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Psychologie


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Obwohl die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) eines der wirksamsten Verfahren zur Behandlung therapieresistenter Depressionen ist, stößt sie in der Öffentlichkeit häufig auf Ablehnung und wird deshalb in den deutschen Kliniken vergleichsweise selten angewendet. Die Ziele der Studie bestehen darin, den aktuellen Meinungsstand im deutschsprachigen Raum zu beleuchten, sowie die Ursachen für das Zustandekommen möglicher negativer Grundhaltungen zu untersuchen. Dieses Buch erstellt einen Fragebogen, um die Einstellung gegenüber der EKT (FEE-EKT) zu erfassen. Die Erhebung umfasst 461 nichtklinische Probanden, 26 depressive, therapieresistente EKT-Patienten und 30 niedergelassene Neurologen und Psychiater.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.1, Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT): Die Elektrokonvulsionstherapie ist eine der ältesten, wirksamsten, aber auch umstrittensten Therapien in der Psychiatrie. Schon im 18. Jahrhundert wurden psychische Erkrankungen mit der Auslösung von Krampfanfällen wirksam behandelt. In den 1930er Jahren verbreitete sich die EKT nach der Erstbeschreibung durch Ugo Cerletti (1938) rasch und etablierte sich als therapeutisches Mittel bei der Melancholie, der Katatonie und der Schizophrenie. Nach Einführung der Antidepressiva und der Neuroleptika in den fünfziger und sechziger Jahren nahm die Bedeutung der EKT allerdings ab. Ab den neunziger Jahren kam die EKT wieder häufiger in Deutschland zur Anwendung, insbesondere durch Publikationen der Wirksamkeit (s. u.) und der Verringerung der Nebenwirkungen durch die Kurzimpulstechnik (Eschweiler et al., 2003). Die EKT beruht im Wesentlichen darauf, dass durch eine kurze elektrische Reizung des Gehirns ein generalisierter Krampfanfall ausgelöst wird. Nach heutigem Kenntnisstand ist die Wirkung der EKT auf neurochemische Veränderungen verschiedener Neurotransmittersysteme zurückzuführen. Die moderne EKT wird mittlerweile unter intensivmedizinischen Bedingungen mit Kurznarkose, Muskelrelaxation, Monitoring der Vitalfunktion, neuen Kurzimpulstechniken und modifizierter Elektrodenlage durchgeführt (Baghai et al., 2003). Die wichtigste Indikation für die EKT ist ein therapieresistentes schweres depressives Syndrom, weil die EKT hier nach wie vor die wirksamste Behandlungsmaßnahme darstellt (z.B. Folkerts, 2000). Es gibt in der Literatur unterschiedliche Definitionen für Therapieresistenz bei depressiven Erkrankungen. Thase und Rush (1999) formulierten fünf verschiedene Grade von Therapieresistenz unter Berücksichtigung medikamentöser Behandlung und EKT. Gemäß Souery und Kollegen (1999) bedeutet Therapieresistenz, dass sich die Symptomatik durch die sukzessive Gabe von mindestens zwei Antidepressiva unterschiedlicher Substanzklassen über jeweils mindestens sechs bis acht Wochen in ausreichend hoher Dosierung bei gesicherter Medikamenteneinnahme des Patienten nicht verbessert. Die Indikation für die EKT stützt sich auf zahlreiche Wirksamkeitsnachweise (z. B. Fink, 2000 Folkerts, 1997a, 1997b). Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Publikation des Task-Force-Reports der American Psychiatric Association (APA) von 2000 mit klaren Belegen zur überlegenen Wirksamkeit der EKT bei der Depression gegenüber anderen Therapieformen hervorzuheben. Trotz dieser Wirksamkeitsnachweise sind die Nebenwirkungen, insbesondere die kurzfristigen kognitiven Nebenwirkungen – wobei v. a. Einbußen des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit diskutiert werden – sowie die hohe Rückfallquote nach Abschluss der Behandlungsserie nicht zu vernachlässigen. 