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  • Wegbereitung oder Widerspruch? Kants Transzendentalphilosophie und die heutige Evolutionstheorie

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Dieses Buch untersucht das Verhältnis von Kantischem Denken und einer evolutionären Perspektive auf die Welt. Kann man transzendentalphilosophisches und evolutionäres Denken sinnvoll aufeinander beziehen oder bilden sie von Haus aus einen unüberbrückbaren Gegensatz? War Kant sogar, wie manchmal behauptet wird, ein Vorläufer Darwins , oder eher ein unbelehrbarer Verfechter einer an der starren Unveränderlichkeit biologischer Arten orientierten und damit antievolutionären Naturphilosophie? Ist insbesondere Kants teleologische Deutung von Organismen mit evolutionär-biologischem Denken prinzipiell unvereinbar oder sogar ein Wegbereiter heutiger systembiologischer Ansätze? Lässt sich Kants transzendentaler Idealismus mit einer evolutionären Erkenntnistheorie vereinbaren? Inwiefern ist gerade Kants Geschichtsphilosophie geprägt von einem durch evolutionäre Dynamik bestimmten Bild geschichtlicher Prozesse? Diesen Fragen geht Stefan Schütze in seiner neuesten Veröffentlichung nach und führt die Ergebnisse und Perspektiven der verschiedenen, teils sehr widersprüchlichen Veröffentlichungen, die er zu diesem Themenbereich gefunden hat, zu einem komplexen und differenzierten Gesamtbild zusammen.

