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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Bosnien und Herzegowina ist auch fast 20 Jahre nach Kriegsende ein Staat, der von Instabilität und Ungewissheit geprägt ist. Politik, Gesellschaft und Verwaltung sind noch immer geprägt und nationalistische Kräfte versuchen die Macht zu ergreifen. Inmitten der schwierigen Wirtschaftssituation und dem Versuch die Schrecken des Krieges zu verarbeiten, wächst eine junge Generation heran, welche die Zukunft prägen wird. In der Untersuchung wird eine Perspektive auf die Jugendlichen geboten – ihre Hoffnungen, aber auch Prägungen durch ihre Umwelt werden beleuchtet, um die Atmosphäre in der Bevölkerung zu erkennen und zu analysieren, ob der Balkanstaat noch immer Risiken für Konflikte und Gewalt birgt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.2, Feindbilder bosnisch-serbischer Jugendlicher – eine diskursive Betrachtung: Die vorangegangene Beschreibung verschiedener Faktoren, die zur Bildung von Feindbildern beitragen, ist die Basis für die Untersuchung möglicher Feindbilder bei bosnisch-serbischen Jugendlichen. Das theoretische Konstrukt soll hierbei auf den Sachverhalt in Bosnien und Herzegowina angewandt werden. Dass nur bosnische Serbinnen und Serben betrachtet werden und nicht auch bosnische Kroatinnen und Kroaten, die ebenfalls einen signifikanten Teil der Bevölkerung ausmachen, liegt zum einen daran, dass es diverse Dopplungen bei der Analyse gibt, besonders was den Konflikt zwischen Christentum und Islam betrifft, wobei die bosnisch-kroatische Position moderater gegenüber Bosniakinnen und Bosniaken war, aber auch weil in Kriegszeiten die Aggression von serbischer Seite gezielt gegen Bosniakinnen und Bosniaken intensiv wahrgenommen wurden und zu erwarten ist, dass sozialisationsbedingt eine tiefere Prägung stattgefunden hat als zwischen der serbisch-kroatischen und der bosniakischen Bevölkerungsgruppe. Darüber hinaus gab es noch separate Konflikte zwischen bosnisch-kroatischen und bosnisch-serbischen Gruppen, die den betrachteten Gegenstand zu sehr ausweiten würden. Jugendliche werden bei ihren Entscheidungen in Bezug auf ihre Umwelt, Freunde, Ausbildung, persönliche Beziehungen und Lebensziele von äußeren Umständen wie Technologie, Religion, Wirtschaftssituation und Kultur beeinflusst (vgl. Petrovic 2011: 145), wobei davon auszugehen ist, dass die kulturelle und religiöse Identität durch das persönliche und familiäre Umfeld tradiert wird. Betrachtet man die Stimmung der serbischen Bevölkerungsgruppe, gibt es einige interessante Fakten, die mit in die Diskussion einfließen sollten: 1999 wurde in qualitativen Interviews bosnische Serbinnen und Serben befragt, warum viele von ihnen die multiethnische Hauptstadt Sarajevo verließen und in Gebiete der Republika Srpska zogen, worauf es Tendenzen bei den Antworten gab, dass das soziale Klima nicht mehr angenehm war, aber auch, dass Angst vor Aggressionen von moslemischer Seite vorherrschte sowie Unbehagen über die gestiegene Popularität islamischer Einflüsse und Bräuche (vgl. Armakolas 2008: 86f.). Dieses passt mit der Tatsache zusammen, dass 1998 lediglich 18% der serbischen Bürgerinnen und Bürger Bosnien und Herzegowina als Heimat akzeptierten (vgl. Gromes 2012: 74). 2002 wurde die Befragung von Serbinnen und Serben wiederholt und es zeigte sich, dass sich die Einstellung zum Positiven verändert hatte nachdem viele Befrage aus wirtschaftlichen Gründen nach Sarajevo zurückgekehrt waren und zudem auch Kontakt mit Menschen aus den anderen Bevölkerungsgruppen pflegten (vgl. Armakolas 2008: 95f.). Diese positive Erkenntnis wird von der Erhebung gestützt, dass trotz ethno-nationalistischer Krisen die Akzeptanz des gemeinsamen Staats unter nahezu der Hälfte Serbinnen und Serben vorhanden war (vgl. Gromes 2012: 86). Allerdings kann nicht abgestritten werden, dass ein wesentlicher Teil der bosnischen Serbinnen und Serben sich mit der Nachbarrepublik Serbien identifiziert und Bosnien und Herzegowina nicht als Heimat betrachten (vgl. Andjelic 2012: 123). Bei der Untersuchung von Armakolas zeigte sich zwar, dass nach der Begegnung in der Großstadt Vorurteile und Klischees leichter abgebaut werden, aber bei der Untersuchung von Feindbildern der jungen Generation ist das in zweierlei Hinsicht tückisch: zum einen wird die Tatsache, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung in ländlichen ethnisch getrennten Gebieten wohnt, nur wenig berücksichtigt, zum anderen ist bei der Prägung von Feindbildern der Nachkriegsgenration auch die Einstellung wichtig, die im Elternhaus vertreten wird, damit ist auch die (anfängliche) Skepsis aus Armakolas‘ Erhebung wichtig für die Kreation negativer Konnotation. Die Tatsache, dass Erfahrungen von Jugendlichen aus ländlichen Gebieten mit einbezogen werden müssen, zeigt sich anhand der Überlegung, dass in manchen ländlichen Gebieten, die wirtschaftlich und strukturell schlecht entwickelt sind, Kinder und Jugendliche auf Grund finanziellen Drucks daheim arbeiten müssen, anstatt sich auf ihre Ausbildung zu konzentrieren und mit wirtschaftlicher Armut konfrontiert sind, was zu einer gesellschaftlichen Benachteiligung und einer