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Kunst & Kultur

Nick Büscher

Mythos in der Postmoderne: Christoph Ransmayrs Die letzte Welt

ISBN: 978-3-8366-9248-9

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 82
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Untersuchung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Mythos und Postmoderne und stellt Christoph Ransmayrs Die letzte Welt im Rahmen einer textnahen Analyse in den Kontext der postmodernen Mythos-Rezeption. Mit der Letzten Welt macht Ransmayr den Mythos in Form der Ovidischen Metemorphoses zum Thema der deutschen Gegenwartsliteratur und rehabilitiert den mythischen Stoff. Hans Blumenbergs maßgebliches theoretisches Werk Die Arbeit am Mythos legitimiert die postmoderne Kehrtwende hinsichtlich der Bewertung des Mythos für die Literatur. Der Mythos scheint vom ideologisch-totalitären und antirationalen Generalverdacht rehabilitiert. Das lange geltende Diktum Vom Mythos zum Logos gilt in der Postmoderne nicht mehr uneingeschränkt und erfährt seine Relativierung. Die allgemeinen Tendenzen postmoderner Literatur werden zu Geburtshelfern eines neuen Zugangs zu den mythischen Stoffen, so die hier vertretene These. Intertextualität, Mehrfachkodierung, Autoreflexivität, Ironie und Rhizomstruktur als konstitutive Elemente der postmodernen Literatur vereinigen sich auf sinnfällige Art und Weise mit dem Mythos. Auch der postmoderne Spielbegriff und der Tod des Autors werden im Zusammenhang mit der Mythos-Rezeption evident. Der spielerische und zwanglose Umgang mit der mythischen Stofftradition sowie der postmoderne Verlust der legitimen Autorschaft und die Verpflichtung zur Arbeit am Mythos sind für Christoph Ransmayrs Die letzte Welt konstitutiv, wie die Untersuchung zeigt. In Auseinandersetzung mit Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Dialektik der Aufklärung bewahrheitet sich die These: Als Roman über und mit dem Mythos steht Die letzte Welt in der Tradition von Blumenbergs Arbeit am Mythos, als Roman der Krise aber zugleich in derjenigen der Dialektik der Aufklärung. So oder so wird der Mythos-Rezipient zu einem Doppelagenten, wie ihn Leslie Fiedler in seinem programmatischen Aufsatz Überquert die Grenze, schließt den Graben! für die postmoderne Literatur fordert, der sich zwischen der Welt des freien intertextuellen Spiels, des Wunderbaren und der geschichtlichen Verantwortung bewegen muss.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Im Spiegel der Aufklärung reflektiert der Mythos: Dialektik der Aufklärung (1947): Nichts ist sich selber in dieser Welt, alles ist Lüge. Wenn wir Gesetz sagen, meinen wir Macht sprechen wir das Wort Macht aus, denken wir an Reichtum, und kommt das Wort Reichtum über unsere Lippen, so hoffen wir, die Laster der Welt zu genießen. Das Gesetz ist das Laster, das Gesetz ist der Reichtum, das Gesetz sind die Kanonen, die Trusts, die Parteien was wir auch sagen, nie ist es unlogisch, es sei denn der Satz, das Gesetz sei das Gesetz, der allein die Lüge ist. Die Mathematik lügt, die Vernunft, der Verstand, die Kunst, sie alle lügen. Edith Marlok, Lagerhäftling im Vernichtungslager Stutthof und Assistentin des sadistischen Lagerarztes Emmenberger, drückt in Friedrich Dürrenmatts Der Verdacht die Desillusionierung aus, die im Antlitz der Barbarei von Shoa und Weltkrieg herrscht. Die Aufklärung, die fast drei Jahrhunderte das kulturelle und geistige Schaffen der westlichen Hemisphäre bestimmt hat, zerschmettert an der Grausamkeit des 20. Jahrhunderts. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno gehen der Frage nach, wie es zu dem Rückfall in die Barbarei kommen konnte. Dabei folgt die Dialektik der Aufklärung nicht dem am Fortschrittsgedanken orientierten Schema Vom Mythos zum Logos, sondern die Mythen, die der Aufklärung zum Opfer fallen, waren selbst schon deren eigenes Produkt. Der kritische Blick auf das Projekt Aufklärung als das Projekt der Moderne fällt insbesondere auf den Bereich der instrumentellen Vernunft, der sich dialektisch gegen die Aufklärung selbst wendet: [D]er Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten. Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt. […] Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt. Rücksichtslos gegen sich selbst hat die Aufklärung noch den letzten Rest ihres eigenen Selbtbewußtseins ausgebrannt. Nur solches Denken ist hart genug, die Mythen zu zerbrechen, das sich selbst Gewalt antut. In das Zentrum der Kritik gerät vorderhand die Totalität, mit der die Aufklärung (im weitesten Sinne seit den Vorsokratikern) gegen alles vorgeht, [w]as dem Maß von Berechenbarkeit und Nützlichkeit sich nicht fügen will . Gegen den Pluralismus lässt die Aufklärung nur das gelten, was sich in ein System einordnen lässt. Doch der Mythos selbst ist bereits Bestandteil der Aufklärung, so die Einsicht Horkheimers und Adornos, denn er will schon aufzeichnen, berichten und erklären. Die antiken Mythen selbst sind bereits Bestandteil der menschengemachten Unterwerfung der Welt, [a]n die Stelle der lokalen Geister und Dämonen war der Himmel und seine Hierarchie getreten . Mit der selbstauferlegten Unterwerfung des Menschen unter ein göttliches Prinzip schwindet jedoch auch die