Leseprobe

Textprobe: Versuch einer differenzierten Lektüre von Kants Überlegungen zur Naturteleologie: Betrachtet man den komplexen und differenzierten, nicht-metaphysischen und nicht-physikotheologischen Charakter von Kants Überlegungen zu einer möglichen Naturteleologie, so ergibt sich m.E. eine deutlich andere Bewertung als die von Lovejoy oder Ruse. Ruse selbst gesteht ja ein, dass Kant darin Recht hat, dass eine biologische Erklärung von Organismen auch ihre ‘forward looking complexity, the teleology of the living world’ einschließen muss. Nur meint er, dass Kant diese immanente ‘teleology of the living world’ letztlich immer noch zumindest auf der noumenalen Ebene mindestens latent supranaturalistisch und physikotheologisch erkläre, wenn er eine rein ‘mechanistische’ Erklärung für unzureichend hält. Kann man aber auch in einer heutigen systembiologischen und komplexitätstheoretischen Perspektive nur entweder mechanistisch oder supranaturalistisch denken? Hat hier nicht gerade Kant schon früh einen anderen, ‘dritten Weg’ gewiesen? Paul Natterer betont in diesem Sinne, dass Kants Einsicht in die Bedeutung der teleologischen Urteilskraft für eine plausible Erklärung organischer und biologischer Systeme auch bei einer evolutionären Betrachtung des Lebens unverzichtbar bleibt, selbst wenn Kant selbst sich noch keine evolutionäre Entwicklung der Arten im Sinne Darwins vorstellen konnte. Doch ‘(a)uch die Evolutionstheorie muss ‚dem Mutterschoß der Erde‘ und ihrem ursprünglich ‚chaotischen Zustande‘ eine ‚auf alle diese Geschöpfe zweckmäßig gestellte Organisation beilegen …‘, wenn sie die biologischen Eigenheiten von Organismen, ihren Charakter als ‘selbstorganisierte Wesen’, überhaupt konsistent verstehbar machen soll. Weiter ausgeführt wird dieser Gedanke von Daniel Kolb in seinem Essay ‘Kant, Teleology, and Evolution’. Kolb stimmt den Neodarwinisten darin zu, dass Darwins Evolutionstheorie ‘allows the extension of mechanical explanations to organic beings’, also zu einem ‘completely mechanical account of the origins and structures of organisms” führt, ‘eliminating once and for all appeals to non-mechanical forces in biology”. Damit sind, so Kolb, selbstverständlich auch die alten theologischen Vorstellungen eines übernatürlichen Ursprungs der teleologischen Strukturen von Organismen hinfällig. Dass aber für viele Darwinisten damit das teleologische Denken überhaupt, und insbesondere Immanuel Kants philosophisches ‘teleological framework’ für biologisches Denken hinfällig geworden sein sollte, findet Kolb ‘puzzling’: Kants teleologisches Konzept ist ja, so Kolb, ‘(u)nlike the dominant British ideas of teleology’ gerade ‘not theological’. ‘It is a way of interpreting the interrelation of structures and processes in organisms, not an explanation of how organisms originated.’ Darum gibt es, so Kolb, eben gerade keine grundsätzliche Unverträglichkeit zwischen Kants teleologischen Überlegungen und Darwins mechanistischer Naturerklärung. Kant, so Kolb, lehnte zwar das protoevolutionäre biologische Gedankengut seiner Zeit als empirisch unbelegbar ab, aber die Einwände, die Kant gegen eine evolutionäre Überschreitung der Artgrenzen vorbringt, ‘do’ gerade ‘not follow from his idea of teleology’ , sondern seine Überlegungen zu ‘inneren’ bzw. ‘immanenten’ ‘Naturzwecken’ weisen deutlich über seine sonstigen antitransformistischen Vorstellungen hinaus: ‘The guiding principle in judging organic form and processes’, das Kant formuliert, ‘is that nothing in an organism is purposeless everything is organically interrelated. … The processes and structures in organisms essentially require reference to the goal or end that is achieved through them. This goal is the whole organism which is either reproduced, produced, or maintained by the structure or process.” Kants Konzept der Teleologie organischer Strukturen ist also antireduktionistisch, aber nicht antimechanistisch oder antinaturalistisch. Kant sagt, wir können Organismen nicht auf eine mechanistische Betrachtung reduzieren, wir müssen sie betrachten, als ob sie absichtsvoll geschaffen wären. Kant sagt nicht, dass sie tatsächlich eine solche äußere Zweckgebung haben, sondern lediglich, dass der einzige Weg ‘in which we can even remotely hope to gain an understanding’ ihrer inneren, natürlichen Zweckmäßigkeit ‘is through our own experience of purposive activity in our own mental and moral life’. Nicht weil Kant angenommen hätte, es gäbe irgendeinen Grund ‘to assume that there is really anything like this mode of causality in nature itself’, aber weil die Analogie zwischen menschlichem zweckgerichtetem Hervorbringen und dem natürlichen Entstehen zweckgerichteter Strukturen die einzige ist, die wir haben, wenn auch ‘at best a crude