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Politik

Simon-Moritz Westen

Endstation Piratenbucht: Eine freie Feldforschung unter Aussteigern in Spanien

ISBN: 978-3-8428-8626-1

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Studie befasst sich mit Aussteigern. Umgeben von Meer und andalusischer Wüste am Rande des Nationalparkes Cabo de Gata befindet sich eine versteckte Aussteiger-Enklave. In Höhlen und Hütten leben die Bewohner in den Tag hinein, in scheinbarer Idylle und Glückseligkeit. Doch was steckt wirklich hinter einem Aussteiger-Leben? Was sind das für Menschen, die der Gesellschaft den Rücken zukehren und ein Leben in Abgeschiedenheit und Einsamkeit führen und wo liegen die Gründe für ihren Ausstieg? Dies galt es für den Autoren dieser Studie herauszufinden und motivierte ihn dazu, insgesamt einen Monat im Aussteiger - Dorf zu verbringen, wo er teilnehmende Beobachtungen durchführte und diese durch ero-epische Gespräche ergänzte. Schnell stellte sich heraus, dass das idyllische Leben in Abgeschiedenheit und Einsamkeit ein Mythos ist und sich der Ausstieg der betreffenden Bewohner aus bürgerlichen Strukturen oftmals nicht freiwillig vollzog. Auf der Suche nach einer neuen Identität aufgrund ihres Lebens am Rande der Gesellschaft und ihrer Stigmatisierung, fanden sie ein neues Leben im Aussteiger – Dorf, welches jährlich immer während der Sommermonate einen enormen Touristenzuwachs erfährt, welchen sich die Bewohner des Dorfes zunutze machen. Durch den Verkauf von Cannabis, Getränken und selbst gefertigtem Schmuck verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt und erfahren gleichzeitig die zuvor verwehrte, soziale Anerkennung. Oft kommt es aber auch zu Konflikten zwischen Aussteigern und Besuchern, die das Dorf verschmutzen und den alteingesessenen Bewohnern gegenüber nicht den nötigen Respekt zollen Auch das Verhältnis zu Behörden ist durch Ambivalenz geprägt. So ist die Besiedlung der Piratenbucht, in der sich die Enklave befindet, illegal. Durch ein inoffizielles System aus Kompromissen mit den Behörden gelang es den Aussteigern bisher ihre Enklave halten zu können. Trotzdem ist die Angst vor einer bevorstehenden Räumung allgegenwärtig.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Über Abhängigkeit und Abscheu: Das Verhältnis zu Touristen: Das Verhältnis der Bewohner zu den Touristen kann am besten als ambivalent beschrieben werden. So erfüllen die Besucher für die Aussteiger wichtige Funktionen: sie bilden eine wichtige Einnahme-Quelle. Ohne den Erlös, den sie aus ihren Verkäufen in den Sommermonaten gewinnen, würden die meisten von ihnen nicht durch den Winter kommen. Ausserdem versorgen die Touristen die Aussteiger mit Informationen, lassen ihnen soziale Anerkennung zu Teil bieten ihnen die Möglichkeit seuxeller Kontakte. Trotzdem kommt es, gerade aufgrund der großen Anzahl an Backpackern und Touristen, die jedes Jahr die Bucht anlaufen, zu Konflikten zwischen den alteingesessenen Bewohnern und Touristen. 5.1, ‘Hippiewatching’ vs. Ehre - soziale Konflikte in der Piratenbucht: Vor allem die meist jungen Backpacker, die hauptsächlich auf Spaß aus sind, stören die Ruhe im Tal. Die lauten Partys in der Nacht rauben den Bewohnern den Schlaf. Hin und wieder kommt es zur Eskalation zwischen Bewohnern und Touristen: ein Video, das auf der Internet-Plattform youtube.com von einem Touristen eingestellt wurde, trägt den Titel: ‘Terrorkatastrophe’ und im Untertitel: ‘(...). Aggressive Hippies beenden das Konzert.’ Die deutsche Elektropunk-Band Mono für Alle hatte sich zu einem spontanen Konzert in der Piratenbucht entschlossen, zu dem sie mit kompletter Ausstattung (u.a. Bühne, Schlagzeug, Verstärker, E-Gitarre- und Bass) anreiste. Im Zuge ihres Konzertes und der ausschweifenden Partystimmung, die sich am Strand ausbreitete, konnten die Bewohner nicht schlafen. Schließlich stürmte einer der Bewohner die Bühne und forderte, unter Androhung von Gewalt und aggressiven Gesten, die Band mit den Worten: ‘All right. And now go to sleep’, auf, das Konzert zu beenden, was diese widerwillig und unter lauten Buh-Rufen des Publikums, schließlich auch tat. Reinhardt, einer derjenigen Aussteiger, die schon seit mehreren Jahren im Dorf leben und der sein Haus in unmittelbarer Nähe zum Strand erbaut hat, beschwerte sich über das beliebte Hobby der Bongo-Trommelei der Touristen: ‘Ich dreh durch, wenn ich das höre. Ich lieg im Bett und versuche zu pennen (...). Wenn sie es wenigstens können würden. Aber sie können es ja nicht einmal. Da ist kein Takt drin, nichts! Und die machen da mit fünf Mann... und keiner kann es.’ Rick empörte sich über die Diebstähle und die Kriminalität, die hauptsächlich in den Sommermonaten begangen werden und für die er die Touristen verantwortlich macht, denn normalerweise wird im Dorf nicht geklaut. Auch beklagte er sich darüber, dass viele der Touristen keinen Respekt vor der Natur und vor den Bewohnern hätten - die extra angefertigten Plumpsklos werden nicht benutzt. Deshalb ist gerade während der Sommermonate das Tal der Bucht nur schwerlich begehbar. Überall stinkt es nach menschlichen Exkrementen. Klopapier hängt in den Büschen, Müll breitet sich aus. Von den Bewohnern aufgestellte Schilder, die den Weg zu den Plumpsklos weisen, werden ignoriert oder gar zerstört. Aber nicht nur die Backpacker benehmen sich daneben. Auch die vielen Jachten und Motorboote, die in der Bucht vor Anker gehen, tragen nicht immer zum Frieden bei: ‘Vor allem die Strände in den Nachbarbuchten sind oft stark verschmutzt, berichtet Rick. Vor allem Schuld sind die Bootstouristen, die mit ihren Jachten vor Anker gehen und dann an Land picknicken und ihren Mist einfach dort liegen lassen. Überhaupt sind Rick (...) die Jachten ein Dorn im Auge, die kommen nämlich nur zum Hippiewatching. Damit meinen sie, dass sie sich manchmal wie im Zoo vorkommen. Oft ist auch nachts auf den Jachten Party angesagt. Die hören dann laute Musik und machen Lärm, so dass die Bewohner schlecht schlafen können.’ Harry beschwerte sich darüber, dass viele der Besucher ihn anscheinend als Kellner verstehen und respektlos behandeln. Auch ich wurde eines Tages Zeuge, wie ein Besucher, der in Harrys Wirtschaft zu Gast war, sich daneben benahm: ‘Als wir draußen saßen fiel mir auf, dass Harry sich nicht als Kellner versteht. Einer der Touristen, der mit zwei Frauen an einer der Bänke saß, schien ungeduldig, weil Harry so lange mit uns und Rick, der auch mal wieder auftauchte, an einem Tisch saß, ohne ihn zu bedienen. Er meckerte Harry auf Spanisch an, was das so lange dauert, bis man bedient wird. Dabei gestikulierte er wild in der Gegend rum, wie ein Sklaventreiber, dachte ich so. Er schien ziemlich aggressiv und machte deutlich abfällige Gesten, kurz dachte ich, er wollte die Hand gegen Harry erheben. Auch Rick hörte auf zu erzählen und beobachtete den Gast misstrauisch und ich dachte schon, gleich fliegen die Fetzen. Harry antwortete irgendwas zurück, was dem Spanier nicht so gefiel anscheinend. Jedenfalls ging Harry dann in die Höhle und kam mit drei Bierdosen zurück, die er dem Spanier überreichte, die dieser grimmig annahm. Harry setzte sich wieder zu uns und murmelte etwas davon, dass er doch kein Kellner sei. Der Verkauf von Bierdosen ist kein richtiger Verkauf. Harry sieht sich eher als Gastgeber. Die Dosen verkauft er nicht, sondern er erwartet dafür eine kleine Spende, die er auf 2 Euro festgelegt hat. Auch erwartet er, dass man seine Dosen selber in den Mülleimer schmeißt und nicht ihn alles alleine rein tragen lässt. Wenn man das nicht tut ist Harry verärgert.’ Harry ist auf die Wahrung seiner Ehre bedacht. Sein Selbstverständnis als Gastgeber drückt sich vor allem darin aus, dass er die Touristen oft lange warten lässt, auch wenn sie offensichtlich ihre Getränke schon ausgetrunken haben. In Bewegung setzt er sich meistens erst, wenn er beobachtet, wie Besucher unruhig vor seiner Höhle stehen und Anstalten machen, sich selbst an seinem Kühlschrank zu bedienen. Aus der Ruhe bringen lässt er sich ungern, auch nicht, wenn seine Wirtschaft sehr belebt ist: ‘In Harrys Bar ist eine ganze Menge los, fast jeder Tisch ist besetzt. Harry lässt die Leute teilweise lange warten und ich frage mich, warum er das tut, denn er könnte doch richtig viel verdienen an so einem Abend. Ich frage ihn danach. Er sagt, dass er keinen Stress möge. Er sagt auch, wenn er dicht ist und keine Lust mehr hat und wenn er schlafen will, dann schmeißt er einfach alle raus. 'Ich habe schon 20 Mann raus geschmissen, das macht mir nichts aus. Wenn ich keine Lust mehr habe, dann müssen halt alle gehen.' Wie ich bereits erwähnte, ist das Verhältnis der Bewohner zu den Touristen sehr ambivalent. Wichtig ist jedem der Bewohner respektvoll, behandelt zu werden. So erzählte Harry, dass er, wenn ihm die Leute gefallen, ihnen anbietet in seiner Höhle zu übernachten. Er erzählte, dass er schon mehr als zehn Personen in seiner Höhle beherbergt hatte. Es handelte sich in diesem Fall um eine Reisegruppe, die während der Wintermonate dem Dorf einen Besuch abstatteten. Sie schätzten den Zeitpunkt des Sonnenunterganges falsch ein und trauten sich nicht, den steilen Pfad nach Las Negras im Dunkeln zurückzulegen. Da sie keine Zelte oder Schlafsäcke dabei hatten, bot Harry ihnen an, die Nacht in seiner Höhle zu verbringen, was diese dankend annahmen. Trotzdem steht Harry nicht allen Besuchern vorurteilsfrei gegenüber, was folgender Protokoll-Ausschnitt verdeutlicht: ‘Ich hatte mir von Harry seine Gitarre geliehen und machte es mir auf einer der Bänke bequem, um ein bisschen zu spielen (...). Während ich spielte, kamen einige Touristen und setzten sich in meine Nähe und hörten mir zu. Ich genoss die Aufmerksamkeit und bemühte mich, besonders schön zu spielen. Irgendwann gab ich die Gitarre weiter an einen der Touristen, der neben mir saß und irgendwie den Eindruck machte, als würde er auch gern mal spielen. Ich überließ ihm die Klampfe und ging in die Höhle, um mir noch ein Bier zu holen. Harry sagte ich, dass ich seine Gitarre mal weiter gegeben habe. Harry sagte 'ok', schien aber nicht begeistert, er schaute misstrauisch zu dem Touristen. Mir wurde bewusst, dass es nicht ok war, die Gitarre einfach so weiter zu geben. Ich hätte Harry zuerst fragen sollen. Ich ging also wieder raus. Der Tourist spielte sowieso nicht lange und ließ die Gitarre nach zehn Minuten liegen und verschwand. Ich brachte die Gitarre daraufhin zurück zu Harry und er war zufrieden damit, sie wieder zu verstauen.’ Problematisch ist das Verhältnis der Besucher zu persönlichem Eigentum der Bewohner. Viele von ihnen sehen die Höhlen und Häuser der Bewohner nicht als deren Privateigentum an, da die Piratenbucht gewissermaßen besetztes Land und deshalb für jedermann zugänglich ist. Folgender Protokoll-Auszug verdeutlicht diesen Konflikt: ‘Rick und Harry zeigten uns den Kaktus auf Harrys Terrasse. Er ist sehr groß und wächst schon durch das Terrassendach. Beide erzählten uns entrüstet, dass schon des Öfteren Touristen sich Teile des Kaktus abbrachen, da sie irrtümlich glaubten, es handelt sich um den berühmten San-Pedro-Kaktus, der psychoaktive Substanzen enthält. Erhitzt man Teile von diesem Kaktus in einem Kochtopf und trinkt anschließend den Saft, wird man high davon. Sie regten sich über dieses Verhalten auf, denn es wäre totaler Quatsch, dieser Kaktus macht nicht high. Sie sind froh, dass unter der starken Sonne der Kaktus sich rasch erholt.’ 5.2, Das Normendilemma: Um Übergriffe seitens der Touristen auf ihr persönliches Hab und Gut zu vermeiden, sind die Bewohner gezwungen, ein Verhaltensmuster an den Tag zu legen, das von ihnen gleichermaßen als unliebsam empfunden wird: Sie stellen Regeln auf, machen diese durch Schilder kenntlich, sie grenzen ihre Grundstücke ein, indem sie sie einzäunen und so signalisieren, dass Touristen dort nichts zu suchen haben. So fiel mir gleich am ersten Tag meines Besuches im Sommer 2010 der große Zaun auf, den ein Bewohner um sein Haus gelegt hat. Die Bewohner versuchen ein Lebensmodell zu konstruieren, das weitgehend ohne bürgerliche Regeln, Statuten und Rituale auskommt. Trotzdem zwingt sie die Notwendigkeit (vor allem die Anwesenheit der Touristen über die Sommersaison) gegen ihre selbst auferlegte Normenlosigkeit zu verstoßen. So zäunen sie ihre Grundstücke ein und stellen Schilder auf, die den Neuankömmlingen die Grundregeln beibringen sollen. Das moralische Dilemma, in dem sie sich befinden, ist den meisten Bewohnern bewusst. Um mit dem Widerspruch fertig zu werden, versuchen sie ihn mit Ironie und Zynismus zu bewältigen. Diese Verhaltensweisen lassen sich nicht nur in ihrem Jargon, sondern auch in der Art und Weise der Gestaltung der Schilder erkennen. So bildet ein Schild, das Carlos angefertigt und auf seinem Grundstück eingepflanzt hat, einen hockenden, seine Notdurft verrichtenden Touristen ab. Neben diesem sieht man eine überdimensionale, drohende Faust, der ein Blitz entfährt. Die teilweise ironische und zynische Sichtweise auf ihr eigenes Verhalten lässt sich oft bei den Bewohnern beobachten, wenn sie Witze über ihr eigenes Verhalten machen. Viele der Schilder dienen aber auch der Warnung vor Unfällen, die sich hin und wieder im Dorf ereignen: ‘Das alte Castell hat einen Turm. Von diesem Turm ist schon zweimal ein Teil abgebrochen. Das erste Mal war vor ein paar Jahren. Harry stand direkt daneben, als es passierte. Das zweite Mal fand im letzten Winter im Dezember statt. Harry erzählte davon, als gerade eine Gruppe Spanier sich von seiner Terrasse aus auf das Castell-Gelände wagte, welches einsturzgefährdet ist. Sie turnten ganz schön rum, auf der Mauer, die teilweise zusammengefallen war. Ich dachte jeden Moment stürzt einer von denen da runter. Harry sagte, er hätte extra Warnschilder aufgestellt, aber keiner würde sich dafür interessieren. Jetzt würde es ihn auch nicht mehr interessieren. Vor drei Jahren ist ein Tourist betrunken abgestürzt, als er auf dem Castell herum kletterte. Er hat sich allerdings nur ein paar Rippen gebrochen.’

Über den Autor

Moritz Westen wurde 1983 in Gelsenkirchen geboren. Während seines Studiums der Publizistik und Kommunikationswissenschaften, das er mit dem Titel des Bakkalaureus der Philosophie abschloss, entdeckte er seine Leidenschaft für die freie Feldforschung und kultursoziologische Themenfelder. 2012 beendete er erfolgreich sein Studium der Soziologie an der Universität Wien mit dem akademischen Grad Master of Arts.

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