bedeutung erlangt wie Paris. Zahlreiche deutsche Schriftsteller waren teilweise auch für einen längeren Zeitraum in der französischen Hauptstadt. Nicht alle waren dort glücklich. Für die meisten galt, daß eine einzige Reise nicht genügen würde, um mehr Eindrücke als die aus touristischen und atmosphärischen Erfahrungen gesammelten Eindrücke von der französischen Hauptstadt literarisch zu verwerten. Für den Schriftsteller Rainer Maria Rilke war die Großstadt Paris zur Zeit der Jahrhundertwende eine romaneske Kulisse, eine moderne theatralische Bühne. Eine Großstadt bleibt literarisch eine Kulisse, wenn man ihre Bewohner in ihren Eigenschaften nicht kennen lernt und ihnen in ihren Lebensgewohnheiten nicht folgen kann. Die Darstellungen der Großstadt in Rilkes Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge” ist lebendiger als man meinen möchte. Die einzige moderne romanhaft literarische Figur, die wir in ihren Eigenschaften kennen lernen, ist die der literarischen Figur des Malte Laurids Brigge”. Rilke erschuf sie 1910, als er selbst im Alter von 27 Jahren war. Er hätte sich, wie etwa Frank Wedekind, in das damals höchst attraktive Pariser Leben mit seiner Bohemeszene und seinen Cabarets stürzen und davon nach Hause berichten können. Allerdings hat der Autor auf einen solchen Zugang verzichtet. Paris erscheint hier einzig aus der Perspektive Maltes”, der in der Inszenierung einer modernen neuen Textsorte die französische Großstadt in einer spezifischen Handlungsverdichtung aus der Perspektive der literarischen Figur des Protagonisten bewertet. Zunächst geschah dies nicht unbedingt im Unterschied zu den übrigen Zeitgenossen. Paris galt als Metropole der Kunst Europas und das Leben in der Großstadt wurde unter intellektuellen Dichtern und Schriftstellern oft in einer Kunst vom Leben stilisiert. Diese Stilisierung hatte bereits im neunzehnten Jahrhundert begonnen. Die Dichter Ludwig Uhland, Heinrich Heine und Friedrich Hebbel hatten Paris als Anordnung von Stereotypen rezipiert. Am Ende des Jahrhunderts folgten Frank Wedekind, Max Dauthendey, Arno Holz und Stefan Zweig. Viele deutsche Schriftsteller befaßten sich mit dem Motiv der Großstadt. Das zeigt schon ein Blick auf die Titel, die Autoren vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart ihren Texten gegeben haben: Wir kennen Gottfried Kellers In der Stadt”, Julius Hart erfaßte die frühen Eindrücke einer Reise in die Hauptstadt des neuen deutschen Reiches im Gedicht Auf der Fahrt nach Berlin”, Bertolt Brecht schuf eine Fülle von Stadtaneignungen, zum Beispiel Städtische Landschaft”, Kurt Tucholsky dichtete Augen in der Großstadt”, Oskar Maria Graf erschuf seine literarische Stadt”, Walter Steinbach erzählte eine Städte-Ballade”, Wolfgang Borchert noch erlebte die Großstadt” und Günther Kunert verfolgte die Nachkriegsstadt in seiner Dichtung Es sind die Städte”. Wie Rilke lebten sie nicht nur in der Stadt, sondern umdichteten sie. Paris war, das gehörte zum Urteil der Zeitgenossen, unter allen Städten die an Atmosphäre dichteste Stadt Europas, galt als das Urbild der Großstadt. Viele Autoren fuhren deshalb dorthin, hielten sich von ihren Erlebnissen in Paris auf. Als der Schriftsteller Rainer Maria Rilke 1902 nach Paris kam, kam er ebenfalls, um zu schreiben. Zunächst hatte er aber eine konkrete berufliche Aufgabe übernommen. Von 1902 bis 1903 fertigte er eine Monographie zum künstlerischen Werk des französischen Bildhauers Auguste Rodin an. Das Betrachten von Skulpturen in Paris und Meudon wurde für den Schriftsteller Ausgangspunkt seines Pariserlebnisses. Die auch finanziell bedingte Notwendigkeit für das Schreiben über die Kunst des französischen Bildhauers