Distanz und es sinkt die Scheidung von Gott und Mensch zu jener Irrelevanz herab , die man Anthropomorphismus nennt. Die Ratio wird zum obersten Prinzip erklärt, der menschliche Verstand entfremdet sich als instrumentelle Vernunft von der Natur und gebietet fortan über sie. Die Möglichkeit der Manipulation der Natur, die von der Vernunft nur noch als Objekt wahrgenommen wird, ist das einzig verbleibende Bindeglied zwischen Mensch und Natur. Dem aufgeklärten Mythos stellt die Dialektik der Aufklärung die animistischen Riten gegenüber, die sich an die Heterogenität des Daseins wenden: Die Riten des Schamanen wandten sich an den Wind, den Regen, die Schlange draußen oder den Dämon im Kranken, nicht an Stoffe oder Exemplare. Doch der Weg der archaischen Riten zum Mythos und letztlich zur instrumentellen Vernunft ist unweigerlich. Die Zauberei als mimetischer Versuch der Weltbeherrschung schlägt um in die reale Weltbeherrschung. Den Prozess der Aufklärung hat der Mythos selbst in Gang gesetzt, die unabänderlichen Orakelsprüche und die Schicksale der Götterhierarchien schreiten in den rationalistischen Systemen und der alles beherrschenden Logik als ihrem obersten Prinzip fort. Doch [w]ie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie. Wie vollzieht sich diese Wendung? Die alles verzehrende Aufklärung vertilgt nach den Symbolen auch die Allgemeinbegriffe, so dass zum Schluss nur noch die abstrakte Angst vor dem Kollektiv übrig bleibt. Die Aufklärung lässt dabei das dialektische – im Sinne Horkheimers und Adornos das selbstreflexive und vor der Lüge schützende – Prinzip vermissen. Als totalitäres System mathematisiert die Aufklärung die Welt. Die Gleichsetzung von Denken und Mathematik führt zur Verabsolutierung dieser. Letztlich wird das Denken des Menschen zu einem selbsttätig ablaufenden, automatischen Prozeß, der Maschine nacheifernd, die er selber hervorbringt, damit sie ihn schließlich ersetzen kann. Nachdem das Denken zu einem Werkzeug geworden ist, dessen Bannkreis sich allein durch den Bereich der Naturbeherrschung definiert, wird auch das Subjekt vernichtet. Der mathematische Formalismus führt dazu, dass am Unmittelbaren festgehalten wird und der Gedanke zur Tautologie gerinnt. Dies ist der dialektische Umschlag in den Mythos: Denn Mythologie hatte in ihren Gestalten die Essenz des Bestehenden: Kreislauf, Schicksal, Herrschaft der Welt als die Wahrheit zurückgespiegelt und der Hoffnung entsagt . Dies hat, so die Folgerung von Horkheimer und Adorno, gravierende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung. Das gesellschaftliche Unrecht wird zur Tatsache, das Subjekt wird als Bestandteil eines Kollektivs zum Objekt degradiert. Das Individuum wird nach dem Vorbild der technischen Apparatur umgeformt. Nachdem das Denken und mit ihm auch die Vernunft zum Werkzeug wurde, wird das Subjekt in dem technischen Prozess ebenfalls zum Werkzeug, die letzte unterbrechende Instanz zwischen individueller Handlung und gesellschaftlicher Norm [ist] beseitigt. Das gesellschaftliche Miteinander nimmt einen Zwangscharakter an, der nur noch zwischen Überleben und Niedergang entscheiden lässt. Aufklärung generiert zur Herrschaft, als Entscheidung zwischen der Unterwerfung der Natur und unter die Natur. Die Ausbreitung der bürgerlichen Warenwirtschaft wird zum Garant des Erfolges der neuen Barbarei, die den Zwang zur gesellschaftlichen Herrschaft über die Natur inthronisiert. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung sowie die voranschreitende Technisierung fixieren nicht nur die Instinkte durch selbstauferlegte Unterdrückung, sondern lassen auch die Phantasie verkümmern, vor allem aber führt der Zwang zur Einstimmigkeit zu einer Verarmung des Denkens . In diesem Spannungsfeld zwischen Selbstbeherrschung und Herrschaft wird der Mensch zum bloßen Gattungswesen, zum Kollektivwesen degradiert, dessen Qualitäten zu Funktionen degenerieren. Das Denken verliert in solch einer Gesellschaft, in der die logische Notwendigkeit nicht Wahrheit, sondern lediglich Herrschaft bedeutet, die Gabe der Reflexion: [D]ie Maschinerie verstümmelt die Menschen heute, selbst wenn sie sie ernährt. Das dialektische Prinzip tritt in brutalster Weise zutage, wenn die Vernunft angesichts gesellschaftlicher Gewalt obsolet wird, während sich der Mensch der Naturgewalt mehr und mehr entzieht. Die Selbstaufhebung der Aufklärung hat sich schließlich vollzogen, wenn sich die Preisgabe des Denkens erfüllt hat.

Über den Autor

Nick Büscher, B.A., wurde 1984 in Rinteln (Niedersachsen) geboren. Sein Studium im Fächerübergreifenden Bachelorstudiengang (Germanistik, Philosophie) an der Leibniz Universität Hannover schloss er im Jahre 2008 erfolgreich ab. Schwerpunkte des Studiums im Bereich der Germanistik waren insbesondere die Literatur der Postmoderne und die deutsche Gegenwartsliteratur, die in die vorliegend behandelte Thematik der Rezeption des Mythos in der Postmoderne mit einfließen konnten. Die intensive Beschäftigung mit einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Romane der Gegenwartsliteratur, Christoph Ransmayrs Die letzte Welt, hat ihn dazu motiviert, sich dem Thema des vorliegenden Buches zu widmen.

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