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Psychologie

Claudia E. Schmitz

Psychologie des Schwangerschaftsabbruchs in Indien

ISBN: 978-3-8366-6193-5

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 148
Abb.: 19
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Schwangerschaftsabbruch stellt die älteste und universalste Form der Verhütung unerwünschter Geburten dar. Er kann als Vorfahre der inzwischen zahlreichen Techniken und Methoden der Reproduktionsmedizin angesehen werden. In den vergangenen Jahren hat die Abtreibung zahlreiche kontroverse Diskussionen ausgelöst. Gleichzeitig wurde sich seitens verschiedener Interessensgruppen dieses Themas bemächtigt, um religiösen Überzeugungen und ethische Grundeinstellungen zu verbreiten. Die Psychologie des Schwangerschaftsabbruchs ist eng mit religiösen Überzeugungen und ethischen Grundeinstellungen verknüpft, sodass die Betrachtung dieses Themas vor einem spezifischen kulturellen Hintergrund besonders angebracht ist. Vor allem die selektive Abtreibung weiblicher Feten fällt ins Auge und verlangt nach eingehender Auseinandersetzung unter psychologischer Perspektive. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf den indischen Kulturraum. Der aktuelle Forschungsstand aus den Jahren von 1980 bis 2006 wurde mit dem Ziel einer Darstellung und kritischer Würdigung betrachtet. Dabei soll deutlich werden, welche Beachtung der Schwangerschaftsabbruch in Indien erhält und in welchen Zusammenhängen Schwangerschaftsabbrüche in Indien erlebt und behandelt werden. Bestehende Tendenzen und mögliche Lücken im bisherigen Forschungsgeschehen werden für zukünftige Untersuchungen auf diesem Gebiet aufgezeigt.