schärfte auch seinen Blick für die umgebende Stadt. In der Angewohnheit, die Dinge zu betrachten, erlebte und erarbeitete sich der bisher dem überschaubaren Prager Stadtmilieu verhaftete Schriftsteller die weitaus weltstädtischere französische Großstadt Paris. Seine Erfahrungen waren zunächst viel stärker vom Milieu des Vororts geprägt, denn anfänglich, zu Beginn seiner Aufgabe 1902, nahm er auf seinen Wegen zu seiner zunächst betrachtenden Arbeit in der Bestandsaufnahme der Skulpturen des französischen Schriftstellers Auguste Rodin in Meudon, einem Vorort von Paris, eine eher ländliche Gegend wahr. Die Großstadt Paris erschien ihm dagegen bald als krasser Gegensatz. Der Blick auf die Kunst, die in Paris zu seiner wichtigsten Aufgabe wurde, war geprägt von einer starken landschaftsorientierten Sichtweise. In Worpswede, einem Künstlerdorf bei Bremen, ist der Schriftsteller Rilke 1902 schon als Betrachter von Kunst in der Beschreibung der Bilder der Maler Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler als über die bildende Kunst Schreibender etabliert. Die Erfahrungen des Kunstwissenschaftlers Rilke beim Schreiben über Kunst sowie der Kontakt seiner Ehefrau, der Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff, zu dem französischen Bildhauer Rodin sind 1902 wegweisend für den Weg des Schriftstellers ins großstädtische Paris. Am 28. Juli 1902 schrieb Rilke von Schloss Haseldorf aus an Rodin nach Paris: Verehrter Meister, ich habe es unternommen, für die neuen Kunst-Monographien, die Professor Richard Muther herausgibt, den Band zu schreiben, der ihrem Werk gewidmet ist. Einer meiner sehnlichsten Wünsche ist damit in Erfüllung gegangen, denn die Gelegenheit, über ihre Werke zu schreiben, ist für mich eine innere Berufung, ein Fest, eine Freude, eine große und vornehme Aufgabe, auf die sich meine Liebe und mein ganzer Eifer richten.”. Die Lebenskunst, die sich Rilke in Paris darbot, war eine besondere Art von Kunst, nämlich die, trotz des großstädtischen Gewimmels und des als Chaos erlebten dynamischen Alltags mit dem Leben in der Metropole Paris zurechtzukommen. Die norddeutsche Heidelandschaft, aus der Rilke kam, war der pure Gegensatz. Und so erstaunt es nicht, daß sich Rilke bei seinem Urteil über die Metropole auch von diesen Erfahrungen leiten läßt. An den Worpsweder Maler Otto Modersohn schrieb Rilke am 31.12.1902 von seinem ersten Eindruck des Lebens in Paris: Paris rast wie ein bahnverwirrter Stern auf irgendeinen schrecklichen Zusammenstoß zu. So müssen die Städte gewesen sein, von denen die Bibel erzählt, daß der Zorn Gottes hinter ihnen emporstieg, um sie zu überschütten und zu erschüttern. Zu alledem ist Rodin ein großer, ruhiger, mächtiger Widerspruch. Die Zeit fließt von ihm ab, und wie er so arbeitet, alle, alle Tage seines langen Lebens, scheint er unantastbar, sakrosankt und beinahe namenlos.”. Dieser Brief zeigt, wie sehr sein Urteil geprägt war von einem biblisch-paradiesischen Erwartungsbild, das ihn bei seiner Reise nach Paris begleitet haben mochte. Das moralische Urteil, das er hier über die Stadt fällt, läßt vor diesem Hintergrund eine heile Welt erkennen, die sich noch nicht mit den Errungenschaften der Moderne sündig gemacht hat. Es mochte wirklich die Welt Worpswedes, die scheinbar heile Welt des Barkenhoff und seine eigene Glücksphase in der Lebensgestaltung gewesen sein, die ihn nun so negativ stimmen. Dennoch hat sich Rilke auf seine Art auf die Stadt eingelassen. Die Kunst, das Leben in Paris so angenehm wie möglich zu gestalten, entfaltete sich für den Schriftsteller Rainer Maria Rilke in den Kontakten zu anderen Schriftstellern und Bekannten. Dabei spielte die Kunst Auguste Rodins in ihrer