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Soziologie

Helena Jowitsch

Visualisierte Lebensstile. Drei soziologische Muster-Analysen von Werbebildern

ISBN: 978-3-96146-555-2

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Abb.: 13
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Seit Urzeiten nutzen Menschen ikonografische Abbildungen, um individuelle und kollektive Erfahrungen aus der sozialen Praxis, die schriftlich bzw. verbal nicht vermittelt werden können oder wollen, zum Ausdruck zu bringen. Ikonografische Abbildungen der sozialen Praxis – im Besonderen solche, die intentional inszeniert und öffentlich verbreitet sind (Werbefotos) – offenbaren als Dokumentations- und Informationsquellen gesellschaftliche Leitideale, lebensstil-spezifische Werte und Muster sozialer Strukturordnungen der jeweiligen historischen Zeit, die möglicherweise in keinem anderen Dokument verzeichnet sind. Bedingt durch den technologischen Fortschritt, haben Werbebilder eine zunehmend dominierende Präsenz im öffentlichen Raum eingenommen. Dennoch sind Werbefotografien, ungeachtet ihrer signifikanten Bedeutung als Datenquellen, in der qualitativen empirischen Sozialforschung noch Randerscheinungen. Von diesem Hintergrund liegt dieser Studie die Intention zugrunde, anhand der exemplarischen, kontrastiven Untersuchung mehrere Werbebilder einen Beitrag zur sozialen Rolle der Bilder und ihres Stellenwerts als Datenquellen zur Rekonstruktion der sozialen Praxis zu leisten. Erkenntnistheoretisch ist das Ziel der empirischen Untersuchung zu rekonstruieren, welche Lebensstile (lebensstil-spezifische Muster) durch Werbebilder von Kosmetikunternehmen reproduziert werden – d.h. inwiefern diese als visuelle Bühnen symbolisch kodierter, lebensstil-spezifischer (Selbst-)Darstellungen dienen –, und darüber hinaus zu verstehen, wie sich in Bildern die distinktionale Praxis der sozialen Akteure offenbart. Die visuell kodierte Produzentenperspektive und die dahinter verborgenen gesellschaftlichen Weltanschauungen befinden sich im Fokus der empirischen Untersuchung. Zur Bildanalyse werden fixierte Werbebilder herangezogen. Die Decodierung ikonografischer Abbildungen erfolgt dabei nach dem Dreiphasen-Modell von Erwin Panofsky (1978).