1.2, Die Einstellung gegenüber der EKT: Der Begriff Einstellung kann sozialpsychologisch wie folgt definiert werden: Eine Einstellung ist eine psychische Tendenz, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass man ein bestimmtes Objekt mit einem gewissen Grad von Zuneigung oder Abneigung bewertet (Eagly & Chaiken, 1998). Einstellungen entstehen in der Interaktion mit der Umwelt durch Lernprozesse. Wir sind täglich das Ziel zahlreicher Beeinflussungsversuche über persönliche Gespräche und über Massenmedien, die darauf abzielen, unsere Einstellungen zu ändern oder sie zu festigen. Beim Streben nach kognitiver Konsistenz verändern Menschen oft ihre Einstellungen, um sie mit ihrem Verhalten in Einklang zu bringen (z.B. Petty, Haugtvedt & Smith, 1995). Bei der Fragebogenkonstruktion der FEE-EKT wurde das Drei-Komponenten-Modell der Einstellung berücksichtigt (Jarchow, 2005 – unveröffentlicht Abstract). Das Drei-Komponenten-Modell (vgl. Stroebe, Jonas & Hewstone, 2002) steht für eine Umsetzung des allgemein integrativen Trends innerhalb der Sozialpsychologie und definiert Einstellungen als summarische Bewertungen von Gegenständen durch ein Zusammenspiel von affektiven, kognitiven und konativen Komponenten. Die Elemente des Drei-Komponenten-Modells unterliegen unterschiedlichen Lernvorgängen (Greenwald, 1968 zitiert nach Fischer & Wiswede, 2002, S. 222 ff.). Gegenüber bekannten Objekten entwickeln sich über unmittelbare Belohnungen oder Bestrafungen habitualisierte Verhaltensbereitschaften. Kognitive Elemente werden nach dem Modell von Greenwald vorrangig über Kommunikationsprozesse erworben. Darüber hinaus kommt es zu Einstellungsänderungen, wenn Menschen lernen, den Einstellungsgegenstand mit angenehmen oder unangenehmen Kontexten oder Konsequenzen zu assoziieren. Die sozialpsychologische Forschung beschäftigt sich u.a. mit den Auswirkungen von Einstellungen auf die Informationsverarbeitung und das Verhalten. Es konnte z.B. gezeigt werden, dass Einstellungen auf allen Stufen der Informationsverarbeitung einen Einfluss ausüben, zum Beispiel auf die Aufmerksamkeit oder das Abrufen aus dem Gedächtnis. Oft findet man eine bevorzugte Verarbeitung von einstellungskongruenten Informationen (Frey, 1986 zitiert nach Stroebe, Jonas & Hewstone, 2002, S. 297). Eng mit dem Thema der Einstellung verknüpft ist das Forschungsfeld der Vorurteile. Sie bezeichnen im sozialpsychologischem Sinn Einstellungen gegenüber sozialen Gruppen, vor allem wenn sie negativ sind (Stroebe, Jonas & Hewstone, 2002). Erweiternd lässt sich der Begriff definieren als ‘eine dem Stereotyp nahestehende Einstellung, die kaum auf Erfahrung (Information, Sachkenntnis), um so mehr auf subjektiver Eigenbildung bzw. Generalisierung von Ansichten beruht’ (Häcker et al., 2003). Vorurteile entstehen dadurch, dass fremde Urteile, Ansichten oder Meinungen übernommen werden, ohne ihre Richtigkeit an der Realität zu überprüfen. Eine negative Grundhaltung gegenüber der EKT kann als Vorurteil deklariert werden, denn ihre Wirksamkeit und geringen Nebenwirkungen sind belegt. Weit verbreitete Horrorvorstellungen über die EKT, welcher Unwirksamkeit, bleibende Schäden im Gehirn und Veränderungen der Persönlichkeit nachgesagt werden, sind wissenschaftlich nicht haltbar. Vor allem die siebziger und achtziger Jahre waren geprägt von einer starken Antipathie gegen die als grausam und unmenschlich gebrandmarkte Therapieform. Der Film ‘Einer flog übers Kuckucksnest’ (1975) von Stanley Kubrick, in dem Jack Nicholson mittels unfreiwilliger EKT ohne Narkose für sein nonkonformes Verhalten bestraft wird, trug erheblich zur Vorurteilsverbreitung bei. Die EKT wurde so zum Symbol einer inhumanen und repressiven Psychiatrie. Lawrence Stevens (1998), der aus dem Lager der sog. Antipsychiatriebewegung stammt, brachte die Abwehrhaltung und Vorurteile gegenüber der EKT deutlich zum Ausdruck: ‘Was man früher Elektroschockbehandlung genannt hat, bezeichnet man heute meist als ‚Elektrokrampftherapie’, oft abgekürzt als EKT. Die Bezeichnung ist irreführend, da EKT keine Form der Therapie ist, trotz der Behauptungen ihrer Befürworter. EKT verursacht Gehirnschäden, Gedächtnisverlust und verringert die Intelligenz. (...) Psychiater, die die EKT anwenden, verstoßen gegen den Hippokratischen