negativen Prägung des Wertesystems führt (vgl. Petrovic 2011: 146). Vor allem die psychologische Perspektive bietet bei der Überlegung Aufschluss und erklärt warum erwartungsgemäß mit Feindbildern, auch bei der jungen Generation, zu rechnen ist: Berghold erklärte in seinen Publikationen, dass Fremd- bzw. Feindbilder ihren Ursprung auf persönlicher individueller Ebene haben, allerdings in der Gesellschaft auf Grund von Konformitätsdruck und dem gemeinsamen Erleben und Austauschen von Gedanken, von einer größeren Gruppe aufgenommen werden und verstärkt werden (vgl. Berghold 2012: 94). Es ist zu erwarten, dass die heutige junge Generation, die den Krieg nicht miterlebt hat, dennoch negative Prägung in Folge kindlicher Traumata hat, da sie ihre Eltern vom Krieg gebeutelt erlebt haben, was dazu führt, dass eine gewisse unabsichtliche Ablehnung von elterliche Seite vorhanden gewesen sein kann, oder evtl. sogar einer oder gar beide Elternteile im Krieg ums Leben gekommen sind, sodass die emotionale Nähe bei der Erziehung gefehlt haben kann und ein Grund im ethno-nationalistischen Konflikt für den Verlust der Eltern gegeben worden ist. Da nach wie vor die wirtschaftliche und politische Lage in Bosnien und Herzegowina nicht stabil ist und viel Aufholbedarf besteht, kann man davon ausgehen, dass besonders in Gebieten, wo kein Kontakt mit anderen Bevölkerungsgruppen besteht, eine verstärktes Bedürfnis nach einem kollektiven Zusammenhalt aufzufinden ist, aber damit einhergehend auch eine intensivere Abgrenzung von anderen, auf die sowohl die Angst vor materiellem Verlust, als auch die Beschuldigung des Machtverlustes (Abtreten territorialer serbischer Gebiete) der eigenen Gruppe projiziert wird (vgl. Berghold 2007: 96ff.). Fügt man den Aspekt der Glaubenszugehörigkeit hinzu, wirkt es naheliegend, dass für christlich-orthodoxe bosnische Serbinnen und Serben nach wie vor die andersartigen Traditionen und Bräuche des Islams ein Vorwand für den Bestand von Feindbildern sind, die sich folglich gegen moslemische Bosniakinnen und Bosniaken richten. Diese Ansichten können durch die Weitergabe eines historischen Bewusstseins bestärkt werden, das sich darauf bezieht, dass die vergangene osmanische Herrschaft, die dazu führte, dass viele Menschen zum Islam konvertierten, ausschließlich mit Feindschaft, Unterdrückung und kulturelle Ablehnung in Verbindung gebracht wird und Menschen mit demselben Glauben wie die einstigen Unterdrücker noch immer als Bedrohung betrachtet werden (vgl. Steinbach 2008: 56f.). Da es keine signifikanten ethnologischen Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen in Bosnien und Herzegowina gibt, eignete sich die Glaubenszugehörigkeit besonders gut als Vorwand für Feindschaften. Dabei ging es aus psychologischer Perspektive bei den Konfliktbewegungen um die Kompensation von Komplexen und Ängsten infolge des labilen politischen Systems und des niedrigen wirtschaftlichen Niveaus. Diese schwierigen Zustände herrschen bis dato in einem merklichen Ausmaß im Gebiet Bosnien-Herzegowinas vor und betreffen natürlich auch bosnische Serbinnen und Serben. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass die Prägung durch die Familie und die Gesellschaft wesentliche Sozialisationsaspekte sind. Populistische Politiker, eindeutige Positionen in ethno-nationalistischen Medien, sowie die Erzählungen über den Krieg von Seiten der Familie können die Ansichten Jugendlicher insofern beeinflussen, dass Bosniakinnen und Bosniaken als Feinde betrachtet werden, vor allem wenn es keinen Kanal für einen offenen Diskurs, Austausch und Information gibt. Gegenwärtig liegt das Land auf Platz 68 der Rangliste der Pressefreiheit, hat zum Vorjahr zehn Plätze eingebüßt und liegt somit u.a. hinter Burkina Faso, El Salvador und Serbien (vgl. Reporter ohne Grenzen 2013). Dies lässt vermuten, in welch einer schlechten Lage sich die Transparenz der Medien befindet und wie objektiv sie Nachrichten behandeln. Erst Anfang des Jahres zeigten serbische Medien eine Vorhersage ungenannter russischer Experten: Bosnien und Herzegowina sei bis 2035 nicht mehr existent, sondern zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt (vgl. Jukic 2013). Diese Information haben mit Sicherheit auch bosnische Serbinnen und Serben erhalten, was ein Beispiel für das Anstacheln der Konfliktsituation ist. Wichtig ist bei der Betrachtung, dass die Entstehung von Feindbildern nicht vorsätzlich passiert, bosnische Serbinnen und Serben leben zu einem signifikanten Teil in einer schwierigen Umwelt, die solche Entwicklungen begünstigt. Die Ereignisse des Krieges und die Aggression von serbischer Seite dürfen nicht vergessen und abgemildert werden, allerdings muss man anerkennen, dass es faktisch falsch ist von einer kollektiven bewussten Täterschaft auf bosnisch-serbischer Seite auszugehen.

Über den Autor

Alice Greschkow studierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Politologie und Kommunikationswissenschaft sowie Global Studies an den Universitäten Breslau (Polen) und Roskilde (Dänemark). Ihr Fokus liegt in den Bereichen Europäische Integration sowie globale Wirtschafts- und Machtstrukturen.

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