Leseprobe

Kapitel 9.1, Einstellungen zu Schwangerschaftsabbrüchen: Einstellungsforschung bezieht sich in der Regel auf Konzepte, die zur Bewertung sozialer Sachverhalte dienen. In dem Bemühen, jene Konzepte abzubilden, die Aufschluss über die Bewertung der Abtreibung im sozialen Kontext Indiens geben, stehen in den Jahren zwischen 1980 und 2006 die folgenden fünf Studien. In der Phase der problemorientierten Forschung (vgl. Kapitel 6.2) waren Einstellungsmessungen in Indien in Nachahmung westlich psychologischen Vorgehens populär. Dieses Interesse hat in den letzten Jahren offenbar etwas nachgelassen. Dayal und Kapoor untersuchten mit Hilfe eines für diesen Zweck entwickelten Messinstruments die konnotative Bedeutung der Begriffe abortion und medical termination of pregnancy , um die Reaktionen auf das Thema des Schwangerschaftsabbruchs und dessen Bewertung seitens der Untersuchungsteilnehmer herauszufinden. Nach mehreren Voruntersuchungen mit Hilfe der Technik des Sematischen Differentials nach Osgood wurde schließlich ein Instrument erstellt, welches 360 Ratings von jeder der insgesamt 354 Versuchspersonen erforderte. Männer und Frauen aus dem Süden Delhis, die alle mindestens eine Schulbildung vergleichbar dem Abitur aufweisen konnten, nahmen an der Studie teil. Dayal und Kapoor berichteten, dass die Männer eine signifikant positivere Einstellung als Frauen gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch zeigten, ebenso wiesen ledige Personen eine signifikant positivere Haltung auf als verheiratete. Unter den Verheirateten zeigten diejenigen mit zwei Kindern eine positivere Einstellung als diejenigen mit weniger Kindern. Kein signifikanter Unterschied bestand zwischen verheirateten Frauen mit vorausgehender Abtreibung im Vergleich zu jenen ohne vorherigen Schwangerschaftsabbruch. Weitere statistische Auswertungsverfahren ergaben hohe Ähnlichkeit zwischen den jeweiligen Gruppen und keine bedeutsamen Differenzen. Die Forscher vermuten eine stereotype Einordnung und Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs, wobei der Begriff abortion eher negativ und der Ausdruck medical termination of pregnancy eher positiv besetzt war, sodass Dayal und Kapoor empfahlen, über medical termination of pregnancy zu sprechen, damit eine Verbreitung und Annahme des medizinischen Services leichter ermöglicht wird. Nair und Kurup untersuchten alle 2304 Paare aus zwei zufällig ausgewählten Dörfern in Tamil Nadu sowie 636 zufällig ausgewählte Paare aus städtischer Umgebung. Jeweils einer der Partner wurde mit Hilfe von Interviews befragt, ob er eine unerwünschte Schwangerschaft mit einem induzierten Abbruch beenden würde. 26 % der dörflichen und 30 % der städtischen Bevölkerung zeigten eine positive Einstellung, wo hingegen sich doppelt so viele Personen, nämlich 61 % der dörflichen und 51 % der städtischen Bevölkerung, einem hypothetischen Abbruch widersetzten. Diese Unterschiede erwiesen sich als signifikant. Frauen zeigten sich eher zu einer Abtreibung bereit als Männer (30 % vs. 24,5 %). Je höher der Bildungsstand der Untersuchungspartner, desto positiver gestaltete sich ihre Einstellung gegenüber einem möglichen Schwangerschaftsabbruch. Die Kinderzahl der Familie korrelierte ebenfalls positiv mit der Einstellung gegenüber einer Abtreibung. Insgesamt zeigten Moslems eine leicht positivere Haltung als Hindus. Vaz und Kanekar konfrontierten Studenten der Universität Mumbai beiderlei Geschlechts mit hypothetischen Situationen und schlossen über deren Reaktion auf ihre Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch. Die Untersuchungspartner sollten die Wahrscheinlichkeit einschätzen, mit der sich eine fiktive schwangere Frau in einer bestimmten Situation einer Abtreibung unterzieht und zusätzlich ihre Empfehlung an die Schwangere aussprechen. Beide Aussagen wurden auf einer siebenstufigen Skala als abhängige Variablen erfasst. Die Vorhersage der Versuchspersonen sollte die Lage der sozialen Normen reflektieren, ihre Empfehlung sollte die persönliche Norm abbilden. Die Untersuchungspartner waren im Mittel etwa 18 jährige, unverheiratete Hindus der Mittelklasse. Die Forscher erwarteten von den weiblichen Untersuchungsteilnehmerinnen eine stärker positive Einstellung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen als von den Männern, da Abtreibungen in erster Linie Frauen und die Rechte der Frauen betreffen. Diese Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Der Status der fiktiven Schwangeren stellte sich als wichtigste Variable heraus. Ein Schwangerschaftsabbruch wurde eher einer Frau der Unterschicht empfohlen, möglicherweise wegen fehlender Finanzen oder fehlender Einfühlung der Untersuchungspartner in Belange der Unterschicht. Nach einer Vergewaltigung wurden Schwangerschaftsabbrüche am wahrscheinlichsten eingeschätzt und am stärksten empfohlen, im Vergleich zu unehelicher Schwangerschaft (an 2. Stelle) und ehelicher Schwangerschaft (an 3. Stelle). Männliche Untersuchungsteilnehmer schätzten die Unterbrechung einer unehelichen Schwangerschaft in der Mittelklasse als signifikant wahrscheinlicher ein als einen Abbruch nach einer Vergewaltigung in der Oberschicht. Im Unterschied dazu schätzten weibliche Studienteilnehmerinnen eine signifikant größere Wahrscheinlichkeit für Schwangerschaftsabbrüche nach Vergewaltigung in der Mittelschicht als bei unehelicher Schwangerschaft in der Oberschicht. Vaz und Kanekar betrachteten dieses Ergebnis als unerwartet. Es deutete auf eine aus männlicher Sicht bestehende Empfänglichkeit der Mittelklasse gegenüber einer rigiden Sexualmoral hin, die sich in entsprechenden Sozialnormen niederschlug. Gupte et al. interviewten 67 Frauen aus verschiedenen Dörfen in Pune, Maharashtra, die zuvor durch Teilnahme an Gruppengesprächen Interesse an frauenspezifischen Fragestellungen gezeigt hatten. Etwa 70% der befragten Frauen sahen einen Schwangerschaftsabbruch als ein Recht der Frau über ihren Körper an. Frauen stünde es zu, ihre Nachkommenzahl zu kontrollieren. Abtreibung wurde von fast allen als Mittel in der Not akzeptiert, welches helfen könne, einen Gesichtsverlust zu verhindern. 