Eid, der es ihnen verbietet, Patienten zu schädigen, und sie machen sich einer Form ärztlicher Kurpfuscherei schuldig. Unglücklicherweise haben die meisten Psychiater die EKT angewandt, und der Regierung ist es nicht gelungen, sich ihrer Verantwortung zu erinnern, um uns von dieser schädigenden und irrationalen ‚Behandlung’ zu schützen’. Natürlich ist dies ein extremer Standpunkt, und dessen Einfluss auf die Meinungsbildung der Bevölkerung gegenüber der EKT mag gering sein, aber auch die großen ‘Meinungsmacher’ – Fernsehen, Zeitschriften und Tageszeitungen – verbreiten ein tendenziell negatives Bild der EKT und bedienen die althergebrachten Vorurteile. Ergebnisse einer Zeitungsanalyse in Deutschland zeigten beispielsweise, dass bezüglich der EKT keine prinzipielle Akzeptanz, eine tendenziöse Wortwahl und ein emotionalisierter und unsachlicher Umgang mit dem Thema vorherrschen (Hoffmann-Richter, Alder & Finzen, 1998). Auch in Romanen und Filmen wird die EKT größtenteils negativ dargestellt. Insbesondere amerikanische Hollywoodfilme wie ‘A Beautiful Mind’ (2001) oder ‘Shine’ (1996) zeigen die EKT bis heute als eine brutale, veraltete, unmenschliche Behandlungsmethode ohne therapeutischen Effekt (McDonald & Walter, 2004). Nicht zu unterschätzen sind die Assoziationen mit den Begriffen der Eletrokrampftherapie, Elektrokonvulsionstherapie und der Elektroschocktherapie. Der schon von den Erstbeschreibern Cerletti und Bini als unglücklich angesehene Terminus ‘Elektroschock’ stellt eine gedankliche Nähe zur Folter und dem ‘elektrischen Stuhl’ her (Cerletti, 1956 zitiert nach Folkerts, 1999, S. 146) und fördert damit eine negative Grundhaltung gegenüber der EKT. Im Fragebogen FEE-EKT sollten die Probanden spontane Assoziationen zu der EKT wiedergeben (Item B). Dadurch kann festgestellt werden, was allein das Wort Elektrokrampftherapie für Gedankenverknüpfungen bei Probanden auslöst, die nicht wissen, was die EKT ist. 1.3.3, Der zeitliche Wandel der EKT-Einstellung: Die Anwendung der EKT wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert. Bei der heute in Deutschland angewendeten sogenannten modifizierten EKT erfolgt die Behandlung unter Kurznarkose und Muskelrelaxation (Baghai et al., 2003). Zu einem motorischen Krampfgeschehen kommt es dabei nicht mehr, wodurch negative körperliche Folgen der Behandlung, wie sie früher mitunter vorkamen – Verletzungen reichten bis zu Wirbelbrüchen – heute nicht mehr auftreten. Durch Veränderung der Reizparameter (unipolare Rechteckimpulse statt sinusförmigem Wechselstrom) konnten darüber hinaus die kognitiven Nebenwirkungen der EKT deutlich vermindert, jedoch nicht ganz aufgehoben werden. Die ersten Patientenbefragungen in den 1950er Jahren ergaben, dass die Mehrheit der Patienten die Behandlung als traumatisch erlebten, die Hälfte von 30 mit der EKT behandelten schizophrenen Patienten befürchteten sogar, an der Behandlung zu sterben (Fisher et al., 1953 zitiert nach Eschweiler et al., 2003, S. 119). Die verbesserte Anwendung spiegelt sich mittlerweile deutlich in der EKT-Einstellung von Patienten wider. Nebenwirkungen wurden in jüngerer Zeit seltener berichtet und die Zufriedenheit der behandelten Patienten gegenüber der Behandlung nahm zu (z.B. Goodman et al., 1999). Auch in Fachkreisen erfuhr die EKT einen deutlichen Aufschwung im Meinungsbild der Fachärzte. Inwieweit der Aufwärtstrend weiter fortgesetzt wurde und dies auch auf die öffentliche Meinung zutrifft, wird in dieser Studie zu klären sein.

Über den Autor

Johannes Jarchow wurde 1980 in Berlin-Buch geboren. Sein Studium der Psychologie an der Philipps-Universität Marburg und der Humboldt-Universität zu Berlin schloss der Autor im Jahre 2006 mit dem akademischen Grad des Diploms erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen in der Klinischen Psychologie. Seine Tätigkeit in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen motivierte ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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