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.4. Symbolische Praxis: Wie in vorherigen Absätzen dargestellt, werden Lebensstile anhand der symbolisierten Ausdrucksformen identifiziert und differenziert. Demnach basiert das Konzept der Lebensstile im Sinne von Bourdieu auf zwei Grundelementen: der Distinktion und dem symbolischen Kapital, die im Folgenden detaillierter erläutert werden. 2.4.1. Distinktion: Im engen Zusammenhang mit dem Konzept Lebensstil hat Bourdieu die distinktionale Wirkung der Lebensstile erkannt. Die Distinktion ist ein sozialer Differenzierungsmechanismus, das aus drei Merkmalen besteht: soziale (Selbst-) Verortung, Semiotisierung, Konstruktion und Rekonstruktion der Ästhetik (Diaz- Bohne 2002: 37). Die soziale Verortung bezieht sich auf die soziale Stellung im sozialen Raum. Die Semiotisierung bezieht sich auf die symbolische Ordnung distingierender Objekte. So zielt die symbolische Distinktionspraxis auf die Akkumulierung symbolisch-distingierender Objekte, Werte und Praktiken (Verhaltensweisen) (ebd.: 2002: 39). Die vom Habitus geprägten Praktiken sozialer Gruppen werden nach habituellen Beurteilungsschemata bewertet und anschließend den unterschiedlichen Positionen im sozialen Raum zugeordnet. So werden bestimmte Verhaltensarten, Gegenstände und Wertorientierungen mit bestimmten Gruppen in Verbindung gebracht. Die teueren Luxusgüter und exklusive Sportarten werden z.B. mit sozial Privilegierten, der ökonomischen Elite assoziiert. Die kultivierten Formen der Askese, der Besitz avantgardistischer Kunstobjekte werden der kulturellen Elite zugewiesen (Bourdieu 1982, zitiert nach Diaz- Bohne 2002: 39). Von diesem Hintergrund besteht der Sinn des Lebensstiles darin, mittels der symbolisch verpackten kulturellen Werte und Normen (symbolische Kapitalien), einen möglichst großen Distinktionsgewinn zu erzielen. In diesem Zusammenhang konstruiert Bourdieu zwei Distinktionsrichtungen: vertikale und horizontale. Die vertikale grenzt primär herrschende, bürgerliche und beherrschte Klasse voneinander ab. Dies bezieht sich auf die hierrarschisch strukturierte Bewertungsmuster. Das bedeutet, dass die sozialen Aktuere durch die vertikale Decodierung erfahren, in welcher sozialen Rangordnung lebensstil - spezifische Werte und Ausdrucksmuster anerkannt sind. Umso höher die Bewertung ausfällt, umso erstrebenswerter wird ein Lebensstil. Beispielsweise hat in vielen Kulturen die Bildung einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Das Bildungsniveau zeigt sich im sprachlichen Ausdruck. So werden abstrakte Begriffe mit intelektuellen Lebensstilen assoziert und gleichzeitig wirken diese als distingierende Elemente zu anderen Lebensstilen. Um auf die Beispiele von Bourdieu, Veblen und Michailow, die in vorherigen Absätzen erwähnt wurden, zurückzukehren, ist beispielsweise in der postmodernen, westlichen Gesellschaft ein hedonistischer Lebensstil, welcher sich im extensiven Konsum von symbolischen Gütern offenbart, sozial erwünscht. Die horizontale Distinktion grenzt die ökonomisch reiche soziale Gruppe als herrschende Klasse, von der beherrschten kulturellen Kapitalgruppe, ab. Hier wird zwecks des distinktionalen Vorteils (Gewinns) das symbolische Kapital strategisch eingesetzt, um in einem Klassenkampf (Bourdieu 1985: 74) auf der symbolischen Ebene, den eigenen Lebensstil als legitim, d.h. gesellschaftlich anerkannt, durchzusetzen. Zu diesem Zweck schließen sich die Lebensstilgruppen aus Gleichgesinnten zusammen, die sich von anders Gesinnten abgrenzen. Diese Form solidarischer Beziehungen, die Münch (1991: 157) als gemeinschaftliche Vereinigung durch gemeinschaftliche Abschließung bezeichnet, werden durch gemeinsame und habitualisierte kulturelle Symbole, Vorstellungen und Werte hervorgebracht. Die stilisierte und habitualisierte Verwendungen des symbolischen Kapitals trägt somit zur sozialen Abschließung bei (Münch 1991: 157). Demnach konstruieren sich durch die Vergleichspraxis, im Sinne von Selbst und Fremd Zuordnungen, die sozialen Identitäten und die distinktiven Verhaltensweisen. Die Selbst-Fremdverortung im sozialen Raum bildet die Basis für, sowohl kollektive wie auch subjektive, Strukturierung der sozialen Welt (Hölscher 1998: 301). Es soll hier betont werden, dass die Reproduktion distingierender lebensstil - spezifischer Muster und Werte kein statisches Konstrukt ist. Da symbolische Codierungen dem kulturellen und historischen Wandel unterliegen, ändern sich auch die Lebensstile und damit verbundene soziale Normierungen. Ebenso erzeugt die massenhafte Verbreitung von stilisierten Mustern für ihre Transformation. Wenn von einer Elite propagierter Lebenstil die massenhafte Nachahmung findet, dann wird der Zwang zur Erneuerung der Ausdrucksmittel (Bourdieu 1970: 65) wirksam. Denn für ein funktionierendes Distinktionssystem: muss sich ein Stil mit der Notwendigkeit wandeln, sobald dieser vollständig verbreitet ist, weil er ein Unterscheidungszeichen ist, das nicht allgemein werden dürfte, ohne seinen Wert zu verlieren (Bourdieu 1983: 63). Somit werden neue symbolische Elemente, die einen neuen Lebenstil generieren, erfunden und die distinktionale Wirkung erneut hergestellt. Daher ist die soziale Abschließung ein Wandlungsmotor, welcher die soziale Ordnung neu konstruiert. Dabei bewirkt der Wandel nicht nur Verluste bestehender Werte sondern generiert ebenso neue (z.B. ökologisch-biologische Gesinnung). 