Wirkung auf Rilke eine besondere Rolle. In der Entdeckung der Mentalität dieses eifrigen künstlerisch schaffenden Arbeiters lag neben der noch einzuschätzenden Präsenz der neuen Infrastruktur, der der französischen Großstadt Paris in ihrer Gangart, das herausragende Element. Als der Roman erschien, ließen sich die autobiographischen Züge in der Romanerzählung deutlich erkennen. Die Aufzeichnungen” sind nämlich stellenweise maßgeblich durch Rilke bestimmt und müssen deshalb für die Interpretation der Wahrnehmungen, die uns im Text begegnen, berücksichtigt werden. Und doch unterscheiden sich die Erlebnisse der literarischen Figur des Protagonisten von den biographischen und persönlichen Erlebnissen, den Erfahrungen, die dieser in der Romanhandlung zeigt. Rilke war 1902 nach Paris gekommen. Bis zum Vertragsabschluß mit seinem Verleger Samuel Fischer in Frankfurt am Main und bis zum Erscheinungsjahr seines Tagebuchromans Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge” 1910 waren Jahre vergangen. Betrachtet man die Figur des Protagonisten Malte” als eine dekadente literarische Figur, dann hätte sie den bildungsspezifischen Orten wie den Tuilerien, der Bibliothèque Nationale und dem Louvre, die sicher für Rilke signifikante literarisch relevante Orte in Paris waren, auch entgehen können. Die deutschsprachigen Dichter und Schriftsteller, die nach Paris kamen, fanden dort etwas und gewannen in der Erweiterung ihres Horizonts eine Steigerung des Gefühls für das alltägliche Leben, sowie die Ansätze zu einer freien Selbstentfaltung und eine kulturell sehr interessante, vielfältige Gesellschaft. Aber damit läßt sich nur ein geringer Teil des Romans in den Blick nehmen. Es wurde bereits erwähnt, daß den Roman Reminiszenzen an die dänische Kindheit durchziehen. Diese Abhängigkeiten von der eigenen Vergangenheit sind durchweg auch bei anderen Autoren der Generation spürbar. Aber es kommt noch etwas hinzu: der Eindruck, den andere Autoren mit den Erlebnissen in einer Stadt gemacht und die Art und Weise, wie sie diese literarisch verarbeitet haben. Alle, so läßt sich generalisierend sagen, haben nicht die Stadt um ihrer selbst willen gesehen und erlebt sondern auch immer sich selbst darin gesucht. Die Freiheit der Selbstverwirklichung war eine anspruchsvolle Aufgabe. Indem Rilke nicht nur den Einflüssen seiner Erfahrungen im Umgang mit dem Bildhauer Auguste Rodin und der neuen Umgebung mit ihren Anforderungen statt gab sondern von 1904 bis 1910 auch stark vom Werk des Schriftstellers Thomas Mann inspiriert schrieb, entstand ein eigenwilliger Roman, der über die Aneignung Paris von hinausgeht. Der moderne und eben dekadente Roman ist auch von Thomas Mann inspiriert. Wir haben es also bei dem ursprünglich aus Prag stammenden Schriftsteller Rainer Maria Rilke und seinem Großstadtroman mit weiteren Einflüssen zu tun, die bei der Analyse und Bewertung des Romans eine Rolle spielen und ihn letztlich als eine der Textsorten der literarischen Moderne ausmachen.

Über den Autor

Kirsten Spillner verfasst die vorliegende wissenschaftliche Arbeit vor dem Hintergrund der Studienfächer Germanistik, Romanistik sowie Deutsch als Fremdsprache. Der frühe Umgang mit der Kunst des Jugendstils und der obligatorische Aufenthalt in dem fremdsprachigen Frankreich führen dazu, die Sprachen Französisch und Deutsch miteinander zu verbinden. Es entsteht so eine Studienarbeit, die mit dem Blick des deutschsprachigen Rainer Maria Rilke auf die Metropole Paris beschäftigt. Das Motiv des Sehens ist in der Literatur der Jahrhundertwende sehr stark - ebenso wie es auch der Philosophie und der Psychologie entspricht.

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