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  • Klassische Tradition und realistischer Geist: Liebe und Eigenliebe im Werk Stendhals

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im Zentrum der vorliegenden Studie steht die Darstellung der Liebe und Eigenliebe in Stendhals Erstlingswerk Armance, seinem Hauptwerk Le Rouge et le Noir und dem postum erschienenen Roman Lucien Leuwen. Schon seit dem Mittelalter ist die Liebe Thema der Literatur, und ihre vielfältigen Erscheinungsformen befinden sich seitdem in einem stetigen Wandel. Die für die vorliegende Studie relevante Liebessemantik beginnt sich im 17. Jahrhundert herauszubilden und zeichnet sich durch eine Abkehr von der antiken Auffassung der Leidenschaften als einem krankhaften Zustand der Seele ab. An die Stelle der Leidenschaften als das Leidentliche und Passive tritt nun die Aktivität der passions. Die passions drücken ein heftiges und leidenschaftliches Gefühl der Liebe aus und grenzen sich dadurch gegenüber dem sentiment, dem natürlichen Gefühl, welches nicht mit einer solch starken Begierde verbunden ist, ab. Im Vordergrund dieser Untersuchung steht Stendhal, welchem schon früh viel an der Schulung zur Erkenntnis des Tatsächlichen lag, obwohl zahlreiche literarische Traditionen weitergeführt wurden. Auch die Untertitel seiner beiden ersten Romane Quelques scènes d’un salon de Paris en 1827 und Chronique de 1830 belegen Stendhals Wahrheits-Topos und seine Absicht authentische Sittenbilder der Gegenwart zu konzipieren. Worin der Stendhalsche Realismus genau besteht wird ein weiterer Aspekt der vorliegenden Untersuchung sein.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.5, Der Stendhalsche Realismus: Die Spiegelmetapher: Über den Stendhalschen Realismus, welchem ausgehend von der berühmten Spiegelmetapher große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist man in der Sekundärliteratur verschiedener Meinung. Außer Frage steht, dass Stendhals Absicht - wie er im zweiten Vorwort zu Lucien Leuwen selbst äußert - darin besteht, ‘de peindre les habitudes de la société actuelle’ (LL 24), welches den Schluss zulässt, seine Romane als ‘Zeitdokument[e]’ zu betrachten. Dies unterstreichen zudem die Untertitel seiner beiden ersten Romane Chronique du 1830 und quelques scènes d’un salon de Paris en 1827 sowie eine Passage aus dem von Stendhal selbst verfassten Projet d’un article non publié sur le Rouge et le Noir: ‘Il a osé peindre l’amour de Paris. Personne ne l’avait tenté avant lui. Personne non plus n’avait peint avec quelques soins les mœurs données aux Français par les divers gouvernements qui ont pesé sur eux pendant le premier tiers du XIXe siècle’. Die Meinungen bezüglich des Stendhalschen Realismus teilen sich jedoch, wenn es um eine nähere Betrachtung der im 19. Kapitel des zweiten Buches von Le Rouge et le Noir auftretenden Spiegelmetapher geht: Hé, monsieur, un roman est un miroir qui se promène sur une grande route. Tantôt il reflète à vos yeux l’azur des cieux, tantôt la fange des bourbiers de la route. Et l’homme qui porte le miroir dans sa hotte sera par vous accusé d’être immoral! Son miroir montre la fange, et vous accusez le miroir! Accusez bien plutôt le grand chemin où est le bourbier, et plus encore l’inspecteur des routes qui laisse l’eau croupir et le bourbier se former (RN 479). Auf der einen Seite stehen jene Autoren, welche Stendhals Romanästhetik in einer mimetischen Wirklichkeitsspiegelung sehen, die mal das Schöne und mal das Hässliche abbildet, das heißt mal ‘das Blau des Himmels, mal den Schlamm der Drecklöcher auf der Straße’. Dies erscheint zunächst plausibel, wenn man die Spiegelmetapher außerhalb ihres Kontextes betrachtet und stimmt außerdem mit dem allgemeinen Begriff des Realismus überein, welcher laut Heitmann ‘die gesamte Wirklichkeit, und gerade auch die niedere erfassen will.’ Auf der anderen Seite jedoch verliert diese Sichtweise an Ausschließlichkeit, wenn die Spiegelmetapher in ihrem textuellen Zusammenhang gesehen wird. Schon die Aufforderung des Erzählers, ihn nicht wegen unmoralischer Darstellungen zu beschuldigen, lässt die Passage eher als Entschuldigung erscheinen und lenkt von der eigentlichen Spiegelfunktion ab. Zaiser und Warning betonen diesbezüglich, dass es Stendhal gar nicht so sehr um eine Wirklichkeitsspiegelung geht, sondern eher darum, die Imagination zu betonen. Wo Ersterer von einer ‘ambivalenten Mimesis’ ausgeht, spricht Letzterer von einem Spiegel, welcher nur Fiktion widerspiegelt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Abschnitt, welcher jenem der Spiegelmetapher vorausgeht. Hier mischt sich der Erzähler in das Geschehen ein, um die ‘mouvements de folie qui dégradent le caractère de Mathilde’ (RN 478ff) zu entschuldigen: ‘Ce personnage est tout à fait d’imagination, et même imaginé bien en dehors des habitudes sociales qui, parmi tous les siècles, assureront un rang si distingué à la civilisation du XIXe siècle.’ (RN 479) Mit dieser Entschuldigung stellt der Erzähler den Charakter Mathildes also als ein Produkt der Imagination hin, sodass diese ganz offensichtlich in einen Gegensatz zur vermeintlich realistischen Abbildung der Wirklichkeit tritt, und überdies erklärt er ihre Person wenig später als ‘impossible’ in dieser Zeit. Er schließt seinen Kommentar mit der Aussage, dass er nun, nach dieser Feststellung, unbekümmerter fortfahren könne mit dem ‘récit des folies de cette aimable fille’ (RN 479). Diese Aussagen sind nicht ganz frei von Ironie und Widersprüchen, da einerseits die realistische Widerspiegelungstheorie mit der Abwertung von Mathildes Charakter wieder in ein positiveres Licht gerückt wird, andererseits aber mit der Fortsetzung des Erzählens ihrer ‘Verrücktheiten’ ihre Person eine erneute Aufwertung erfährt. Außerdem wird mit der Protagonistin die Funktion des Spiegels überhaupt in Frage gestellt, da dieser die fiktive Mathilde abbildet und nicht die Realität. Somit spiegelt der Spiegel, was Stendhal vorgibt - sei es Fiktion oder Wirklichkeit. Dass dabei die Imagination den Vorzug genießt, unterstreichen ferner zwei Stellungnahmen Stendhals. Zum einen in Le Rouge et le Noir, wo der Autor sich zu Wort meldet: ‘La politique au milieu des intérêts d’imagination, c’est un coup de pistolet au milieu d’un concert. Ce bruit est déchirant sans être énergique’ (RN 502ff), zum anderen im Vorwort zu Lucien Leuwen: ‘Mais L’auteur pense que, excepté pour la passion du héros, un roman doit être un miroir’ (LL 23). Das heißt also, dass Stendhals Vorstellung vom Roman als Spiegel der zeitgenössischen Realität mehrere Ausnahmen zulässt. Einerseits nämlich, wenn es sich um seine fiktiven Personen und die Imagination allgemein handelt. Andererseits, wenn es um die starken Leidenschaften geht. Somit kann man abschließend mit Karl-Heinz Bender behaupten, dass die hier zu behandelnden Romane ein ‘verzerrtes Spiegelbild’ der zeitgenössischen Gesellschaft liefern, durch welches die Widerspiegelung der Restaurationsgesellschaft zweifellos an Bedeutung verliert, aber dennoch nicht negiert werden kann.

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