2.4.2. Symbolisches Kapital: Um ihre soziale Kraft zu entfalten, müssen lebensstil - spezifische Werteorientierungen nach Außen vermittelt werden, d.h. Lebensstile müssen im sozialen Raum sichtbar werden. Wie es bereits angedeutet wurde, zeigen sich Lebensstile in distinktiven Stilmerkmalen (Richter 1994: 173f.), wie z.B. Luxusgüter, Theater- Boutiquebesuche, Lesen bestimmter Literatur. Allerdings wirken diese in der sozialen Strukturordnung nur dann distingierend, wenn sie symbolisch aufgeladen und somit der Ausdruck des symbolischen Kapitals sind (z.B. auschließlich Luxusgüter oder Markenartikel konsumieren oder in der Boutique einkaufen). Bourdieu hat bereits, in seinen ersten empirischen Studien über der kabylischen Gesellschaft, im symbolischen Kapital, als wahrgenommene und als legitim anerkannte Form des ökonomischen und sozialen Kapitals (Bourdieu 1985: 11), eine ausprägend wirksame (distinkionale) soziale Kraft erkannt. So schreibt Bourdieu: Nichts wäre irriger als die Annahme, dass der symbolische Aspekt der Handlung nichts außer sich selbst bedeutet (Bourdieu 1983: 62). Im Anschluss an diese Erkenntnisse sind Positionierungen von Gleichgesinnten und Anders-Gesinnten im sozialen Raum nicht ausschließlich durch das ökonomische Kapital bedingt, wie allgemein angenommen wird. Vielmehr ergeben sich diese aus dem Umstand, dass die Individuen, die diese Klasse bilden, ohne es zu merken in symbolische Beziehungen zu einenader treten, die die Differenzen von Stellung und Lage ausdrücken und diese Unterschiede somit in signifikante Unterscheidungsmerkmale zu verwandeln trachten (Bourdieu 1970: 57). Das bedeutet, dass symbolische Praktiken und die symbolischen Elemente die soziale Ordnung strukturieren und reproduzieren (Hülst 1999: 280). Es gibt unterschiedliche Formen des symbolischen Kapitals, die Staubmann (1995: 133) als expresiver Symbolismus bezeichnet, die distingierend wirken und die Reproduktion bestehender Beziehungen (Bourdieu 1979: 335) überwachen. Eine Form des symbolischen Kapitals äußert sich in den immateriellen Werten, wie beispielsweise das Ansehen, die Ehre, die Reputation, der Status, der Prestige und die Anerkennung (Fröhlich 1994: 37). Im Hinblick auf die Symbolkraft vom Prestige in der sozialen Praxis verweist Staubmann (1995: 129) auf Veblen und seine Deutung von Prestige als grundlegendes Handlungsmotiv in sozialen Beziehungen. Für Veblen bestehen die Motive des wirtschaftlichen Handelns nicht aus materiellen Interessen, sondern im Streben nach Prestige, dessen Grundlage der (neidvolle) Vergleich darstellt. Das wesentliche des Vergleichens besteht darin, den relativen moralischen und ästhetischen Wert von sozialen Aktueren zu messen (Veblen 1981: 41, hier zitiert nach Staubmann 1995: 129). Auf die moderne Gesellschaft angewandt, bedeutet das, dass Produktion und Konsum durch Prestigemotive gesteuert sind. Somit sollen demonstrative (Staubmann 1995: 130), im Sinne von symbolischer Aufladung, Konsumgüter das Bedürfnis nach Prestige befriedigen. Desweiteren zählen auch materialisierte Güter, wie Schmuck, Kleidung, Fahrzeuge, Möbel, Bücher, Nahrungsmittel, Markenartikel, zu den Ausdrucksformen des symbolischen Kapitals. Eine weitere signifikante Unterform des symbolischen Kapitals ist das Körperkapital, das besonders hohen Stellenwert in der modernen Gesellschaft hat. Das Körperkapital äußert sich in der Stilisierung gemäß der geltenden gesellschaftlichen Normierungen, von Gesundheit, Körperästhetik sowie dem Alter und der Stärke des Körpers (Fröhlich 1994: 37 Faetherstone 1991 Wagner 2012). In folgenden Absätzen werden diese Formen des symbolischen Kapitals, die als symbolische Ausdrucksformen lebensstil - spezifischer Muster und Werte gelten, näher erläutert. Zuvor wird zum besseren Verständnis etwas ausführlicher auf die Begriffe Symbol und Symbolisierung in der Alltagspraxis eingegangen.

Über den Autor

Helena Jowitsch absolvierte 2017 erfolgreich das Masterstudium Soziologische und Ökonomische Studien an der Universität Hamburg. Wissenschaftliche Erweiterung und Vertiefung erwarb die Autorin in der qualitativen empirischen Sozialforschung und in den Theorien sozialer Interaktion. In zahlreichen Forschungsprojekten sammelte die Autorin darüber hinaus umfangreiche Praxiserfahrungen in Textanalyse und Erhebungsmethodik. Bereits im Bachelorstudium der Sozialökonomie an der Universität Hamburg entdeckte sie darüber hinaus private und öffentliche Fotografien als ergiebige Datenquellen visueller, symbolischer Sozialpraxis. Fundierte Kenntnisse in der Bildgestaltungslehre sowie ausgeprägtes Erkenntnisinteresse an visuell inszenierten sozialen Praktiken führten die Autorin dazu, in der vorliegenden Studie werblich inszenierte und visuell kodierte gesellschaftliche Wertemuster zu erforschen.

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