67 % der Frauen waren der Ansicht, dass auch für Unverheiratete ein leichterer Zugang zu Abtreibungen ermöglicht werden sollte. 90 % der Frauen meinten, dass ein unverheiratetes Mädchen ihre Schwangerschaft beenden sollte, die restlichen 10 % hofften auf eine Heirat, was allerdings Misstrauen der Schwiegereltern über die Konzeption mit sich bringen könnte. Das Versagen von Verhütungsmitteln wurde nur von einigen Frauen als Grund für eine Abtreibung akzeptiert (ca. 35%). Über die Hälfte der Frauen (57%) hielt einen Schwangerschaftsabbruch für gefährlicher als eine Geburt. Im Unterschied zur natürlichen Geburt, die zuhause ohne Arzt stattfindet, befürchteten sie bei dem künstlichen Eingriff einer Abtreibung eine stärkere Schwächung, auch weil im Alltag nicht mit Erholungszeit gerechnet werden konnte. Madhok und Raj führten offene und strukturierte Interviews in Kalkutta durch, um die Einstellung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen insbesondere von Frauen der Unterschicht im urbanen Umfeld zu untersuchen. Zusätzlich wurden einige wenige Ehepartner und Klinikmitarbeiter von zwei bekannten NGO - Einrichtungen Kalkuttas befragt. Von den zwanzig Frauen der Hauptuntersuchung hatten zehn eine Abtreibung erlebt oder planten, einen Eingriff vornehmen zu lassen und zehn hatten diesbezüglich keine Erfahrung. Sie waren im Durchschnitt alle zwischen 25 und 35 Jahre alt, hatten zwei oder drei Kinder und eine minimale Schulausbildung. Vor dem Hintergrund der negativen Einstellung gegenüber Abtreibungen, die in den alten hinduistischen Schriften deutlich wird (vgl. Kapitel 8.2) erwarteten die Forscher bei ihren Untersuchungspartnern eine ähnliche Haltung vorzufinden. Stattdessen ließ sich allerdings ein großer Unterschied zwischen jenen traditionellen Ansichten und den Äußerungen der Interviewpartner/innen feststellen. Die Forscher wunderten sich über die Abwesenheit religiöser und moralischer Urteile in allen Interviews. Auch die Frauen, die Abtreibungen zu vermeiden suchten, verhielten sich nicht aufgrund religiöser Verbote in dieser Weise. Sie wollten medizinische Komplikationen vermeiden, die sie in ihrer Alltagsbewältigung hätten einschränken können. Religiöse Ansichten erschienen den Frauen als Luxus, der nicht mit den alltäglichen Anforderungen, der Realität von Armut und Hunger, zu verbinden war. Ein Kind aufgrund von Nahrungsmangel sterben zu lassen, schien den Frauen vor Gott eine schlimmere Sünde zu sein, als eine Abtreibung durchführen zu lassen. Viele der befragten Personen entbehrten bewusstes Wissen über die klassischen hinduistischen Ansichten. Ihr religiöses Leben konzentrierte sich auf die Ausübung von Ritualen und Familientraditionen, die nicht in orthodoxen Glaubenssystemen verankert waren. Diejenigen, die über entsprechendes Wissen verfügten, was insbesondere auf die Klinikmitarbeiter zutraf, stellten die Bedeutung der alten Schriften für Probleme des heutigen Lebens in Frage. Die Interviewpartner erlebten einen Schwangerschaftsabbruch nicht als Verstoß gegen das dharma (vgl. Kapitel 4.1.1.1). Stattdessen interpretierten sie ihr Wissen über die alten Texte im Kontext der heutigen Alltagsrealität neu. In Übereinstimmung mit der hinduistischen Sicht sahen sich die interviewten Frauen in erster Linie als Mütter, die für das Wohlergehen ihrer Familie zu sorgen hatten, bisweilen auch auf ihre eigenen Kosten. Ihre Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch wurde nicht aufgrund des Bedürfnisses nach persönlicher Freiheit gefällt, sondern aufgrund situationaler Notwendigkeit. Ihre Hingabe an die Mutterschaft rechtfertigte für die Frauen die Entscheidung zur Abtreibung, da dieser Eingriff die Möglichkeit schuf, zum Wohle der ganzen Familie die Anzahl der Kinder zu begrenzen. Die Forscher sahen die im Unterschied zu traditionellen Hinduschriften gewandelte Einstellung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen im Kontext einer größeren Werte- und Gesellschaftsveränderung in Indien. Insgesamt schätzten sie den Einfluss westlicher Vorstellungen für alle Bewohner Indiens heute als verbindlicher ein als früher. Kleine Familien sind populärer, Schulbildung attraktiver und ein Leben jenseits der Armut erreichbarer geworden.

Über den Autor

Claudia E. Schmitz, Diplom Psychologin, Industriekauffrau, Studium an der Universität zu Köln mit den Hauptfächern Klinische Psychologie, Ethnopsychologie und Erziehungspsychologie, weiterer Schwerpunkt Rechtspsychologie. Abschluss 2007. Fachberaterin für Klinische Psychologie und Psychotraumatologie (DIPT), Grundausbildung in Gesprächspsychotherapie nach Rogers (GwG), in Ausbildung zur Yogalehrerin (FG) und Hypnotherapeutin (DGSH). Derzeit freiberufliche Tätigkeit mit Schwerpunkt in Psychologischer Diagnostik auf der Grundlage verschiedener studienbegleitender Fortbildungen.

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