one”. Egal, wie weitgehend es uns gelingt, ‘mechanical accounts of events’ zu finden, ‘teleological accounts of the same events are still possible” und sogar unvermeidbar. Es wird immer eine Grenze rein mechanistischer Erklärungen geben. Kant sagt: wir können Organismen im Unterschied zu Maschinen nur zureichend begreifen, wenn wir sie auch teleologisch verstehen. Das schließt die Suche nach mechanischen Ursachen nicht aus, sondern fordert sie vielmehr geradezu heraus. Kants Philosophie der Biologie ‘is capable of supporting a vigorous biological research program’, das nur einen ‘eliminative reductionism” und einen ‘naive vitalism” grundsätzlich ausschließt , aber zu einer sonstigen großen heuristischen Offenheit für natürliche Erklärungen biologischer Prozesse führt. Ähnlich formuliert Ulrich Barth in seinem Aufsatz ‘Transzendentalphilosophie und Evolutionstheorie’: Kants ‘transzendentale Grundlegung der Naturwissenschaft, in diesem Fall ... die Wissenschaftstheorie der Biologie’ erweist sich, bei näherer Betrachtung ‘als erstaunlich modern’, weil sie früh schon die besondere Eigenart biologischer Weltinterpretation gegenüber der physikalischen herausgearbeitet hat. Kant hat damit ‘eine grundsätzliche Neuorientierung dieses Verhältnisses eingeleitet’, indem er gezeigt hat, dass ‘es für die naturwissenschaftliche Erforschung von Leben eigener, über die Physik hinausreichender Begriffe und Prinzipien bedarf. Aber auch in inhaltlicher Hinsicht ist Kants Verständnis der Biologie erstaunlich aktuell, zumal wenn man es ... auf die neueren Theorien der autokatalytischen Selbstorganisation von Leben und der Selbstorganisation von Materie’ bezieht.’ Kants biologisches Grundlagendenken war und ist für die Biologie darin richtungsweisend, dass er den Begriff des ‘Organismus’ ‘nicht morphologisch, sondern strukturell bestimmt hat. Leben erschließt sich nicht von seinen körperlichen Einzelmerkmalen und deren Mechanismen her, sondern allein von dem Funktionszusammenhang, in dem alle Elemente und Prozesse eines lebenden Phänomens zueinander stehen. Organismen sind Gebilde, deren Momente so aufeinander abgestimmt sind, dass sie sich zur Einheit eines Gesamtsystems fügen. Die Ganzheit eines solchen Individuums, und sie alleine, bildet den Zweck seiner einzelnen Teile organische Einheit ist somit teleologische Einheit.’ Dieses von Kant erstmals entwickelte sowohl naturalistische als auch gleichzeitig teleologische Verständnis von Organismen, nach dem Organismen keinen äußeren Zweck haben, sondern eine innere Zweckmäßigkeit, die ‘voll und ganz darin aufgeht, die Wechselwirkung der Teilfunktionen zu steuern’ hat entgegen leider immer noch gegen Kant vorgebrachter Polemiken auch von evolutionsbiologischer Seite ‘schlechterdings nichts zu tun mit der Frage eines Endzwecks der Welt oder der Schöpfung’, und mit physikotheologischen Weltinterpretationen à la Payley, ‘vielmehr handelt es sich ausschließlich um diejenige interne Finalität, ohne die eine selbstbezügliche Ganzheit von Organismen nicht gedacht werden kann’. Kant hat diesen ‘Überschuss’ der biologischen über die rein physikalische Weltbetrachtung bewusst lediglich als ‘methodisches Prinzip bzw. als regulative Idee’ betrachtet, aus der sich keine metaphysischen oder dogmatischen Folgerungen ableiten lassen, weil ihnen im Unterschied zu physikalischen Weltdeutungen keinerlei ‘gegenstandskonstitutive(n)’ Bedeutung zukommt. Diese Grundgedanken Kants sind für die weitere Entwicklung biologischen Denkens bis hin zur heutigen System- und Komplexitätsbiologie entscheidend geworden: ‘Alles Leben hat in diesem Sinn seinen Ursprung in Strukturen der Selbstorganisation’, und ist damit weder physikotheologisch noch rein mechanistisch zu begreifen.

Über den Autor

Stefan Schütze wurde 1962 in Pforzheim geboren. Er ist evangelischer Pfarrer und arbeitet aufgrund seiner Schwerbehinderung (Multiple Sklerose) seit 2004 im Sonderpfarrdienst der Evangelischen Landeskirche in Baden. Seit 2011 veröffentlichte er verschiedene Bücher und Aufsätze zu theologischen und philosophischen Themen. Sein Schwerpunkt liegt auf der Frage nach der Möglichkeit einer heute sag- und tragfähigen Gottesrede, dem interkulturellen und interreligiösen Dialog sowie dem Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft. Immer wieder beschäftigte er sich in seinen Publikationen auch mit der Bedeutung des philosophischen Erbes Immanuel Kants für unser heutiges theologisches und wissenschaftliches Nachdenken. Verschiedene Fäden dieser Beschäftigung nimmt er in diesem Buch wieder auf und führt sie im Rahmen der Frage nach den Möglichkeiten einer differenzierten Verhältnisbestimmung von Kantischem und evolutionärem Denken weiter.

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